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Die Krise unseres Gesund­heits­sys­tems

30. Juni 1976
Datum: Montag, 03. August 2020

Klaus Waterstradt

aus: vorgänge Nr. 21 (Heft 3/1976), S. 33-39

Es geht um menschliche und es geht um wirtschaftliche Fragen in der Diskussion um unser Gesundheitssystem. Die einen sagen: Es ist das beste auf der Welt – die anderen sagen: dies System muß grundlegend verändert werden.
Systemveränderer sind bei uns anrüchig, besonders seitdem starke restaurative Strömungen die bisher eingeleiteten Reformansätze fortspülen, weil sie Geld kosten, das mangels wirtschaftlichen Wachstums nicht in wünschenswertem Maße zur Verfügung steht.
Aber auch die Vertreter des „besten Gesundheitssystems der Welt“ müssen unter dem Druck weithin wachsender Kritik einräumen, daß das teuerste Gesundheitssystem nicht eine entsprechende Effizienz aufweist und daß es „Auswüchse, Engpässe, Versorgungslücken und schwarze Schafe“ gibt.
Das Lamento über die Kostenexplosion und ihre Verursacher sowie die teils von wenig Sachkenntnis getragenen, teils planlosen, am Symptom kurierenden Versuche zur Dämpfung weiteren Ausgabenwachstums orientieren sich im wesentlichen an der ökonomischen Situation.
Humane Gesichtspunkte, die eigentlich Anlaß und Motor aller Schritte in der Gesundheitssicherung sein müßten, werden nur zur Bemäntelung und als Alibi für Forderungen nach wirtschaftlichen Notwendigkeiten angeführt.

Immer aber werden Vorwürfe und Anschuldigungen auf beiden Seiten anonym und mit pauschaler Argumentation erhoben. Nicht etwa, daß die mehr oder minder kompetenten Autoren die Urheberschaft für mehr oder minder erhellende Veröffentlichungen verleugnen wollten. Sie schwimmen auf der Welle der Aktualität.
Doch die Angegriffenen werden als anonyme Gruppen oder Verbände beschuldigt: die Ärzte, die Versicherten, die Pharma-Industrie, die Gesetzgeber, die Krankenhäuser, die Kostenträger.
So können sich emotionale Aktionen und Reaktionen in ihrer Wechselwirkung verstärken. Das einzelne Glied der pauschal beschuldigten Gruppe wird mit in den großen Topf geworfen, gleichgültig, ob es sich mit ihr identifiziert oder nicht.
Unter Ärzten gibt es solche, die sich in ständiger Hilfsbereitschaft für das Wohl ihrer Patienten ohne Rücksicht auf ihre eigene Gesundheit aufopfern, und solche, die in ihrer Berufsausübung ein Gewerbe sehen, in dem nach kaufmännischen Gesichtspunkten möglichst große Umsätze mit Profit gemacht werden.
Unter den Versicherten gibt es solche, die die Sozialversicherung auszunutzen trachten, und solche, die die Errungenschaften des Sozialstaates nur im äußersten Notfall in Anspruch nehmen.
In der Pharma-Industrie ist eine Differenzierung noch schwerer als im Krankenhauswesen, weil es beiden an Transparenz mangelt.
Der Gesetzgeber ist bemüht, Reformen der sozialen Sicherung voranzutreiben, deren Auswirkungen oft nicht bis in die letzte Konsequenz vorauszuberechnen sind.
Die Kostenträger schließlich stehen vor der Situation, höhere Einsätze fordern zu müssen oder bestimmte Leistungen nicht mehr erbringen zu können.

Gehen wir also von der bestehenden Lage aus, dann ergibt sich die erste Frage: Welche Mittel stehen für unsere Gesundheit zur Verfügung und wer bringt sie auf?
Dabei stößt man dann neben den großen Posten, die in Krankenversicherung, Unfallversicherung und Rentenversicherung von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebracht werden, auf die Steuermittel, die für die Gesundheitsverwaltung, die Versorgungsämter, die Gesundheitsmaßnahmen der Arbeits- und Sozialverwaltung sowie für Forschung und Lehre bereitgestellt werden müssen. Hinzu kommen die Mittel, die von den gemeinnützigen Wohlfahrtsverbänden aufgebracht werden.

