HU-BB-Gespräche: Ist das angekündigte „Versammlungsfreiheitsgesetz“ für Berlin besser als der Ist-Zustand?
Datum: | Dienstag, 18. August 2020 |
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Uhrzeit: | 18:00:00 Uhr |
Das Gespräch ist online:
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Als SPD, Linke und Bündnis 90/Die Grünen 2016 ihren Koalitionsvertrag „Berlin gemeinsam gestalten. Solidarisch. Nachhaltig. Weltoffen.“ vorstellten, lobte die Humanistische Union Berlin-Brandenburg die vielen guten bürgerrechtlichen Projekte. Seitdem herrschte in der Innenpolitik ein Stillstand, der erst vor wenigen Wochen durch die Präsentation von Änderungen im ASOG (dem Berliner Polizeigesetz), eines Versammlungsfreiheitsgesetz und der Stelle einer unabhängigen Polizeibeauftragten aufgelöst wurde.
Über den Entwurf zum Berliner Versammlungsfreiheitsgesetz reden wir am
Dienstag, den 18. August 2020,
um 18.00 Uhr Uhr
in https://vk1.minuskel.de/b/axe-2pm-3p7
mit
Sebastian Schlüsselburg (MdA, rechtspolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke),
Burkard Dregger (MdA, innenpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion),
Stephan Kelm (stellvertretender Landesvorsitzender Gewerkschaft der Polizei) und
Michèle Winkler (Referentin, Komitee für Grundrechte und Demokratie).
Seit der Föderalismusreform von 2006 dürfen Bundesländer Versammlungsgesetze beschließen, die dann das gültige Bundesversammlungsgesetz ablösen. Bis jetzt haben nur wenige Bundesländer ein eigenes Versammlungsgesetz beschlossen. Auch Berlin beließ es bei einer für die Polizei Bild- und Tonaufnahmen ermöglichenden Ergänzung zum Bundesversammlungsgesetz.
In den vergangenen Jahren wurde Berlin zur Hauptstadt der Versammlungen. 2019 gab es über 5350 Versammlungen. Fast alle verliefen friedlich. Thematisch präsentierten sie das gesamte Spektrum von Meinungen und politischen Konflikten in Berlin, Deutschland und auch dem Rest der Welt. Wenn gegensätzliche Meinungen aufeinandertrafen, gelang es der Polizei, dass beide Meinungen sich Gehör verschaffen konnten. Immer wieder strittig sind die Auflagen für das Durchführen einer Versammlung und die anschließende Durchsetzung dieser durch die Polizei.
Berlin will mit seinem Versammlungsfreiheitsgesetz, so nennt die Regierungskoalition ihren Entwurf, ein deutschlandweites Vorbild für ein demokratieförderndes und grundrechtskonformes Versammlungsgesetz liefern.
Sebastian Schlüsselburg (MdA, Die Linke): „Mit diesem Gesetz schaffen wir bundesweit eines der liberalsten Versammlungsgesetze und stärken die Rechte der Demonstrant*innen. Künftig werden die gerade zu Corona-Zeiten vielfach verletzten Rechte auf Gegenproteste in Hör- und Sichtweite und der ungehinderte Zugang zu Versammlungen ausdrücklich im Gesetz geregelt. Das Vermummungs- und Schutzausrüstungsverbot wird bundesweit einmalig nur noch auf das tatsächliche Verwenden zu dem unter Strafe stehenden Zwecken gekappt.“
Frank Zimmermann (MdA, SPD): „Wir schaffen ein modernes Versammlungsrecht, das einen effektiven Grundrechtsschutz bietet und an die guten Erfahrungen der Berliner Praxis aus zwei Jahrzehnten anknüpft. Gleichzeitig regeln wir präzise Eingriffsbefugnisse der Polizei und stellen damit die erfolgreiche Arbeit der Berliner Polizei auf eine sichere Rechtsgrundlage. Das Gesetz setzt aber auch dem Missbrauch der Versammlungsfreiheit durch rassistische und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder durch Gewalttaten klare Grenzen.“
Benedikt Lux (MdA, Bündnis 90/Die Grünen): „Demonstrationen gehören zu einer lebendigen Demokratie. Höchste Zeit also, dass wir das Versammlungsrecht ins 21. Jahrhundert holen! Bundesweit erstmalig schreiben wir das in Berlin seit Jahren erfolgreiche Deeskalationsgebot für Versammlungsbehörde und Polizei gesetzlich fest. Das macht unsere Grundsatzhaltung deutlich: Im Zweifel für die Versammlungsfreiheit. Auch die Bannmeile für das Parlament wird erheblich reduziert, so dass künftig auch gegenüber dem Abgeordnetenhaus demonstriert werden kann.“
Burkard Dregger (MdA, CDU): „Wir prüfen den Gesetzentwurf zu einem Berliner Versammlungsgesetz derzeit. Es ergeben sich eine Vielzahl von ungelösten Rechtsfragen, weshalb sich die Frage stellt, wozu das Gesetz erforderlich ist, verfügen wir doch über ein bewährtes Versammlungsgesetz des Bundes und umfangreiche Rechtsprechung hierzu, die zusammen genommen für ein Höchstmaß an Versammlungsfreiheit sorgen.
