Themen / Sozialpolitik

Von der Ausländer- zur Einwan­de­rungs­po­litik

31. Oktober 1991

Neue Herausforderungen an DGB und Gewerkschaften

aus: vorgänge Nr. 113 (Heft 5/1991), S. 80-95

Stagnation gewerkschaftlicher Ausländerpolitik?

Es ist still geworden um die gewerkschaftliche Ausländerpolitik. Große politische Projekte, die die Auseinandersetzungen der letzten Dekade bestimmten, sind umgesetzt, allerdings nicht im Sinne der Arbeitnehmerorganisationen, sondern der Bundesregierung bzw. der Regierungsparteien. Mit der Verabschiedung des Ausländergesetzes 1990 durch die Mehrheit von Bundestag und Bundesrat wurde den gewerkschaftlichen Vorstellungen von einem Recht auf gesicherten Aufenthalt eine erneute Absage erteilt. Schon kurz danach fiel eine weitere Fundamentalentscheidung. Der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts erklärte (einstimmig) Gesetze der Länder Schleswig-Holstein und Hamburg für nichtig, die als erste Bundesländer Ausländern ein kommunales Wahlrecht eingeräumt hatten. Das Gericht gab damit einer Normenkontrollklage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion und der bayrischen Landesregierung statt. Bereits im Oktober 1989 hatte derselbe Senat die Beteiligung von etwa 7000 ausländischen Staatsangehörigen an der Kommunalwahl in Schleswig-Holstein mit einer einstweiligen Anordnung gestoppt.
Damit war auch hier den einschlägigen Kampagnen von IG Metall und DGB ein – noch so bescheidener – Erfolg versagt. Beides zusammen führte zu vielfachem Motivationsverlust bei ausländischen Mitgliedern wie auch bei ihren inländischen Unterstützern. Wozu all die Mühen gewerkschaftlicher Arbeit, wenn man sich letztlich auf einen rechtlichen Status zurückgeworfen sieht, der sich von dem des Jahres 1965 nur unwesentlich unterscheidet? Der Motivationsverlust verdichtet sich hie und da zu einem Legitimationsverlust der Gewerkschaften. Ausländische Mitglieder, deren Erwartungen an die Gewerkschaften hoch und zum Teil irreal waren, fragen sich nun, warum sie Mitglieder einer Organisation sein sollen, die nicht in der Lage ist, ihre elementaren Interessen auch tatsächlich durchzusetzen. Gleichzeitig stößt der interne Aufbau gewerkschaftlicher Ausländerarbeit an seine Grenzen. Bei der Betriebsratswahl 1990 wurde das Ergebnis der Betriebsratswahl 1987 nicht mehr ganz erreicht. Zum ersten Mal in der Geschichte der Betriebsratswahlen seit 1972 waren keine Zuwächse bei der Zahl gewählter ausländischer Betriebsräte zu verzeichnen. Auch der Aufbau einer gewerkschaftlichen Personengruppenarbeit, besonders in der IG Metall, kommt nicht weiter voran. Ausländerausschüsse leiden, und das unterscheidet sie nicht von anderen Personengruppenausschüssen und gewerkschaftlichen Gremien, an Formalisierung, Ritualisierung und Ineffizienz. Sie vermochten insbesondere junge Kollegen und ausländische Frauen nicht zu inspirieren, zwei Teilgruppen ausländischer Beschäftigter, die nur beschränkt Zugang zu qualifizierten Normalarbeitsverhältnissen haben und deshalb in der gewerkschaftlichen Organisationsstatistik stark unterrepräsentiert sind. Ausländerausschüsse leiden des weiteren an Erscheinungen der Ghettoisierung oder auch „Versäulung”. Über Angelegenheiten der Ausländer wird eben nur in deren Gremien gesprochen. Das, was dort beraten und beschlossen wird, vermittelt sich zu wenig in den Gesamtzusammenhang gewerkschaftlicher Organisationsstrukturen und -politik. Auch die unermüdliche innerorganisatorische Lobby-Arbeit der Ausländerabteilungen in den Vorstandsverwaltungen von DGB, IG Metall und weiteren Gewerkschaften vermochten hier einen wirklichen Durchbruch nicht zu erzielen.

Noch während die herkömmliche Ausländerpolitik der Gewerkschaften von Anzeichen der Stagnation gekennzeichnet ist, werden sie von einem weiteren (allerdings nicht ganz neuen) Problem überrollt, den weltweiten Fluchtbewegungen, insbesondere der sogenannten Armutsflüchtlinge aus Süd und Ost. Dieses Problem beschäftigt Bundes- und Landesregierungen, Parlamente, Kommunen, Parteien, Kirchen, Menschenrechtsorganisationen und Wohlfahrtsverbände. Es beschäftigt die Publizistik und bestimmt wie nur wenige Themen die derzeitige öffentliche innenpolitische Debatte der Bundesrepublik. Im Konzert der vielen Stimmen war diejenige der Gewerkschaften allerdings selten zu hören. Und dies, obwohl erste konzeptionelle Ansätze zur politischen Gestaltung des Problems bereits 1986 entwickelt wurden — mit einem Beschlußpapier des damaligen DGB-Bundesvorstandes. Auch der 14. Ordentliche Bundeskongreß des DGB 1990 in Hamburg nahm sich des Themas an. In der Frage konkreter Gestaltungskonzepte wird aber den Parteien der Vortritt gelassen. Sie sollen zunächst ihre politischen „Hausaufgaben” machen, — so zuletzt noch der IG Metall-Vorsitzende Franz Steinkühler in einem Beitrag für „Metall” (Ausgabe Nr. 17 vom 23. Aug. 1991).
Übersehen wird hier, daß ein breit geführter innergewerkschaftlicher Diskurs einen wesentlichen Beitrag zur Gestaltungsfähigkeit auch der Parteien darstellen könnte, die Gewerkschaften sich somit eines schweren politischen Versäumnisses schuldig machen würden, wenn sie sich selbst dem Problem nicht stellen. Sie würden damit zugleich ihr programmatisch vielfach bekundetes Selbstverständnis als parteiunabhängige politische und Menschenrechtsorganisationen desavouieren. Auch und gerade in ihrer klassischen Rolle als Arbeitsmarktpartei werden sie bald reagieren müssen. Denn der öffentliche Streit wird nicht zuletzt um jene Hunderttausende geführt, die als Armutsflüchtlinge vor den Toren der Bundesrepublik und Westeuropas stehen. Die aber suchen hier eine Arbeits- und Lebensperspektive, und das heißt in der Regel: ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis. Damit aber fallen auch diese Menschen, falls noch irgendjemand daran gezweifelt haben sollte, in die unmittelbare Zuständigkeit gewerkschaftlicher Interessenwahrnehmung. Aufgabe der Gewerkschaften ist es, die spezifischen Interessen dieser Minderheit mit denjenigen der bereits ansässigen Beschäftigten-Majorität zu vermitteln. Genau dies war die Aufgabe gewerkschaftlicher Ausländerpolitik in den vergangenen dreißig Jahren. Der Fundus an Erfahrungen, auch positiver Art, der dabei gemacht wurde, sollte Gewerkschaften und DGB ermutigen, sich auch den neuen Herausforderungen zu stellen.

