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Unser Beitrag zur Rehabi­li­tie­rung des Fernmel­de­ge­heim­nisses

18. März 2008

Warum befürchtet die Humanistische Union einen mangelnden Schutz der Privatsphäre im Internet? Wie können Anonymisierungsdienste zu einem besseren Schutz beitragen? Warum bieten ausgerechnet wir einen Anonymisierungsserver an?

Die Überwachung der Telefon- und Internetkommunikation in Deutschland hat in den vergangenen Jahren stetig zugenommen. Neben der Ausforschung der Kommunikationsinhalte interessieren sich Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste mehr und mehr für die sogenannten Kommunikations-Verbindungsdaten: Wer hat wann, mit wem, wie lange, von wo aus und wie kommuniziert? Zum 1. Januar 2008 ist eine Reform der Telekommunikationsüberwachung in Kraft getreten, die diese Ausforschung von Kommunikations-Verbindungsdaten erheblich ausweitet. Künftig müssen die Anbieter von Telefondiensten und Internetzugängen für sechs Monate die Verbindungsdaten ihrer Kunden speichern. Das Gesetz sieht vor, dass die Namen und Anschriften aller beteiligten Kommunikationspartner sowie das Datum, die Uhrzeit und die Dauer der Kommunikationsverbindungen erfasst werden. Dazu kommen zahlreiche weitere Daten. So wird eine sechsmonatige, lückenlose Speicherung des Telekommunikationsverhaltens  der gesamten Bevölkerung Deutschlands eingeführt. Das ist nach Meinung vieler Experten mit dem grundrechtlich verbrieften Schutz des Fernmeldegeheimnisses unvereinbar. Die Humanistische Union wird deshalb – wie einige weitere Initiativen – vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz klagen. Mit der gerichtlichen Entscheidung ist jedoch nicht kurzfristig zu rechnen.

Der Schutz der Privat­sphäre ist möglich

Die Humanistische Union ist der Überzeugung, dass der Schutz der Privatsphäre nicht allein den Politikern und Gerichten überlassen werden darf. Zur Etablierung datenschutzrechtlicher Standards bedarf es mündiger und selbstbewusster Bürgerinnen und Bürger, die sich ihre Privatsphäre erstreiten. Auch der Einführung des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung ging eine breite zivilgesellschaftliche Bewegung gegen die 1983 geplante Volkszählung voraus.

Dies gilt auch heute für den Schutz der Privatsphäre im Internet. Die Nutzung eines Anonymisierungsdienstes kann ein erster Schritt dazu sein, seine privaten Daten im Internet besser zu schützen. Anonymisierungsdienste dienen grundsätzlich dazu, gegenüber einem entfernten Rechner zu verschleiern, von welchem Rechner aus welche Informationen (z.B. Webseiten oder Dokumente) abgerufen werden.

Es gibt eine Reihe von Gründen, die für eine Nutzung solcher Dienste sprechen:

  • Viele Menschen wollen sich nicht dafür rechtfertigen, warum sie wann und wie lange welche Informationen aus dem Internet bezogen haben. 
  • Andere wünschen nicht, dass aus Ihren Suchbegriffen Persönlichkeitsprofile erstellt und sie eventuell mit unerwünschter Werbung belästigt werden. 
  • Rechtsanwälte wollen sich im Internet über Themen informieren, ohne zugleich in den Verdacht der Unterstützung einer kriminellen Vereinigung zu geraten. 
  • Journalisten sind darauf angewiesen, dass ihr Kontakt zu Informanten nicht offen gelegt wird. 
  • Mitglieder nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) können Anonymisierungsdienste nutzen, ohne preiszugeben, dass sie für diese Organisation arbeiten. 
  • Firmen nutzen solche Dienste beispielsweise, um den Austausch zwischen ihren Forschungseinheiten und Patentanwälten zu schützen. 
  • Einzelne Dienste, wie z.B. Tor, können auch dazu verwendet werden, Zensur in Form von Sperrungen des Zuganges zu Webseiten oder ausgewählten Webdiensten (z.B. Instant-Messaging-Services) zu umgehen. 
  • Eine der größten Nutzergruppen von Anonymisierungsdiensten bilden Bundesbehörden,  darunter das Auswärtige Amt und die Geheimdienste! (Offenbar haben sie ein größeres Interesse am Schutz ihrer internen Kommunikation, als sie dies vielen Bürgerinnen und Bürgern zugestehen wollen.)
    Sie alle sind mit dem Maß an Privatsphäre, das ihnen die Bundesregierung zugestehen möchte, nicht zufrieden.
Die Situation der Anony­mi­sie­rungs­an­bieter

Einer der verbreitetsten Anonymisierungsdienste ist Tor. Der Dienst zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht aus einer Hand betrieben wird. Tor baut darauf auf, dass viele Menschen einen Teil der Übertragungskapazitäten ihrer Internetanbindung und der Rechenleistung ihrer Computer für die Anonymisierung fremder Kommunikation bereitstellen. Diese Offenheit hat dazu beigetragen, dass sich in den letzten Jahren ein beträchtliches Netz privater Betreiber von Tor-Servern etabliert hat.

