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Frank­fur­t/­Main: Religi­ons­un­ter­richt - Bekenntnis- oder Erkennt­nis­un­ter­richt?

20. Dezember 2010
Datum: Freitag, 05. November 2010

Mitteilungen Nr. 211 (4/2010), S. 22

Frankfurt/Main: Religionsunterricht - Bekenntnis- oder Erkenntnisunterricht?

(HPD/AT) Als diesjährigen Beitrag zu den Interkulturellen Wochen Frankfurt am Main luden die Säkularen Humanisten Rhein-Main am 5. November 2010 Vertreter aus der hessischen Landespolitik sowie humanistisch geprägter Organisation zu einer Podiumsdiskussion ein. Unter dem Titel „Religionsunterricht an hessischen Schulen – Bekenntnis- oder Erkenntnisunterricht?“ konnten Frau Sarah Sorge MdL (Bündnis 90/Grüne), Frau Bettina Wiesmann MdL (CDU), Herr Johann-Albrecht Haupt (Humanistische Union) sowie Herr Jochen Beck (Säkulare Humanisten Rhein-Main) unter der Moderation von Peter Menne als Diskutanten gewonnen werden. …

Zu Beginn skizzierte Jochen Beck den Standpunkt der Säkularen Humanisten, wonach der herkömmliche bekenntnisgebundene Religionsunterricht durch ein integratives allgemeines Pflichtfach „Philosophie und Religionskunde“ ersetzt werden sollte. Diesem Fach würden zwei Funktionen zukommen. Zum Einen sollten hier den Schülern die Werte nahegebracht werden, die für das Grundgesetz grundsätzlich verbindlich sind. Denn die weltanschauliche Neutralität des Staates gilt nur in einem weiteren Sinne. Im engeren Sinne enthält die Verfassung sehr wohl ein weltanschauliches Kernbekenntnis: Die Idee der unantastbaren Menschenwürde, der unveräußerlichen Menschenrechte und das Demokratiegebot. Diese Wertkonstruktionen sind Produkte säkularer Philosophie, die gegen die Religion durchgesetzt werden mussten und sollten dann auch in einem Philosophieunterricht vorgestellt werden. Darüber hinaus sollte dieses Fach die weltanschauliche Bildung vermitteln, die den Schülern ein selbstständiges Urteil über Religionen und philosophische Weltanschauungen ermöglicht.

Dagegen vertrat Frau Wiesmann unter dem Gesichtspunkt der christlichen Werteorientierung die Auffassung, dass ein Religionsunterricht stets die Pflicht zur Auseinandersetzung mit Bekenntnissen impliziert, an der eine Gesellschaft sich reiben kann und soll und deshalb die gegenwärtige Regelung des Grundgesetzes zu Recht den bekenntnisgebundenen Unterricht als ordentliches Lehrfach vorsieht.

Frau Sorge sah den Zusammenhalt der Gesellschaft durch die Unterschiede der einzelnen Religionen gefährdet und wünschte sich, die Gemeinsamkeiten ethischer Punkte herauszuarbeiten, um einer Gerechtigkeitslücke zu entgehen, während Herr Haupt schließlich den geltenden Verkündigungsauftrag der kirchlichen Religionsgemeinschaften unterstrich und die Auffassung vertrat, dass ein Religionsunterricht nicht durch den Staat, sondern die Religionsgemeinschaften selbst organisiert werden solle.

In der anschließenden Diskussionsrunde stellte sich zunächst die Frage, in welcher Form sich der heutige Religionsunterricht präsentiert und welchen Nutzen er bereitstellen kann. Es kristallisierte sich für das gut informierte Publikum im weiteren Verlaufe heraus, dass wir es bei der Frage nach der inhaltlichen Ausgestaltung des Religionsunterrichtes mit einer Monopolstellung der christlichen Kirchen zu tun haben, die überdies, wie Frau Sorge und Herr Haupt bemerkten, von Finanzströmen profitiere, für die der gemeine Steuerzahler aufkomme – gänzlich unabhängig davon, ob er religiös gebunden ist oder nicht. Erklären lässt sich nach Herrn Haupt die Glaubensvermittlung des kirchenfreundlichen Staates und die Aufteilung der Schüler in Christen und Nicht-Christen nur mit dem bis heute geltenden stillschweigenden gesellschaftlichen Einverständnis der Kirche als Werteagentur. Dies ist allerdings kaum mit der deutsch-geschichtlich wohlbegründbaren Zurückhaltung des Staates, der eine Werteordnung vorgibt, in Einklang zu bringen, wenn er in dieser Angelegenheit nun die Kirchen privilegiere, wie Frau Wiesmann selbstkritisch anmerkte.

Nach der kontroversen Diskussion der Podiumsteilnehmer/-innen wurde das Publikum eingebunden, welches sich rege beteiligte. So wurde festgestellt, dass der relativ kleinen Anzahl von Bürgern mit muslimischem Hintergrund (4%) eine eher freundliche Hofierung widerfährt, während die vergleichsweise sehr hohe Anzahl von nicht-konfessionsgebundenen Menschen (40 Prozent) eher beiläufig genannt und berücksichtigt werden, verbunden mit der Frage: Wo bleiben die Humanisten, wo bleiben die Menschen, die ethisch handeln, ohne einen Rückgriff auf einen Gott zu benötigen, in der öffentlichen Wahrnehmung? Die im Verlaufe der Veranstaltung eher als Gemeinplätze einzustufenden Feststellungen, dass Kritik an Versäumnissen willkommen sei, lässt vermuten, dass die Brisanz des Themas auf der politischen Agenda schlechterdings nicht vorhanden ist und die säkulare Szene – trotz aller Unstimmigkeiten – auch in dieser Frage dazu aufgerufen ist, gemeinsame Positionen herauszuarbeiten und insbesondere geschlossen aufzutreten.

Gekürzte Fassung eines Berichts von Alexander Tschierse, vollständige Fassung unter http://hpd.de/node/10636.

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