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„Rente für Gefangene“: Länder prüfen erstmals Umset­zungs­mög­lich­keiten

20. September 2015
Datum: Donnerstag, 18. Juni 2015

Sven Lüders

in: vorgänge 210/211 (2+3/2015), S. 242-244

Eine Petition zur Rentenversicherung für Gefangene beschäftigt derzeit die Justiz- und Sozialminister der Länder. Die Petition fordert die Einbeziehung der Gefangenenarbeit in die Rentenversicherung, die zwar seit der Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes im Jahre 1976 vorgesehen, bisher jedoch noch nicht realisiert ist. Die „Rente für Gefangene“ wird von den Initiatoren nicht nur als wichtiger Beitrag zu den Resozialisierungsbemühungen und der Angleichung der Arbeits- und Lebensverhältnisse in den Gefängnissen gesehen, sondern soll auch dabei helfen, der für viele Gefangene drohenden Altersarmut vorzubeugen. Der Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags hatte die Petition, die 2011 vom Komitee für Grundrechte und Demokratie sowie 13 weiteren Organisationen gestartet wurde – an die Bundesländer überwiesen. Angesichts einer angeblichen Blockadehaltung der Bundesländer sah sich das Parlament nicht in der Lage, dem Anliegen statt zu geben und die im Strafvollzugsgesetz angekündigte Einbeziehung der Gefangenen in die Rentenversicherung gesetzlich umzusetzen.

Mit einem offenen Brief wandten sich die Initiatoren der Petition im Frühjahr an die zuständigen Justiz- und Sozialminister der Länder. Sie forderten die Landesminister_innen zu einer Erklärung auf, dass keine Finanzierungsvorbehalte gegenüber einem solchen Gesetz bestünden (oder Vorschläge zu unterbreiten, wie diese auszuräumen sind) und die Länder einem entsprechenden Bundesgesetz zustimmen werden.

Die Justizministerkonferenz der Länder hat sich auf ihrem Treffen am 17./18. Juni 2015 mit dem Anliegen befasst und das Thema an den zuständigen Strafvollzugsausschuss der Länder überwiesen. Der Ausschuss wird aufgefordert, „Grundlagen und Auswirkungen einer Einbeziehung von Strafgefangenen und Sicherungsverwahrten für Beschäftigungszeiten während der Haft und der Sicherungsverwahrung in die gesetzliche Rentenversicherung zu prüfen und der Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister zu berichten.“ Der Strafvollzugsausschuss der Länder besteht aus den Leitern der Justizvollzugsabteilungen der Justizministerien der Länder, einer Vertreterin des Bundesjustizministeriums sowie einem Vertreter der Generalbundesanwaltschaft und tagt halbjährlich.

Im Sommer veröffentlichte das Komitee für Grundrechte und Demokratie die Antworten der Landesministerien auf den offenen Brief. Die Mehrheit der Antworten changiert zwischen einem grundsätzlichen Verständnis für das Anliegen und zahlreichen Bedenken, die vorsichtig zu erkennen gegeben werden. Die Kritik an den Folgen einer fehlenden Rentenversicherung der Gefangenen wird von manchen geteilt (etwa: Justizbehörde Hamburg), das Vorhaben als „erwägenswert“ betrachtet – jedoch müsse man dessen Vor- und Nachteile noch prüfen (Justizministerium Niedersachsen), auch weil „die Angelegenheit sehr komplex ist“ und Voraussetzungen wie Effekte einer solchen Versicherungspflicht „vertieft geprüft werden“ müssen (Berliner Senatsverwaltung für Justiz). Aus rentenrechtlicher Sicht – immerhin – bestünden „keine grundsätzlichen Einwände“, solange damit nicht die Rentenkassen und der Beitragszahler belastet würden, sondern die Länder für entsprechende Beitragszahlungen an die Rentenversicherungsträger aufkommen (Bayerisches Sozialministerium).

Wie unliebsam manchen Bundesländern der Auftrag ist, wird daran deutlich, dass die ursprünglich vom Bundestag an die Länder überwiesene Petition der Initiative von jenen inzwischen wieder zurück an den Bund verwiesen wurde, „wegen der notwendigen Änderungen bundesgesetzlicher Regelungen“ (zum Inkraftsetzen der §§ 190-193 StVollzG). Damit erklären sich Bund und Länder am Ende für nicht zuständig: der eine verweist darauf, dass er seinem gesetzlichen Auftrag nicht nachkommen könne, weil die anderen, die dafür zahlen müssten, das finanziell nicht leisten können; und die Länder entledigen sich ihrer Zahlungspflicht mit dem schlichten Hinweis, dass das nötige Bundesgesetz dafür fehle. Die gemeinsame Verantwortung für die soziale Absicherung von Gefangenen verschwindet auf diese Weise im föderalistischen Ping-Pong – ein unwürdiges Spiel.

