Rede der Preisträgerin Gerti Kiermeier

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27.10.1997

Rede der Preis­trä­gerin Gerti Kiermeier

Liebe Freunde, liebe Freundinnen,

Ich habe mich total gefreut über diesen Preis. Nicht weil ich eine Auszeichnung erhalte und vielleicht mein Name in der Zeitung steht. Nein, aber es bedeutet, daß ich es noch andere Organisationen und Personen gibt, die ähnliche Vorstellungen haben vom Zusammenleben der Menschen  – jetzt und in Zukunft. Es bedeutet, daß wir ein Stück des Weges schon zusammen gegangen sind oder noch gehen werden. Es bedeutet Solidarität. Und ich habe in den vergangenen acht Jahren, die dieses Verfahren nun schon dauert, sehr deutlich erfahren wie notwendig diese war.

Ziemlich genau vor acht Jahren haben etwa 10 Leute der DFG-VK (Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen) nach intensiven Vorbereitungen und Diskussionen beschlossen, etwas dagegen zu setzen, wenn die Bundeswehr wieder einmal versucht auf der Gregor-Racing-Show  – einer Auto- und Motorradausstellung in der Olympiahalle – mit ihren Informationen über technische Einsatzmöglichkeiten bei der Armee darüber hinwegzutäuschen, warum es eine Armee gibt und was im Krieg passiert.
Die DFG-VK ist eine über 100 Jahre alte pazifistische Organisation, deren Grundsatzerklärung lautet: „Der Krieg ist ein Verbrechen an der Menschheit. Ich bin daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und an der Beseitigung aller Kriegsursachen mitzuarbeiten.“ Neben der Beratung von Kriegsdienstverweigerern und Deserteuren ist ein Schwerpunkt die Abschaffung der Armee.

Bei der Aktion damals spannten zwei Leute (eine davon war ich) ein Transparent mit der Aufschrift „Soldaten sind potentielle Mörder/ Kriegsdienstverweigerer“ vor dem Bundeswehr-Informationsstand auf. Die anderen verteilten Flugblätter mit dem Titel „Es ist so schön Soldaten zu sein“ mit Darstellungen von Waffen und die dadurch verletzten oder getöteten Menschen. Damit wollten wir belegen, wieso wir zu dieser radikalen Aussage kommen.
Dies brachte uns einen stundenlangen Aufenthalt mit erkennungsdienstlicher Behandlung bei der Polizei ein, Anzeigen wegen Hausfriedensbruch und den beiden TransparentträgerInnen eine Beleidigungsanzeige. Praktisch hatte sich das so ausgewirkt, daß etwa alle Jahre einmal eine Gerichtsverhandlung stattfand, in denen wir erst zu 30 Tagessätzen, dann zu 15 Tagessätzen verurteilt wurden. Da ich nach der rechtskräftigen Verurteilung 1991 die Angelegenheit über das Verfassungsgericht klären wollte, habe ich, um keine Schuld dieser Meinungsäußerung anzuerkennen, auch nicht bezahlt. Daraufhin hatte ich die etwa halbjährlichen Besuche der Polizei in meinem Haus, die mich ersatzweise für die Geldstrafe ins Gefängnis bringen sollten.
Zufällig war ich nie zuhause. Und es kam Bewegung in die Sache; denn es gab die erste Verfassungsgerichtsentscheidung in einem ähnlichen Fall, so daß der Staatsanwalt einlenkte und das Ganze ruhen ließ. Inzwischen ist meine damalige Verfassungsbeschwerde entschieden, der Fall ans Amtsgericht zurückverwiesen und ich letztendlich verwarnt worden auf zwei Jahre mit Bewährung. Jetzt liegt meine zweite Beschwerde in Karlsruhe, da ich einen Freispruch will.

Aber das ist noch nicht alles. Diese Transparentaktion hat inzwischen 9.000,– DM gekostet. Das Erfreuliche dabei ist, daß dieses Geld von vielen Einzelpersonen und Gruppen aufgebracht wurde. Dafür möchte ich mich hier auch noch einmal ganz herzlich bedanken. Denn letztendlich kommen die Rechnungen zu mir.

