Beitragsbild Ein Lebenswerk gegen die Hinterlassenschaften des NS-Unrechts
Termine / Veranstaltungen / Nach Jahren / 2010

Ein Lebenswerk gegen die Hinter­las­sen­schaften des NS-Unrechts

15. Juli 2010
Datum: Samstag, 09. Oktober 2010

Sven Lüders

Fritz-Bauer-Preis 2010 an den Richter und Rechtshistoriker Dr. Helmut Kramer. Mitteilungen Nr. 208/209 (1+2/2010), S. 17

Ein Lebenswerk gegen die Hinterlassenschaften des NS-Unrechts

Die Humanistische Union vergibt ihren diesjährigen Fritz-Bauer-Preis an Dr. Helmut Kramer. Der Bundesvorstand begründet die Entscheidung mit den herausragenden Verdiensten Kramers um ein humanes Rechtswesen in Vergangenheit und Gegenwart: „Helmut Kramer setzt sich seit Jahrzehnten für die Aufhebung von Unrechtsurteilen, für die Aufklärung der Verstrickungen und Beteiligungen von Juristen an nationalsozialistischen Verbrechen und die Aufhebung der rechtspolitischen Hinterlassenschaften dieses Regimes ein.“ Für seine Initiativen zur Aufarbeitung der jüngeren Justizgeschichte, für sein Engagement gegen das Rechtsberatungsgesetz und nicht zuletzt in Anerkennung seiner friedenspolitischen Bemühungen vergibt die Humanistische Union in diesem Jahr ihre höchste Auszeichnung an den früheren Richter am OLG Braunschweig.

Helmut Kramer hat sich der Aufhebung nationalsozialistischen Unrechts auf allen Ebenen verschrieben: Sein Name steht gleichermaßen für die Rehabilitierung der Opfer (Wiederaufnahmeverfahren Erna Wazinski), für die lokalhistorische Dokumentation der Verbrechen (Ausstellung „Braunschweig unterm Hakenkreuz“), für die Aufdeckung personeller Kontinuitäten in der bundesdeutschen Justiz (Affäre Puvogel), die Aufhebung des NS-Unrechts (Rehabilitierungsgesetze 1998 u. 2009) und die rechtshistorische Bildungsarbeit (Fortbildungen der Richterakademie, Forum Justizgeschichte, Gedenkstätte Wolfenbüttel). Dabei knüpft er nicht nur ideell an das Werk Fritz Bauers an. 1984 veröffentlicht er seinen wohl folgenschwersten Aufsatz über die Beteiligung von Juristen an der „Aktion T4“, dem nationalsozialistischen Programm zur Vernichtung „unwerten Lebens“. Aufbauend auf Voruntersuchungen Bauers – das Verfahren wurde nach dessen Tod still beendet – dokumentierte Kramer, wie 1941 alle OLG-Präsidenten und Generalstaatsanwälte dabei halfen, die massenhafte Verschleppung und den Mord behinderter Menschen juristisch abzusichern.

Die Beschäftigung mit früherem Unrecht ist für Helmut Kramer keine Frage der Vergangenheit, sondern immer auf die Gegenwart ausgerichtet. Er will jene Beliebigkeit der juristischen Methodik überwinden, die das Recht zum Instrument totalitärer Systeme werden ließ. So bemüht er sich, die Rechtsgeschichte in der juristischen Ausbildung zu verankern und die Methoden des Rechts zu historisieren. 15 Jahre lang leitet er die Sommertagungen der Deutschen Richterakademie zur NS-Justiz, gründet 1999 sein Forum Justizgeschichte. Mit seinem enzyklopädischen Wissen um Akteure, Ereignisse und Strukturen des NS-Unrechts begeistert er viele und prägt eine Juristengeneration, die sich endlich mit der Verantwortung ihrer Zunft beschäftigt.

Die Verantwortung für eine humane Zukunft lässt Helmut Kramer in den 1980er Jahren auch zum Mitstreiter der Friedensbewegung werden. 1987 beteiligt er sich an der Blockade in Mutlangen, wird wie viele andere von Richter Offenloch zu einer Geldstrafe verurteilt. Später erläutert er in einem Interview, warum ihn die Angst vor möglichen Konsequenzen nicht von der Teilnahme abhielt. Für ihn sei klar gewesen: „Wenn du dich da heraus hältst, dann hast du aus den ganzen Jahren der intensiven Beschäftigung mit der NS-Justiz und ihren Ursachen nichts gelernt.“

Zu den Lehren aus der Vergangenheit gehört für Helmut Kramer auch ein solidarisches Verständnis des Rechts. Es sind vor allem die Schwächsten der Gesellschaft, die seiner bedürfen. Mit einer Selbstanzeige und einem Verfahren bis vor das Bundesverfassungsgericht erreicht er 2008 schließlich die Aufhebung des Rechtsberatungsgesetzes. Er öffnet damit den von ihm beratenen Totalverweigerern, vielen Minderheiten und sozialen Bewegungen einen leichteren Zugang zum Recht.

Sven Lüders

Der Festakt zur Preisverleihung findet im Rahmen des Verbandstages der HU, am 9. Oktober 2010 in Köln statt. Weitere Informationen unter: www.humanistische-union.de/shortcuts/fbp.

Kategorie: Verband: Fritz-Bauer-Preis

nach oben