Gewerk­schaft­liche Auslän­der­po­litik 1955-1990

Im Verlauf seiner mehr als dreißigjährigen Arbeitsmigrationspolitik vollzog sich ein deutlicher Wandel im Politikverständnis des DGB: Von einer Ausländerpolitik bezogen auf Menschen, von denen angenommen wurde, daß sie sich vorübergehend in der Bundesrepublik aufhalten, hin zu einer Einwanderungspolitik, die den Verbleibewillen der Zugewanderten akzeptiert und die damit gegebenen Chancen einer multikulturellen Gesellschaft politisch / rechtlich aufzugreifen und zu gestalten versucht. Gewerkschaftliche Ausländerpolitik mußte sich immer auf einem äußerst schmalen Terrain bewegen. Auf der einen Seite war sie bestimmt von bundespolitischen Vorgaben und Einbindungen, die grundsätzlich zu korrigieren mit gewerkschaftlichen Mitteln nicht möglich war. Auf der anderen Seite war sie abhängig von der Zugstimmungsbereitschaft einer inländischen Mitgliedermehrheit, die sich je nach Arbeitsmarktsituation mehr oder weniger konzessionsbereit zeigte und häufig genug einer restriktiv gefaßten staatlichen Ausländerpolitik eher Verständnis entgegenbrachte als der eigenen Organisation, die erstmals 1971 (in einem Beschluß des DGB-Bundesvorstandes) den programmatischen Anspruch erhoben hatte, ausländische Arbeitnehmer „im gleichen Umfang” gewerkschaftlich zu vertreten wie die inländische Mitgliedermehrheit. Profil gewann die gewerkschaftliche Ausländerpolitik vor allem in den 80er Jahren, zu Zeiten der konservativ-liberalen Koalition. Die von dieser Koalition verfolgte Politik der Ausländerverdrängung, symbolisiert in der grimmigen Figur des federführenden Bundesinnenministers Zimmermann, gab dem DGB die Möglichkeit, sich von korporativen Einbindungen in das Regierungshandeln — zu Zeiten der sozial-liberalen Koalition durchaus üblich — zu befreien. Gewerkschaftliche Ausländerpolitik wurde wichtiges Element einer Gewerkschaftspolitik, die sich insgesamt gegen eine neo – liberal/ neo – konservativ ausgerichtete Politik des Sozialabbaus stellte. Sie konnte in dieser Konstellation auch auf die Zustimmung bzw. Tolerierung großer Teile der inländischen Mitgliedschaft bauen, sicher aber auf diejenigen Mitglieder, die sich gewerkschaftlich aktivieren und als Multiplikatoren in den Organisationen tätig sind.
Insgesamt lassen sich drei Phasen staatlicher und gewerkschaftlicher Ausländerpolitik unterscheiden:

Erstens die Phase der Anwerbung, also einer erstmaligen Nachfrage nach ausländischer Arbeitskraft in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland. Diese Phase setzte 1955 ein, wurde 1961 intensiviert und erreichte Anfang der siebziger Jahre mit ca. 2,5 Millionen ausländischer Beschäftigter ihren vorläufigen Höhepunkt. Allen Beteiligten, auch den Gewerkschaftsführungen, erschien der Prozess der Arbeitsimmigration als ein vorübergehender. Der DGB verhielt sich gegenüber Anwerbe begehren der Arbeitgeber zunächst sogar äußerst zurückhaltend. Schließlich waren 1955, als das erste Anwerbeabkommen mit Italien abgeschlossen wurde, noch knapp eine Million Inländer als arbeitslos registriert. Erst als die Öffnung des Arbeitsmarktes unvermeidlich zu sein schien, versuchte er, sie dahingehend mitzubeeinflussen, daß er das Monopol der Vermittlung für die Nürnberger Bundesanstalt reklamierte und damit sich selbst Informations- und Kontrollmöglichkeiten offenhielt. Für die Angeworbenen setzte er — im wohlverstandenen Interesse auch der inländischen Mitgliedermehrheit — die tarifliche sowie arbeits- und sozialrechtliche Gleichstellung durch. Auf diese Weise konnten Bedenken in der Organisation gegen die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer zurückgedrängt werden.
Da das Ganze nur als ein Prozess auf Zeit gedacht war, ließ der DGB das Ausländergesetz von 1965 und das Arbeitsförderungsgesetz von 1969, das in seinem § 19 den Inländervorrang bei der Arbeitsvermittlung festschrieb, anstandslos passieren. Erst zu Anfang der siebziger Jahre, als bereits 500000 ausländische Arbeitnehmer/innen Mitglieder von DGB-Gewerkschaften waren, wurden in einigen Vorstandsverwaltungen großer Industriegewerkschaften sowie des DGB eigene Ausländerabteilungen eingerichtet und erste Gewerkschaftssekretäre ausländischer Nationalität eingestellt. Erstmals 1971 befaßte sich auch der DGB-Bundesvorstand mit einer Beschlußvorlage zur ausländischen Minderheit.

Zweitens: Die Phase der Konsolidierung der Ausländerbeschäftigung im Zeichen der Beschäftigungskrise. 1973 verminderte sich abrupt die Nachfrage nach inländischer wie ausländischer Arbeitskraft. Arbeitsmarktpolitik bezogen auf Ausländer wurde nun zur „Konsolidierungspolitik”. Dies bedeutete die Schließung des deutschen Arbeitsmarktes nach außen (Anwerbestopp vom November 1973), Förderung der Rückkehrbereitschaft und -fähigkeit von Arbeitsmigranten sowie „sozialverantwortliche Steuerung” des Familiennachzugs. Für die gewerkschaftliche Ausländerpolitik, die gerade begann, sich zu entfalten, hatte dies einen erheblichen Bremseffekt zur Folge: Unterschiedliche Interessenlagen der inländischen Mehrheit und ausländischen Minderheit traten deutlich hervor. Spektakuläre Meinungsumfragen signalisierten einen Stimmungsumschwung in den Arbeiterwohnbezirken und Betrieben. Das Gleiche galt für Wahlerfolge neonazistischer/ rechtsextremer Gruppierungen, nicht zuletzt im Arbeitermilieu großer Industriestädte. Die von der sozial-liberalen Bundesregierung entwickelte Politik der „Konsolidierung” wurde vom DGB deshalb teils toleriert, teils sogar aktiv mitgestaltet. Zur „Konsolidierung” gehörte allerdings auch, daß einem Kernbestand bereits lange anwesender ausländischer Arbeitnehmer eine gesicherte Aufenthaltsperspektive eröffnet werden sollte, freilich im Rahmen des geltenden Ausländergesetzes von 1965, dessen Novellierung noch nicht zur Debatte stand. Dies geschah durch eine Neufassung der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausführung des Ausländergesetzes, gültig ab 1.10.1978. Je nach Anspruchsvoraussetzung sollte von nun an ausländischen Arbeitnehmern auf Antrag in der Regel eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis bzw. Aufenthaltsberechtigung erteilt werden. Anläßlich der Novellierung des Betriebsverfassungsgesetzes im Jahre 1972 setzte der DGB das passive Wahlrecht für die ausländischen Beschäftigten durch.

