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Auf den Boden der Tatsachen zurück­ge­holt

28. März 2006
Datum: Montag, 11. September 2006

Podiumsdiskussion zur Entscheidung über das Luftsicherheitsgesetz

Mitteilungen Nr. 192, S. 3-4

Bei der anschließenden Podiumsdiskussion am Abend der Fachtagung hatten Experten aller im Bundestag vertretenen Parteien die Gelegenheit, unter der Moderation von Martin Klingst (Die Zeit) über Reichweite und Folgen der Verfassungsgerichtsentscheidung zu diskutieren.

Doch bevor in die Diskussion eingestiegen wurde, hatte Burkhard Hirsch, Beschwerdeführer vor dem Bundesverfassungsgericht und Beiratsmitglied der Humanistischen Union, das Wort. Er würdigte das Urteil mit großer Befriedigung, da es den „absoluten Vorrang der Grundrechte der Bürger vor opportunistischen, populistischen oder anderen Überlegungen der Tagespolitik“ festgehalten habe. „Wer die Rechte der Bürger und die Freiheit bewahren will“, so Hirsch, „darf es nicht dadurch tun, dass er die Rechte immer weiter verringert und die Freiheit immer weiter einschränkt. Das ist der Grundsatz, den das Verfassungsgericht in unüberbietbarer Klarheit mitbetont hat.“ Darüber hinaus habe es klargestellt, dass das Grundrecht auf Leben unverwirkbar ist, jedenfalls für den Unschuldigen, dass das Leben der Bürger keine Verfügungsmasse sei, über die der Staat aus politischen, opportunistischen oder sonstigen Gründen verfügen könne. Er sei dem Bundesverfassungsgericht außerordentlich dankbar, dass es uns allen diesen Satz zurück ins Gedächtnis gerufen und als Handlungsmaxime vorgegeben hat.

Bei einer ersten Bewertung des Urteils durch die Diskutanten auf dem Podium wurden zwei grundlegende Positionen deutlich: Auf der einen Seite äußerten sich Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), Hans-Christian Ströbele (Grüne) und Wolfgang Neskovic (Die Linke) mit großer Genugtuung über das Urteil: Das Bundesverfassungsgericht habe deutlich gemacht, dass nicht alles und insbesondere Ausnahmesituationen mit dem Recht nicht zu regeln seien. Für den Abschuss eines Passagierflugzeuges gebe es keine rechtliche Grundlage und dürfe es auch keine geben, so Ströbele. Die Beurteilung eines Abschusses sei eine Frage des übergesetzlichen Notstands. Neskovic beklagte, dass verfassungsrechtliche Grundpositionen und Wertvorstellungen vor dem Hintergrund der Ereignisse des 11. Septembers 2001 leichtfertig geopfert würden. Das Urteil sei so unendlich wichtig, da es eine Rückbesinnung auf diese Werte sei. Auch er sei der Meinung, dass es Risiken gebe, die man nicht verhindern könne. Genau dieser Bereich wäre so ein Fall.

Mit dieser Einschätzung wollten sich die Vertreter der Regierungskoalition, Clemens Binninger (CDU) und Frank Hofmann (SPD), nicht so recht abfinden. Beide äußerten, sie seien von den Ereignissen des 11. Septembers und dem Frankfurter Sportflieger geprägt gewesen und hätten Regelungsbedarf in einem Luftsicherheitsgesetz gesehen. Dass die Befugnis gegen Artikel 35 GG verstoße, also aus Kompetenzgründen verfassungswidrig sei, habe die CDU von Anfang an gesagt. Das Urteil, so Binninger, führe zu einem Dilemma. Rechtlich regelbar sei der Abschuss nun nicht mehr. Die Konsequenz könne aber bedeuten, dass wir zusehen müssten, wie ein Flugzeug in ein Gebäude hineinrauscht. Hofmann erklärte, er sei sehr betroffen, dass das Bundesverfassungsgericht ihm als Gesetzgeber vorwirft, er hätte die Menschenwürde derjenigen im Flugzeug nicht berücksichtigt, obwohl er Menschenleben retten wolle. Auch heute noch – nach dem Urteil – sei er der Ansicht, eine solche spezialgesetzliche Regelung zum Abschuss sei notwendig. Die Berufung auf Nothilfe lehnte er ab, die Verantwortung dürfe nicht bei dem Piloten des Kampfjets liegen.