Betreiber von Anonymisierungsdiensten sehen sich jedoch einem zunehmenden Druck der Ermittlungsbehörden ausgesetzt: Ihre Rechner können wochenlang beschlagnahmt werden, um nach Verbindungsdaten zu suchen, die bekanntermaßen dort nicht gespeichert werden. Einige Betreiber von Tor-Diensten wurden von Strafverfolgungsbehörden aufgefordert, künftig keinen Anonymisierungsdienst mehr anzubieten – sie würden damit ja nur Kriminellen helfen, ihre Taten zu vertuschen. In einzelnen Fällen wurde Betreibern der Tor-Dienste eine Beihilfe zu Straftaten vorgeworfen. Dieser Vorwurf ist genauso absurd wie die Unterstellung, die Deutsche Post trüge die Verantwortung für den Versand von Erpresserbriefen. Kurzum: Die private Bereitstellung eines Anonymisierungsdienstes ist in Deutschland mittlerweile eine nervenaufreibende und mitunter kostspielige Angelegenheit.

Dieser Druck auf Betreiber von Anonymisierungsdiensten wurde durch die Politik noch verstärkt. Mit ihrem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung hat die Bundesregierung ein klares Zeichen gesetzt. Die Pflicht zur sechsmonatigen Speicherung aller TK-Verbindungsdaten soll hierzulande auch für die Anbieter von Anonymisierungsdiensten gelten – obwohl die zugrundeliegende EU-Richtlinie (mit der das Gesetz begründet wird) dies nicht notwendig macht. Das Anbieten und die Nutzung von Anonymisierungsdiensten sind zwar nach wie vor legal – aber nicht erwünscht.

Warum wir?

Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union engagiert sich seit vielen Jahren für den Schutz der Privatsphäre, was die Vertraulichkeit der Kommunikation (Brief- und Fernmeldegeheimnis) einschließt. Wir haben deshalb immer wieder vor geplanten Verschärfungen der Telekommunikationsüberwachung gewarnt, haben uns an parlamentarischen Anhörungen beteiligt, die kritische Fachdiskussion durch Tagungen und Publikationen befördert und Verfassungsbeschwerden gegen unverhältnismäßige Eingriffe in das Fernmeldegeheimnis eingelegt.

Die Humanistische Union vertritt die Überzeugung, dass niemand, der sich anonym im Internet bewegen will, allein deshalb, weil er sich diese Freiheit herausnimmt, zum Verdächtigen oder gar Mitschuldigen gemacht werden darf. Die Vertraulichkeit der (Internet-)Kommunikation und ihrer äußeren Umstände gehört zu den Eckpfeilern unserer freiheitlichen Rechtsordnung!

Seit Anfang 2008 ergänzt die Humanistische Union ihre Aufklärungsarbeit und politischer Stellungnahme durch den Betrieb eines eigenen Anonymisierungsservers im Tor-Netzwerk. Mit diesem Projekt verfolgen wir zwei Ziele:

  1. Als streitbare Organisation, die mit viel juristischem Sachverstand ausgestattet ist, möchten wir jenen selbstbewussten, engagierten Bürgern den Rücken stärken, die seit längerem durch den Betrieb von Anonymisierungsservern zu einem besseren Schutz der Privatsphäre im Internet beitragen.
  2. Der von der Humanistischen Union angebotene Server erhöht die Übertragungskapazität des stark frequentierten Tor-Netzwerk und verbessert und dadurch den Komfort des Dienstes. Der von uns bereitgestellte Server bietet eine Übertragungsleistung von durchschnittlich 5,3 Mbyte/Sekunde. Die Kapazität des gesamten, weltweit aus über 2000 registrierten Tor-Servern bestehenden Netzwerkes beträgt etwa 395 Mbyte/Sekunde, die sich alle Nutzerinnen und Nutzer des Dienstes teilen. (Daten vom 18.3.2008, 15 Uhr)
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