Diese Mittel nun in ihrer Gesamtheit stehen unserem Gesundheitssystem zur Verfügung, d.h. sie werden zweckgebunden bereitgestellt und damit stehen wir vor der zweiten Frage: Wohin fließen die Mittel, die für unsere Gesundheit aufgebracht werden?
Unter diesem Aspekt treten uns wieder entgegen die vielzitierten Ausgabenberge in der stationären Behandlung, das Honorarverteilungssystem in der ambulanten Behandlung zuzüglich der Kassenleistungen bei Verordnungen und Arbeitsunfähigkeit und die Kosten für die Arzneimittelindustrie, aber auch die aus Steuermitteln ausgewiesenen Ausgaben für das gesamte öffentliche Gesundheitswesen im weitesten Sinne, für Mutterschutz, Arbeitssicherheit, Versorgungsmedizin, Forschung und Lehre und vieles mehr, insbesondere für die so dringend ausweitungsbedürftige öffentliche Aufklärung.

Unter dem Druck der derzeitigen Situation, in der bei aller Kritik an einzelnen Fehlleistungen den Publikationsorganen und Medien das große Verdienst zukommt, ein Gesundheitsbewußtsein unter den Bürgern zu wecken und zu verbreiten, kommt einer gezielten sozialmedizinischen Aufklärung entscheidende Bedeutung zu. Hierbei geht es um die Verbreitung der sozialmedizinischen Erkenntnis – nicht nur unter den betroffenen Verbrauchern der Ware „Gesundheitsmaßnahmen“, sondern auch unter ihren Anbietern -, daß Gesundheit und Krankheit abhängig sind vom Eingebettetsein in Familie, Umwelt und Arbeitsplatz und daß die von allen Bürgern dafür aufzuwendenden Mittel in unmittelbarem Verhältnis stehen zum individuellem Wohlbefinden und damit zur kollektiven gesundheitlichen Sicherung.
Wir müssen einsehen lernen, daß das Anreizen zum Konsum bestimmter Güter, die z.T. als Statussymbole anzusehen sind, die primären menschlichen Bedürfnisse verdrängt und eine gesundheitsschädigende Lebensweise herbeiführt, die im Zusammenwirken mit anderen Schädigungen und Umwelteinflüssen eine krankmachende Wirkung ausübt.
Um mit Hans Schaefer zu sprechen: „Überkonsum an Kalorien und Genußgiften, insbesondere das Rauchen, die Bewegungsarmut, falsche Ernährungsformen, insbesondere aber die Hetze und der Zeitdruck, mit denen das moderne gesellschaftliche Leben untrennbar gekoppelt ist, sind nachweislich die verbreitetsten Ursachen unserer Krankheiten. Wenn man so will, läßt sich das Finanzproblem der Medizin auch so formulieren, daß der Durchschnittspatient viel Geld ausgibt, damit sein Arzt herausfindet, wie weit er, der Patient, seine Gesundheit durch sein Verhalten schon ruiniert hat.“
Allerdings muß hier die Aufklärung auch so vorgehen, daß nicht der Eindruck entsteht, durch „Konsumverzicht“ oder ein einfaches Verbot etwa von Alkohol- und Tabakverkauf könnten kurzfristig maßgebliche Erfolge erzielt werden. In diesem Fall würden nämlich dem Staatshaushalt wiederum erhebliche Summen an Steuereinnahmen verlorengehen, denen über Jahre kein angemessener Ausgleich gegenübersteht, weil die Erfolge einer weiter verbreiteten und länger anhaltenden Gesundheit nicht schlagartig eintreten können.

Aber dies Beispiel zeigt gerade wieder die Notwendigkeit einer umfassenden und permanenten Aufklärung. Es berührt immer wieder enttäuschend, mit welcher Naivität hier und da großangelegte Informationsveranstaltungen von Organisationen oder Medien nicht etwa als gesteuerte Kampagne, sondern völlig ungezielt nach den Intentionen eines Urhebers durchgeführt werden. Die großen Anstrengungen von Aufklärern und Redakteuren verpuffen so auch als noch so brillantes Feuerwerk und geraten damit in den Bereich der Unwirtschaftlichkeit.
Die Versuche, den Kostenanstieg nur dem Leistungsbegehren der Versicherten anzulasten, sind ebenso unzulänglich, wie das Bestreben, den überdurchschnittlichen Profit der Ärzte allein verantwortlich zu machen. So wie es Patienten gibt, die Urlaubswünsche auf Kassenkosten äußern oder die mit einer vorgefertigten Wunschliste den Arzt wechseln, wenn
er nicht zu ihrer Erfüllung bereit ist, ebenso gibt es Ärzte, die unkritisch. eine unzumutbare Skala von Medikamenten verschreiben, die sich zum Teil gegenseitig nicht vertragen, zum Teil nicht eingenommen werden, oder solche, die ohne Untersuchung arbeitsunfähig und arbeitsfähig schreiben.

