Neuer Datenschutzvirus in Umlauf gebracht
Humanistische Union will rasche Ausbreitung der Steueridentifikationsnummer gerichtlich stoppen. Aus: Mitteilungen Nr. 202, S. 1/2
Seit August diesen Jahres verteilt das Bundeszentralamt für Steuern die neuen Steueridentifikationsnummern (Steuer-IDs). In der „größten Versandaktion in der Geschichte der Bundesrepublik“ erhalten alle Bürgerinnen und Bürger bis zum Jahresende ihre neuen Steuernummern mitgeteilt. Im Vergleich zum logistischen Aufwand, der für Erstellung und Verteilung der Nummern betrieben wird, nehmen sich die gesetzlichen Sicherungen für den Datenschutz, aber auch die Vorkehrungen der Verwaltung für den Rechtsschutz der Bürgerinnen und Bürger bescheiden aus.
Als im August die ersten Bescheide bei ihren Empfängern eintrafen, wurde schnell deutlich, dass die Zustellung der Steuernummern keine Einbahnstraße wird: Zahlreiche Briefe konnten nicht zugestellt werden, da ihre Empfänger seit dem im letzten Jahr vollzogenen Datenabgleich verzogen waren. Andere wunderten sich über Namens- oder Herkunftsänderungen, die sie natürlich beheben lassen wollten. Schließlich gab es – nicht zuletzt auf Anregung der HU – viele Menschen, die die Zuteilung der neuen Steuer-ID nicht einfach hinnehmen und Widerspruch einlegen wollten. Wo und wie das geschehen könnte, ließen die Schreiben jedoch offen. Die austeilende Behörde, das Bundeszentralamt für Steuern, gab sich alle Mühe, auf den Schreiben seine Absenderschaft zu verschleiern und verwies auf die Meldebehörden. Eine Rechtsbehelfsbelehrung fehlte – sie könnte ja zu Widersprüchen verleiten.
Aber selbst diejenigen, welche das Bundeszentralamt als ausstellende Behörde ausmachen konnten, mussten an dessen Telefonhotline erfahren, dass man sich für Widerspruchsfragen nicht zuständig fühle: Man sei eine kleine Behörde, die nicht über genügend personelle Kapazitäten verfüge. Stattdessen wurden Widerspenstige wahlweise an das Bundesfinanzministerium, den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages oder das Bundesverfassungsgericht verwiesen. Alles nette Strategien, um sich aufmüpfige Bürger vom Hals zu halten – ein effektiver Rechtsschutz gegenüber dem Handeln der Verwaltung sieht anders aus.
Der Fehler liegt im System
Der fahrlässige Umgang mit der neuen Steuernummer begann jedoch viel früher, bei der Schaffung ihrer gesetzlichen Grundlagen. Im Unterschied zu bisherigen Kennziffern wie der Ausweis-, Pass- oder Sozialversicherungsnummer ist die Verwendung der Steuer-ID keineswegs bereichsspezifisch geregelt, d.h. auf die Verwendung durch Finanzbehörden und für steuerliche Zwecke beschränkt. (s. Mitteilungen Nr. 200, S. 14f) Der Gesetzgeber hat mit § 139b der Abgabenordnung den Boden für eine rasche Ausbreitung der Steuer-ID bereitet. Nach derzeitiger Gesetzeslage wird die Steuer-ID neben den Finanz- und Meldebehörden schon bei folgenden Stellen gespeichert:
- alle privaten und öffentlichen Arbeitgeber benötigen sie für die Lohnsteuerabrechnungen ihrer Beschäftigten
- die Banken erfassen die Steuer-ID ihrer Kunden für die Entrichtung der Abgeltungssteuer (siehe Beitrag auf S. 12f dieser Ausgabe)
- die Arbeitsagenturen erfassen die Steuer-IDs ihrer „Klienten“
- die Familienkassen speichern sie für alle Eltern und deren Kinder zur Berechnung des Kindergeldes
- die Rentenversicherungsträger erhalten sie im Rahmen ihres Datenabgleichs mit den Finanzbehörden.
Und das ist erst der Anfang. Eine Öffnungsklausel des § 139b Absatz 2 der Abgabenordnung kündigt weitere Rechtsvorschriften an, die öffentlichen und privaten Stellen die Verwendung der Steuer-ID gestatten können.
Steuer-ID: Personenkennzeichen & Generalschlüssel
Die neue Steuernummer selbst ist eigentlich harmlos, sie enthält keine codierten Angaben. Anhand der Nummer kann niemand erkennen, wann der/die Inhaber/in geboren wurde oder wie groß er/sie ist. Die Nummer ist dennoch nicht zu unterschätzen, sie erfüllt alle Merkmale eines Personenkennzeichens: Sie ist lebenslang gültig und eineindeutig, d.h. jeder Mensch hat nur eine Nummer und aus jeder Nummer lässt sich eine konkrete Person ablesen. Die Gefahr der Steuer-ID besteht daher weniger in ihr selbst, sondern in ihren Verwendungsmöglichkeiten.
