Themen / Sozialpolitik

Gegen Auslän­der­dis­kri­mi­nie­rung

15. April 1970

Aus: vorgänge Heft 4/1970, S. 118

Das war eine bewegende Ansprache, die Innenminister Hans Dietrich Genscher am 21. März über Rundfunk und Fernsehen hielt, am „Internationalen Tag zur Beseitigung der Rassendiskriminierung”. Der Minister sagte, dieser Tag werde in vielen Ländern der Welt begangen, und die Vereinten Nationen hätten dazu aufgerufen. Schön und gut, leider aber eine unvollständige Information. Wessen nämlich gedachten die Vereinten Nationen an diesem Tage? Des Massakers von Sharpeville in Südafrika am 21. März 1960, vor genau zehn Jahren also. Dort hatten Schwarzafrikaner gegen den Identitätskartenzwang der weißen südafrikanischen Regierung demonstriert und waren auf offenem Platz von der Polizei zusammengeschossen worden. Man zählte 69 Tote und 180 Verwundete. Während am Trafalgar-Platz in London rund 3 000 Demonstranten vor dem Südafrika-Haus ein großes Happening vollführten, in dem sie das Massaker von Sharpeville mit Platzpatronen, Scheintoten und wehklagenden Frauen wie ein Theater wiederholten, fiel der Name Sharpeville in der Ansprache des Bundesinnenministers nicht. Der UN-Generalsekretär U Thant dagegen gab eine Erklärung heraus, in der er vor den möglichen, unkalkulierbaren Folgen der Rassendiskriminierung in Südafrika warnte. Kein Wort dazu aus dem Munde des Innenministers.
Zur gleichen Zeit geriet sein Kabinettskollege Eppler in Tansania unter kritischen Beschuß wegen des wachsenden Handels der Bundesrepublik mit Südafrika. Man müsse Handel und politische Beziehungen auseinanderhalten, sagte Entwicklungsminister Eppler, und mit ihren wirtschaftlichen Beziehungen zu Südafrika billige die Bundesrepublik keineswegs die Politik der Rassentrennung. Gut, ein schwieriges Thema, das man nicht mit zwei Sätzen kommentieren kann. Kann man aber gegen Rassendiskriminierung sprechen, ohne sie beim Namen zu nennen? Gut, diplomatische Höflichkeit gebietet dies offenbar auch einem liberalen Minister.
Seine Rede enthält jedoch Sätze, die man sich genau merken sollte, merken sollte deshalb, weil man Minister Genscher beim Wort nehmen kann und muß auf einem Gebiet, für das er unmittelbar im eigenen Land zuständig ist. Zum Beispiel folgende Sätze: „Die Unantastbarkeit der Würde jedes einzelnen Menschen, das ist Inhalt unserer Rechts- und Verfassungsordnung. So bestimmt es das Grundgesetz: alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.” Die Würde jedes einzelnen Menschen, hörten wir da recht? Also auch die Würde jedes einzelnen Studenten, Arbeiters, Kaufmanns, Wissenschaftlers, der aus fremden Ländern zu uns kam, auch aus Ländern, deren Staatsangehörige nicht die Vorteile der EWG genießen? Ausländer sind, das lehrt leider die Erfahrung, nur zu oft vor dem deutschen Gesetz nicht gleich behandelt worden, und dies liegt großen teils an unserem Ausländergesetz, für das der Innenminister Genscher zuständig ist.
Zu Unrecht wird davon geredet, dieses Ausländergesetz von 1965 sei liberal und weltoffen. Stattdessen unterwirft es die bei uns lebenden Ausländer der praktisch schrankenlosen Herrschaft der Verwaltung deshalb, weil das angeblich weltoffene Ausländergesetz den Aufenthalt von Ausländern bei uns dem Ermessen von Polizei- und Verwaltungsbehörden überläßt. Ein Gesetz in einem Rechtsstaat aber muß die Verwaltung inhaltlich binden, sonst droht Willkür, sonst sind auch die Richter machtlos, wenn sie Gesetz und Verfassung zur Geltung bringen sollen. Zwei Tage vor Minister Genschers Rede gegen die Rassendiskriminierung ist von der Humanistischen Union bei Bundestag und Bundesregierung eine Petition überreicht worden, die wegen der Ereignisse in Erfurt nicht die wünschenswerte öffentliche Aufmerksamkeit fand. Es gibt einen Alternativentwurf zum geltenden Ausländergesetz mit Begründungen, die beachtlich sind, weil sie das Grundgesetz gegen die bisherige Praxis anführen. Wenn ein Ausländer sich bei uns schon nicht auf die Grundrechte der Freizügigkeit und der Berufsfreiheit berufen kann, so doch auf das Recht der freien Entfaltung der Persönlichkeit. Heißt das aber beispielsweise nicht auch, daß er nicht länger mehr in der Furcht leben sollte, bei bloßem Arbeitsplatzwechsel seine Aufenthaltsgenehmigung zu verlieren? Rassendiskriminierung heißt für uns auch Ausländerdiskriminierung. Mit den Worten des Ministers Gen-scher: „Die Gleichheit vor dem Gesetz gilt für alle Menschen”. Daher meine Bitte an den Minister, daß er prüft, wie man Gleichheit und Freiheit auf angemessene Weise ins Ausländergesetz bringen und an die Stelle des bisher unbeschränkten Ermessens der Verwaltung setzen kann, aus Achtung vor Verfassung und Rechtsstaatlichkeit.

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