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Mit Risiken und Neben­wir­kun­gen: Die Gen-Datei

30. August 2020
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Gegen die Krimi­nal­po­litik mit der Angst

Verlagsbeilage der Humanistischen Union in der tageszeitung (taz) vom September 1998 (Redaktion: Roland Otte)

 

Computerbildschirm mit Fahndungsbild

Polizeiliche Datensammlung – wo sind die Grenzen?

von Stefan König

 

Seit dem 17. April 1998 gibt es in der Bundesrepublik eine zentrale „Gen-Datei“, eingerichtet beim BKA aufgrund einer „Errichtungsanordnung“ des Bundesinnenministers Kanther. In der Datei sollten die genetischen Profile von Personen gespeichert werden, gegen die wegen „Straftaten mit erheblicher Bedeutung“ ermittelt wurde. Als Rechtsgrundlage berief man sich auf eine Generalklausel im BKA-Gesetz. Die u.a. vom Bundesjustizminister geforderte spezielle gesetzliche Regelung wurde im Hau-Ruck-Verfahren durch die parlamentarischen Instanzen getrieben. Entsprechend geriet das Resultat zum faulen Kompromiß. Der Behauptung, die Datei diene vor allem der Verfolgung von Sexualverbrechern, stehen die Erfahrungen mit dem Einsatz solcher Dateien in anderen Ländern (insbesondere Großbritannien) entgegen. Der Schwerpunkt der Ermittlungserfolge der Datei liegt dort bei Einbruchsdelikten. Einbruchsdiebstahl ist zuletzt auch auf Empfehlung des Rechtsausschusses in die Aufzählung der Regelbeispiele im Gesetz aufgenommen worden.

Schon heute ist damit zu rechnen, daß mit Hilfe der Generalklausel der „Straftat von erheblicher Bedeutung“ der betroffene Personenkreis rapide erweitert werden wird. Dem hätte durch einen Deliktskatalog begegnet werden müssen, in dem lediglich schwere Verbrechen (Tötungs- und schwere Körperverletzungsdelikte, Sexualverbrechen, Verbrechen gegen die persönliche Freiheit) enthalten sind. Nach der jetzigen Regelung darf bereits ein bloß Verdächtiger in die Datei aufgenommen werden. Voraussetzung müßte statt dessen die rechtskräftige Verurteilung sein. Auch Löschungsfristen müßten normiert werden.

Bei den gespeicherten Informationen handelt es sich um sensibles Material. Angesichts der rapiden Entwicklungen in der Genforschung ist heute nicht auszuschließen, daß daraus irgendwann Informationen gewonnen werden, die über die Identitätsfeststellung hinausgehen. Neben einer strikten Begrenzung des Einsatzbereiches der Datei, den das Gesetz vorsieht, wären daher auch Garantien der institutionellen Unabhängigkeit der Datei – insbesondere von den Ermittlungsbehörden – erforderlich gewesen. Dies ist versäumt worden. Es war auch nicht gewollt. Gewollt war eine Absegnung der von Kanther geschaffenen Situation – und eine Erweiterung der Zugriffsmöglichkeiten auf die genetischen Informationen bereits verurteilter Straftäter, von denen noch keine verformelten DNA-Profile vorliegen. Was mit den vor Inkrafttreten des Gesetzes in der zentralen Gen-Datei gespeicherten Informationen zu geschehen hat, läßt das Gesetz offen.

Die neue gesetzliche Regelung zur zentralen „Gen-Datei“ ist das Resultat eines unbedachten gesetzgeberischen Aktionismus. Vor dem Hintergrund spektakulärer Sexualverbrechen sollten Wahlkampfpunkte gesammelt werden. Das Ergebnis zeigt, wie unverantwortlich mit der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger gerade von denen umgegangen wird, die vorgeben, die Innere Sicherheit garantieren zu wollen.

 

Dr. Stefan König ist Rechtsanwalt und Vorstandsmitglied der Vereinigung Berliner Strafverteidiger.

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