Das demokratische Prinzip der Selbstverwaltung in den Organen der Körperschaften, Verbände und Versicherungen muß so koordiniert werden, daß Spitzenorganisationen die von der Basis aufgezeigten Schwierigkeiten und Besonderheiten sofort umsetzen können in verbindliche Beschlüsse zu allgemeingültigen Informationen, die in anhaltenden Aufklärungskampagnen den Anbietern und Abnehmern der „Ware Gesundheit“ alle gebotenen Notwendigkeiten drastisch vor Augen führen.

Die „Grenzen des Sozialstaates“ sind nie erreicht. Der soziale Staat beruht darauf, daß alle seine Bürger in solidarischer Leistungsbereitschaft füreinander einstehen. Deshalb ist der Abbau von Sozialleistungen und der Ruf nach „Selbstbeteiligung“ des gesetzlich Versicherten, dessen Versicherungsbeitrag ja bereits seine Selbstbeteiligung ist, kein taugliches Mittel zur Eindämmung des Kostenanstiegs. Wir haben in den Zeiten der „Prämienrückgewähr“ den Beweis dafür hinnehmen müssen, daß kurzsichtige Interessen unaufgeklärter Bürger gesundheitsabträgliche Verhaltensweisen provozieren. Auch sind in den Systemen, die mit Selbstbeteiligung arbeiten, die Kostensteigerungen ebenfalls nicht verhindert worden.
Weil Selbstbeteiligung den notwendigen Gang zum Arzt oder in das Krankenhaus hinauszögern oder aufzuhalten droht, können Krankheiten unerkannt bleiben oder verschleppt werden. Dies führt zu steigendem Gesundheitsrisiko und dadurch langfristig zu negativen Auswirkungen auf die Kostenentwicklung. Selbstbeteiligung kann also das Gegenteil der beabsichtigten Wirkung hervorrufen.
Im übrigen sollte in einem Sozialstaat auch nicht mit dem Versuch gespielt werden, den Versicherten, der durch eine mit Milliarden steuerbegünstigte Werbung für gesundheitsschädigende Produkte, durch raffinierte psychologische Konsumanreize zum gesundheitswidrigen Verhalten veranlaßt wurde, danach zu disziplinieren, indem die eintretenden Folgen durch Selbstbeteiligung mit Strafen belegt werden.

Zur Verhinderung unbegrenzter Ausgabensteigerungen in unserem Gesundheitswesen können außer der in erster Linie angeführten umfassenden Aufklärung die Maßnahmen der Vorsorge und Früherkennung beitragen. Damit könnte langfristig bei größerer Inanspruchnahme eine weitere Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Mehrzahl der Bürger aufgehalten werden. Außerdem sind alle an der Sozialversicherung direkt oder indirekt Beteiligten, nicht zuletzt der Gesetzgeber, zur Mitwirkung aufgerufen.
Neue kostenintensive Gesetze sollten mit genauesten Vorausberechnungen in bezug auf Kostendeckung behandelt werden. Allein das so segensreiche Rehabilitationsangleichungsgesetz erbrachte nach vorläufigen Schätzungen 1975 rund 500 Mill DM Mehraufwendungen, die 1976 auf 550 Mill DM veranschlagt werden. Mit diesem Gesetz wurde die Angleichung aller Sach- und Barleistungen sämtlicher Rehabilitationsträger erreicht, ebenso wie die nahtlose Einleitung erforderlicher Maßnahmen unabhängig von der notwendigen Feststellung des zuständigen Kostenträgers.
Die medizinischen Leistungen umfassen z.B. Kuren, ärztliche Behandlung, Arznei- und Hilfsmittel, Ausstattung mit orthopädischen Hilfsmitteln, Belastungserprobung und Arbeitstherapie.
Die beruflichen Rehabilitationsleistungen umfassen vor allem Umschulung, Ausbildung, Fortbildung, Berufsfindung und Hilfen zur Erlangung eines Arbeitsplatzes.

