Gutachten zum Regierungsentwurf eines Bayer. Versammlungsgesetzes
Bei der Anhörung des Ausschusses für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentfragen im Bayer. Landtag hat Dr. Klaus Hahnzog (HU-Beiratsmitglied) die folgende Stellungnahme abgegeben
Dr. Klaus Hahnzog
Kreisverwaltungsreferent der LH München a. D.
Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs
Anhörung zum Versammlungsrecht im Ausschuss für Verfassungs-, Rechts- und Parlamentsfragen
Zur Frage des Reformbedarfs:
I.
Reform an sich ist kein Selbstwert. Es kommt auf die Zielrichtung an. Diese ist sehr treffend im Jahr 2005 im Kommentar von Dietel/Gintzel/Kniesel beschrieben worden: Es gelte das Versammlungsgesetz „seiner obrigkeitsstaatlichen Tradition gänzlich zu entkleiden und auch verfassungsrechtlich als Möglichkeit demokratischer Willensbildung und Selbstbestimmung auszubauen“. Ähnlich hatten sich Hoffmann-Riem in der Festschrift für Helmut Simon und Ott/Wächtler in ihrem Kommentar geäußert.
Dies nimmt verbal auch der vorliegende Gesetzentwurf der Staatsregierung auf, wenn es auf Seite 1 im ersten Absatz heißt: „Die Versammlungsfreiheit ist Ausdruck der Freiheit, der Unabhängigkeit und des Selbstbewusstseins mündiger Bürger.“ Je weiter man dann aber diesen Gesetzentwurf liest, um so mehr wird klar, dass die Eingangsäußerungen reiner Etikettenschwindel sind. Es folgt Einschränkung auf Einschränkung. Das ist unnötig. Vor den Auswirkungen kann ich gerade auf grund meiner 9-jährigen Erfahrungen als Münchner Kreisverwaltungsreferent mit der Verantwortung für das Versammlungsrecht nur warnen.
Es bleibt kaum etwas von der Feststellung des Bundesverfassungsgerichts übrig: Die Versammlungsfreiheit gewährleistet „ein Stück ursprünglicher ungebändigter unmittelbarer Demokratie“. Der Gesetzentwurf ist demgegenüber leider insbesondere in dreierlei Hinsicht gekennzeichnet:
1. Die vielen neuen Einschränkungen führen zu einer weiteren Bürokratisierung. Die Bescheide der Versammlungsbehörden werden weiter anschwellen und unverständlicher und bedrohlicher werden. Für einen Infostand mit 10 Teilnehmern von Gewerkschaftssenioren vor knapp zwei Wochen ist der Bescheid schon jetzt auf 11 Seiten mit 2 Anlagen angewachsen; für größere Veranstaltungen sind es bereits 18 Seiten mit Anlagen. Das ist nurmehr Bürokratie, sondern auch das Gegenteil von der nach der Verfassung geforderten „Normenklarheit“ auch für die Betroffenen.
2. Der Gesetzentwurf verletzt Grundrechte wie etwa bei den Filmaufnahmen, wobei Übersichtsaufnahmen „zur Auswertung polizeitaktischen Vorgehens“ nicht gelöscht oder vernichtet werden müssen.
- Bei der Abwägung gegenüber Rechten Dritter heißt es in der Gesetzesbegründung zu Art. 15 Abs. 1 auf S. 22: „Die schutzwürdigen Drittrechte müssen der Versammlungsfreiheit nicht gleichrangig sein.“ Seit der Brokdorf-Entscheidung vom 14. Mai 1985 ist es aber ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass Verbote nur „zum Schutz gleichwertiger Rechtsgüter unter strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ erfolgen dürfen.
- Von Leuten und Ordnern werden ganz persönliche Daten erhoben. Normal wird pro 50 Teilnehmern 1 Ordner verlangt. Bei einer Demonstration mit 10.000 erwarteten Teilnehmern wäre dies ein Konvolut von 200 Namen mit Angaben bis zu den Geburtsdaten.
3. Der Gesetzentwurf vermehrt die Straf- und Ordnungswidrigkeitstatbestände ernorm. So sind in sowieso schon 12 Nummern der Straftatbestände des Art. 20 Abs. 2 laut Begründung 4 neue enthalten, bei den Bußgeldtatbeständen in den 13 von Art. 21 Abs. 1 allein 9 neue.
Von der „ungebändigten“ Demokratie bleibt da wenig übrig. Das Bundesverfassungsgericht hat beginnend mit dem Volkszählungsurteil in seinen leider notwendigen, aber begrüßenswerten Entscheidungen zum Autokennzeichenscanning, online-Durchsuchung und Vorratdatenspeicherung zu Recht immer wieder betont, die Grundprinzipien des Grundgesetzes schützten die „Unbefangenheit“ des Einzelnen und wenden sich gegen „Einschüchterung“ des nicht unter Generalverdacht stehenden Bürgers.
