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#HUKon19 in Freiburg

05. September 2019
Datum: Mittwoch, 25. Mai 2016

In: Mitteilungen 239 (2/2019), S. 1

Am 21. bis 23. Juni hat in Freiburg die #HUKon19 stattgefunden. Diese öffentliche Konferenz zu bürgerrechtlichen Themen bot einen öffentlichkeitswirksamen Rahmen zur Mitgliederversammlung.

Unser Dank gilt vor allem dem Landesverband Baden-Württemberg, der uns einen wunderbaren Rahmen in der Michael-Schule geboten hat und tatkräftig für einen reibungslosen Ablauf und unser leibliches Wohl gesorgt hat.

Der Landesverband Baden-Württemberg organisiert seit vielen Jahren gemeinsam mit der Universität Freiburg und dem dortigen AKJ die Veranstaltungsreihe „Tacheles“. Den Auftakt unserer Konferenz bildete am Freitagabend ein Vortrag dieser Reihe. Prof. Dr. Roland Hefendehl, der Direktor des Instituts für Kriminologie und Wirtschaftsstrafrecht an der Uni Freiburg, erörterte am Beispiel des „Freiburger Dreisammordes“, wie mit der Begründung, das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung wiederherstellen zu wollen, anlasslose Kontrollen und weitere Überwachungsmechanismen eingeführt werden.

Am Samstag wurde die Konferenz in der Michael-Schule fortgesetzt. Der Tag begann mit einem Rückblick auf die bürgerrechtlichen Themen, mit denen wir uns im vergangenen Jahr auseinandergesetzt haben. Werner Koep-Kerstin, Anja Heinrich, Robin Krahl und Stefan Hügel stellten die wichtigen Fragestellungen dar, bei denen sich die Humanistische Union an den Debatten mit Veranstaltungen, Publikationen und Stellungnahmen beteiligte.

Den Anfang bildete die Arbeit der Humanistischen Union zur Forderung nach der Trennung von Staat und Kirche, die auch heute noch vielfältig unterlaufen wird:

  • Staatskirchenleistungen wurden trotz des bereits in der Weimarer Reichsverfassung enthaltenen und ins Grundgesetz übernommenen Auftrags seit 100 Jahren bis heute nicht abgeschafft;
  • das Sonderarbeitsrecht für Kirchen mit der Religionszugehörigkeit als Voraussetzung für eine Beschäftigung, gegen das u.a. Vera Egenberger erfolgreich geklagt hat;
  • Einschränkungen an kirchlichen Feiertagen wie Tanzverbote und die Aufführung bestimmter Filme wie „Das Leben des Brian“ – auch dieses Verbot hatte vor Gericht keinen Bestand.

In vielen Bundesländern wurden in den vergangenen Monaten die Polizeigesetze verschärft. Wichtige Kritikpunkte der HU sind neue Erlaubnisnormen für die Quellen-Telekommunikationsüberwachung und Online-Durchsuchung durch heimlich eingeschleuste Schadsoftware – auch als Staatstrojaner bekannt –, die neben der Ausspähung auch Manipulation möglich machen und durch das bewusste Offenhalten von Sicherheitslücken die IT-Sicherheit aller aufs Spiel setzen. Dazu kommt der Einsatz von Drohnen, von Spitzeln und Werkzeugen der akustischen Wohnraumüberwachung, präventive DNA-Entnahme, Haft für sogenannte „Gefährder“, bei der bereit im Vorfeld vermuteter Straftaten polizeiliche Maßnahmen legalisiert werden. Auch dazu hat sich die HU durch Veranstaltungen, Stellungnahmen und die Beteiligung an Verfassungsbeschwerden klar positioniert.

