HU und "Neo"-Nazis
Datum: | Sonntag, 26. April 1981 |
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Überlegungen nach einer HU-Veranstaltung zum Thema Rechtsextremismus
Der Ortsverband München stellt einen Antrag an die Delegierten-Konferenz der HU, nach dem sich die HU sowohl bundesweit als auch in den lokalen Verbänden unter verschiedenen Aspekten mit dem Problem „Rechtsextremismus“ befassen soll. Wir haben bei der Formulierung dieses Antrags ganz bewußt auf eine Begründung verzichtet; angesichts des Attentats auf dem Oktoberfest mit 12 Toten und 26 dauerhaft erwerbsunfähig bleibenden Opfern, angesichts der Berichte über Statistiken des Bundesinnenministertums und zunehmender „kleinerer“ Terroranschläge der Nazis, angesichts der „Sinus“-Studie zum Rechtsextremismus-Potential in der Bundesrepublik scheint sie uns überflüssig.
Der OV München hat sich dieses Themas als einer der wichtigsten innenpolitischen Herausforderungen bereits angenommen; die Erfahrungen, die wir speziell mit unserer Veranstaltung „Rechtsextremistische Organisationen und Propaganda in der Bundesrepublik – Was läßt sich wirksam dagegen tun?“ Ende März machen konnten, seien hier kurz angeführt.
Die Veranstaltung beschäftigte sich primär mit der Frage: Soll man ein Verbot faschistischer Gruppen und deren Agitation fordern – eingedenk der schlimmen Erfahrungen mit dem berüchtigten „Republikschutzgesetz“ von 1922, einem Gesetz also, das gegen die Faschisten verabschiedet, aber gegen die Linken (KPD, Gewerkschaften etc.) angewendet wurde? Dazu hatte der OV München jeweils Referenten aus dem „Lager“ der Befürworter wie der Gegner solcher Verbote elnqeladen: Alfred Haag (Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, VVN-BdA), der auch Sprecher der Internationalen Lagergemeinschaft Dachau ist, Christian Lehsten vom Anti-Strauß-Komitee (ASK) und „prominenter“ .Münchner Antifaschist, Johann Freudenreich, Kriminalreporter der Süddeutschen Zeitung als Befürworter, Hartmut Wächtler (Rechtsanwalt und Verteidiger) und Dr. Hans Robinsohn (HU) als Gegner solcher Verbote; die Einführung (P.-M. Einsporn, HU) beschränkte sich auf Daten und Fakten über Neonazis (Sinus-Studie etc.).
Wie fast immer bei Veranstaltungen über Faschisten, saßen die Objekte der Referate im Publikum; darauf war man eingestellt, auch auf ihre provozierenden Zwischenrufe, die abnahmen, als Gerd Hirschauer, der Versammlungsleiter, ihrem Rädelsführer zusagte, er könne bei der Diskussion mitreden; als er dann aufgrund seines Diskussionsbeitrags, der nicht – wie von Gerd Hirschauer zur Bedingung gemacht – zum Thema paßte („in der Bundesrepublik herrscht Ochlokratie, also eine Herrschaft des Pöbels“), des Saals verwiesen wurde, war das für seine Schläger das Signal, wahllos mit Fäusten und Stühlen auf Zuhörer einzuschlagen. Innerhalb drei Minuten hatten wir die Nazis zwar aus dem Saal befördert, die Diskussion ging auch weiter, aber natürlich anders als z. T. geplant („was geht in diesen Leuten vor?“), und leider hatten auch einige Besucher die Veranstaltung aus Angst verlassen; die Personalienangaben etc. bei der herbeigerufenen Polizei machten das Ganze zusätzlich unruhig.
Was ist nun für uns, für die HU, aus einer solchen Erfahrung zu lernen?
1. Wieder einmal wurde die SA-Strategie der faschistischen Gruppen sichtbar:
a) in Veranstaltungen des Gegners gehen, b) sie stören und c) möglichst in eine eigene Selbstdarstellung umfunktionieren bzw. wenn c) nicht klappt, d) die Veranstaltung sprengen. Der größte Fehler, den ein Versammlungsleiter da machen kann, ist, die Veranstaltung, auch tatsächlich aufzulösen, denn damit hätten die Nazis ihr Ziel erreicht. Man stelle sich vor:
„Neonazis sprengen HU-Veranstaltung“ als Schlagzeile im Lokalteil – ein riesiger Erfolg für die faschistischen Splittergruppen und die hinter ihnen stehenden Geldgeber.
2. Wovor wir uns hüten sollten, ist, aus unserer allgemeinen toleranten Einstellung den Fehlschluß zu ziehen, auch die Nazis hätten Anspruch auf Propaganda-Freiheit. Das Grundgesetz, auf das wir uns als HU immer berufen, kennt die Verwirkung von Grundrechten (GG Art. 18). Wer hätte in diesem Land seine Grundrechte nicht verwirkt, wenn nicht die „Nationalsozialisten“? Logischerweise „argumentieren“ die Nazis, gerade bei der HU mit der Grundrechtsfrage: Auch wir haben ein Recht auf Meinungsfreiheit etc. (was dabei mit Meinungsfreiheit gemeint ist, zeigt der Verlauf unserer Veranstaltung).
3. Einen weiteren Fallstrick legen Leute z. T. aus unseren eigenen Reihen, die die berechtigte Frage nach den psychologischen Ursachen faschistischer Haltungen mit der Bekämpfung derer Träger verwechseln; wenn ich z. B. einen alten oder wehrlosen Menschen vor einem NaziSchläger schützen muß, gibt es nur eine Möglichkeit, nämlich im Wortsinn zu handeln; psychologische Spekulationen über evtl. negative Kindheitserlebnisse des nazistischen Zeitgenossen bewahren keinen davor, von ihm zusammengeschlagen zu werden.
Hier gehört auch hin, daß – zumindest im OV München – einige Mitglieder eine erschreckende Unkenntnis dessen offenbaren, was in Deutschland (bzw. in Europa ab 1939) von 1933-1945 geschehen ist; die auch von „Sinus“ wieder einmal belegte Unkenntnis der Bundesbürger über ihre jüngste Vergangenheit findet hier z. T. unter HU-Mitgliedern eine unerwartete und deprimierende Bestätigung.
4. Die organisierten Antifaschisten sind zum ‚großen Teil untereinander zerstritten; in München z. B. bringt, traurig aber wahr, tatsächlich nur noch die HU die VVN mit dem ASK an einen Tisch; solange sie aber nicht einmal miteinander sprechen, wie sollen sie da gemeinsam ihrem gemeinsamen (und unserem) Gegner wehren? In dieser integrierenden Funktion, der HU liegt eine ihrer wichtigsten Aufgaben innerhalb ihrer antifaschistischen Betätigungen.
5. Nach unserer Beobachtung sowohl im Ortsverband als auch der verschiedenen Einschätzungen auf Bundesebene (BuVo) ist die HU zumindest im Augenblick nicht in der Lage, eine „Verbandsmeinung“ zum Thema Neonaziverbot zu fassen; trotzdem ist es unbedingt notwendig, daß sich die HU als radikal demokratische und einer gewissen Unbestechlichkeit“ verpflichtete Organisation der Gefahr von rechts (die zugegebenermaßen nicht auf faschistische Gruppen beschränkt ist, Stichwort Strauß) unmißverständlich stellt.