Friedensbewegung im Gesundheitswesen
Datum: | Sonntag, 03. November 1985 |
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Klaus Waterstradt
aus: vorgänge Nr. 79 (Heft 1/1986), S. 28-30
Dies ist ein schwacher Ruf. Oder ist es vielleicht doch ein starker Ruf? Ursprünglich hieß es: Ärzte warnen vor dem Atomkrieg. Warum warnen Ärzte vor dem Krieg? – Krieg ist doch keine Krankheit!
Und warnen sie etwa nur vor dem Atom-Krieg? Nun, Pazifisten gab es schon immer. Und seit der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Ökologie-Bewegung gab es auch allenthalben Friedensinitiativen im Gesundheitswesen. Damit kann jeder Staat leben.
Als aber Ärzte sich zusammenfanden und das Ansehen ihres Berufsstandes in der Öffentlichkeit in die Waagschale warfen, um außerparlamentarisch Aufklärungsarbeit zu leisten, sich und andere zu informieren, da wurden die Medien, die Abgeordneten, die Regierenden hellhörig.
Schlagworte wie: „Die Überlebenden werden die Toten beneiden“ und „Wir werden Euch nicht helfen können!“ bewirkten in weiten Bevölkerungskreisen Nachdenken und Zustimmung. Dadurch wurden alle Friedensinitiativen im Gesundheitswesen gestärkt und wuchsen weiter an.
Der 5. Kongreß zur Verhinderung des Atomkrieges vom 31.10. bis 3.11.85 in Mainz wurde veranstaltet von der Friedensinitiative im Gesundheitswesen Mainz/Wiesbaden zusammen mit der IPPNW (Deutsche Sektion der internationalen Ärzte zur Verhinderung des Atomkriegs).
Folgerichtig hieß das Motto jetzt: Wir warnen vor dem Atomkrieg, weil alle Mitarbeiter im Gesundheitswesen, die in der Friedensbewegung aktiv sind, den Aufruf mittragen. Der
Untertitel lautete: „Rüstungsstop! Abrüsten!“. Das Verhandlungsthema war erheblich ausgeweitet worden, z.B. auf Einschätzungen der Krankenschwestern und des Pflegepersonals oder etwa auf „die dritte Welt und der Krieg“. Der Kongreß wies gegenüber seinen Vorgängern weitere Besonderheiten auf, 1981 fand der erste Medizinische Kongreß in Hamburg statt, 1982 folgte Berlin, dann 1983 München, Das Echo auf den 4. Medizinischen Kongreß 1984 in Tübingen war besonders groß. So entstand die Ausweitung des Arbeitsgebietes. Etwa 60 Arbeitsgruppen und Seminare behandelten jetzt spezielle Fragen wie SDI, West-Ost-Kontakte, Zivilschutz, Beziehungen zur Gesamtärzteschaft, Frauen und Militarisierung, alltägliche Gegenwehr, Friedenserziehung, Bundeswehr und vor allem die am meisten besuchten psychologischen Fragenkomplexe.
Die Einzelreferate z.B. von Till Bastian, Alfred Mechtersheimer, Ulrich Gottstein, Andreas Zumach, Horst Eberhard Richter, Gert Bastian, Hans Ulrich Deppe, Elvira Kleine, Christa Nickels, Barbara Hövener, Scott Mills, Knut Sroka und Karl Bonhoeffer erscheinen im Druck zusammen mit dem Einführungsvortrag von Peter Rühmkorf: „Bleib erschütterbar und widersteh!“ Die Broschüre kann über die Geschäftsstelle der IPPNW Bahnhofstr. 24 in 6501 Heidesheim bezogen werden.
Das Wiesbadener Tagblatt schrieb: „Kein Ärztekongreß, sondern ein Stück Friedensbewegung“. Das Presse-Echo war ungewöhnlich groß (die Bericht-Ausschnitte füllen drei Ordner!), sicherlich auch mitbedingt durch die Verleihung des Friedensnobelpreises an die internationale Ärzteorganisation.
Um so befremdender ist die offizielle Reaktion. Der parlamentarische Staatssekretär im Bundesinnenministerium C.D. Spranger sagte seine Teilname an der vorgesehenen Podiumsdiskussion: „Ein neues Zivilschutzgesetz – humanitäre Pflicht oder Kriegsvorbereitung?“ ab. Da sein Ministerium die Gesetzesvorlage bearbeitet, hätte gerade er die demokratische Pflicht gehabt, seine Intentionen öffentlich zu erläutern.
Stattdessen verfaßte er nach mehrfachen Anmahnungen auf über drei Schreibmaschinenseiten Tatsachenverdrehungen und Unterstellungen wie „Inhumanität“ zusammen mit Ratschlägen über den „ärztlichen Auftrag“, um sein Kneifen vor dieser Auseinandersetzung zu begründen. Der Brief traf übrigens bis zum Kongreßbeginn bei uns als Veranstalter nicht ein: Wir erhielten ihn von den Medien.