Hat sich die Steuer-ID erst einmal verbreitet, wird sie zu einer Art Generalschlüssel. Mit ihr werden die technischen Voraussetzungen für automatisierte Datenabgleiche geschaffen. Alle privaten und staatlichen Stellen, die die Nummer in ihren Datenbanken speichern, könnten in Zukunft automatisch abgleichen, wer welche Informationen zu einer bestimmten Person gespeichert hat. Diese Abgleiche setzen bisher (aufgrund von Namensdopplungen etc.) noch viel Handarbeit voraus, die man sich dann sparen könnte – die Erstellung von Persönlichkeitsprofilen wird dank Steuer-ID zum Kinderspiel. Aus Erfahrung wissen wir: Wenn erst einmal die Infrastruktur für automatisierte Datenabgleiche geschaffen ist, werden die Forderungen, diese auch durchzuführen, nicht lange auf sich warten lassen. Die Steuer-ID ist deshalb ein zentraler Angriff auf das Prinzip der Zweckbindung, welches bisher den freien Datenaustausch zwischen staatlichen Behörden begrenzt.
Um derartigen Gefahren von Datenabgleichen und Profilbildung vorzubeugen, hat das Bundesverfassungsgericht bereits in seinem Urteil zur Volkszählung (1983) die Einführung eines Personenkennzeichens als Widerspruch zu unserem freiheitlichen Selbstverständnis beschrieben: Wer nicht überschauen kann, welche staatlichen Stellen am Ende Zugriff auf seine Daten haben, kann nicht mehr selbstbestimmt entscheiden, was sie/er von sich preisgibt – die Konsequenzen sind für sie/ihn nicht absehbar. Kurioserweise waren es in jenem Verfahren die Vertreter der Bundes- und Länderregierungen, die zur Verteidigung ihrer Zählermethode auf die Gefahren eines Personenkennzeichens für die informationelle Selbstbestimmung hinwiesen: „Eine Nutzung von Daten aus verschiedenen Registern und Dateien würde zudem die Einführung eines einheitlichen Personenkennzeichens voraussetzen. Dies allerdings wäre ein entscheidender Schritt, den einzelnen Bürger in seiner ganzen Persönlichkeit zu registrieren und zu katalogisieren.“ (BVerfGE 65, 1 Rdnr. 119 – hier: Stellungnahmen des Bundes und der Länder) Diese Einsicht scheint bei den Gesetzgebern inzwischen verloren gegangen zu sein.
Einmal mehr: Es gibt keine belanglosen Daten!
Die Steuer-ID hat bereits zu ersten datenschutzrechtlichen Kollateralschäden geführt: Für die Generierung der IDs fand im vergangenen Jahr ein Datenabgleich zwischen den Meldebehörden und dem Bundeszentralamt für Steuern statt. Bei diesem Abgleich wurden u.a. Vor- und Nachnamen sowie Geschlechtseintrag aller Gemeldeten übermittelt. Hinter diesem auf den ersten Blick harmlos erscheinenden Angaben kann sich im Einzelfall eine höchst sensible Diagnose verbergen: Bei transsexuellen Menschen, die die sog. „kleine Lösung“ der Geschlechtsumwandlung gewählt haben, weichen Geschlechtseintrag und Vornamens-Geschlecht voneinander ab. Ihre Daten unterliegen deshalb bei den Meldebehörden einem besonderen Schutz vor der Weitergabe an Dritte – der wurde nur leider „übersehen“.
Musterverfahren der HU bereits eröffnet
Die Humanistische Union wird sich mit allen politischen und juristischen Mitteln gegen das Personenkennzeichen wehren. Wir haben einen der ersten Bescheide des Bundeszentralamts genutzt, um im Namen des Empfängers eine Musterklage gegen die Steuer-ID beim Finanzgericht Köln einzureichen (Az 2 K 2822/08). Unserem Vorbild haben sich inzwischen zahlreiche Menschen angeschlossen und selbst Klage erhoben. Wir rechnen mit einem langwierigen Verfahren, dass wir jedoch dank zahlreicher Spenden notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht führen können. Für die breite Unterstützung unserer Musterklage möchten wir uns bereits jetzt bei allen Spenderinnen und Spendern bedanken.
Für alle, die Kosten und Risiken eines eigenen Verfahrens scheuen, stellt die Humanistische Union ein Widerspruchsschreiben bereit, mit dem der Erteilung, Speicherung und Verwendung der Steuer-ID widersprochen werden kann.
Sven Lüders
ist Geschäftsführer der Humanistischen Union
Ausführliche Informationen zur Steuer-ID, zu den häufigsten Fragen im Umgang mit der Nummer und dem aktuellen Stand der Musterklage finden Sie hier: https://www.humanistische-union.de/shortcuts/steuerid/.