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Vorschlag zur daten­schutz­recht­li­chen Eindämmung der Befugnis der automa­ti­schen Kennzei­chen­er­fas­sung und deren polizei­li­cher Auswertung in den Länder­po­li­zei­ge­setzen

06. Mai 2008

Gemeinsame Pressemitteilung der HU Baden-Württemberg und des FIfF zur datenschutzgerechten Gestaltung der Kfz-Kennzeichenfahndung anlässlich der Beratungen des sächsischen Landtages über einen entsprechenden Gesetzentwurf

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 11.03.2008 die in den Polizeigesetzen Hessens und Schleswig-Holsteins geschaffene Befugnis zur automatischen Kennzeichenerfassung für verfassungswidrig und damit für nichtig erklärt. Das Bundesverfassungsgericht ist leider nicht den grundsätzlichen Bedenken der Beschwerdeführer gegen die Zulässigkeit der automatisierten Kontrolle des öffentlichen Verkehrsraumes gefolgt. Diese Befugnis aus dem Arsenal des Überwachungsstaates wird damit zum Standardrepertoire der polizeilichen Sicherheitsstrategien avancieren. Dies hat Auswirkungen auf die in den anderen sieben Bundesländern bereits bestehenden und in weiteren acht (Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, NRW, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen) noch in Planung befindlichen gesetzlichen Grundlagen für diese Befugnis.

Um das Verfahren der automatischen Kennzeichenerfassung und deren polizeilicher Auswertung (KFZ-Scanning) zumindest im Ansatz datenschutzrechtlich angemessen zu gestalten und damit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 11. März 2008 und den dort aufgestellten Anforderungen in EDV-technischer Hinsicht zu genügen, schlägt die Bürgerrechtsvereinigung Humanistische Union, Landesverband Baden-Württemberg (HU), unterstützt vom Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung (FIfF) ein alternatives Verfahren bei der rechtlichen und technischen Gestaltung dieser Polizeibefugnis vor. Dadurch wird es ermöglicht, dass nur diejenigen Kennzeichen vom System gespeichert werden, bei denen ein Referenzdatum in den Vergleichsdateien vorhanden ist. Damit ist noch keine Aussage darüber getroffen, ob der Einsatz dieser Fahndungsmethode im Einzelfall rechtlich zulässig und die eingesetzten polizeilichen Vergleichsdateien und in ihnen enthaltene Daten selbst rechtmäßig sind.

Das bisher vorgesehene und in einigen Bundesländern verwendete Verfahren funktioniert wie folgt: Vorbeifahrende Fahrzeuge werden nach einem externen Impuls (z.B. Radar oder Lichtschranke) von einer Videokamera optisch erfasst. Mit Hilfe einer hierfür entwickelten Software (OCR-System) wird aus dem Videobild die Zeichenfolge des Kennzeichens ausgelesen. Das so ermittelte Kennzeichen wird abgespeichert und sodann automatisch mit den polizeilichen Fahndungsdateien/ Vergleichsdateien abgeglichen. Dies geschieht entweder durch Übermittlung an eine zentrale Stelle oder – wie dies meist geübte Praxis ist – durch Mitführen des Fahndungsdatenbestandes bzw. Vergleichsdatenbestandes auf einem Laptop vor Ort. Wird ein Treffer erzielt, so werden nicht nur das Kennzeichen, sondern auch die übrigen Umstände (Videobild des PKW inklusive Insassen, Ort, Zeit) abgespeichert. Erst jetzt erfolgen die konventionellen polizeilichen Maßnahmen des Zugriffs oder einer weiteren Auswertung. Die derzeitigen Systeme haben eine Leistung von bis zu 72.000 Kennzeichen pro Stunde.

Die Softwarespezifikation der Kfz-Erfassung kann und sollte demgemäss folgendermaßen geändert werden: Vorbeifahrende Fahrzeuge werden wie oben nach einem externen Impuls (z.B. Radar oder Lichtschranke) von einer Videokamera optisch erfasst. Mit Hilfe der oben genannten OCR- Software werden vom im Polizeifahrzeug mitgeführten Laptop aus die Buchstaben- und Ziffernfolge des Kennzeichens aus dem Videobild erkannt. Das so ermittelte Kennzeichen wird automatisch direkt mit den Kennzeichen der mitgeführten polizeilichen Fahndungsdatei vor Ort verglichen. Ein Online-Vergleich mit einer zentralen Stelle hingegen ist aus Gründen der Datensicherheit und des Datenschutzes nicht vertretbar. Somit sind zunächst sowohl das Videobild als auch das erkannte alphanumerische Kennzeichen vorübergehend im Arbeitsspeicher vorhanden, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Bild auch auf die Festplatte gelangt. Das kann das Betriebssystem unaufgefordert tun, oder der Bildanalyseprozess kann es erforderlich machen. Nur dann, wenn ein Treffer erzielt wird, darf das Kennzeichen und gegebenenfalls auch die übrigen Umstände (Videobild, Ort, Zeit) abgespeichert werden und es erfolgen die konventionellen polizeilichen Maßnahmen des Zugriffs oder einer weiteren Auswertung. Wenn kein Treffer erzielt wird, dann wird sowohl das Videobild als auch das erkannte alphanumerische Kennzeichen durch das nächste erfasste Bild bzw. Kennzeichen im Arbeitsspeicher oder falls es dort auch hingelangt ist, auf der Festplatte, überschrieben. Alle Nicht-Treffer werden somit unmittelbar nach erfolgtem Abgleich im lokalen Gerät sicher gelöscht und unbrauchbar gemacht. Eine Übertragung auf andere Medien, andere Geräte oder Systeme wird verlässlich unterbunden.
Dadurch würde die Gefahr polizeilicher Bewegungsprofile zumindest für die übergroße Zahl der nicht gespeicherten, in jeder Hinsicht unverdächtigen VerkehrsteilnehmerInnen (das sind 99,7 %) technisch weitgehend ausgeschlossen.

In die Länderpolizeigesetze sind weiterhin Bestimmungen aufzunehmen, die die vorgeschlagenen datenschutzrechtlichen Mindestanforderungen bei der Gestaltung der von der Polizei verwendeten Software vorschreiben. Ein solches Fahndungssystem muss schon vom Design her die Anforderungen des Datenschutzes an Konzepten, Hardware und Software von Anfang an berücksichtigen. Eine weitere grundlegende Voraussetzung für ein Mindestmaß an Vertrauen in ein solches System ist die Nennung sämtlicher Hardwarekomponenten, die Offenlegung aller Schaltpläne und der freie Zugang zum Quelltext der Software. Schließlich muss ein solches System von unabhängigen Testexperten überprüft und die Ergebnisse müssen veröffentlicht werden.

Humanistische Union – Landesverband Baden-Württemberg
Prof. Dr. Britta Schinzel & Rechtsanwalt Dr. Udo Kauß

AnsprechpartnerInnen:

Prof. Dr. Britta Schinzel, Vorstandsmitglied des Forums InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung
Institut für Informatik und Gesellschaft (IIG)  Universität Freiburg 
Friedrichstraße 50, 79098 Freiburg
Tel. 0761/203-4953                                                                

RA Dr. Udo Kauss, Rechtsanwalt in Freiburg 
Herrenstraße 62, 79098 Freiburg, Tel. 0761/70 20 93

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