Ein Teil der Regelungen der rot-rot-grünen Koalition dient erkennbar dem Zweck, den Krawalltourismus zu befördern. Wenn z.B. in § 27 die Durchführung von nicht angemeldeten Versammlungen unter freiem Himmel nicht mehr als Straftat behandelt werden, so ist das ein Entgegenkommen gegenüber den Krawallmachern, die den 1. Mai als Tag der Arbeit zu Hass und Gewalt missbrauchen und die dortige 18-Uhr-Demonstration regelmäßig nicht anmelden.
Unzureichend geregelt sind auch die Einsatzmöglichkeiten der Polizei, um Gewalt aus Demonstrationen heraus wirksam zu bekämpfen.
Ferner fehlen die notwendigen gesetzlichen Voraussetzungen für das Verbot der alljährlichen Al-Quds-Demonstrationen. Wenn man schon ein neues Versammlungsgesetz schafft, dann sollten die Verbotsvoraussetzungen hierfür punktgenau geregelt werden. Dabei geht es um Aufzüge, die direkt oder indirekt zur Vernichtung Israels aufrufen und/ oder antisemitische Hassparolen verbreiten. Eine derartige Regelung wäre auch zum Schutze anderer bzw. aller Staaten denkbar.“
Stephan Kelm (GdP): „Die bisherige Vorlage kann nur ein erster Entwurf sei. In der Vorlage sind viele Dinge enthalten, bei denen noch Gesprächsbedarf herrscht. Dass Video- und Tonaufnahmen in Zukunft grundsätzlich offen erfolgen müssen, behindert polizeiliche Maßnahmen und wird so nicht funktionieren. Wir sehen auch Klärungsbedarf bei der Ermöglichung des ungehinderten Zugangs zu einer Versammlung, der Regelungen zur Vermummung, den Wegfall vom Tatbestand Zusammenrottung, der Nichtregelung auf sonstige Veranstaltungen und der Erkennbarkeit der anwesenden Polizeikräfte. Meine Kolleginnen und Kollegen schützen die Versammlungsfreiheit und der Begriff Deeskalation wurde in Berlin erfolgreich erprobt. Wir fordern die gleiche Kooperation vom Versammlungsleiter und stehen für Gewaltverhinderung. Dieses Gesetz in dem Entwurf trägt nicht zur Gewaltabschöpfung bei, sondern fördert diese gegenüber der Polizei.“
Michèle Winkler (Komitee für Grundrechte und Demokratie): „Die Versammlungsfreiheit hat in der parlamentarischen Demokratie einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert, da sie das unmittelbarste Werkzeug gelebter Demokratie darstellt und eine der wenigen Möglichkeiten darstellt, sich außerhalb der Parlamente wirksam Gehör zu verschaffen. Insofern ist ein Gesetzesvorhaben, das antritt die Versammlungsfreiheit zu schützen und zu fördern, sehr begrüßenswert. An diesem Anspruch muss sich das nun vorgelegte „Versammlungsfreiheitsgesetz“ messen lassen. Wir stellen aber fest, es greift an einigen Stellen deutlich zu kurz. Es ist sicher ein Fortschritt, die stehende Rechtsprechung zur Versammlungsfreiheit in Gesetzesform zu gießen, doch das genügt eben nur den grundrechtlichen Mindestanforderungen. Darüber hinaus ist wenig Mut zu mehr Demokratie und Progressivität zu erkennen. Der wohl wichtigste Kritikpunkt ist das Versäumnis, den Schutz der Versammlungsfreiheit direkt in die Hände einer eigens zu schaffenden Versammlungsbehörde zu legen, die mit dem erklärten Auftrag auszustatten gewesen wäre, im Sinne der freien Grundrechtsausübung zu agieren. Der Gesetzesentwurf überträgt sämtliche Regelungsvorgaben auf die Polizei, was dem Prinzip der Polizeifestigkeit von Versammlungen zuwider läuft und allein damit schon einen einengenden Charakter auf die Versammlungsfreiheit hat.
Auch um die geplanten Möglichkeiten, Versammlungen gänzlich zu verbieten, wird noch gerungen werden müssen. Nicht zuletzt, weil die vorgelegten Formulierungen sehr umfangreich, komplex und gleichzeitig schwammig sind.“
Rückschau
Das Gespräch mit Frank Zimmermann (MdA, SPD), Burkard Dregger (MdA, CDU) und Benjamin Jendro (GdP) zur ASOG-Reform kann hier angesehen werden:
Das Gespräch mit Benedikt Lux (MdA, Bündnis 90/Die Grünen), Norbert Cioma (GdP) und Lukas Theune (RAV) über den Gesetzesentwurf zur Unabhängigen Polizeibeauftragten kann hier angesehen werden:
Weiterführende Links:
Gesetzesentwurf der Regierung zum „Versammlungsfreiheitsgesetz Berlin (VersFG BE)“ (Drucksache 18/2764 vom 2. Juni 2020): https://www.parlament-berlin.de/ados/18/IIIPlen/vorgang/d18-2764.pdf
Die Presseerklärung dazu: https://www.linksfraktion.berlin/abgeordnete/sebastian-schluesselburg/detail/news/neues-versammlungsfreiheitsgesetz-effektiver-grundrechtsschutz-und-sicherheit/
Homepage von Sebastian Schlüsselburg: www.sebastian-schluesselburg.de
Homepage von Burkard Dregger: https://www.burkard-dregger.berlin/
Homepage der Gewerkschaft der Polizei, Landesverband Berlin: https://www.gdp.de/gdp/gdpber.nsf/id/home_de
Homepage des Komitee für Grundrechte und Demokratie: https://www.grundrechtekomitee.de/