Drittens: Die Phase der gezielten Verdrängung von Arbeitnehmern ausländischer Herkunft bzw. des Fernhaltens nach wandernder Familienangehöriger. Diese Phase setzte bereits gegen Ende der sozial-liberalen Regierungszeit ein, um dann, seit September 1982, mit Antritt der konservativ-liberalen Koalition, weiter forciert zu werden. Der nun federführende Bundesinnenminister strebte sofort ein neues, verschärftes Ausländergesetz an und berief zu diesem Zweck eine Bund-Länder-Kommission ein, die als sogenannte Zimmermann-Kommission — durchaus traumatisch — in das kollektive Gedächtnis der Arbeitsmigrantinnen und -migranten einging. Die Kommission legte am 24.2. 1983 ihr Arbeitsergebnis vor. Schwarz auf Weiß war nun zu lesen, mit welchen Restriktionen ausländische Arbeitnehmer zu rechnen hätten, sollten sich die Intentionen des Bundesinnenministers in den gesetzgebenden Gremien durchsetzen können. Dies führte zu einer deutlichen Distanzierung des DGB von der Politik der Bundesregierung, dessen Ausländerpolitik nun ihr eigentliches Profil gewann. Angesichts mehr als zwanzigjähriger Beschäftigung ausländischer Beschäftigter verlangte er eine Garantie gegen Ausweisung nach zehnjährigem ununter-brochenen Aufenthalt in der Bundesrepublik. Weil ausländische Beschäftigte überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen waren und viele von ihnen in den Status von Sozialhilfeempfängern abglitten, forderte er die Streichung des „Erhalts von Sozialhilfe” als Ausweisungstatbestand. Er lehnte das sogenannte Rückkehrhilfegesetz des Bundesarbeitsministers Blüm von 1983 / 84 ab. Dieses Gesetz war zugeschnitten auf solche ausländischen Beschäftigten, die zwar noch in Arbeit waren, deren Arbeitsverhältnis aber — im Zeichen der Krise — gefährdet schien. Sie sollten über ein Bündel finanzieller Anreize zur Rückkehr in ihr Herkunftsland veranlaßt werden. Teils freiwillig, teils unter dem erpresserischen Druck des Gesetzes und eines davon beeinflußten sozialen Umfeldes in Betrieb und Arbeiterwohnbezirk, verließen tatsächlich ca. 300000 Menschen, großenteils aus der Türkei, aus Jugoslawien und aus Portugal, die Bundesrepublik Deutschland.

Weitere Eckpunkte einer entschiedeneren gewerkschaftlichen Ausländerpolitik sind die Forderung nach dem kommunalen Wahlrecht und nach einem Niederlassungsrecht. Was die Forderung nach einem kommunalen Wahlrecht angeht, hatte zunächst die IG Metall eine innerorganisatorisch vorantreibende Funktion. Auf seinem 13. Ordentlichen Bundeskongreß 1986 machte der DGB sich die Position dieser großen Industriegewerkschaft zu eigen. Gleichzeitig wies er auf die Notwendigkeit einer europäischen Staatsbürgerschaft im EG-Rahmen hin. Zusätzlich sollten durch bilaterale staatliche Abkommen Regelungen angestrebt werden, die den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft erleichtern und gleichzeitig eine Option auf die bisherige Staatsbürgerschaft offenhalten. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes vom Oktober 1990 (vgl. oben, Teil I) tritt der DGB für eine Grundgesetzänderung zugunsten des kommunalen Wahlrechts ein.
„Niederlassungsrecht” sollte heißen, „daß Einwanderer möglichst umfassend die gleichen Rechte und Pflichten wie deutsche Staatsangehörige haben”, — so ein erster Gesetzentwurf der Fraktion „Die Grünen” im Bundestag vom Mai 1984. Nach Auffassung der Grünen sollte allen Ausländern nach 8 Jahren und ausländischen Arbeitnehmern bereits nach fünf Jahren ein solches Niederlassungsrecht zugesprochen werden. Dieses Recht würde sie der Kontrolle und der Überwachung durch die Ausländerpolizeibehörden entheben. Es sollte ein einklagbares Recht sein und nicht gebunden an irgendwelche personenbezogenen Voraussetzungen, z.B. Wohnungsgröße, unbescholtener Lebenswandel oder Sprachkenntnisse. Eine Ausweisung Niederlassungsberechtigter wäre ausgeschlossen.
Der DGB lehnt sodann jede weitere Einschränkung der Familienzusammenführung ab. Fristen als Voraussetzung für den Nachzug des Ehepartners sind für ihn nicht akzeptabel. Das Gleiche gilt für jede weitere Senkung des Nachzugsalters bei Kindern ausländischer Arbeitnehmer und für die Einführung einer Aufenthaltserlaubnispflicht für Kinder unter 16 Jahren. Stattdessen wird für Kinder und Ehepartner ein eigener Aufenthaltsstatus als notwendig erachtet. Dieser deutliche Wandel gewerkschaftlicher Ausländerpolitik war sicherlich dem Regierungswechsel und der Distanz der Gewerkschaften zu den die Regierungskoalition tragenden Parteien zu verdanken. Dies dürfte allerdings nicht der einzige Grund gewesen sein. Wesentlicher war folgendes: Die Gewerkschaften hatten begriffen, daß für den größeren Teil der ausländischen Arbeitnehmer / innen eine Arbeits- und Lebensperspektive — trotz Beschäftigungskrise — nur in der Bundesrepublik offenstand. Gerade der Anwerbestopp von 1973 hatte die Alternative einer Rückkehr in die Herkunftsländer obsolet werden lassen. Denn: Einmal zurückgekehrt, würde es eine Wiederkehroption nicht mehr geben. Viele, die noch schwankten, entschieden sich deshalb für einen dauerhaften, wenngleich in vieler Hinsicht prekären Aufenthalt in der Bundesrepublik und holten ihre Familien nach. So kam es, daß die Zahl der beschäftigten ausländischen Arbeitnehmer von 1973-83 um ca. 1 Mio. zurückging, der Anteil der Wohnbevölkerung jedoch konstant blieb bzw. sich noch leicht erhöhte. Die Bundesrepublik war faktisch ein Einwanderungsland geworden.

Die Umorientierung auf eine Lebensperspektive in der Bundesrepublik hatte Auswirkungen auch auf den Organisationsgrad ausländischer Arbeitnehmer. Einwanderer aus den ehemaligen Anwerbeländern lagen Anfang der achtziger Jahre bereits Kopf an Kopf mit ihren inländischen Kolleginnen und Kollegen. Hinzu kamen, daß Arbeitskreise ausländischer Arbeitnehmer und Ausländerausschüsse als formelle Personengruppenausschüsse das organisatorische Gewicht der Eingewanderten verstärkten. Bei den Wahlen zu den betrieblichen Vertretungen konnten kontinuierlich Fortschritte erzielt werden. 1987 überstieg die Zahl ausländischer Betriebsräte im DGB-Maßstab erstmals die Zahl von 7.000. Immer wieder zeigte sich, daß die ausländischen Beschäftigten unverzichtbar für die betriebliche Konfliktfähigkeit der Gewerkschaften waren. Dies belegen die Erfahrungen bei Warnstreiks und Neuer Beweglichkeit in der ersten Hälfte der achtziger Jahre. Dies belegen auch die zahlreichen Abwehrkämpfe gegen Betriebssteillegungen und vor allem: der Verlauf der großen Tarifauseinandersetzung 1984 um die 35-Stunden-Woche.
Der Beitrag der ausländischen Arbeitnehmer / innen zur Konfliktfähigkeit der Gewerkschaften rief auf Seiten deutscher Kolleginnen und Kollegen ein deutlich positives Echo hervor. Dies wiederum hatte positive Auswirkungen auf die Weiterentwicklung einer gewerkschaftlichen Ausländerpolitik. Aus dem Wandel gewerkschaftlicher Ausländerpolitik ergab sich eine Veränderung auch der gesamtgesellschaftlichen Kräftekonstellation, innerhalb derer gewerkschaftliche Ausländerpolitik vorgetragen werden konnte. Noch für die siebziger Jahre hatte die weitreichende Konsensfähigkeit von Bundesregierung (insbesondere BMAS) einerseits und „Sozialpartnern” (DGB und BDA) andererseits gegolten, wie auch der Sozialpartner untereinander. Im „Koordinierungskreises ausländische Arbeitnehmer” beim Bundesarbeitsminister wurde dies wiederholt deutlich. Großes Gewicht kam in diesem Zusammenhang dem „Arbeitskreis über Ausländerfragen” von DGB und BDA zu. Funktion dieses Arbeitskreises war der ständige Informations- und Meinungsaustausch zwischen DGB und BDA. Er diente aber auch der Abklärung von Meinungsverschiedenheiten im Vorfeld der Sitzungen des Koordinierungskreises.

