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Wo sind die Grenzen der Toleranz?

11. September 2007
Datum: Dienstag, 11. September 2001

Debatten beim 9. Stuttgarter Schlossgespräch.

Mitteilungen Nr. 198, S. 26- 27

„Toleranz und ihre Grenzen“ lautete der Titel des 9. Stuttgarter Schlossgesprächs. Die gemeinsame Veranstaltung des Instituts für Auslandsbeziehungen (IfA) und der Robert-Bosch-Stiftung fand am 20. /21. Juni statt. Die beiden Veranstalter hatte der Marburger Philosoph Dr. Dr. Joachim Kahl bei der Konzipierung dieses Streitgesprächs beraten.

Toleranz in Zeiten inter­kul­tu­reller Konflikte

In seinem Eröffnungsvortrag „Toleranz in Zeiten interkultureller Konflikte“ stellte Prof. Dr. Dr. Otfried Höffe im Neuen Stuttgarter Schloss seine „Überlegungen eines politischen Philosophen“ vor. Toleranz muss nach seiner Auffassung auf drei Ebenen verwirklicht werden: Zum Ersten müsse sie durch Gesetze und die Verwaltungspraxis des Staates umgesetzt werden. Zum Zweiten müsse die Gesellschaft sich auf tolerante Grundhaltungen einigen. Schließlich müsse jeder einzelne Bürger Toleranz üben. Toleranz müsse dabei in drei verschiedenen Ebenen praktiziert werden: Politische Toleranz betreffe die Meinungs- und Gedankenfreiheit sowie die Freiheit, sich auch mit abweichenden Auffassungen politisch zu betätigen. Kulturelle oder soziale Toleranz beinhalte die Bereitschaft, Gruppen mit anderen Traditionen oder Religionen zu respektieren. Individuelle Toleranz schließlich erfordere die Bereitschaft, jedem anderen Menschen seine persönliche Freiheit auch zu abweichenden Lebensentwürfen zuzugestehen.
Begrenzt werde diese Toleranz allein durch eine mögliche Beeinträchtigung der Allgemeinheit oder wesentliche Rechte anderer Individuen. Deswegen muss die Mehrheit in Deutschland nach Höffes Auffassung auch den Bau von Moscheen hinnehmen. Anders sah der Philosoph das allerdings dann, wenn durch diese Bauwerke ein besonderer Machtanspruch erhoben werde, der sich beispielsweise in überdimensionierter Monumentalität des Gebäudes oder in überragend hohen Türmen manifestiere.
Im Übrigen unterschied Höffe zwischen „orthodoxen“ Glaubensrichtungen, die ihre „Heilige Schrift“ wörtlich auslegen, und „Fundamentalisten“, die ihre Überzeugung auch militant durchsetzen. Den letzteren gegenüber dürfe die Allgemeinheit keine Toleranz walten lassen, forderte er. Höffes Rede wurde später im Deutschlandradio Kultur ausgestrahlt.

Voltaire – Lernen von einem Altmeister der europä­i­schen Toleran­zidee

Mit seinem Referat „Voltaire – Lernen von einem Altmeister der europäischen Toleranzidee“ führte Joachim Kahl zu Beginn des zweiten Veranstaltungstags im Alten Stuttgarter Schloss in die grundlegenden Denkweisen der Aufklärung ein. Anhand eines Gebets um Toleranz des französischen Philosophen  aus dem Jahr 1763 stellte Kahl die Idee der Toleranz als Bedingung für ein friedvolles Zusammenleben der Menschen vor. Das „Gebet“ habe Voltaire formal zwar an einen „Gott“ gerichtet, doch wende sich sein Inhalt ausschließlich an die Mitmenschen: Von ihnen erwarte der Aufklärer den Verzicht auf religiöses Eiferertum, auf Neid und Hass wegen unterschiedlichen Reichtums und auf Prunk und Prahlerei. Auch Könige säßen auf ihrem Thron nur mit ihrem „Arsch“, erklärte Kahl zur Belustigung der gut 100 Gäste. Voltaires Position beinhalte die strikte Trennung von Kirche und Staat. Es habe aber bis zum 2. Vatikanischen Konzil im Jahr 1963 gedauert, bis auch die Katholische Kirche diese Forderung endlich akzeptiert habe.
Voltaires Forderung nach kultureller, religiöser und politischer Toleranz erweiterte Kahl um Immanuel Kants Forderung nach „ewigem Frieden“ durch politische und religiöse Toleranz der Völker untereinander. Anhand neuerer Veröffentlichungen wie beispielsweise einem Buch des israelischen Soziologen Dan Diner über „Das Siegel des Propheten“ und dem „Arab Human Development Report“ der Vereinten Nationen (UN) sprach Kahl schließlich die Intoleranz im Islam an. Dieser Religion fehle leider die Aufklärung, die sich die Europäer in jahrhundertelangem Streit gegen die hier vorherrschenden Religionen erkämpft haben. Umso wichtiger sei es, die Ideen der Aufklärung zu verbreiten und zu verteidigen.