Den größten Kostenanstieg bewirken die Krankenhäuser, die ambulante ärztliche Versorgung und die Pharmaindustrie. Der durchschnittliche Pflegesatz für Unterbringung, Beköstigung, Untersuchungsmaßnahmen und Behandlung beträgt im Bundesdurchschnitt zur Zeit 150 DM. Nach den bisherigen Hochrechnungen kann bis 1985 ein Tagessatz von 500 DM erreicht werden.
Dabei ist dem Bürger das Ansteigen der Krankenhauskosten noch relativ plausibel, weil von der Klinik optimale Leistungen erwartet werden. Auf einen Patienten trifft fast schon ein Krankenhausangestellter und auf einen Arzt kommen im Schnitt 10 – 15 Patienten. Ein Krankenhausneubau kostet pro Bett durchschnittlich 200 000 DM gegenüber 25 000 DM noch 1956. Technische Einrichtungen sollen auf dem neuesten Stand der medizinischen Wissenschaft sein. Sie sind bekanntermaßen personalintensiv. Die Personalkosten betragen im Krankenhaus ca. 70 – 75 %. Allerdings ist zur wirtschaftlichen Betriebsführung der meisten öffentlichen Krankenhäuser eine Änderung des Betriebs- und Buchungssystems erforderlich. Auf die Vorschläge der Gewerkschaft  ÖTV und der Bundesverbände der Krankenkassen kann hier verwiesen werden.
Mit einer Senkung der durchschnittlichen „Verweildauer“ allein (im Bundesdurchschnitt Kürzung um einen Tag = eine Mrd DM pro Jahr) ist keine Kostensenkung zu erreichen, denn jedes Krankenhaus muß bemüht sein, jedes freie Bett im Sinne einer wirtschaftlichen Betriebsführung zu belegen. Hier hilft nur eine genaue Analyse des Bedarfs und die Festsetzung der erforderlichen Zahl von Akut-Betten und von Betten im Bereich der „flankierenden Maßnahmen“ in den Landeskrankenhausplänen, die unter Mitwirkung aller im Gesundheitswesen relevanten Gruppen erstellt werden müssen.

An Arzthonoraren zahlten die Krankenkassen der Bundesrepublik 1974 ca. 10 Mrd DM. Einzelheiten der Jahreseinkommen gingen durch alle Presseorgane. 1954 wurden für einen Versicherten im Bundesdurchschnitt 3,5 Krankenscheine ausgegeben. Heute sind es pro Jahr 6,5 Scheine.
1972 betrugen die Ausgaben für gesundheitliche Zwecke mehr als 11% des Bruttosozialprodukts. Sie setzen sich zusammen aus 55% ambulanter und stationärer Behandlung einschließlich Arznei-, Heil- und Hilfsmittel. Der Einkommenssicherung der Versicherten durch Barleistungen dienten 30%. Der Rest von 15% fällt auf Ausbildung und Forschung (natürlich ohne industrielle Forschung) und Vorbeugung. Die Kosten für Gesundheitssicherung stiegen von 1968-1972 um 4% mehr als das Bruttosozialprodukt.
Während Bruttolöhne und -gehälter in den letzten zehn Jahren um 8,5% jahresdurchschnittlich stiegen, betrug die Umsatzsteigerung je Kassenarzt unter Einbeziehung der Vorsorgeuntersuchungen ca. 13 %.
Der Begriff der „doppelten Dynamisierung“ der ärztlichen Einkommen besagt, daß außer den jährlich vereinbarten Tarifsteigerungen, die bisher länderweise zwischen den kassenärztlichen Vereinigungen und den Landesverbänden der Krankenkassen und jetzt erstmalig auf Bundesebene ausgehandelt werden, eine Steigerung der Fallzahlen und eine Steigerung der Leistungen pro Fall eintritt.
Teure technische Einrichtungen von Kliniken und Zentren könnten für ambulanten Einsatz rein zeitlich wirtschaftlicher genutzt werden. Von seiten kassenärztlicher Funktionsträger wurde z.B. der Vorschlag einer Abzeichnungspflicht der Leistungen durch den Versicherten auf dem Abrechnungsschein gemacht. Auch dadurch ist wohl mit Sicherheit eine Kostendämpfung zu erwarten.
Zahnärztliche Honorare stiegen noch höher an. Mehraufwendungen für Zahnersatz werden für 1975 auf 1,2 und 1976 auf 1,4 Mrd geschätzt.