Wie stark die Gegner der Friedensbewegung von den Sachargumenten getroffen wurden, zeigt der Versuch des CDU-Generalsekretärs H. Geißler, davon abzulenken durch die bewährte primitive Kommunismus-Unterstellung und durch seine Reklamation beim Friedensnobelpreiskomitee in Oslo, das sich auf solche Diskussion noch nie eingelassen hat.
Daß sich an diesen Protest neben einigen Gesinnungsfreunden noch der Kanzler Kohl anhängen mußte, zeigt einmal mehr dessen mangelndes Fingerspitzengefühl und natürlich das seiner Berater. Die Ohrfeige aus Oslo mit dem Bezug auf Kanzler Hitler’s Protest vor 49 Jahren anläßlich der Friedensnobelpreisverleihung an den KZ-Häftling Carl von Ossietzky führte hier aber kaum zur Wangenrötung.
Um den Alltag mit einzubeziehen, wurde am 2.11., einem verkaufsoffenen Samstag, eine große Innenstadtaktion in Wiesbaden durchgeführt. Etwa 1500 Kongreßteilnehmer hatten im Sonderzug den Rhein überquert, um die Verbundenheit mit den dortigen Friedensinitiativen zu unterstreichen und um auf die Anhäufung militärischer Einrichtungen in der gesamten Rhein-Main-Region hinzuweisen.
Das größte und modernste amerikanische Militär-Hospital außerhalb der Vereinigten Staaten liegt in Wiesbaden und gestaltet sich als Angelpunkt aller US-Aktionen in Europa, Afrika und Vorderasien, einschließlich der „schnellen Eingreiftruppe“, da solche Einsätze ohne die Stationierung des Hospitals gar nicht möglich wären.
Was viele Menschen bei uns nicht wissen: entgegen den ursprünglichen NATO-Verträgen hat sich die BRD im Brüsseler Beschluß vom 13.5.1981 verpflichtet, auch außerhalb des NATO-Gebietes zu operieren. Außerdem ist sie durch einen weiteren Vertrag (Wartime-host-nation-support-Abkommen vom 15.4.82) dazu verpflichtet, bei militärischen Operationen Unterstützung zu gewähren. So wird unser Land unversehens zum Aufmarschgebiet, zur Startrampe und zur Drehscheibe für Einsätze im Nahen Osten, die ohne Nachschub und ohne medizinische Versorgung unmöglich wären. Der Flugplatz Erbenheim, jetzt schon eine erhebliche Belästigung für 50.000 im unmittelbaren Umfeld lebende Menschen, soll auf die dreifache Hubschraubermenge gebracht werden, wogegen sich eine Bürgerinitiative von 7.500 Bürgern wendet. Das Land Hessen klagt beim Bund auch wegen der Gefährdung der Flugsicherheit von „Rhein-Main“.
Direkt neben den Städtischen Kliniken in Wiesbaden ist das 333. Art. Btl. des V. US-Corps stationiert, das mit operativ-taktischen Lance-Atomraketen ausgerüstet ist (Verstoß gegen Art. 18 der Genfer Konvention vom 12.8.49). Solche Zentren sind sichere Ziele möglicher Gegenschläge. Auch gefährden die ständigen Transporte von Atomraketen die Bevölkerung.
Alles in Allem wurde deutlich gemacht, daß bei den beiderseits in Ost und West gepflegten Feindbildern und bei den beiderseits aufgestauten A-, B- und C-Massenvernichtungsmitteln ohne völlige Kehrtwendung der absolute Holocaust nicht zu umgehen ist.
Es gibt ja Menschen, die ihre Hoffnung auf die Möglichkeit eines begrenzten, konventionellen Krieges bauen. Was ist allein das schon für eine Perversion des Denkens, für eine unmenschliche Denkweise! Aber sie übersehen dabei: Daß jede Seite dieser in absoluten Feindbildern Denkenden im Falle eines eintretenden Nachteils im konventionellen Kriegesgeschick das nächsthöhere Waffenregister zieht, solange bis der große Atomknall da ist. Man darf nicht unterliegen – man muß siegen!
Diese wahnwitzige Ideologie beherrscht das Handeln der Regierenden.
Auf der anderen Seite versucht man uns einzureden, durch weitere Rüstung, durch Bunkerbau, durch Zivilschutz hätten wir Chancen zu überleben. Und dies war der Grund, warum wir bereits den fünften Medizinischen Kongreß zur Verhinderung des Atomkrieges machen. Wir sind für Notfalimedizin – ganz selbstverständlich, aber wir sind gegen Kriegsmedizin, gegen alle kriegsvorbereitenden Maßnahmen, gegen kriegsvorbereitenden Bunkerbau und gegen kriegsvorbereitende Rüstung.
Es ist medizinische Pflicht, rechtzeitig vorzubeugen und nicht erst Heilungsversuche zu machen, wenn keine Aussicht mehr auf Erfolg besteht. Der Krieg muß geächtet werden.
Kategorie: vorgänge: Artikel, Frieden