Der normative Ordnungs­rahmen von Pluralität, Freiheit und Sicherheit

„Der normative Ordnungsrahmen von Pluralität, Freiheit und Sicherheit“ war anschließend Thema eines Impulsreferats des Politologen Prof. Dr. Armin Pfahl-Traughber von der Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Swisttal. Er hatte zwölf Thesen zu Grenzen der Toleranz gegenüber religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften formuliert.
Besonders seine vierte These sorgte für Diskussionsstoff. Darin vertrat Pfahl-Traughber die Auffassung, der Staat dürfe nur solchen Gemeinschaften Toleranz entgegenbringen, die selbst auch in ihrem Binnenverhältnis Toleranz pflegten. Daraufhin wurde er mit der Frage konfrontiert, ob dann nicht neben dem Islam auch die Katholische Kirche an diese Grenze stoße, da sie sich gegenüber Frauen intolerant verhalte. Auch für das orthodoxe Judentum sei diese Frage nicht ganz eindeutig zu beantworten. Pfahl-Traughber unterschied hier aber zwischen mangelnder Gleichberechtigung und massiver Unterdrückung. Zumindest einer Einschüchterung von Frauen müsse der Staat klar entgegentreten, meinte er.
Zur Begriffsklärung griff Pfahl-Traughber auf den Maschinenbau und die Technik zurück. Hier werde „Toleranz“ in der Regel als Abweichung von einer angestrebten Norm definiert, die die Grundbedingung eines funktionierenden Systems nicht nachhaltig störe. Ebenso verhalte es sich auch mit der gesellschaftlichen Toleranz: Sie ende dort, wo das „Funktionieren“ der Gemeinschaft nachhaltig beeinträchtigt werde.

Anspruch und Wirklich­keit

Der Widerspruch zwischen „Anspruch und Wirklichkeit“ war Thema der dritten Gesprächsrunde im Alten Schloss. Hierzu lieferten die Berliner Staatsrechtlerin Prof. Dr. Rosemarie Will und der Bonner Publizist Marcel Pott je ein kurzes Impulsreferat.
In ihrem Vortrag skizzierte die Bundesvorsitzende der Humanistischen Union (HU)  den „großzügigen“ Umgang der Regierenden mit dem Grundgesetz: Drei „Otto-Kataloge“ hätten die Freiheitsrechte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 eingeschränkt. Obwohl das Bundesverfassungsgericht im Februar 2006 das vom früheren Bundesinnenminister Otto Schily ausgearbeitete „Luftsicherheitsgesetz“ für verfassungswidrig erklärt hatte, arbeite sein Nachfolger Wolfgang Schäuble unter Verweis auf „Gefahren“ von islamistischen Terroristen an einer Neu-Auflage dieser Regelung sowie einem „Seesicherheitsgesetz“. Einerseits hatte das höchste deutsche Gericht die fehlende rechtliche Grundlage für das damalige Gesetz bemängelt, andererseits hatten die Karlsruher Richter mit sehr deutlichen Worten festgestellt, dass der Staat und keine seiner Organe das Recht habe, unschuldige Menschen auch im Falle einer drohenden Gefahr dem Tode preiszugeben. Damit überschreite die Regierung die Grenzen der Toleranz der rechtsstaatlichen Ordnung, meinte Will.
Auch Pott erklärte die Menschenrechte für eine unveräußerliche Grundbedingung der Demokratie. Die ersten 19 Artikel des Grundgesetzes seien der Kern einer wertebezogenen demokratischen Ordnung. Sie sind für den Freien Journalisten undiskutierbar. Wer diese Werte nicht respektiere, den müsse der Staat genauer „unter Beobachtung nehmen“.

