Liegt Deutschlands Zukunft in den Händen der Bundeswehr?
Humanistische Union befürchtet nach dem Weißbuch der Bundeswehr eine Militarisierung deutscher Innen- und Außenpolitik
Die in der heutigen Regierungserklärung des Verteidigungsministers angekündigte Verfassungsänderung wird nach Ansicht der Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union das Leben der Menschen in Deutschland mehr gefährden als vorhandene Gefahren abzuwenden. Der geplante Einsatz militärischer Waffen durch die Bundeswehr zur Abwehr terroristischer Angriffe ist weder angemessen noch erforderlich. Das gestern vorgelegte „Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ läutet zudem eine Abkehr von der Friedensstaatlichkeit Deutschlands ein und überschreitet den verfassungsmäßig definierten Verteidigungsauftrag der Bundeswehr.
Der Verteidigungsminister hat mit seinem Weißbuch und der heutigen Regierungserklärung eine Änderung des Artikels 35 des Grundgesetzes angekündigt. Nach seinen Vorstellungen soll in Unglücks- und Katastrophenfällen der Einsatz militärischer Kampfmittel durch die Bundeswehr zur Gefahrenabwehr erlaubt werden. Dazu stellt Rosemarie Will, Bundesvorsitzende der Humanistischen Union, fest: „Aus gutem Grund sind die Streitkräfte in solchen Fällen bislang darauf beschränkt, nur die für Polizeikräfte zulässigen Waffen anzuwenden. Die im Februar vom Bundesverfassungsgericht außer Kraft gesetzte Abschussbefugnis des Luftsicherheitsgesetzes ist ein deutlicher Hinweis darauf, dass in militärischen Entscheidungsstrukturen keine hinreichende Prüfung der Verhältnismäßigkeit stattfindet. Das Verfassungsgericht hat in seinem Urteil nicht nur die fehlende Kompetenz für den Abschuss eines Passagierflugzeuges festgestellt. Es hat zugleich die damit verbundene Aufrechnung von ‚Leben gegen Leben‘ als Verstoß gegen die Menschenwürde der unbeteiligten Passagiere verboten. Die Koalition muss sich fragen lassen, wie sie bei solchen Einsätzen das Leben unbeteiligter Dritter ausreichend schützen will. Eine Regelung, die das Leben unbeteiligter Dritter zur Disposition stellt, bleibt ein durch nichts zu rechtfertigender Verstoß gegen die Menschenwürde und damit verfassungswidrig.“ Eine Änderung des Grundgesetzes für Bundeswehreinsätze im Inneren führt nach Ansicht der Humanistischen Union unweigerlich in die Militarisierung jedweder Gefahrenabwehr.
Das gestern vom Bundeskabinett verabschiedete Weißbuch markiert nach Ansicht der Humanistischen Union zugleich einen Wendepunkt in Richtung einer wachsenden Militarisierung der deutschen Außenpolitik. Die im Weißbuch enthaltenen Verweise auf den Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, die friedensstiftende Funktion der Vereinten Nationen und die Achtung des Völkerrechts erweisen sich bei genauerem Hinsehen als Lippenbekenntnisse: Eine Politik, die die Verhütung internationaler Konflikte, die Sicherung der „außenpolitischen Handlungsfähigkeit“ Deutschlands und den Kampf gegen den internationalen Terrorismus als Aufgaben der Bundeswehr definiert, verlässt den in Artikel 87a des Grundgesetzes beschriebenen Verteidigungsauftrag. Sie verletzt zudem das völkerrechtlich verankerte Gewaltverbot nach Artikel 2 Ziffer 4 der UNO-Charta und verstößt gegen die in Artikel 26 Grundgesetz verankerte Pflicht zur Friedensstaatlichkeit. Der Verteidigungsbegriff mag in seiner Reichweite umstritten sein – ein Einsatz der Bundeswehr zur Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen ist dabei jedoch grundsätzlich ausgeschlossen.
Entgegen der Rede von einer „umfassenden Sicherheitsstrategie“ widmet sich das Weißbuch vorrangig den militärischen Optionen deutscher Außenpolitik. Es bleibt eine Antwort schuldig, wie das Zusammenspiel diplomatischer, entwicklungspolitischer und militärischer Kompetenzen aussehen soll und worin der Beitrag der Bundeswehr zur Vermeidung bzw. Lösung internationaler Konflikte bestehen könnte, deren Ursprünge häufig in sozialen, ethnischen und politischen Gründen zu suchen sind. Das Scheitern einer auf militärische Interventionen setzenden Politik zeigt sich derzeit im Irak und in zunehmenden Maße in Afghanistan.
Pressemitteilung der Humanistischen Union
vom 26. Oktober 2006