Die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) trat am 25. Mai 2016 in Kraft und ist nach einer zweijährigen Übergangsfrist seit dem 25. Mai 2018 anzuwenden. In Deutschland wurde das Bundesdatenschutzgesetz durch eine Neufassung abgelöst. Die Ziele sind:

  • Die unionsweite Vereinheitlichung des Datenschutzrechts; schaffen eines „kohärenten und durchsetzbaren Rechtsrahmens im Bereich des Datenschutzes in der Union“ (EG 3, 9 und 13).
  • Die Herstellung einheitlicher Vorgaben für gleiche wirtschaftliche Bedingungen in der Union und damit Stärkung des Binnenmarkts (EG 5, 10, 13).
  • Den Datenschutz angesichts neuer Herausforderungen durch Globalisierung und technische Entwicklungen zu modernisieren und den Schutz der Grundrechte zu verbessern (EG 1, 2 und 4).

Das soll durch eine Reihe von Neuerungen erreicht werden, u.a. Signifikante Sanktionen, Rechtmäßigkeit, Verarbeitung nach Treu und Glauben, Transparenz, strikte Zweckbindung der Datenverarbeitung, Marktortprinzip, Recht auf Vergessenwerden, Privacy by design & by default.

Doch es gibt auch Kritik: In der DSGVO werde Technikneutralität ideologisch u?berhöht und im Sinne einer Risikoneutralität genutzt: In keiner Regelung werden die spezifischen Grundrechtsrisiken z.B. von smarten Informationstechniken im Alltag, von Big Data, Cloud Computing oder datengetriebenen Geschäftsmodellen, Ku?nstlicher Intelligenz und selbstlernenden Systemen angesprochen oder gar gelöst. Die gleichen Zulässigkeitsregeln, Zweckbegrenzungen oder Rechte der betroffenen Person gelten fu?r die wenig riskante Kundenliste beim „Bäcker um die Ecke“ ebenso wie fu?r um Potenzen risikoreichere Datenverarbeitungsformen.

Die HU begleitete die Einführung der DSGVO durch eine Reihe von Veranstaltungen und Publikationen, z.B. ein Schwerpunktheft der vorgänge.

Das Werbeverbot zur Abtreibung durch § 219a StGB kommt letztendlich einem Informationsverbot gleich und wird durch die HU abgelehnt. Die Ärztin Kristina Hänel wurde aufgrund dieses Paragraphen verurteilt. Auch dazu gab es Veranstaltungen der HU, Kristina Hänel war an der Vorstellung des Grundrechte-Reports 2018 beteiligt, und ihr wurde das Marburger Leuchtfeuer 2019 verliehen.

Die Humanistische Union setzt sich dafür ein, dass jeder Mensch frei und selbstbestimmt darüber entscheiden kann, wann und wie er sterben möchte. Dies schließt nach unserer Auffassung auch das Recht auf Sterbehilfe ein. In Deutschland trat am 10. Dezember 2015 ein Gesetz in Kraft, das die geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung unter Strafe stellt. Diese abstrakt das Leben gefährdende Handlung wurde mit dem neu gefassten § 217 StGB verboten. Angehörige oder andere der*dem Suizidwilligen nahestehende Personen, die sich lediglich als nicht geschäftsmäßig handelnde Teilnehmer*innen an der Tat beteiligen, bleiben weiterhin von der Strafandrohung ausgenommen. Ärzt*innen und Sterbehilfevereine haben vor dem Bundesverfassungsgericht gegen das Gesetz geklagt. Die HU hat dazu eine gutachterliche Stellungnahme abgegeben und im Frühling dieses Jahres eine Diskussionsveranstaltung organisiert. Das Urteil wird mit Spannung erwartet.

In München werden aufgrund eines Stadtratsbeschlusses keine Räume für Veranstaltungen zur Verfügung gestellt, die nach dem Verständnis des Stadtrats mit der Kampagne BDS (Boycott, Divestment & Sanctions) gegen die Politik Israels in Verbindung stehen. Der Deutsche Bundestag begrüßte dies in einer Entschließung. Ohne die Kampagne an sich bewerten zu wollen, kritisiert die HU die damit verbundene Einschränkung der Meinungsfreiheit. Die HU tritt radikal für Meinungsfreiheit ein: Politische Diskussionen können offen nur geführt werden, wenn alle Seiten ihre Ansichten vortragen können. Besonders betroffen von dem Beschluss war auch die HU in Bayern bei der Verleihung ihres Bürgerrechtspreises „Aufrechter Gang“.

