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Die (un)heimliche Staats­ge­walt

30. August 2020
Memorandum zur Reform des Verfas­sungs­schutzes

VI. Rechts­schutz

Beein­träch­ti­gung der Rechts­pflege durch Geheim­hal­tungs­be­stim­mungen

Nach Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes ist die vollziehende Gewalt – also auch der Verfassungsschutz – an Gesetz und Recht gebunden. Wenn ein Bürger durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt wird, so steht ihm nach Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz der Rechtsweg offen. Der Verfassungsschutz genießt in dieser Hinsicht – vom Sonderfall der Maßnahmen nach dem Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnisses abgesehen – keine verfassungsrechtliche Sonderstellung. Seine Tätigkeit unterliegt wie die jeder anderen Behörde der uneingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Obwohl die Verfassungsrechtslage völlig eindeutig ist, kann in der Verfassungswirklichkeit von einem effektiven Rechtsschutz des Bürgers gegen Maßnahmen des Verfassungsschutzes keine Rede sein. Für Klagen gegen Maßnahmen des Verfassungsschutzes ist hauptsächlich der Verwaltungsrechtsweg gegeben. Die Rechtsweggarantie nach Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz läuft jedoch weitgehend ins Leere, weil dem Bürger eine wirksame Verfolgung seines Klagebegehrens durch Geheimhaltungsbestimmungen unmöglich gemacht wird. Nach § 99 der Verwaltungsgerichtsordnung sind zwar alle Behörden gegenüber den Verwaltungsgerichten zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften verpflichtet. Wenn jedoch „das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden oder Akten und dieser Auskünfte dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage von Urkunden oder Akten und die Erteilung der Auskunft verweigern“.

Diese umfassenden Verweigerungsrechte der Exekutive lassen den Verwaltungsgerichten in dem Verfahren nach § 99 Absatz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung kaum eine Möglichkeit, zu entscheiden, daß die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verweigerung nicht vorliegen. Durch Versagung der Aussagegenehmigung für Angehörige des öffentlichen Dienstes, insbesondere für Angehörige des Verfassungsschutzes, hat die Exekutive eine weitere Möglichkeit, auf den Ausgang eines Verwaltungsgerichtsverfahrens Einfluß zu nehmen. Die Effektivität der Verfassungsschutztätigkeit darf jedoch keinen Vorrang gegenüber einem effektiven Rechtsschutz haben. Es erscheint zweifelhaft, ob die Geheimhaltungsbestimmungen in der Verwaltungsgerichtsordnung und in anderen gerichtlichen Verfahrensordnungen dem Artikel 13 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten entsprechen, wonach der in seinen Rechten Verletzte „das Recht (hat), eine wirksame Beschwerde bei einer nationalen Instanz einzulegen.“

Besonders gravierend sind die Eingriffsmöglichkeiten der Exekutive im Strafprozeß. Nach § 54 der Strafprozeßordnung gelten für die Vernehmung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes als Zeugen die besonderen beamtenrechtlichen Vorschriften. Das gleiche gilt für die Vernehmung von Angehörigen des öffentlichen Dienstes als Sachverständige ( § 76 der Strafprozeßordnung). Die Beamtengesetze des Bundes und der Länder sehen vor, daß die Aussagegenehmigung durch den Dienstherrn versagt werden kann, „wenn die Aussage dem Wohle des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten oder die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ernstlich gefährden oder erheblich erschweren würde“ ( § 39 des Beamtenrechtsrahmengesetzes). § 96 der Strafprozeßordnung bestimmt ferner, daß die Gerichte die Vorlage von Akten oder Schriftstücken nicht verlangen können, wenn die oberste Dienstbehörde erklärt, „daß das Bekanntwerden des Inhalts dieser Akten oder Schriftstücke dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde“. Durch die Versagung oder Beschränkung der Aussagegenehmigung für Angehörige des Verfassungsschutzes und durch die Weigerung, Akten oder Schriftstücke des Verfassungsschutzes vorzulegen, wird in Strafverfahren die Wahrheitsfindung der Gerichte in zunehmendem Maße beeinträchtigt (1). Für einen Rechtsstaat ist es unerträglich, wenn die Exekutive mittelbar in die Rechtsprechung eingreifen und de facto Ausmaß und Grenzen der Wahrheitsfindung durch die Gerichte bestimmen kann.

