Zur Versammlungsfreiheit in Zeiten der Pandemie
In: Mitteilungen 243 (03/2020), S. 3 – 4
Die Versammlungsfreiheit gehört zu den unentbehrlichen und grundlegenden Funktionselementen eines demokratischen Gemeinwesens. Sie ist konstituierend für die freiheitliche Demokratie, auch wenn sie nicht schrankenlos gewährt wird. In den ersten Monaten des sogenannten „Lockdown“ gab es zahlreiche und weitreichende Beschränkungen der Versammlungsfreiheit durch die Allgemeinverfügungen der Länder. Aufgrund der zu dem Zeitpunkt noch unbekannten Gefahr des Virus wurden teilweise selbst kleinste Versammlungen unter freiem Himmel komplett verboten und mit unverhältnismäßiger Anwendung von Gewalt durch die Polizei aufgelöst. Obwohl diese bereits mit Hygienekonzepten und einer Begrenzung der Anzahl der Demonstrierenden arbeiteten. Richtigerweise wurden diese Verbote der Versammlungen von den meisten Gerichten rechtswidrig erklärt.
Die Humanistische Union setzt sich dafür ein, dass die Versammlungsfreiheit auch in den schlimmsten pandemischen Lagen, auch zu Zeiten eines weiteren „Lockdown“, weiter gewährleistet wird. Mit stimmigen Hygienekonzepten, Abstand und Vorsicht sollten Versammlungen unter freiem Himmel jederzeit möglich sein. Denn gerade in diesen Ausnahmesituationen müssen die Bürger*innen ihre Versammlungsfreiheit nutzen können, damit die Möglichkeit der Kritik an Regierenden und deren Corona-Auflagen und Maßnahmen weiter gegeben ist.
Die Humanistische Union kritisiert, dass die Versammlungsbehörden der Länder unterschiedliche Anforderungen an Versammlungen stellen. Es darf nicht sein, dass Menschen in Berlin mit Hygieneauflagen demonstrieren dürfen, während Menschen in Hanau mit Hygieneauflagen nicht demonstrieren dürfen. Auch in einem föderalistischen Staat müssen, soweit nicht mit größerer Gefährdungslage begründbar, die gleichen, stimmigen und verhältnismäßigen Hygieneauflagen erteilt werden.
Die Humanistische Union fordert, dass die Regierungen der Länder sich auf einheitliche Hygieneanforderungen in Rahmen von Demonstrationen einigen. Der Zustand, dass uneinheitliche Regelungen für Bürger*innen zum Demonstrieren gelten, obwohl die Gefährdungslage regional nur bedingt unterschiedlich ist, ist äußerst problematisch. Die Länder müssen weiter Vorbereitungen treffen, dass das Demonstrieren auch unter einem zweiten drohenden „Lockdown“ möglich bleibt.
Im weiteren Verlauf der Pandemie haben Politiker*innen gefordert, dass Demonstrationen gegen die Corona-Auflagen oder von Verschwörungstheoretiker*innen und Rechten aus inhaltlichen Gründen, und nicht aus Gründen der öffentlichen Sicherheit, verboten werden. Soweit diese Versammlungen sich aber an die Grenzen der Versammlungs- und der Meinungsfreiheit halten, dürfen sie nicht verboten werden. Die Kritik der Demonstrierenden an Corona-Auflagen und Maßnahmen gehört auch zum Wesenskern eines demokratischen Miteinander in diesen Zeiten. Kritik an Auflagen und Maßnahmen muss auch in Rahmen von Versammlungen weiter möglich sein. Wir haben auch gesehen, dass solche Proteste von Verschwörungstheoretiker*innen und Rechten für ihre Zwecke genutzt werden. Auch wenn die Bilder der demonstrierenden Verschwörungstheoretiker*innen und Rechten schwer auszuhalten sind, muss eine liberale Gesellschaft in ihren rechtlichen Grenzen das aushalten. Die Humanistische Union sieht dabei kein Problem, Versammlungen mit notwendigen und stimmigen Hygieneauflagen zu belegen, selbst wenn der Inhalt dieser Versammlungen die Kritik an den genannten Auflagen umfasst.
Die Humanistische Union fordert weiter, dass Politiker*innen sich auf die Seite der Grundrechte stellen und weiter inhaltliche Kritik an kruden Demonstrationen leisten, diese aber nicht aus inhaltlichen Gründen verbieten, sondern die Versammlungsfreiheit gewährleisten. Auch die Humanistische Union stellt sich auf die Seite der Grundrechte, distanziert sich aber von denen, die auf ihre Freiheiten auf Kosten der Gesundheit anderer pochen und mit Verschwörungstheoretiker*innen und Rechten demonstrieren.