Demgegenüber ergibt sich nun ein verändertes Bild. Die konservativ-liberale Bundesregierung (federführend statt des BMAS nun das BMI) findet Unterstützung nur noch von Seiten der BDA und des DIHT. So vehement und einflußreich diese Unterstützung auch ist: Sie findet keine Zustimmung bei allen weiteren ausländerpolitischen Kräften.
Dies zeigte sich im Schulterschluss zwischen Gewerkschaften, Kirchen und Wohlfahrtsverbänden, aber auch in einer stillschweigenden und manchmal auch artikulierten Übereinstimmung mit dem Gesamtspektrum der parlamentarischen Opposition einschließlich der Grünen.
Was die Kirchen angeht, kam und kommt dies noch immer in der jährlichen „Woche der ausländischen Mitbürger”, in gemeinsam herausgegebenen Informationsmaterialien, Pressekonferenzen, Tagungen und Bildungsvorhaben sowie in vielfältiger örtlicher und regionaler Zusammenarbeit zum Ausdruck. Der konservativ-liberalen Bundesregierung und Bundestagsmehrheit wird auf diese Weise vorgeführt, daß ihre Politik von nahezu der ganzen sogenannten fachlichen Öffentlichkeit nicht mitgetragen wird.
Von Bedeutung waren in diesem Zusammenhang auch die Übereinstimmungen und Kontakte zu / mit abweichenden ausländerpolitischen Optionen innerhalb der Regierungskoalition. Dies gilt erst recht für die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Liselotte Funcke, die sich zunehmend in Gegensatz zu regierungsoffiziellen ausländerpolitischen Position begab und ihr Amt als Ombudsfrau der ausländischen Arbeitnehmer und ihrer Familien immer entschiedener wahrnahm.
Anläßlich des 14. ordentlichen Bundeskongresses des DGB 1990 wurden die Essentials gewerkschaftlicher Ausländerpolitik noch einmal zusammengefaßt. Antrag 258 des DGB-Bundesvorstandes zur Ausländerpolitik, der vom Bundeskongreß nur wenige Tage nach der parlamentarischen Verabschiedung des neuen Ausländergesetzes angenommen wurde, benannte drei fundamentale Optionen, die zur Gleichstellung der Eingewanderten führen sollen und an denen der DGB nach wie vor festhält:

Erstens Sicherung des Aufenthalts. Im einzelnen:

– eine Novellierung des Ausländerrechts, die dem Prozeß der vollzogenen Einwanderung Rechnung trägt und die hierzu unterbreiteten Vorschläge des DGB berücksichtigt,

– ein Niederlassungsrecht für alle, die sich seit 8 Jahren in der Bundesrepublik aufhalten, aber auch für diejenigen, die im Geltungsbereich des Grundgesetzes geboren sind,eine Einbürgerung, die die Doppelstaatsangehörigkeit zuläßt, also auf die Aufgabe der bisherigen Staatsbürgerschaft verzichtet,

– ein selbständiges Aufenthaltsrecht für Ehegatten und Kinder.

Zweitens: Die berufliche Integration junger Ausländer. Im einzelnen:

– Betriebe und Verwaltungen werden aufgerufen, bei der Besetzung von Ausbildungsplätzen ausländische Jugendliche verstärkt zu berücksichtigen.

– Bei Einstellungen und Entlassungen soll nicht nach Nationalität entschieden werden.

– Es muß sichergestellt werden, daß ausländische Mitarbeiter auf allen Ebenen des Betriebes die gleichen Chancen haben wie die deutschen, insbesondere bei Umsetzung, Aufstieg und betrieblicher Qualifikation.

– Arbeiter und Personalräte, Jugend- und Auszubildenvertreter werden aufgerufen, diese Forderungen zu unterstützen.

Drittens: Das Recht auf politische Partizipation:

– Aktives und passives Kommunalwahlrecht.

– Aktives wie passives Wahlrecht zum Europäischen Parlament für EG-Staatsbürger im jeweiligen Aufenthaltsland.

– Passives Wahlrecht zu den Gremien der Sozialversicherung.

Daß die Profilierung gewerkschaftlicher Ausländerpolitik nicht bruchlos verlief und von zahlreichen, auch innergewerkschaftlichen Auseinandersetzungen begleitet war, zeigen z.B. die immer wieder beklagten betrieblichen Vertretungsdefizite: Laut Repräsentativuntersuchungen ’80 wie ’85 der Friedrich-Ebert-Stiftung bezeichnete nur etwa ein Drittel der befragten ausländischen Arbeitnehmer/innen die Arbeit des Betriebsrats als „ausreichend”. Eine differenzierte Auswertung zeigte, daß Arbeiter aus der Türkei und Griechenland den höchsten Unzufriedenheitsgrad aufwiesen. Frauen waren unzufriedener als Männer, Un – und Angelernte zeigten sich unzufriedener als diejenigen, die einen betrieblichen Aufstieg hinter sich bringen konnten. Was die Studien der Friedrich-Ebert-Stiftung auf repräsentativer Grundlage ermittelten, wurde durch eine nicht repräsentative, aber sehr intensive Befragung von 27 türkischen Arbeitnehmern in Bielefelder Industriebetrieben weiter veranschaulicht. Die befragten Kollegen kritisierten die folgenden Verhaltensweisen deutscher Betriebsräte:

– Betriebsräte kümmern sich zwar um die ausländischen Arbeitnehmer, können sich aber gegenüber den betrieblichen Vorgesetzten nicht durchsetzen.

– Betriebsräte lehnen zwar Ausländerfeindlichkeit ab, verweigern sich aber Maßnahmen der kollektiven Gegenwehr und einer wirksamen betrieblichen Öffentlichkeitsarbeit.

– Betriebsräte kündigen an, sich kümmern zu wollen, unterlassen es dann aber.

– Betriebsräte verhalten sich im Konfliktfall neutral.

– Betriebsräte lehnen es ab, brisante Anliegen aufzugreifen.

– Betriebsräte denken zuerst an sich selbst und an den Erhalt ihres Betriebsratsmandats.