Weitere Beeinträchtigungen der Strafrechtspflege ergeben sich daraus, daß Überläufer aus dem Spionagebereich sowie V-Leute und sonstige Informanten des Verfassungsschutzes dem Gericht vorenthalten und durch den sogenannten Zeugen vom Hörensagen ersetzt werden. Bedenklich ist auch die Praxis, V-Leuten und sonstigen Informanten des Verfassungsschutzes absolute Vertraulichkeit zuzusichern, weil diese Zusicherung zur Folge hat, daß die entsprechenden Unterlagen des Verfassungsschutzes dem Gericht nicht vorgelegt werden können. Die erwähnten Beeinträchtigungen der Strafrechtspflege verletzen den Anspruch des Angeklagten auf rechtliches Gehör nach Artikel 103 Absatz 1 Grundgesetz und stehen im Widerspruch zu Artikel 6 Absatz 3 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, wonach jeder Angeklagte das Recht hat, „Fragen an die Belastungszeugen zu stellen oder stellen zu lassen und die Ladung und Vernehmung der Entlastungszeugen unter denselben Bedingungen wie die der Belastungszeugen zu erwirken“. Die tatsächlichen oder vermeintlichen Geheimhaltungsinteressen des Verfassungsschutzes sind bisher von den Gerichten im Verhältnis zu den Rechtsschutzinteressen des Bürgers überbewertet worden. In einem Rechtsstaat müssen jedoch die aus der Versagung oder Beschränkung der Aussagegenehmigung und der Weigerung zur Vorlage von Urkunden oder Akten resultierenden Beweisschwierigkeiten von den Gerichten zugunsten des Angeklagten bzw. des rechtsuchenden Bürgers aufgelöst werden.

Daraus folgt:

  • In Strafverfahren darf der Inhalt von Urkunden oder Akten nur dann zu Lasten des Angeklagten verwertet werden, wenn die Urkunden oder Akten dem Gericht vorgelegt werden. Aussagen von Zeugen dürfen nur dann zu Lasten des Angeklagten verwertet werden, wenn die Zeugen in der Hauptverhandlung vernommen worden sind. Aussagen von sogenannten Zeugen vom Hören-Sagen dürfen nicht verwertet werden. Soweit Anträgen der Verteidigung auf Vorlage von Urkunden oder Akten oder auf Vernehmung von Zeugen aus Geheimhaltungsgründen nicht entsprochen wird, sind die in den Beweisanträgen enthaltenen entlastenden Momente zugunsten des Angeklagten als wahr zu unterstellen (2).
  • Die vorstehenden Beweisregeln für Strafverfahren gelten sinngemäß für alle anderen gerichtlichen Verfahren.
  • Im Interesse der Rechtssicherheit sind die gerichtlichen Verfahrensordnungen entsprechend zu ergänzen.
Rechts­widrig erlangte oder weiter­ge­ge­bene Infor­ma­ti­onen des Verfas­sungs­schutzes

Der Verfassungsschutz darf nur im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenzuweisung tätig werden und bedarf für Eingriffe in die Privatsphäre der Bürger einer ausdrücklichen gesetzlichen Eingrifsermächtigung. Liegen diese beiden Voraussetzungen nicht vor, so sind die angefallenen Informationen rechtswidrig erlangt worden, und dürfen nicht weitergegeben werden (3). Weder in den Verfassungsschutzgesetzen noch in den gerichtlichen Verfahrensordnungen ist die Behandlung rechtswidrig erlangter bzw. rechtswidrig weitergegebener Informationen des Verfassungsschutzes bisher ausdrücklich geregelt. Rechtsstaatliche Gesichtspunkte erfordern eine klarstellende gesetzliche Regelung (4).

Daraus folgt:

  • Für rechtswidrig erlangte Informationen des Verfassungsschutzes ist in den Verfassungsschutzgesetzen ein Auswertungs-, Aufbewahrungs- und Weitergabeverbot zu normieren.
  • Für rechtswidrig an andere Behörden, Gerichte oder Privatpersonen weitergegebene Informationen des Verfassungsschutzes ist in den gerichtlichen Verfahrensordnungen ein Verwertungsverbot zu normieren.
  • Für den Betroffenen ist in den Verfassungsschutzgesetzen ein Anspruch auf Vernichtung der rechtswidrig erlangten bzw. rechtswidrig weitergegebenen Informationen des Verfassungsschutzes sowohl beim Verfassungsschutz als auch bei anderen Behörden oder bei Privatpersonen zu normieren.
Gesetz zur Beschrän­kung des Brief-, Post- und Fernmel­de­ge­heim­nisses

