Rede des Preisträgers Dr. Winfried Maier

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28.11.2002

Rede des Preis­trä­gers Dr. Winfried Maier


Sehr geehrte Damen und Herren,

Sie erleben mich heute vergleichsweise sprachlos und vielleicht auch unbeholfen. Denn eine öffentliche Ehrung wurde mir noch nie zuteil. Ich bewege mich also auf ungewohntem Boden.
Dies begann bereits, als ich erfuhr, dass die Humanistische Union mich für den Preis „Aufrechter Gang“ auserwählt hat. Warum mich? Es gehen doch tagtäglich viele ins Fitnessstudio, um sich gegen Rückenprobleme zur Wehr zu setzen und um aufrecht zu gehen.
Weshalb also dieser ideelle Preis an mich? Bei all den ehrenden Worten von Ihnen, Herr Stiller, möchte man fast meinen, ich hätte den Preis verdient. All dies kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass ich nicht außergewöhnlich handelte, sondern nur Selbstverständliches versuchte, nämlich Ermittlungen ohne Ansehen der Person zu führen.
Ist es in unserer Gesellschaft schon auffällig, eigene Überzeugungen nicht dem vorauseilenden Gehorsam zu opfern? Oder war Ihre Auswahl nicht wohlüberlegt? Ehren Sie gar einen „Nestbeschmutzer“ – wie ich in einer Überschrift einer Tageszeitung lesen musste. Kann jemand, der das Recht des unbescholtenen Bürgers auf Nichtentdeckung seiner Straftaten verletzt, geehrt werden?
Nach deutschem Recht ist ein Staatsanwalt nicht unabhängig. Er ist weisungsgebunden. Er hat sich demnach den Weisungen oder Einflussnahmen von Vorgesetzten zu unterwerfen. Mehr noch, Weisungen oder Einflussnahmen sind als Dienstinternum strafrechtlich geschützt. Plaudert ein Staatsanwalt Einflussnahmen oder Weisungen aus, macht er sich wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses strafbar (§353 b StGB). Sie sehen also, Einflussnahmen auf staatsanwaltschaftliche Ermittlungen sind rundum geschützt. Sie haben offensichtlich hohen Rang.

Die Bestechung da oben, interessiert mich nicht,
die Weisung des Vorgesetzten, stört mich nicht,
die Einflussnahme von oben, irritiert mich nicht,
der Ladendiebstahl ist strafbar, nicht!

Überrascht es uns also, wenn ein Generalstaatsanwalt in seiner Befragung vor dem Untersuchungsausschuss des Bayerischen Landtags unter Hinweis auf Odersky betont, die Staatsanwaltschaft habe bei Ihrem Vorgehen auch das Kräftefeld der politischen Strebungen, Erwünschtheiten, besser Verträglichkeiten einzubeziehen.
Eine Ehrung heißt für mich – ich sagte das eingangs – ungewohnten Boden zu betreten. Hat man sich angefreundet mit der Frage „warum ich“, kommen sofort die Bedenken, ob man den Preis annehmen soll. Würde ist Bürde! Wird man als Werbeträger missbraucht? Teilt man die Ziele der Humanistischen Union? Spielt man den Kritikern in die Hände, die gerne den Vorwurf wiederholen, ich sei ein egomaner Selbstdarsteller. Schwierige Fragen, die in der Tat erkennen lassen, Würde ist Bürde.
Aber ist es wichtig, sich im vorauseilenden Gehorsam substanzlosen Vorwürfen zu beugen? Wird man missbraucht, wenn Sie Ihren Preis dem Einsatz für Bürgerrechte, Demokratie und dem Einsatz im Geiste des Grundgesetzes widmen? Ich glaube nicht.

Denn sowohl als Staatsanwalt, als nunmehr auch als Richter sind mir diese Ziele oberstes Gebot. Gerade die Justiz schöpft ihre Kraft und Autorität als unabhängige dritte Gewalt, wenn sie unbeirrt und frei jeden Bürger gleich behandelt und Ungleichheit nur zulässt, wenn hierfür ein rechtfertigender Grund besteht. Der unbedingte Respekt vor den Grundrechten gebietet es auch, unterschiedliche Meinungen zu achten und zu würdigen. Gelebte Meinungsfreiheit schmälert meine Freude über Ihre Auszeichnung deshalb selbst dann nicht, wenn ich nicht mit allen Zielen der Humanistischen Union übereinstimme (n) sollte. Wenn ich die Humanistische Union richtig verstehe, wäre sie gerade enttäuscht von mir, wenn ich gleichgeschaltet nur ihre Satzung wiederholen würde und die Freiheitsrechte nur als Freiheit von staatlichem Einfluss auf die Religionsausübung oder die Meinungsäußerung sehen würde, sich mir dadurch aber der Wert des Freiheitsrechts als Freiheit durch etwa Religionsausübung oder durch Meinungsäußerung verschließen würde. Denn gerade die Meinungsvielfalt als Freiheit durch Meinungsausübung ist die schöpferische Wurzel der Demokratie. Ihr Fundament sind selbstbewusste, kritische Bürger, die staatliche Vorgaben zu hinterfragen wagen und ihre Überzeugungen in die Gesellschaft einbringen.

Diese Ehrung – so bitte ich Sie – darf nicht missverstanden werden als dummer Personenkult. Nein, sie soll Werbung sein für einen aufrechten Gang! Sie soll Mut machen zum Schwimmen gegen den Strom! Dies ist gerade in einer Zeit wichtig, in der das Einknicken vor der Macht, die Scheinheiligkeit und die Tabuisierung blühen.
Darf man es heute noch wagen zu fragen, ob ein beabsichtigter Krieg nur dem hehren Ziel der Terrorismusbekämpfung dient, oder die Durchsetzung und den Ausbau ökonomischer Interessen bezweckt.
Wird die Meinungsfreiheit noch durch die Presse als fundamentaler Eckpfeiler verwirklicht in einer Zeit, in der sich Wirtschaftsmacht, Staatsgewalt und Pressemacht zu einer Allianz verbünden. Schauen wir dazu nicht nur sorgenvoll nach Italien.
Sind wir nicht alle scheinheilig, wenn wir um äußere Zeichen – wie etwa das Kreuz im Klassenzimmer – kämpfen, dabei aber die damit verbundenen Werte vergessen?

Der Preis „aufrechter Gang“ ist damit wichtig. Er ist Ermunterung und Ermutigung für uns alle, um in dieser globalisierten Interessenwelt die Selbstachtung zu wahren und den kritischen Blick in Worte zu fassen, ohne dabei die Toleranz zu vergessen. Deshalb wünsche ich uns allen im Wesentlichen Einheit, im Zweifelhaften Freiheit und in Allem Mut.
Ihnen Herr Stiller danke ich für Ihre lobenden Worte. Ihre Worte freuen mich nicht nur, sie geben auch Kraft. Dies übrigens nicht nur heute, Kraft habe ich auch in schwierigen Zeiten aufgrund Ihrer Berichterstattung geschöpft.
Der Humanistischen Union, ganz besonders Ihnen Herr Prof. Hering und Herr Killinger, danke ich für die Ehre, die Sie mir zuteilen. Ich hoffe, dass ich der mit dieser Würde verbundenen Bürde gerecht werde. Hoffentlich kann ich auch künftig ohne Krückstock aufrecht gehen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit

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