Aus Untersuchungen der sozialwissenschaftlichen Arbeitsmarktforschung läßt sich entnehmen, daß Betriebsräte vor allem dann unter Druck geraten, wenn es um Fragen betrieblicher Personalpolitik geht. Häufig wird von ihnen erwartet, daß sie sich Kündigungen von Ausländern nicht in den Weg stellen. Geschäftsleitungen, die Ausländer bevorzugt entlassen, zielen so auf einen konfliktfreien Personalabbau. Sie stützen sich auf das stillschweigende oder auch offen artikulierte Einverständnis inländischer Belegschaftsmehrheiten, die sich über eine derartige Vorgehensweise die Bestandssicherung ihrer eigenen Arbeitsplätze erhoffen.
Winkt die Unternehmensleitung mit Abfindungsregelungen, steigert sich der Druck auf den Betriebsrat. So konnte das Blüm-Gesetz zur Förderung der Rückkehrbereitschaft von 1983 nur deshalb so massiv greifen, weil verschiedene Großunternehmen — unterstützt von den örtlichen Arbeitsämtern — es darauf anlegten, staatliche sogenannte Rückkehrhilfen mit betrieblichen Abfindungen zu verknüpfen. Die Vorgänge bei Mannesmann, Thyssen, Krupp, Hoesch und bei der Ruhrkohle AG zeigen, daß auch Betriebsräte bereit waren, Abfindungsregelungen als abgefederte Form des Personalabbaus — wohl oder übel — zuzulassen. Allenfalls die Modalitäten der Durchführung wurden durch Betriebsvereinbarungen beeinflußt. Damit klaffte eine Lücke zwischen gewerkschaftlichen Stellungnahmen, die sich strikt gegen die Ausländerverdrängungspolitik der Bundesregierung richteten und der Praxis eigener Betriebsfunktionäre vor Ort, die dieser Politik geradezu zum Erfolg verhalfen. Im Binnenverhältnis der Gewerkschaftsorganisationen bleibt deshalb die wirkungsvolle Vertretung ausländischer Beschäftigter und als deren Voraussetzung: die angemessene Repräsentanz der Vertretenen in den Gremien zentrales Thema gewerkschaftlicher Ausländerarbeit. Das Gleichbehandlungsgebot, dem die Politik des Betriebsrats verpflichtet ist, soll sich auch in seiner eigenen Zusammensetzung widerspiegeln.

Nach den Richtlinien der beiden großen Industriegewerkschaften IG Metall und IG Chemie-Papier-Keramik ist es Aufgabe der betrieblichen Vertrauenskörper, unter Leitung der Ortsverwaltung bzw. des Verwaltungsstellen Vorstandes, denen hier eine Kontroll- und Korrekturfunktion gegenüber verfestigten betrieblichen Machtstrukturen zukommt, den Wahlvorschlag zur Betriebsratswahl aufzustellen und zu beschließen. Hierbei soll die Zusammensetzung der Belegschaft berücksichtigt werden: Frauen, junge und ausländische Arbeitnehmer sind stärker als bisher in angemessener Anzahl als Kandidatinnen / Kandidaten aufzustellen. Sie sind im Wahlvorschlag entsprechend zu plazieren. Bei Listenwahl ist von Wichtigkeit, daß ausländische Kandidaten bzw. Kandidatinnen auf den vorderen Plätzen erscheinen. Bei Persönlichkeitswahlen ist die numerische Folge weniger ausschlaggebend als die Exponiertheit ihres Platzes.
Integrierte Wahlvorschläge zu den Betriebsratswahlen sind umso glaubwürdiger, als Vertrauenskörper und Vertrauenskörperleitungen selbst zu Repräsentativorganen aller Mitgliedergruppen geworden sind. Die IG Chemie-Papier-Keramik schlägt hier in ihren Richtlinien eine Quotierung vor: „In Betrieben mit ausländischen Mitgliedern sollen ausländische Kolleginnen und Kollegen entsprechend ihrem zahlenmäßigen Verhältnis zu Vertrauensleuten gewählt werden”. Sind ausländische Kolleginnen und Kollegen in den Betriebsrat gewählt, kommt es darauf an, sie in der Aufgaben- und Statushierarchie des Gremiums angemessen zu berücksichtigen. Die Statistiken von IG Metall und IG Chemie-Papier-Keramik geben Auskunft über die (geringe) Zahl der ausländischen Vorsitzenden bzw. stellvertretenden Vorsitzenden von Betriebsräten. Es sind vermutlich ausländische Betriebsräte aus Klein- und Mittelbetrieben mit einem hohen Anteil von Arbeitnehmern einer bestimmten Nationalität, die die Chance haben, auch Vorsitzende des Gremiums zu werden. Keine statistischen Daten gibt es zu der Frage, wieviele ausländische Kolleginnen und Kollegen freigestellt und in welchen Betriebsratsausschüssen sie zu finden sind. Stattdessen ist häufig zu hören, ausländische Betriebsräte würden dazu veranlaßt, sich ausschließlich um Probleme ihrer Landsleute zu kümmern oder Aufgaben eines Dolmetschers zu übernehmen. Die inländischen Betriebsräte könnten sich dann von diesen Problemen entlastet fühlen und anderen, von ihnen für wichtiger gehaltenen Aufgaben, zuwenden.
Ausländische (wie deutsche) Betriebsräte, die erstmals ein Betriebsratsmandat erhalten, haben einen Erfahrungsrückstand, was die Arbeitsweise des Betriebsrats angeht. Mit besonderer Schärfe trifft dies auf diejenigen zu, die als erste und einzige Ausländer in den Betriebsrat einrücken. Die Fähigkeit, mit den Formalien der Betriebsratsarbeit souverän um-gehen zu können, ist aber eine Bedingung für den Erfolg ihrer Arbeit.
Wie in den Betrieben kann auch in den Gewerkschaftsorganisationen erst dann von Gleichberechtigung und Gleichachtung der Migrantinnen und Migranten gesprochen werden, wenn sie entsprechend ihrer Mitgliederzahl in den beschlussfassenden und Leitungsgremien der Organisationen vertreten sind. Hieran aber fehlt es noch allenthalben.
Die IG Metall hat immerhin anläßlich ihrer 2. Bundesausländerkonferenz 1989 ein exaktes Gesamtbild zur Vertretung ausländischer Mitglieder in den gewerkschaftlichen Organen vorgelegt. Danach sind 742 Arbeitsmigrantinnen und -migranten Mitglieder der Vertreterversammlungen von IG Metall-Verwaltungsstellen. Das entspricht einem Anteil von knapp 4 v.H. der Gesamtzahl von Vertreterinnen und Vertretern (bei einem Mitgliederanteil von 11,5 v.H). Von der 2. Bundesausländerkonferenz wurde deshalb ein Ausländerförderprogramm gefordert um die Vertretung ausländischer Mitglieder in sämtlichen Gremien beschlussfassender Organe sowie im hauptamtlichen Bereich der IG Metall zu verbessern. Der entsprechende Antrag 703 zum 16. Ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall 1989 wurde lebhaft diskutiert, allerdings nur als „Material” an den Vorstand überwiesen. Im einzelnen wurden die Forderungen vorgetragen,

– daß alle Gremien auf allen Ebenen zu den Organisationswahlen ausreichend ausländische Kolleginnen und Kollegen zu benennen und gut zu plazieren haben,

– daß die Vertretung ausländischer Mitglieder in allen Gremien und auf allen Ebenen der Organisation mindestens ihrem Mitgliederanteil entspricht,

– daß die Hauptamtlichen die besondere Verpflichtung haben, in diesem Sinn zu wirken und dafür die Voraussetzungen zu schaffen,

– daß vor und nach den Wahlen über die erzielten Ergebnisse Bericht zu erstatten ist.