Nicht vergessen werden darf die Kriminalisierung, die einem passiert. Mein Arbeitgeber entschied z.B. eine Einstellung erst, nachdem er Einblick in meine Akten hatte. 

Und manchmal überkam mich Ohnmacht. Wo ich oft aufgeben wollte, das war am Ende der Gerichtsverhandlungen. Ich hatte mich mit Freunden und meinem Rechtsanwalt Frank Niepel intensiv vorbereitet, habe mir jedes Wort überlegt, damit der Richter es nur ja nicht mißverstehen kann, habe in bis zu sechsstündigen Verhandlungen erklärt, begründet, belegt, um dann bei der Urteilsbegründung feststellen zu müssen, daß mir die Worte im Munde umgedreht wurden und der Richter nichts verstanden haben wollte.

 

Warum habe ich es trotzdem gemacht?

Das was ich täglich erlebe oder sehe über das Zusammenleben oder Nichtzusammenleben der Menschen in den verschiedenen Ländern der Welt, ist nicht das, was ich mir wünsche: Wir leben in einer ungerechten Weltwirtschaft, Kriege werden geführt oder vorbereitet, ständig werden Flüchtlinge produziert und keiner will sie haben,  Minderheiten sind nicht vorgesehen, es sei denn als Sündenbock, Nationalismus scheint die Lösung zu sein…usw.

Das Ganze ist ein Kreislauf, in dem Krieg eine wichtige Rolle spielt. Deshalb will ich etwas tun gegen Krieg und Kriegsvorbereitung, wozu auch Rüstungsproduktion, Rüstungsexport, die Armee mit ihren Soldaten und ihrem totalitären System und politische Entscheidungen gehören.

Ausgeführt aber werden Kriege von den Soldaten. Sie benützen die Waffen. Soldaten werden ausgebildet zum Töten, Kaputtmachen, Zerstören.

Und wenn sie mal was anderes tun (Brunnen graben, Essen verteilen, Sandsäcke für Überschwemmungen schleppen …) dann ist es,

* weil sie grad schon mal da sind,
* weil ausgebildete Killer, Zerstörer, Töter – und das sind für mich Mörder –  als Lebensretter, als Notwendigkeit legitimiert werden sollen,
* weil es nichts anderes gibt als Soldaten oder nichts anderes vorgesehen ist.

Aber Soldaten sind keine Brunnenbauer, Mediatoren, Sandsäckeschlepper, freundliche Onkels, die Kinder tragen… Dazu braucht es keine Soldaten!

Wer sich Soldaten hält, bereitet Kriege vor!

Nun sagen mir viele Wehrpflichtige oder Soldaten, daß sie im sogenannten. Ernstfall auch gar nicht töten werden, weil sie es genauso ein Verbrechen finden wie ich. Und ich kann ihnen nur antworten aus den Erfahrungen der Geschichte und aus den vielen Erfahrungen mit Deserteuren, daß es auch mit dem besten Vorsatz leider meist nicht mehr möglich ist, NEIN zu sagen oder zu gehen.

Deshalb will ich den Menschen heute sagen, macht all` das nicht mit und sagt heute NEIN. Macht die Kriegsvorbereitung nicht mit. Laßt Euch von dem totalitären System der Armee nicht entmündigen!

Dies ist der eine inhaltliche Grund. Der andere ist das Üben oder Nützen von Zivilcourage. Wie oft haben wir von unseren Eltern und Großeltern gehört, daß es zu gefährlich oder nicht möglich war, dem Naziregime Einhalt zu gebieten. Das mag sein, aber vielleicht, weil es zu spät war und weil die Menschen nie gelernt haben, etwas anderes als die letzte Möglichkeit der Waffen entgegenzusetzen.

Ich will nicht warten, bis es wieder zu spät ist. Wenn ich sehe, wie unser Land sich in diese Richtung entwickelt, dann will ich heute etwas dagegen tun – denn trotz aller Kriminalisierung ist es möglich, diesen Entwicklungen zu widerstehen – selbst innerhalb unseres Rechtssystems. Es wäre schon viel gewonnen, wenn die Menschen mindestens um die ihnen zustehenden Rechte kämpfen würden.