Respekt und Widerspruch – beides ist vonnöten

„Respekt und Widerspruch – beides ist vonnöten“ lautete der Titel der letzten Diskussionsrunde. Hier stießen Widerspruch und Kritik besonders scharf aufeinander. In seinem Impulsreferat distanzierte sich Aiman A. Mazyek als Generalsekretär des Zentralrats der Muslime in Deutschland von islamistischem Terror. Dergleichen schade den Muslimen nur, erklärte er. Zudem verpflichte der Islam zum Frieden, zu Wohltätigkeit und zu Toleranz.
Dem widersprach Arzu Toker vom Zentralrat der Ex-Muslime. Sie forderte den Islam-Vertreter auf, Stellung zu ihren Verweisen auf anderslautende Koran-Suren und zu ihrer eigenen tätlichen Bedrohung zu beziehen. Mazyek habe nur die „Schokoladenseiten“ des Islam dargestellt, meinte sie. Diese Kritik tat Mazyek mit der Erklärung ab, dass auch er bedroht werde. Diese Tatsache adle einen Menschen und seine Argumente wohl nicht, meinte er.
Von Drohungen berichtete daraufhin auch der Bingener Rechtsanwalt Dr. Till Müller-Heidelberg. Als Herausgeber des jährlichen „Grundrechte-Reports“ (GRR) und vor allem nach bejahenden Äußerungen zum Kruzifix-Urteil des Bundesverfassungsgerichts habe auch er deftige Beschimpfungen und Bedrohungen erleben müssen. Die seien freilich aus ganz anderer Richtung gekommen als bei Ex-Muslimen. Die Forderung nach Toleranz leitete Müller-Heidelberg aus dem Grundgesetz ab. Die Menschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit wie auch viele andere Grundrechte könnten die Bürgerinnen und Bürger nur dann verwirklichen, wenn sie auch jedem anderen die dafür benötigten Freiräume eröffneten. Die Grenzen der Toleranz machte er dort fest, wo Menschen unterdrückt und in ihrer Freiheit massiv eingeschränkt werden. Wenn Frauen freiwillig ihre Benachteiligung in einer Religionsgemeinschaft duldeten, dann sei das ihr Problem. Verböten Familienoberhäupter Frauen aber den Gang zu Veranstaltungen oder zwängen sie zum Tragen des Kopftuchs, dann müsse die Allgemeinheit dagegen einschreiten.
Derartige Haltungen kennt IfA-Generalsekretär Prof. Dr. Kurt-Jürgen Maaß auch aus seinem Heimatort südlich von Stuttgart. Dort seien es aber religiös geprägte Eltern aus den Reihen der Pietisten, Baptisten oder Zeugen Jehovas, die ihre Kinder an Schulveranstaltungen wie Tanzveranstaltungen, Klassenreisen und Ausflügen nicht ohne Schwierigkeiten teilnehmen lassen.
Aufgrund genau dieser Erfahrung forderte Müller-Heidelberg die Gleichbehandlung aller Religionen und Weltanschauungen einschließlich der agnostischen und atheistischen Richtungen. Den Bau einer Moschee beispielsweise müsse man nach Ansicht des Beiratsmitglieds und langjährigen Vorsitzenden der HU auch dann dulden, wenn das Gebäude die Stadt weit überrage. „Was anders als ein Ausdruck von Machtstreben ist denn der Kölner Dom?“, fragte er.
Während der Besatzung Spaniens habe der Islam eine weltoffene und tolerante Blütezeit gehabt, meinte Müller-Heidelberg. Die Renaissance und damit letztlich auch die Aufklärung verdanke Europa auch der Überlieferung altgriechischer Schriften durch muslimische Gelehrte. Insofern müsse der Islam wohl nicht zwangsläufig fundamentalistisch und intolerant ausgelegt werden.
Hier erntete Müller-Heidelberg entschiedenen Widerspruch anderer Diskutanten. Schon im Koran sei die Intoleranz angelegt. Während Mohammed in jüngeren Jahren noch tolerant und friedfertig aufgetreten sei, habe er mit zunehmender politischer Macht auch immer gewalttätigere Positionen eingenommen.

Fazit

Letztlich seien die Grenzen der Toleranz auch am Ende der Veranstaltung nach wie vor unscharf geblieben, meinte Maaß in der abschließenden Zusammenfassung. Doch habe er wohl auch nichts anderes erwartet. Interessant ist indes, dass die „Grenzen der Toleranz“ auch bei dieser Veranstaltung nahezu immer mit Verweisen auf den Islam und islamistische „Terroristen“ definiert wurden. Hier scheint die „Toleranz“ auch bei Intellektuellen schneller zu enden als anderswo.

Franz-Josef Hanke
ist als freier Journalist tätig und Mitglied des Bundesvorstandes der HU

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