Zur Sicherung der Verbindlichkeit dieses Programms wurde vorgeschlagen, daß es Bestandteil der Richtlinien für die Tarifkommissionen, Vertrauensleutearbeit, Personengruppenarbeit sowie der Musteroststatute wird.
Kennzeichen gewerkschaftlicher Ausländerarbeit ist nach wie vor ihre „Versäulung”: Ausländische Mitglieder hatten zwar die Möglichkeit, sich als Personengruppe zu konstituieren und auch innerorganisatorisch zu artikulieren, — es fehlt jedoch an Austausch und Vernetzung ihrer Aktivitäten mit denen der Gesamtorganisation.
 Gemeinsamkeiten können sich dort einstellen, wo gewerkschaftliche Organisationsstrukturen flexibel genug sind bzw. dahingehend geändert werden, daß sie auf Kontaktwünsche von Eingewanderten und Einheimischen eingehen, den Dialog fördern, gemeinsame Aktivititäten stützen und ihnen Kontinuität verleihen.
Zu nennen sind hier z.B.

– die Ergänzung örtlicher Ausländerausschüsse durch deutsch-ausländische Arbeitskreise,

– regelmäßige Aussprachen der Ausländerausschüsse auf allen Ebenen der Organisation mit anderen Personengruppen- und Funktionsträgerausschüssen, z.B. denjenigen der Jugend, der Frauen und der Vertrauensleute,

– gemeinsame Seminare und Konferenzen ausländischer und deutscher Mitglieder und Funktionäre auf örtlicher! regionaler Ebene und hier: gemeinsames Auftreten von Eingewanderten und Einheimischen als Referentinnen und Referenten,

– Gezielte Erweiterung örtlicher Referentenarbeitskreise um ausländische Kolleginnen und Kollegen,

– Konstituierung deutsch-ausländischer örtlicher Netzwerke, die in der Lage sind, Rechtsbeistand und individuelle Hilfestellung zu leisten, gegen Ausländerfeindlichkeit anzugehen und Einfluß zu nehmen auf Behördenhandeln sowie kommunale Politik.

Einen besonderen Stellenwert hat in diesem Zusammenhang die gewerkschaftliche Bildungsarbeit. Mehr als andere Veranstaltungsformen ist sie auf Dialog angelegt und in der Lage, dem Dialog günstige örtliche und zeitliche Rahmenbedingungen zu verschaffen. Hier vor allem können orts- und betriebsnahe Ansätze gewerkschaftlicher Politik vorangetrieben werden. Sie ist geeignet, gemeinsame Aktivitäten von Eingewanderten und Einheimischen entweder auszulösen oder, sofern bereits vorhanden, weiter zu begleiten. Dies gilt verstärkt für solche Seminare, die von vornherein darauf angelegt sind, Eingewanderte und Einheimische gleichgewichtig zu beteiligen und in deren Mittelpunkt solche Themen stehen, die für das Verhältnis Mehrheit und Minderheit bedeutsam sind. Derartige Seminare anzuregen, konzeptionell und praktisch zu unterstützen und für eine größere Öffentlichkeit gewerkschaftlicher und anderer interessierter Erwachsenenbildner auszuwerten, war Aufgabe des Projektes „Bildungsarbeit mit ausländischen und deutschen Arbeitnehmern” (BALD) des DGB-Bildungswerks, das in Kooperation mit den zuständigen Vorstandsabteilungen von IG Metall und IG Chemie-Papier-Keramik sowie dem Fachbereich Soziologie der Sozialakademie Dortmund durchgeführt wurde. (1) Ziel dieses Projektes war es,

– den Prozeß der Verständigung und des Interessenausgleichs zwischen ausländischen und deutschen Arbeitnehmern durch gemeinsame Seminare in DGB-Kreisen bzw. Verwaltungsstellen der beiden Industriegewerkschaften zu unterstützen,

– auf kontinuierliche deutsch-ausländische Gesprächs- und Arbeitszusammenhänge hinzuarbeiten,

– Referentinnen und Referenten für die gemeinsame Bildungsarbeit zu qualifizieren und

– Materialien und Seminarkonzeptionen als Arbeitshilfen bereitzustellen.

Die Arbeit dieses Projekts, das am 30. April 1989 auslief, wird vor allem auf örtlicher / regionaler Ebene fortgesetzt. Als zentrale Kontaktstelle fungiert nun das DGB-Bildungszentrum in Springe. Dieses Bildungszentrum entwickelte ein Qualifizierungsangebot für örtliche Multiplikatorinnen / Multiplikatoren, insbesondere Referentinnen / Referenten der Bildungsarbeit, die in der interkulturellen Gewerkschaftsarbeit tätig werden möchten.

Politische Gestaltung der Einwanderung.
Der Beitrag der Gewerkschaften

Die Hinwendung des DGB zu einer artikulierten Politik der Einwanderung wurde zuletzt, und nicht ohne programmatischen Anspruch, in gemeinsamen Thesen mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuss zur Woche des ausländischen Mitbürgers 1991 zum Ausdruck gebracht: „Wir leben in der Bundesrepublik Deutschland in einer multikulturellen Gesellschaft” — so der erste Satz von insgesamt zehn Thesen. Dieser Begriff, so an späterer Stelle, „beschreibt das Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft in Deutschland”. Derart interkulturelles Zusammenleben „geht davon aus, daß es zwischen Menschen verschiedener kultureller Prägung einen fruchtbaren Austausch, aber auch Konflikte geben kann, die allerdings nicht durch Ausgrenzung und Benachteiligung, sondern durch dialogische Formen des Umgangs miteinander gelöst werden sollen. Voraussetzung für eine interkulturelle Gesellschaft ist daher die Gleichberechtigung”. Diese grundlegende Aussage wird verknüpft mit der Tradition des Internationalismus in der Gewerkschaftsbewegung: „Das Zusammenarbeiten und Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher nationaler Herkunft in einem Betrieb und am Wohnort hat dem gewerkschaftlichen Grundwert der internationalen Solidarität einen neuen, praktischen Inhalt gegeben. Internationale Solidarität muß sich tagtäglich bewähren. Sie ist Ausdruck des Willens aller arbeitenden Menschen, ohne Vorurteil und im gegenseitigen Respekt miteinander zu leben. Dieses Zusammenleben muß gemeinsam gestaltet werden und setzt voraus, daß ausländische Arbeitnehmer und ihre Familien ihre ethnische, kulturelle und religiöse Identität nicht aufgeben müssen”.
Was so — vorrangig — mit Blick auf die bereits Eingewanderten zum Ausdruck gebracht wird, bedarf nun der Erweiterung auf diejenigen Menschen, die einwandern möchten und hierfür in der Regel den Rechtstitel des poltischen Asyls für sich beanspruchen, weil es andere Möglichkeiten einer legalen Einwanderung nicht gibt. Auch hier trifft das aktuelle Dokument von DGB und Ökumenischem Vorbereitungsausschuß grundlegende Feststellungen: „Weltweit finden heute große Wanderungsbewegungen von Menschen statt. Sie haben vielerlei Gründe: Politische Verfolgung, Kriege, ökologische Katastrophen, Menschenrechtsverletzungen, Wirtschaftskrisen, das regionale Wohlstandsgefälle und das rasche Bevölkerungswachstum zwingen Menschen dazu, ihre angestammte Heimat zu verlassen. Sie suchen in den Metropolen eine neue Existenz. … Die Bevölkerung in Europa und in Deutschland hat sich zunehmend auf diese Wanderungen einzustellen. Die Regierungen müssen eine flexible und kontrollierte Wanderungspolitik entwickeln, die auf einem möglichst breiten gesellschaftlichen Konsens aufbaut. Die Kontrolle der Grenzen ist notwendig. Nicht alle, die kommen wollen, können Aufnahme finden. Oberste Priorität hat jedoch die Aufnahme von Menschen, die aus politischen Gründen verfolgt sind. Deshalb muß das im Grundgesetz verankerte Recht auf Asyl unangetastet bleiben. Auch aus wirtschaftlichen Gründen kann sich die europäische Gemeinschaft nicht zu einer Festung gegenüber Wanderungen und gegen Flüchtlinge entwickeln. Die Zukunft Deutschlands und Europas läßt sich nicht abkoppeln von der Zukunft Afrikas, Asiens und Amerikas.” Damit wird ein breites Spektrum von Fluchtmotiven aufgelistet, das durchaus dem der Flüchtlings- und Menschenrechtsorganisationen entspricht und weit über das hinausgeht, was in der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 als zulässig erachtet wird: Neben politischer Verfolgung: Krieg, ökologische Katastrophen (und in der Folge: Hunger), Wirtschaftskrisen, regionales Wohlstandsgefälle und Bevölkerungswachstum.
Auch wird eine — noch sehr allgemein und vorsichtig formulierte — Öffnung gegenüber derartigen Fluchtmotiven gefordert, — allerdings eingeschränkt auf Zuwanderer aus Afrika, Asien und Amerika. An der Notwendigkeit von Grenzkontrollen wird festgehalten, weil nicht alle, die kommen wollen, auch Aufnahme finden könnten.