Zusätzlich wird es auch ab und zu notwendig, Gesetze zu übertreten; nämlich dann wenn etwas mit seinem Gewissen nicht mehr vereinbar ist  (z.B. wenn ein Wald besetzt wird, um eine Wahnsinnsanlage wie die WAA zu verhindern; oder Flüchtlinge zu verstecken, wenn ihnen durch Abschiebung  Folter, Tod, Gefahr für Leib und Leben droht …).

Denn nicht Legalität ist das Wichtigste sondern Legitimität und die ist leider nicht immer Grundlage unserer Gesetze.

Dank und Wunsch für die Zukunft

Ich habe viel an Unterstützung in den vergangenen Jahren erfahren. Ich möchte mich dafür bedanken, weil ich weiß wie dringend notwendig dies war. Auch ich hatte manchmal Zweifel, ob ich das so alles durchstehe.

Es waren insbesondere
– meine MitbewohnerInnen, die meine Hoch und Tiefs am nächsten miterlebten, die die Polizei- und Gerichtsvollzieherbesuche ab- oder 
mitbekamen,
– meine ArbeitskollegInnen beim Ambulanten Dienst und in den Flüchtlings unterkünften, die es mir z.B. ermöglicht hätten, kurzfristig zwei Wochen Urlaub für den Gefängnisaufenthalt zu nehmen,
– es waren und sind die Mitglieder der DFG-VK, die mit mir diskutierten, um das Thema weiter an die Öffentlichkeit zu bringen, und die mit  mir neue Aktionsformen überlegten, die nicht gleich        wieder kriminalisierten
– es ist mein Anwalt Frank Niepel, der sich mit mir Tage und Nächte zur intensiven Vorbereitung der Verhandlungen um die Ohren geschlagen hat, 
– es ist die Kampagne Ziviler Ungehorsam bis zur Abrüstung, deren Mitglieder mir insbesondere durch ihre eigenen Knasterfahrungen viel Mut gemacht und Angst genommen haben,
– und ganz viele andere Menschen mehr, die mich ermutigt haben, weiterzumachen und nicht aufzugeben!

Ich danke jedem und jeder von Euch nochmals ganz herzlich!

An dieser Stelle möchte ich auch meinen besonderen Dank an die Humanistische Union richten, vor allem dafür, daß sie den Mut hatte mit der diesjährigen Preisverleihung einem Thema Öffentlichkeit zu verleihen, das momentan „out“ ist. Krieg ist salonfähig geworden. Friedensarbeit scheint für viele bedeutungslos zu sein, obwohl die Welt nicht friedlicher geworden ist. Es wird wieder einmal gewartet, bis es zu spät ist.

Mein Wunsch für die Zukunft wäre, daß noch viel mehr Menschen aufrecht gehen würden; denn es hat sich nichts verbessert:

– statt Abschaffung der Bundeswehr soll sie weltweit in Kriegen mitmischen
– statt ins soziale Netz wird weiter in zerstörende Rüstung investiert
– statt mitproduzierte Flüchtlinge aufzunehmen, werden die Grenzen dicht gemacht für
  ein ausländerfreies Europa

Widerstand ist nötig und dazu braucht es einen aufrechten Gang!

Auch ich möchte mich nicht auf den Lorbeeren ausruhen, sondern weiter aufrecht gehen und rufe deshalb mit der bundesweiten Kampagne „Kein Mensch ist illegal“ dazu auf, MigrantInnen bei der Ein- und Weiterreise zu unterstützen, MigrantInnen Arbeit und Papiere zu verschaffen, MigrantInnen medizinische Versorgung, Schule und Ausbildung, Unterkunft und materielles Überleben zu gewährleisten. (Weitere Infos und den kompletten Aufruf gibt`s am Infostand.)

Und ich möchte mit ein paar Sätzen von Elie Wiesel enden, die gesagt hat:
„Ihr sollt wissen, daß kein Mensch illegal ist. Das ist ein Widerspruch in sich. Menschen können schön sein oder noch schöner. Sie können gerecht sein oder ungerecht. Aber illegal? Wie kann ein Mensch illegal sein?“

Danke.

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