Das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. 6. 1968 war ein negativer Markstein in der rechtspolitischen Entwicklung der Bundesrepublik Deutschland. Durch diese Grundgesetzergänzung wurden die Artikel 10 Absatz 2 und 19 Absatz 4 GG geändert. Die bis dahin bestehende lückenlose Rechtsweggarantie – zu Recht als Krönung des Rechtsstaats bezeichnet – wurde für Zwecke der Beschränkung des Brief-, Post- und Fermeldegeheimnisses beseitigt. Das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Post- und Fernmeldege-heimnisses (G 10) vom 13. 8. 1968 konkretisierte die Eingriffsbefugnisse in das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (5). Die Novellierung des G 10 durch das Gesetz vom 13. 9. 1978 brachte zwar einige verfahrensmäßige Verbesserungen, ohne jedoch den verfassungsrechtlichen „Sündenfall“ von 1968 zu beseitigen. Es liegt in der Natur der Sache begründet, daß Überwachungsmaßnahmen nach dem G 10 dem Betroffenen nicht bereits zum Zeitpunkt der Anordnung oder Durchführung mitgeteilt werden können. Dieser Umstand rechtfertigt jedoch keineswegs, die Anordnung von Überwachungsmaßnahmen und deren Verlängerung dem Richter zu entziehen. Die derzeitige Regelung, Überwachungsmaßnahmen durch eine nichtrichterliche Kommission billigen zu lassen (9 Absatz 2 G 10), mag den Interessen des Verfassungsschutzes entgegenkommen. Den Rechtsschutzinteressen des Bürgers dient sie nicht.

§ 5 Absatz 5 G 10 regelt die Mitteilung von Überwachungsmaßnahmen an den Betroffenen nach ihrer Einstellung. Die Voraussetzungen für die Mitteilung sind in diesem Paragraphen zu Lasten des Betroffenen außerordentlich eng gefaßt. Während bei der strafprozessualen Überwachung des Fernmeldeverkehrs der Betroffene zu benachrichtigen ist, „sobald dies ohne Gefährdung des Untersuchungszwecks geschehen kann“ ( § 101 Absatz 1 Strafprozeßordnung), erfolgt die Benachrichtigung nach § 5 Absatz 5 G 10 nur dann, „wenn eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung ausgeschlossen werden kann.“ Liegen diese Voraussetzungen auch nach fünf Jahren noch nicht vor, wird der Betroffene überhaupt nicht mehr verständigt und bleibt bis zu seinem Lebensende faktisch ohne Rechtsschutz. Wie schon die Anordnung von Überwachungsmaßnahmen unterliegt auch die Prüfung der Mitteilungsvoraussetzungen keiner gerichtlichen Kontrolle. Die Frist von fünf Jahren stellt geradezu eine Aufforderung an den Verfassungsschutz dar, das Fortbestehen der Gefährdung des Überwachungszwecks über die 5-Jahres-Frist zu „retten“, um danach von allen lästigen Fragen oder juristischen Schritten des Betroffenen verschont zu bleiben. Ob der Interatom-Geschäftsführer Klaus Traube jemals die Chance erhalten hätte, sich zu rehabilitieren, bleibt ungewiß. Fest steht jedenfalls, daß Traube die Überwachungsmaßnahmen nach dem G 10 weder nach der Einstellung im Juni 1976 noch in den folgenden Monaten mitgeteilt wurden. Von der Überwachung seines Telefons erfuhr Klaus Traube erst aus dem Spiegel Nr. 10 vom 28. 2. 1977.

Die Nichtbenachrichtigung des Betroffenen nach Ablauf der Frist von fünf Jahren entspricht weder dem Abhörurteil des Bundesverfassungsgerichts noch dem Abhörurteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (6). Rechtsstaatlichen Anforderungen würde eher folgende Regelung entsprechen: Beschränkungsmaßnahmen sind dem Betroffenen nach ihrer Einstellung mitzuteilen, sobald dies ohne Gefährdung des Beschränkungszwecks geschehen kann, spätestens jedoch nach fünf Jahren. Ein solcher Zwang zur Mitteilung hätte den rechtspolitisch durchaus erwünschten Nebeneffekt, daß Überwachungsmaßnahmen nicht allzu leichtfertig angeordnet werden. Bereits die – soweit bekannt – erste gerichtliche Überprüfung einer Abhörmaßnahme führte im Fall des Schriftstellers Günter Wallraff zu der Feststellung, daß die Anordnung rechtswidrig gewesen ist (7).