Die Steigerungsrate für Arzneimittel ufert aus. Für mindestens 75 000 auf dem Markt befindliche (davon 25 000 verschreibungspflichtige) Arzneimittel, die über die 14 000 Apotheken vertrieben werden und deren subventionierte Werbungskosten auf 1,4 Mrd geschätzt werden, mußten die Krankenkassen 1974 rd. 8 Mrd DM bezahlen (siebeneinhalbmal soviel wie 1960). Dabei erbringen 2000 führende Medikamente 95% des Umsatzes in den öffentlichen Apotheken! Dies spricht für sich. Die Pharmaindustrie läßt zum Thema Arzneimittelgesetz und Krankenkassen u.a. erklären: „Der Mangel liegt im System.“ Dies ist es ja eben, was verändert werden müßte.
Änderungen im vorliegenden Gesetzentwurf zur Reform des Arzneimittelrechts werden jedoch bereits wieder zugunsten der Pharmaindustrie durchgesetzt. Auch der Versuch, eine vernünftige Preisgestaltung zu erreichen, um den Kassen als größtem Verbraucher mehr Rechte einzuräumen und den Versicherten vor überhöhten Preisen zu schützen, wird bereits im Keim erstickt.
Dabei besagt ein im Bundesgesundheitsministerium unter Verschluß befindliches Gutachten des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, daß die Teuerungsrate in den Gewinnspannen der Arzneimittelindustrie durchaus aufgefangen werden könnte und daß darüber hinaus Preissenkungen durchschnittlich über 20 % möglich seien, die je zur Hälfte von Herstellern und vom Handel getragen werden müßten.

Die Zahl der Rentner wächst ständig. Die gesetzliche Krankenversicherung der Rentner kostete 1974 rd. 14,1 Mrd DM und dürfte sich bis 1978 auf 29,1 Mrd mehr als verdoppeln. Diese Zahlen verdeutlichen die Rolle der älteren Menschen im System der ärztlichen Versorgung.
Weil wir entweder unser Bewußtsein mehr auf die allseitige Verantwortlichkeit in der Solidargemeinschaft richten oder eben ständig größer werdende Aufgaben in Kauf nehmen müssen, deshalb muß eine wachsende Transparenz der Ausgabenseite jedem betroffenen Bürger den Weg zur Stabilität durchschaubar machen.
Die Ausgaben der Krankenversicherung betrugen 1960 9,5 Mrd DM, dagegen waren es 1974 bereits 51,5 Mrd DM.

Der Arbeitnehmer zahlt 30 % seiner Einkünfte für die gesetzliche Sozialversicherung. Er kann diese Belastung nirgendwohin abwälzen und ist das letzte und schwächste Glied in der Kostenkette.
Bleibt es also in unserem einseitigen Gesundheitssystem bei dem resignierenden Satz von Hans Schaefer: „In der kranken Medizin spiegeln sich die Laster unserer Gesellschaft wider. Eine jede Zeit hat sozusagen auch die Medizin und die Ärzte, die sie verdient“?

Ein Wandel ist möglich durch die Veränderung dieses Systems. Die anfangs angesprochene anhaltende und intensive Aufklärung und Information aller Bürger kann die Anonymität der Einrichtungen unseres Gesundheitswesens beenden und ihre Transparenz kann die Differenzierung der Erfordernisse von Soll und Haben herbeiführen:

a) Stärkung der Bereitschaft des Bürgers zu selbstverantwortlicher Lebensweise.
b) Ausbau von Vorsorge und Früherkennung.
c) Entlastung kostenaufwendiger Akutkrankenhäuser durch flankierende Maßnahmen einschließlich wirtschaftlicher Betriebsführung.
d) Verbesserung der ambulanten Versorgung unter Einbeziehung technischer stationärer und zentraler Einrichtungen sowie Überprüfung eines angemessenen Kostenaufwandes.
e) Verbesserung von Planung im Gesundheitssystem und ihre Erfolgskontrolle.

Kategorie: vorgänge: Artikel, Sozialstaat

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