Insofern muss man das Antwortschreiben des rheinland-pfälzischen Justizministeriums fast als verdienstvoll herausstellen, auch wenn es sich um einen zweifelhaften Verdienst handelt. Der Justizminister des Landes ist (bislang) der einzige, der das Ansinnen einer Rentenversicherungspflicht rundheraus ablehnt: „Eine Initiative des Landes Rheinland-Pfalz, mit dem Ziel die Einbeziehung der Strafgefangenen in die gesetzliche Rentenversicherung zu erreichen, wird … nicht in Erwägung gezogen.“ Das Ministerium lässt sich gleich fünf Gründe einfallen, warum eine Rente für Gefangene nicht in Frage komme:

Erstens spreche „die bestehende Rechtslage nach dem Strafvollzugsgesetz“ dagegen. Das Justizministerium argumentiert hier jedoch so zirkulär wie selektiv. Einerseits verneint es die Möglichkeit einer Änderung allein durch den Verweis auf die derzeitige abweichende Praxis – Gesetze sind aber änderbar, zumindest in der Demokratie. Zudem unterschlägt diese Behauptung, dass sich der Gesetzgeber mit dem 1977 in Kraft getretenen Strafvollzugsgesetz des Bundes selbst verpflichtet hat, die Gefangenenarbeit in die Sozialversicherungssysteme zu integrieren (§§ 190 – 193 StVollzG). Diese Absichtserklärung gehört genauso zur geltenden Rechtslage wie die Verpflichtung, Leben (und Arbeit) im Strafvollzug so weit als möglich an die allgemeinen Lebensverhältnisse anzugleichen, eine Doppelbestrafung (durch spätere Altersarmut) zu vermeiden und den Gefangenen die Chance auf eine echte Resozialisierung zu eröffnen. Ergo ließe sich aus der bestehenden Rechtslage heraus auch schlussfolgern, dass eine Anrechnung der Gefangenenarbeitszeit für die Rentenversicherung rechtlich geboten und das seit 1977 angekündigte Bundesgesetz zur Umsetzung dieses Vorhabens endlich zu verabschieden sei.

Als zweiten Einwand gegen das Vorhaben führt das Justizministerium an, dass es sich bei der Gefangenenarbeit nicht um Tätigkeiten handle, „die auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ausgeübt werden“. Die Arbeiten würden im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Gewahrsamsverhältnisses erbracht und dienten der Resozialisierung der Gefangenen. Jene sollen durch die Arbeit „einen strukturierten, ausgefüllten Tag haben, sich an regelmäßiges Arbeiten gewöhnen und die Arbeit als sinnvoll erleben“. Warum das gegen eine Anrechnung bei der Rente spricht, ist nicht verständlich. Zudem galten die „Besonderheiten“ der Gefangenenarbeit bereits Ende der 1970er Jahre, zum Zeitpunkt der Verabschiedung des Strafvollzugsgesetzes – was damals den Gesetzgeber nicht daran hinderte, die Rentenversicherungspflicht vorzusehen.

Weiterhin argumentiert das Ministerium, dass dem Land Rheinland-Pfalz die nötigen finanziellen Mittel für die Erfüllung fehlen würden. Wie hoch der finanzielle Aufwand wäre, welche Kostenbeteiligung der Arbeitgeber in Betracht kämen – all das wird aber nicht ausgeführt.

Die beiden letzten Argumente schließlich lassen daran zweifeln, ob das Justizministerium überhaupt die Prinzipien gesetzlicher Sozialversicherungssysteme anerkennt: So wird bezweifelt, ob die Rentenversicherungspflicht für Gefangene überhaupt einen Sinn mache, wenn jene vor oder nach ihrer Haft auch keiner versicherungspflichtigen Tätigkeit nachgehen – natürlich „ohne dass [uns] dafür konkrete Zahlen zur Verfügung stünden.“ Mit der gleichen Begründung könnten aber auch Langzeitarbeitslose aus den Versicherungssystemen ausgeschlossen werden. Schließlich befürchtet das Ministerium, dass die vom Land zu entrichtenden Rentenbeiträge „nicht in erster Linie den Gefangenen, sondern der Gesamtheit der Rentenbezieher über die Rentenkasse zu Gute“ kämen. Wenn es aber danach ginge, dürfte kaum noch jemand in die gesetzliche Rentenversicherung einzahlen, denn deren „Erträge“ schneiden im Vergleich zu privaten Vorsorgeangeboten eigentlich immer schlechter ab.

Bleibt nur zu hoffen, dass die anderen Bundesländer sich der Verweigerungshaltung von Rheinland-Pfalz nicht anschließen und die vom Strafvollzugsausschuss der Länder erstellten Informationen ernsthafter prüfen.

Sven Lüders: Weiter keine Rentenversicherung für Gefangene, vorgänge Nr. 205 (Heft 1/2014), S. 51/52

Sven Lüders: Petition zur Rentenversicherung für Strafgefangene gestartet, HU-Mitteilungen Nr. 213 (2/2011)

Kategorie: vorgänge: Artikel, Gefangenenarbeit

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