II.
Darüber hinaus ist verwunderlich, wie wenig der Gesetzentwurf als Landesgesetz auf die Besonderheiten der Bayerischen Verfassung eingeht. Art. 113 BV hat nun eben einmal für Versammlungen unter freiem Himmel keinen Gesetzesvorbehalt wie Art. 8 GG in Absatz 2. Damit sind die Einschränkungsmöglichkeiten geringer als die des Grundgesetzes und das Landesgrundrecht gilt nach Art. 142 GG in dieser weitergehenden Form. Nach den Beschlüssen der Bayerischen Verfassungsgebenden Landesversammlung hatte der Art. 113 (damals Art. 77 des Verfassungsentwurfs) noch einen Gesetzesvorbehalt, der lautete: „Versammlungen unter freiem Himmel können durch Gesetz anmeldepflichtig gemacht und bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit verboten werden.“ Das war also enger als der Art. 8 Abs. 2 GG. Nun ist der Abs. 2 des Art. 113, wie andere Gesetzesvorbehalte bei Grundrechten, noch nicht einmal in die offizielle Fassung der BV aufgenommen worden. Da gibt es zum Teil über die Hintergründe ein Rätselraten. Es wurde dann versucht, auf die allgemeine Vorschrift des Art. 98 Satz 2 zurückzugreifen, der lautet: „Einschränkungen durch Gesetz sind nur zulässig, wenn die öffentliche Sicherheit, Sittlichkeit, Gesundheit und Wohlfahrt es zwingend erfordern.“ Der Bayerische Verfassungsgerichtshof stellte demgegenüber aber später auf „immanente oder inhärente“ Schranken ab.
Mit dieser bayerischen Verfassungslage hätte sich der Entwurf sehr viel intensiver als mit der mageren Bewertung auf S. 12 auseinandersetzen müssen. Art. 98 Satz 2 BV ist eben nicht eine mit Art. 8 Abs. 2 GG „im Ergebnis vergleichbare Regelung“. Außerdem hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof bei anderen „verschwundenen“ Gesetzesvorbehalten wie der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 106 BV) oder der Kunstfreiheit (Art. 108 BV) später auf „inhärente“ oder „immanente“ Schranken abgestellt.
Unter dieser maßgeblichen bayerischen Verfassungslage ist manche Einschränkung, die vielleicht nach Art. 8 Abs. 2 GG noch hinnehmbar wäre, äußerst fraglich.
III.
Dieser Gesetzentwurf der Staatsregierung ist obrigkeitsstaatlich. Das sollte auch nicht unter dem Deckmantel „Gesamtreform“ geschehen. Ein alle Aspekte einer echten Reform beinhaltender Gesetzentwurf liegt auch sonst nicht vor. Dies bedürfte umfangreicher Vorarbeiten. Daran müssten vor allem auch die Grundrechtsträger selbst beteiligt werden. Dies ist hier von der Staatsregierung völlig vermieden worden. Deshalb ist ja auch ein breites Bündnis ausgehend von ver.di München aus allen gesellschaftlichen Bereichen allein mit über 200 Organisationen und Gruppen sowie vielen Einzelnen entstanden.
Ein solches Vorhaben wie das der Staatsregierung ist auch unnötig.
Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind seit dem Brokdorf-Beschluss in die Praxis eingeflossen. Sie sind notfalls mit Hilfe der Gerichte (wobei ich nicht das OVG Münster meine) gut handhabbar gewesen.
Ein anderer Freistaat, nämlich Sachsen hat gegenüber Bayern einen wesentlich grundrechtsgemäßeren Weg beschritten. Nach dem Gesetzentwurf der Sächsischen Staatsregierung von Ende Februar 2008 soll das Versammlungsgesetz des Bundes mit Ergänzungen als Landesrecht fortbestehen. Die Ergänzungen Sachsens betreffen allein „den Schutz der Würde und Ehre von Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft oder eines Krieges und von Menschen, die Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistet haben“.
Auf einen solchen Weg sollte sich jetzt auch der bayerische Gesetzgeber beschränken, statt allgemein Unheil anzurichten.
Das ist zugleich die Antwort auf die Frage unter A 1 bis 11. Natürlich werde ich zu den detaillierten Fragen des Gesetzentwurfs unter B Stellung nehmen und auf die vielen besonders bedenklichen Vorschriften ohne eigene schriftliche Vorlage eingehen. Es gibt dann ja auch ein Wortprotokoll.
Dr. Klaus Hahnzog