Das gemeinsame Dokument des Ökumenischen Vorbereitungsausschusses und des DGB signalisiert somit zum einen die vorsichtige Öffnung für einen erweiterten Begriff von „Flüchtling” gleichzeitig aber auch weiteren Klärung – und Konkretisierungsbedarf. Denn was folgt aus dem Vorgetragenen für das konkrete Projekt einer neu zu formulierenden Einwanderungspoltik in Deutschland und (West-)Europa? Die Diskussion hierüber steht in den Gewerkschaften erst am Anfang. In den öffentlichen Debatten, die vor allem von den Parteien bestimmt werden, lassen sich zur Zeit vier Argumentationsrichtungen erkennen: Eine erste Position, die darauf zielt, nicht-deutsche Einwanderer von der Bundesrepublik Deutschland fernzuhalten und deshalb das Grundrecht auf Asyl empfindlich einzuschränken. Die Möglichkeit, auf der Grundlage von Art. 16 GG in die Bundesrepublik einzureisen, soll denjenigen vorbehalten bleiben, die bisher schon als politisch verfolgt anerkannt wurden. Dem entgegen wird von Vertretern einer zweiten Position geltend gemacht, daß die Bundesrepublik für alle, die hierher flüchten oder hier arbeiten möchten, offen sein soll. Die Vertreter einer dritten Position halten am Grundrecht für politisches Asyl uneingeschränkt fest. Sie plädieren gleichzeitig für ein verändertes Selbstverständnis der Bundesrepublik als Einwanderungsland. Ein Einwanderungsgesetz soll in Verbindung mit einer Quotenregelung zumindest einem Teil derjenigen Zugang verschaffen, die politisches Asyl für sich nicht beanspruchen, wohl aber legitime Zuwanderungsgründe und Schutzbedürfnisse geltend machen können. Hiermit verbindet sich die Erwartung, daß die Zahl der Asylbewerber verkleinert und das grundgesetzlich verbürgte Recht auf Asyl seinem „eigentlichen” Zweck erhalten wird. Was die Quotierung angeht, so sollen auch diejenigen miteinbezogen werden, die Grund ihrer deutschen Abstammung bisher einen Anspruch auf Einwanderung haben. Dies würde wiederum eine Grundgesetzänderung voraussetzen, nämlich die Änderung von Art. 16 GG.

Eine vierte Position möchte den gegebenen rechtlichen Status quo nicht antasten, da Änderungen — so die historische Erfahrung — immer zur Verschlechterung des Rechtsstatus der Betroffenen geführt haben. Dieser rechtliche Status quo solle nur besser, extensiver ausgeschöpft werden. Die Vertreter dieser Position weisen auf die — neben Art. 16 GG — bestehenden internationalen Vertragswerke hin, deren Unterzeichner auch die Bundesregierung ist, und die es bereits erlauben, all denjenigen, die heute als De-facto-Flüchtlinge nur geduldet sind, eine dauerhafte Aufenthaltsperspektive zu eröffnen.
Einige Vertreter dieser vierten Position weisen gleichzeitig darauf hin, daß eine gesetzliche Einwanderungs- und Quotenregelung als Einladung betrachtet werden könne, in die Bundesrepublik einzureisen. Gleichzeitig bestehe die Gefahr, daß gerade solche (jungen, qualifizierten) Einwanderer kommen, auf die die Herkunftsländer und -regionen keinesfalls verzichten können. Sie plädieren deshalb für massive Hilfe „vor Ort”, die den Menschen in ihren Herkunftsländern und -regionen die Möglichkeit gibt, zu bleiben und dort ein menschenwürdiges Leben zu führen. Im Konzert der sich so äußernden Stimmen sind DGB und Gewerkschaften nur selten vertreten. Zuletzt machte Franz Steinkühler in einem Leitartikel für „Metall” (Nr.17 vom 23.8.1991) einige konkretere Andeutungen. Zum einen plädiert er für „Regelungen, die das Asylverfahren beschleunigen”. Damit aber begibt er sich auf ein rechtsstaatlich abschüssiges Terrain, das besser gar nicht erst betreten werden sollte. Zum anderen votiert er für eine sozialverträgliche Regelung der Einwanderung aus Osteuropa. Was damit gemeint ist, wird in einem Nachsatz deutlich: Steinkühler spricht vor allem über die Gruppe der deutschstämmigen Aussiedler. „Verantwortungsbewusstes Handeln” sei gefragt und nicht „Deutschtümelei”.
Ein Blick auf bisher vorliegende Dokumente und Entschließungen des DGB ergibt folgenden Befund: 1986 trat der DGB, wiederum gemeinsam mit dem Ökumenischen Vorbereitungsausschuss zur Woche der ausländischen Mitbürger, für alle diejenigen Flüchtlinge ein, die aus anderen als im engeren Sinne politischen Gründen die eigene Heimat verlassen. „Dazu zählen Hunger, Not und kriegerische Auseinandersetzungen: ` Auch im Rahmen seiner Initiative gegen Ausländerfeindlichkeit und Rassismus unter dem Motto „Mach meinen Kumpel nicht an”, bezeichnete es der Deutsche Gewerkschaftsbund als „völlig inakzeptabel und inhuman”, Flüchtlinge aus der sogenannten Dritten Welt, die um Aufnahme bei uns bitten, nach dem Motto: „Verhungert in Euren eigenen Ländern”, an den Grenzen abzuweisen. (Ilse Brusis am 3.9.1986)
Am 16.9.1986 verabschiedete der Bundesvorstand des DGB eine Grundsatzerklärung zum Asylrecht und Asylverfahren der Bundesrepublik Deutschland. Darin heißt es u.a.: „Das Grundrecht auf Asyl ist eindeutig, es betrifft die politisch Verfolgten. Doch muß unsere Sorge auch den Menschen gelten, die geflüchtet sind, ohne bei uns politisches Asyl erhalten zu können. Zahlreiche Flüchtlinge,deren Asylantrag abgelehnt wurde, können aus humanitären Gründen in der Bundesrepublik bleiben. Diese zwischen Bund und Ländern zu koordinierende Praxis muß beibehalten werden. Es ist nicht mit Art. 1 und 2 des Grundgesetzes sowie Art. 33 der Genfer Flüchtlingskonvention vereinbar, Menschen in Länder abzuschieben, in denen ihr Leben durch Krieg, Bürgerkrieg, Rassenunruhen oder Hungersnot gefährdet ist.” Des weiteren heißt es es dort: „Die Menschenwürde der Flüchtlinge darf nicht durch Abschreckungsmaßnahmen verletzt werden”.