Daraus folgt:

  • Überwachungsmaßnahmen nach dem G 10 bedürfen stets einer richterlichen Anordnung. Das gleiche gilt für die Verlängerung der Überwachungsmaßnahmen. Die derzeitigen Organe und Hilfsorgane der Volksvertretung – Gremium gemäß § 9 Absatz 1 G 10 und Kommission gemäß § 9 Absatz 2 – 4 G 10 – sind zu beseitigen.
  • Der von Überwachungsmaßnahmen Betroffene ist zu benachrichtigen, sobald dies ohne Gefährdung des Überwachungszwecks geschehen kann, spätestens jedoch fünf Jahre nach Beendigung der Überwachungsmaßnahmen.
  • Ob die Voraussetzungen für die Benachrichtigung vorliegen, ist in regelmäßigen Zeitabständen zu prüfen. Die Fortdauer der Nichtbenachrichtigung bedarf der richterlichen Bestätigung.
  • Wünschenswert wäre die Wiederherstellung der lückenlosen Rechtsweggarantie durch Rücknahme der Verfassungsänderungen von 1968. Die vorstehenden Forderungen können jedoch auch ohne Verfassungsänderung durch einfaches Gesetz verwirklicht werden, da es sich bei dem nach Artikel 10 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes möglichen Ausschluß des Rechtswegs nur um eine Kann-Bestimmung handelt.
Strafbare Handlungen im Bereich des Verfas­sungs­schutzes

Rechtlich bedenkliche Praktiken des Verfassungsschutzes werden in der Regel nur durch Presseveröffentlichungen bekannt. Soweit sich aus den Presseveröffentlichungen der Verdacht von strafbaren Handlungen durch Angehörige des Verfassungsschutzes ergibt, steht es zwar jedem Bürger frei, bei der Staatsanwaltschaft eine Strafanzeige zu erstatten. Wenn die – weisungsgebundene – Staatsanwaltschaft das Ermittlungsverfahren einstellt, findet in der Regel keine gerichtliche Überprüfung der Handlungsweise von Angehörigen des Verfassungsschutzes statt. Nur wenn der Anzeigeerstatter gleichzeitig der „Verletzte“ ist, kann die Entscheidung der Staatsanwaltschaft durch ein Klageerzwingungsverfahren ( § § 172ff der Strafprozeßordnung) gerichtlich überprüft werden.

In bestimmten Fällen ist nicht einmal eine Strafanzeige möglich, weil es sich bei dem Verdacht der strafbaren Handlungen durch Angehörige des Verfassungsschutzes um ein Antragsdelikt handelt. Wenn etwa Angehörige des Verfassungsschutzes widerrechtlich in eine Wohnung eindringen oder aus einem Hausbriefkasten einen verschlossenen Brief herausnehmen und öffnen, so ist eine Strafverfolgung wegen Hausfriedensbruch bzw. Verletzung des Briefgeheimnisses nur möglich, wenn der Verletzte einen Strafantrag stellt. Da der Verletzte Gründe haben kann, von einem Strafantrag abzusehen (zB. Furcht vor Strafverfolgung, konspiratives Verhalten), unterbleibt eine strafrechtliche Würdigung der Handlungsweise von Angehörigen des Verfassungsschutzes. Selbst wenn der Verletzte gewillt ist, einen Strafantrag zu stellen, wird er – wenn überhaupt – von dem Eingriff in seine Persönlichkeitsrechte in der Regel erst zu einem Zeitpunkt erfahren, zu dem das Delikt bereits verjährt ist. Auch in den Fällen, in denen ein Strafantrag nicht erforderlich ist (zB. bei Verletzung der Vertraulichkeit des nichtöffentlich gesprochenen Wortes durch einen Amtsträger nach § 201 Absatz 3 Strafgesetzbuch), scheitert die Strafverfolgung oftmals daran, daß die Delikte zum Zeitpunkt des Bekanntwerdens in der Öffentlichkeit bereits verjährt sind.

