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"Im Kampf um des Menschen Rechte ...". Fritz Bauer: Aufar­b­ei­tung der NS-Ver­gan­gen­heit und Demokra­ti­sie­rung der Gesell­schaft

24. Mai 2007
Datum: Donnerstag, 24. Mai 2007
Uhrzeit:19:00:00 Uhr

Donnerstag, 24. Mai 2007 um 19.00 Uhr

Universität Hannover, Schneiderberg 50, 4. Stock, Raum V 411

Programm:

Stephan Alexander Glienke: Einleitung – Fritz Bauer und der Auschwitz-Prozess

Klaus Wannemacher: „Die Ermittlung“ von Peter Weiss – Zur Rezeption des Auschwitz-Prozesses

Claudia Fröhlich: „Eine Grenze hat Tyrannenmacht“ – Fritz Bauer und die Pflicht zum Ungehorsam gegen die Staatsgewalt

Joachim Perels: Die Bedeutung von Fritz Bauers Buch „Die Kriegsverbrecher vor Gericht“ (1944/45)

Als rassisch und politisch Verfolgter des NS-Regimes aus dem dänischen und schwedischen Exil zurückgekehrt, in das er nach neunmonatiger KZ-Haft geflohen war, wird der Jurist Fritz Bauer (1903-1968) im Jahre 1949 zunächst zum Landgerichtsdirektor und wenig später zum Generalstaatsanwalt in Braun-schweig ernannt. 1956 wird er schließlich zum hessischen Generalstaatsanwalt berufen. Konfrontiert mit den ehemaligen Funktionsträgern des NS-Regimes, die den Staats- und Justizapparat der jungen deutschen Demokratie dominieren, ist er unzähligen Anfeindungen ausgesetzt. Als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus nimmt Bauer in der Justiz eine Minderheitenposition ein. Eine Selbstbeschreibung zu dieser Zeit bringt dies zum Ausdruck: „In der Justiz lebe ich wie im Exil.“

Die Lebensfähigkeit der Demokratie in Deutschland ist nach Bauers Auffassung nur durch die Etablierung einer demokratischen Kultur, einer Bürgergesellschaft und einer demokratischen Streitkultur zu gewährleisten. Die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit war dafür unverzichtbar. Wie kaum ein anderer treibt er die strafrechtliche Verfolgung der NS-Verbrechen voran. Für ihn sind die NS-Prozesse Prüfsteine der Herausbildung eines neuen Rechtsbewusstseins und Bestandteile eines demokratischen Neubeginns. Noch im Exil verfasst er das Buch „Kriegsverbrecher vor Gericht“, das 1945 in der Schweiz gedruckt wird und zuvor bereits in Schweden und Dänemark erschienen ist. Darin stellt er der rechtzerstörenden Gewalt der NS-Despotie die Maßstäbe der rechtsstaatlich humanen Normenwelt entgegen. Hier zeichnet sich der bereits Schwerpunkt von Bauers späterer Tätigkeit in der Nachkriegsgesellschaft ab. Bauer bringt Schlüsselverfahren gegen Vertreter der nationalsozialistischen Funktionseliten in Gang, ermittelt gegen Ärzte, Justizjuristen und SS-Angehörige und übernimmt 1959 u.a. die Ermittlungen gegen den „Euthanasie“-Professor Werner Heyde, dem die Ermordung von 70.000 behinderten und kranken Menschen angelastet wird. Im Jahr 1960, wird auf Bauers Hinweis Adolf Eichmann in Argentinien gefasst und vom israelischen Geheimdienst nach Jerusalem gebracht.

Der Auschwitz-Prozess ist eines der wichtigsten Anliegen Fritz Bauers. Im Februar 1959 beantragt er beim Bundesgerichtshof, die Zuständigkeit für alle in Auschwitz begangenen Straftaten an das Landgericht Frankfurt/M. abzugeben. Am 20. Dezember 1963 beginnt im Frankfurter Römer das Verfahren, das in den Medien, in Ausstellungen und auf der Bühne in Peter Weiss‘ Stück „Die Ermittlung“ seinen Niederschlag findet. Insbesondere die kontinuierliche und genaue Presseberichterstattung in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung setzt eine umfassende Aufklärung der bundesdeutschen Gesellschaft in Gang. Erstmals gewinnt die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Deutschland eine öffentliche Dimension.

Die normative Abgrenzung vom NS-Unrechtsstaat verbindet Bauer mit einer systematischen Interpretation des Widerstandsrechts und der Widerstandspflicht eines jeden gegenüber diktatorischer Staatsgewalt. Als das Landgericht München dem Scheinverfahren gegen Admiral Canaris, Hans von Dohnanyi und Dietrich Bonhoeffer in den Konzentrationslagern Flossenbürg und Sachsenhausen die Rechtmäßigkeit attestiert und den Widerstandskämpfern somit die Anerkennung der Legalität ihres Handelns versagt, nutzt Bauer 1952 das Strafverfahren gegen Otto Ernst Remer vor dem Landgericht Braunschweig zur Wiederherstellung der Integrität der Widerstandskämpfer gegen das NS-Regime. Remer, der stellvertretende Vorsitzende der rechtsextremistischen Deutschen Reichspartei, hatte die Widerstandskämpfer des 20. Juli als Hoch- und Landesverräter beschimpft. In seinem Plädoyer erklärt Bauer: „Ein Unrechtsstaat wie das Dritte Reich ist überhaupt nicht hochverratsfähig.“

Die Referierenden:

Klaus Wannemacher: Studium der Germanistik und der Evangelischen Theologie an den Universitäten Göttingen, San Diego State und Heidelberg. 2002 Promotion zur Anregung des Dokumentartheaters durch Erwin Piscator an der Universität Heidelberg.

Claudia Fröhlich: Promotion zum Widerstandsbegriff von Fritz Bauer und die Aufarbeitung von NS-Verbrechen an der Freien Universität Berlin.

Joachim Perels: Emeritierter Prof. der Politischen Wissenschaften an der Gottfried-Wilhelm-Leibniz Universität Hannover.

Die Veranstaltung wird eingeleitet und moderiert von
Stephan Alexander Glienke: Studium der Politischen Wissenschaften, Geschichte und International Cultural Studies an den Universitäten Hannover, Pisa und Roskilde. 2006 Promotion zur Geschichte der Aufarbeitung nationalsozialistischer Justizverbrechen an der Universität Hannover.

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