Europäische Strafgesetzgebung - jenseits des Grundgesetzes?
Datum: | Montag, 08. Juni 2009 |
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Vortrag im Rahmen der Ringvorlesung „60 Jahre Grundgesetz – Anspruch und Wirklichkeit“
Mark Zöller gebrauchte das Bild der drei Affen, um auf den Widerspruch zwischen wissenschaftlichem Selbstverständnis und politischer Praxis aufmerksam zu machen: Obwohl viele Strafrechtler ihr Fachgebiet nach wie vor als eine genuin nationalstaatliche Angelegenheit betrachten, sei das deutsche Strafrechtssystem in erheblichem Maße „von europäischen Einflüssen geprägt“ – dies betreffe sowohl das formelle Straf(verfahrens-)recht als auch das materiale Strafrecht. Europol, europäischer Haftbefehl, Schengener Informationssystem und der Austausch von Strafverfolgungsdaten kennzeichnen eine Entwicklung, die nicht mehr umkehrbar sei, so Zöller.
Doch wie kam es zu dieser Entwicklung und was folgt aus ihr? Auf diese Fragen konzentrierte sich der Vortrag Mark Zöllers:
Gibt es überhaupt eine Kompetenz der Europäischen Union, strafrechtliche Dinge zu regeln? – Eigentlich nicht, denn in den EG-Verträgen finde sich keine Ermächtigungsgrundlage und die EG besitze keine „Kompetenz-Kompetenz“, könne sich also nicht selbst neue Handlungsbereiche erschließen, sofern die Mitgliedsstaaten ihr das Recht dazu nicht abtreten. Bisher existiere auch keine Kompetenz zur Harmonisierung der verschiedenen Strafrechtsregime in den EU-Ländern.
Wie kommt es dann, dass EU Richtlinien zu strafrechtlichen Sachverhalten verabschieden kann? Zu dieser Entwicklung hat die Rechtsauffassung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) maßgeblich beigetragen, wonach die Gemeinschaft zur Verwirklichung ihrer primären Ziele (z.B. Schutz der Umwelt, Verkehrssicherheit) sich aller nötigen Instrumentarien einschließlich des Strafrechts bedienen dürfe.
Welche Änderungen ergeben sich mit dem Vertrag von Lissabon? Der Vertrag führt eine Kompetenz der Gemeinschaft ein, um Strafnromen gegen schwere, grenzüberschreitenden Kriminalität zu harmonisieren. Dazu zählt der Vertrag u.a. Terrorismus, Menschenhandel, sexuelle Ausbeutung, Drogen- und Waffenhandel etc., der Katalog ist durch Ratsbeschluss jederzeit erweiterbar. Die EU-Mitgliedsstaaten werden ihre Strafvorschriften für diese Delikte in absehbarer Zeit also angleichen. Eine materiale strafrechtliche Kompetenz der Gemeinschaft sieht der Vertrag von Lissabon dagegen nicht vor.
Welche Rolle die Ausweitung strafrechtlicher Kompetenzen bei der Verhandlung über den Vertrag von Lissabon vor dem Bundesverfassungsgericht spielte und welche Demokratiedefizite das europäische Strafrecht aufweist, können Sie in der Audiodkumentation des Vortrags von Mark A. Zöller nachhören:
(Zum Abspielen des Mitschnitts benötigen Sie einen installierten Flash-Player.)
Zusammenfassung: Sven Lüders