Zuletzt befaßten sich immerhin vier von neun ausländerpolitischen Anträgen zum 14. Ordentlichen DGB-Bundeskongreß 1990 zum Teil sehr detailliert mit der Lage von Flüchtlingen. Antragsteller waren die DGB-Landesbezirke Berlin und Bayern, der Bundesjugendausschuß des DGB und die IG Metall. Voll angenommen wurde der Antrag 21 des DGB-Landesbezirks Berlin für eine „humane Asylpolitik”. In diesem Antrag wird Bezug genommen nicht nur auf diejenigen, die politisches Asyl beanspruchen können und deren Grundrecht im Sinne des Artikels 16 GG wieder voll herzustellen sei, sondern auch auf die sogenannten de-facto-Flüchtlinge und deren Lebenssituation. Ihr Aufenthaltsstatus sei zu sichern. Abschiebungen dürften nicht stattfinden, „so lange auch nur die Vermutung einer Gefährdung im Heimatland” bestehe. Der Antrag 23 des Bundesjugendausschusses fordert ausdrücklich, daß nicht nur politisch Verfolgten, sondern auch solchen Menschen, die vor Kriegen und Bürgerkriegen aus ihren Herkunftsländern flüchten, Asyl zu geben sei. Des weiteren heißt es dort: „Folter ist in jedem Falle ein Asylgrund.” Dieser Antrag wurde nur als Material zu Antrag 21 angenommen.
Antrag 22 des DGB-Landesbezirks Bayern, ebenfalls nur als Material angenommen, geht auf frauenspezifische Fluchtgründe ein, denen in Asylrecht und -verfahren Rechnung getragen werden müsse. Genannt werden z.B. Verstöße gegen kulturelle Normen oder das Er-leiden sexueller Gewalt.

Die Beschlüsse des 14. ordentlichen Bundeskongresses 1990 und das relativ breite Spektrum der Antragsteller zeigen, daß die innergewerkschaftliche Diskussion zur Flüchtlingsfrage eingesetzt hat. Das gilt sowohl für das Verständnis dafür, wer unter den heutigen Umständen legitimerweise als Flüchtling anzusehen ist, wie auch für die Abwehr weiterer restlicher Restriktionen und schikanöser Übergriffe der staatlichen Administration. Das Konzept einer Einwanderungspoltik, die auf der Höhe der Zeit wäre, liegt aber noch nicht vor. Auch sind die bisher vorgelegten Texte noch nicht voll kompatibel. So bleiben die Kongreßbeschlüsse 1990 bei der Definition des Flüchtlings hinter dem Beschluß des DGB-Bundesvorstandes von 1986 in einem Punkt zurück: Von „Hunger” als legitimem Flucht- bzw. Wanderungsmotiv ist keine Rede mehr. Diese wie auch andere Unstimmigkeiten bedürfen deshalb der weiteren Klärung.

Ein offener Diskurs zu diesen Fragen in den Gewerkschaften mag für manchen gewerkschaftlich Verantwortlichen mit Angst besetzt sein, — mit Angst vor solchen Reaktionen aus der eigenen Mitgliedschaft, die man lieber nicht artikuliert sähe: Positionen, die von denen des politischen Rechtsextremismus in der Bundesrepublik möglicherweise nicht weit entfernt sind. Hier allerdings muß nochmals darauf hingewiesen werden, daß die Gewerkschaften in Fragen der Ausländerpolitik nicht am Anfang stehen, sondern auf eine mehr als dreißigjährige Erfahrung zurückgreifen können. Und diese Erfahrung besagt: Einwanderung kann etwas Positives sein. Sie kann einen in jeder Hinsicht produktiven Beitrag zur Weiterentwicklung der Gesellschaft darstellen. Die Gewerkschaften selbst, und d.h. doch auch: Ein beträchtlicher Teil ihrer Mitglieder haben in diesem Zusammenhang einen Lernprozess vollzogen: Die zunächst nur am Rande und flüchtig wahrgenommenen ausländischen Beschäftigten wurden schließlich als Einwanderer akzeptiert, mit denen zusammen eine gemeinsame, nunmehr „multikulturelle” Zukunft zu entwickeln ist.
Nicht Angst vor den eigenen Mitgliedern sollte deshalb das Handeln der gewerkschaftlich Verantwortlichen bestimmen, sondern Gelassenheit und der Wunsch, als autonome emanzipatorische Massenorganisation auf Einmischung in die öffentliche Meinungsbildung in Migrationsfragen nicht zu verzichten. Im übrigen mag ein gelegentlicher Hinweis auf die demographische Entwicklung der Bundesrepublik und in diesem Zusammenhang: auf Positionen eines vorausblickenden Managers, Eduard Reuters, auch bei denen etwas bewirken, die sich politischen und humanitären Argumenten hartnäckig verschließen. Eduard Reuter jedenfalls sieht für die Zukunft einen regelrechten Einwanderungsbedarf.
Darüberhinaus ist es an der Zeit, Zeichen zu setzen, Zeichen einer gewerkschaftlichen Praxis, die sich den Belangen der Flüchtlinge verpflichtet weiß. Erste Beiträge hierzu lassen sich schon vermelden: Gemeinsame Aktivitäten von DGB-Ortskartellen, kirchlichen und Menschenrechtsgruppen, öffentliche Proteste von DGB-Kreisvorsitzenden gegen behördliche Engherzigkeit und Schikane, eine für September geplante Arbeitstagung des DGB-Bundesvorstandes im DGB-Bildungszentrum Bad Kreuznach, in deren Mittelpunkt erstmals die Lage der Flüchtlinge in Deutschland und Westeuropa steht.
In der Frage nach einer neuen Einwanderungspolitik liegt die ausländerpolitische Herausforderung an DGB und Gewerkschaften. Sie aufzugreifen und offensiv in und mit der eigenen Mitgliedschaft zu bearbeiten, könnte gewerkschaftlicher Migrationspolitik insgesamt ein neues Profil und neue Schwungkraft verleihen. Sie könnte gleichzeitig der Versäulung des Ausländerthemas entgegenwirken. Denn es würde deutlich, daß es sich bei „Einwanderung” um ein Zukunftsthema handelt, dem sich keiner entziehen kann: Das Thema „Einwanderung” verweist auf den größeren Zusammenhang des Zusammenarbeitens und — lebens von sogenannter Erster, Zweiter und Dritter Welt und damit des Überlebens aller in einer sozial und ökologisch gestalteten gewaltfreien Zukunft.

Verweise

1 Vgl. Peter Kühne/Nihat Öztürk/Hermann Schäfer/ Renate Schmieder: ‚Wie wir das Schweigen brechen können …“.
Bildungsarbeit mit ausländischen und deutschen ArbeitnehmerInnen; Köln 1989

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