Bei der Frage nach einer möglichen Grundgesetzänderung, die den Einsatz der Bundeswehr im Innern ausweiten würde, zeigte sich Einigkeit von der SPD bis zur Linken. Die bisherige Aufgabenverteilung zwischen Polizei und Bundeswehr sei eine verfassungsrechtliche Grundentscheidung, die nicht angetastet werden solle, so Leutheusser-Schnarrenberger. Auch Hofmann warnte vor einer Militarisierung. Um nicht in diese Falle zu tappen, müsse dagegengehalten werden, wenn von „Kriegen“ oder „war on terrorism“ die Rede sei. Objektschutzaufgaben für die Bundeswehr lehne die SPD ab. Auch Forderungen nach einem Bundeswehreinsatz zur Fußball-WM wies er schon allein deshalb zurück, da eine Grundgesetzänderung zeitlich gar nicht machbar sei. Wer dies fordere, wolle sich nur einen schlanken Fuß machen, wenn etwas passiert, kritisierte Hofmann. Eine Umfunktionierung gar zur Militärpolizei wie in anderen Staaten werde es nicht geben. Ströbele wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass bereits heute viele Kasernen von Privaten Sicherheitsdiensten bewacht werden und die Bundeswehr aus Personalmangel nicht in der Lage sei, ihre vielfältigen Aufgaben in aller Welt zu bewältigen. Forderungen nach Objektschutzaufgaben stehe daher die Lüge ins Gesicht geschrieben. Binninger hingegen plädierte für eine Verfassungsänderung. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe selbst dem Katastrophenschutz enge Grenzen gesetzt. Möglicherweise seien nun der ABC-Einsatz der Bundeswehr und auch der Einsatz von AWACS-Flugzeugen nach der Rechtsprechung unzulässig, da es sich um keine polizeispezifischen Einsatzmittel handele. Im Grundgesetz sollten daher präzise die Tatbestandsvoraussetzungen – neben der bereits erlaubten Amtshilfe im Katastrophen- und besonders schweren Unglücksfall – festgelegt werden. Dies sollten z.B. terroristische Bedrohungslagen sein (und nicht einzelne Maßnahmen wie Objektschutz). Vor einer Militarisierung der Innenpolitik hatte eingangs Burkhard Hirsch eindringlich gewarnt: Es gehe nicht nur darum, „ob denn die Bundeswehr im Innern eingesetzt wird, sondern die Frage sei doch, nach welchem Recht? Wollen wir wirklich im Rahmen einer schleichenden Verfassungsauslegung/-änderung, wollen wir wirklich Kriegsrecht im Innern einführen? Beim Kriegsrecht könnten Sie sagen, na ja, Kollateralschäden sind eben unvermeidlich, tut uns leid, die Leute sind am falschen Platz gewesen. Wir mussten das tun.“ Hirsch setzt hier ein kategorisches Nein entgegen. Er bezweifelte auch, dass man bei terroristischen Bedrohungen überhaupt von einer Kriegssituation sprechen könne. Den Gesetzgeber forderte er auf damit aufzuhören, bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit die Verfassung ändern zu wollen.

Zu den weitergehenden Folgen des Urteils, in dem das unumstößliche Verbot einer Abwägung von Leben gegen Leben noch einmal festgehalten ist, wollte sich keiner der Parteienvertreter festlegen. Es müsse noch genau geprüft werden, ob in einzelnen Gesetzen Artikel 1 genügend beachtet wurde, sagte Hofmann. Leutheusser-Schnarrenberger nannte als Beispiele Präimplantationsdiagnostik, Spätabtreibungen sowie die Bio- und Gentechnologie, wo es Überprüfungsbedarf gebe.

Auf die Publikumsfrage des HU-Bundesvorstands Christoph Bruch, welche Lehren der Gesetzgeber aus den letzten Bundesverfassungsgerichtsentscheidungen für seine zukünftige Arbeit und seine Entscheidungsprozesse ziehe, gab es zum Teil befremdliche Antworten. Die beiden Vertreter der damaligen rot-grünen Koalition Hofmann und Ströbele spielten den Ball zurück und gaben den innerministeriellen und außerparlamentarischen Beratern die Schuld an den verfassungsrichterlichen Ohrfeigen. Als Regierungspartei sei man zu schnellen Entscheidungen gezwungen, argumentierte Hofmann, und hätte nicht so viel Zeit wie die Opposition. Niemand aus dem Kreise der Fachverfassungsrechtler des Bundesinnen- und -justizministeriums hätte ihnen gesagt, dass das Luftsicherheitsgesetz mit Artikel 1 und 2 GG kollidieren könnte, verteidigte sich Ströbele. Auch bei der Anhörung hätte nur einer der Professoren am Rande das Problem benannt. Dem widersprachen sowohl Leutheusser-Schnarrenberger als auch die HU-Bundesvorsitzende Rosemarie Will energisch. Sowohl innerhalb des Bundestages als auch von außerhalb beispielsweise durch die Humanistische Union sei frühzeitig auf die Verfassungswidrigkeit des Luftsicherheitsgesetzes hingewiesen worden. Ströbele räumte denn auch ein, dass bei Anhörungen die Experten nach Parteienproporz ausgewählt würden und nicht etwa nach Qualifikation. Die Ministerien und Fraktionen wollten schließlich ihre Linie durchbringen. Und wenn er sich auf das Grundgesetz beruft, so Ströbeles Erfahrung mit der Ministerialbürokratie, werde er immer ein wenig als Querulant angesehen.

Martina Kant

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