Daraus folgt:

  • Wenn die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Angehörige des Verfassungsschutzes einstellt, muß – auch im Interesse des Verfassungsschutzes und der Staatsanwaltschaft – eine gerichtliche Überprüfung der Einstellungsverfügung auf dem Wege des Klageerzwingungsverfahren ermöglicht werden (8). Ein Antragsrecht ist zumindest dem Beauftragten für die Nachrichtendienste zuzubilligen. Ein Antragsrecht des Anzeigeerstatters wäre zu erwägen. Bestimmte Antragsdelikte (so üü‘ 123, 202 Strafgesetzbuch) sind in Offizialdelikte umzuwandeln, wenn die Tat von Amtsträgern begangen wurde.
  • Die § § 78ff Strafgesetzbuch sind dahingehend zu ergänzen, daß die Verjährungsfrist für Straftaten, die von Angehörigen des Verfassungsschutzes begangen wurden, erst mit dem Bekanntwerden in der Öffentlichkeit beginnt (8).
  • Die vorstehenden Forderungen gelten sinngemäß auch für strafbare Handlungen von V-Leuten des Verfassungsschutzes. § 357 Strafgesetzbuch ist entsprechend zu ergänzen.

(1) Der Spiegel Nr. 10/1981, S. 40ff (Cremer-Prozeß); Der Spiegel Nr. 43/180, S. 51 ff (Spiegel-Gespräch mit dem früheren Berliner Innensenator Peter Ulrich über die Rolle des Verfassungsschutzes in Terrorismusverfahren).

(2) Denkbar wäre auch eine Regelung, die es allein den Gerichten überließe, über Art und Umfang der Vernehmung von Angehörigen des Verfassungsschutzes als Zeugen oder Sachverständige sowie über die Vorlage von Urkunden oder Akten des Verfassungsschutzes zu entscheiden. Nicht ganz so weitgehend, aber zumindest für eine Offenlegung der Ergebnisakten des Verfassungsschutzes H.-P. Schneider, Neue Juristische Wochenschrift 1978, S. 1601ff (1605). Abwägend zwischen Rechtsschutzinteressen und Geheimhaltungsinteressen, jedoch grundsätzlich für eine Erweiterung der Aktenvorlage H.-U. Evers, Zeitschrift für Rechtspolitik 1980, S. 110ff (113 f). Für Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht ist die Verpflichtung zur Vorlage von Akten und Urkunden wesentlich erweitert und die Versagung der Aussagegenehmigung für Zeugen und Sachverständige wesentlich eingeschränkt worden ( § § 26 und 28 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht).

(3) Im einzelnen Ch. Gusy „Der Schutz gegen rechtswidrige Informationsermittlung durch die Nachrichtendienste“ in „Die Öffentliche Verwaltung“ 1980, S. 431ff.

(4) Von der Rechtsprechung ist die Weitergabe von Verfassungsschutzinformationen unter dem Gesichtspunkt der fehlenden gesetzlichen Aufgabenzuweisung oder der fehlenden gesetzlichen Eingriffsermächtigung für den Verfassungsschutz bisher kaum untersucht worden. Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen 2 Sa 39/80 vom 31. 3. 1981 sind Informationen des Verfassungsschutzes von den Einstellungsbehörden nur dann zu verwerten, „wenn sie sich auf Bestrebungen beziehen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind. . .“ Zu den Voraussetzungen für die Weitergabe von Informationen des Verfassungsschutzes vgl. auch Oberverwaltungsgericht Berlin, Neue Juristische Wochenschrift 1978, S. 1644ff (1646).

(5) In diesem Kapitel wird auf das G 10 nur insoweit eingegangen, als darin Rechtsschutzprobleme berührt werden und der Verfassungsschutz betroffen ist. Die unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten untragbaren Überwachungsmaßnahmen nach § 3 G 10 für Zwecke des Bundesnachrichtendienstes werden daher hier nicht behandelt. Ebenso muß die Frage unerörtert bleiben, ob nicht durch die Vielzahl der möglichen Überwachungsmaßnahmen (vgl. § 2 Absatz 1 G 10) das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis ausgehöhlt wird.

(6) So auch E. Schwan, Neue Juristische Wochenschrift 1980, S. 1992ff (1995).

(7) Urteil des Verwaltungsgerichts Köln 1 K 3154/79 vom 11. 12. 1980 (nicht rechtskräftig).

(8) Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei klargestellt, daß dies selbstverständlich auch für strafbare Handlungen im Bereich des Militärischen Abschirmdienstes und des Bundesnachrichtendienstes zu gelten hätte. Zur Notwendigkeit eines Klageerzwingungsverfahrens vgl. auch H. Ostendorf „Das öffentliche Klageerzwingungsverfahren – ein notwendiges Institut zur Kontrolle der Staatsanwaltschaft“, in Recht und Politik 1980, S. 200ff.

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