Künstliche Intelligenz, maschinelles Lernen, Big Data, „Algorithmen“ sind inzwischen das aktuelle Thema der Informatik. Doch es gibt erhebliche Risiken, wie der „Facebook-Skandal“ mit der Firma Cambridge Analytica zeigte: Daten von potenziellen WählerInnen wurden ausgewertet und gezielt für Microtargeting, also die inhaltliche Beeinflussung, genutzt. Damit entsteht eine Gefahr für die Demokratie: durch Wahlbeeinflussung und Manipulation von Wähler*innen. Dazu kommen diskriminierende Algorithmen und „programmierter Rassismus“. Wie können diese Systeme fair und ohne Diskriminierung gestaltet werden?

Seit 30 Jahren gibt es keine hinreichenden Maßnahmen, um den Klimawandel zu stoppen. Jetzt läuft uns die Zeit davon: Maßnahmen müssen immer drastischer werden, um die Klimaziele zu erreichen. Im Pariser Übereinkommen von 2015 wurde vereinbart, die Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen. Danach gab es aber keine hinreichenden Maßnahmen. Die schwedische Schülerin Greta Thunberg begann mit Schulstreiks an Freitagen, die sich inzwischen weltweit ausgedehnt haben. Daraus ist die „Fridays For Future“-Bewegung entstanden: „Wir streiken, bis ihr handelt!“ Der Protest ist verbunden mit Kapitalismuskritik: „If solutions within this system are so hard to find, maybe we should change the system itself.“

Die Europawahl hat in Deutschland erhebliche Gewinne der Grünen ergeben, für die SPD war es ein historischer Tiefpunkt, die CDU erlitt ebenfalls Verluste, die AfD konnte Gewinne verzeichnen. Es gibt einen Aufstieg autoritärer, nationalistischer Parteien, aber auch die Grünen verzeichnen Gewinne – zurückzuführen ist das wohl auf steigendes Umwelt- und Verantwortungsbewusstsein. Die Verluste linker Parteien deuten aber auch auf sinkende Solidarität hin. Rechte Parteien in Europa liegen im Trend; dazu kommt die „Brexit“-Debatte und ein historischer Absturz der SPD (nach aktuellen Umfragen liegt sie bundesweit bei 11-12%). Bei den Landtagswahlen in Bremen, Brandenburg und Sachsen setzen sich diese Trends fort. Gleichzeitig beobachten wir eine Verrohung der politischen Sprache, z.B. beim Mord an den Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke. Die HU behandelte das Thema in Publikationen; es erschienen Schwerpunkthefte der vorgänge zu „Die Vereinigten Staaten von Europa?“ und zum Rechtspopulismus, vor allem im Osten. Dazu haben wir ein sehr gut besuchtes Streitgespräch mit Prof. Dieter Grimm und Michael Roth im Senatssaal der Humboldt Universität Berlin veranstaltet.

Die Konferenz wurde fortgesetzt mit Vorträgen zum Thema Bürgerrechte und Künstliche Intelligenz (KI). Nach einem einführenden Vortrag unseres Vorstandsmitglieds Stefan Hügel referierte Britta Schinzel, Professorin i.R. für Informatik und Gesellschaft an der Universität Freiburg, über die gesellschaftlichen Folgen des maschinenbasierten Lernens. Hannah Bast, Professorin für Informatik in Freiburg und Mitglied der Enquete-Kommission Künstliche Intelligenz, legte die neuesten Entwicklungen dar und zeigte auf, wo KI bereits sinnvoll eingesetzt wird und wo derzeit die Grenzen liegen.

Judith Hartstein, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung, ging am Sonntag der Frage nach, was passiert, wenn die soziale Wirklichkeit zunehmend quantifiziert und aus der Daten-Perspektive betrachtet wird.

Zum Abschluss referierte unser Vorstandsmitglied Anja Heinrich über die Problematik der Überwachung durch Sicherheitsbehörden mittels Online-Durchsuchung und Quellen-TKÜ.

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