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Menschen­rechts­s­tan­dards werden unter­schritten

09. April 2007

Stellungnahme des Forum Menschenrechte zu den geplanten Verschärfungen des Asyl- und Ausländerrechts

Mitteilungen Nr. 196, S. 18-19

Das Forum Menschenrechte – ein Netzwerk von mehr als 40 deutschen Nichtregierungsorganisationen, die sich für einen verbesserten, umfassenden Menschenrechtschutz einsetzen – kritisiert, dass  bei der geplanten Umsetzung der aufenthalts- und asylrechtlicher EU-Richtlinien Menschenrechtsstandards unterschritten werden. Statt europäische Mindeststandards ins nationale Recht umzusetzen, plant die Bundesregierung zahlreiche Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht, die sowohl mit dem Verfassungsrecht als auch mit der Europäischen Menschenrechtskonvention nicht vereinbar sind.
Die geplante Einschränkung des Ehegattennachzugs ist mit dem Schutz der Familie weder nach dem Grundgesetz noch nach der Europäischen Menschenrechtkonvention vereinbar. Stärker noch als die Festlegung eines Mindestalters auf 18 Jahre wird die Bedingung, einfache Deutschkenntnisse vor der Einreise nach Deutschland zu erwerben, den Ehegattennachzug fundamental beschneiden. In den meisten Staaten werden Deutschkurse, wenn es sie gibt, nur in den Hauptstädten oder in größeren Städten angeboten. Für Menschen vom Land oder aus kleineren Städten besteht kaum eine Möglichkeit Sprachkenntnisse zu erwerben. In der Praxis ist der Erwerb von Sprachkenntnissen – realistisch betrachtet – nur für Angehörige der großstädtischen Oberschicht möglich. Nachteilig dürfte sich die vorgesehene Regelung insbesondere auf Frauen auswirken. Für die betroffenen Frauen dürfte als zusätzliches Erschwernis hinzukommen, dass in vielen Herkunftsländern Frauen nicht denselben Zugang zu Bildung wie Männer haben. Viele Herkunftsfamilien dürften nicht in der Lage oder nicht willens sein, die Teilnahme an Sprachkursen zu ermöglichen und die entstehenden Kosten zu tragen. Der Familiennachzug wird zur sozialen Selektion. Das Grundrecht, als Familie zusammenzuleben, würde künftig nur für Privilegierte gelten.
Auf massive Kritik stößt zudem, dass der Gesetzentwurf die gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben im Flüchtlingsrecht missachtet. Das Gemeinschaftsrecht will mit der Qualifikationsrichtlinie den Flüchtlingsschutz und den Abschiebungsschutz aus menschenrechtlichen Gründen stärken. Der Gesetzentwurf sieht vor, zentrale Regelungen der Richtlinie nicht ins deutsche Recht zu übertragen, sondern lediglich auf sie zu verweisen. Der bloße Hinweis auf die „ergänzende Anwendung“ wird dem Erfordernis einer praktisch wirksamen Umsetzung von EU-Recht nicht gerecht. Die verbesserten flüchtlingsrechtlichen Standards, wie der verbesserte Schutz für religiös Verfolgte oder für Kriegsdienstverweigerer/innen, drohen so in der Praxis verkannt zu werden. Neben dem Flüchtlingsschutz verbessert die Qualifikationsrichtlinie zudem den Schutz für Personen, die vor bewaffneten Konflikten fliehen. Die Richtlinie sieht einen Schutzanspruch vor, wenn „eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit einer Zivilperson infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts“ gegeben ist. Diese Regelung zu übernehmen ist für das deutsche Recht u.a. deswegen so bedeutsam, weil Flüchtlinge aus Kriegs- und Krisengebieten, insbesondere Bürgerkriegsflüchtlinge, bislang nur unzureichend geschützt wurden. Der Abschiebungsschutz wurde in der Regel nicht gewährt, weil die Bevölkerung insgesamt oder einzelne Gruppen von den Auswirkungen des Bürgerkrieges oder sonstigen Gefahren für Leib und Leben betroffen waren (sog. Sperrklausel). Nur wenn der Betroffene „sehenden Auges in den sicheren Tod“ geschickt worden wäre, wurde die Abschiebung untersagt.
Nach der geplanten Umsetzung ins deutsche Recht ( § 60 Abs. 7 AufenthG-E) soll die deutsche Sperrklausel für diese Schutzform beibehalten werden. Der Schutz vor Abschiebung in bewaffnete Konflikte wird auf diese Weise leer laufen. Hier wird versucht die deutsche Rechtslage beizubehalten, obwohl sie auf EU-Ebene nicht durchsetzbar war.
Das Forum Menschenrechte bemängelt, dass es durch die geplante Gesetzesänderung zu einer regelmäßigen Inhaftierung von Flüchtlingen kommen soll. Bislang ist Haft bei Asylbewerber/innen nur ausnahmsweise und längstens für vier Wochen zulässig. Künftig sollen Asylbewerber/innen, bei denen die Zuständigkeit eines anderen EU-Mitgliedstaats geprüft wird, für die gesamte Dauer dieses Verfahrens in Haft genommen werden. Dies kann viele Monate dauern.
Dies ist nicht nur aus rechtstaatlicher Sicht unhaltbar, sondern auch gemeinschaftsrechtswidrig. Nach der Dublin II-Verordnung müssen Asylbewerber/innen die Möglichkeit der freiwilligen Ausreise in den zuständigen Staat haben.  Aus der Haft ist eine freiwillige Ausreise jedoch nicht möglich.
Das Forum Menschenrechte wendet sich gegen jede Inhaftierung von Asylsuchenden. Flüchtlinge haben keine Straftat begangen, sondern begehren internationalen Schutz. Auch der Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen hat wiederholt betont, dass die Inhaftierung von Asylsuchenden prinzipiell abzulehnen ist. Das gilt ganz besonders im Fall gefährdeter Gruppen wie allein stehenden Frauen, Kindern, unbegleiteten Minderjährigen und Personen mit besonderen medizinischen oder psychischen Bedürfnissen. Die Freiheit von willkürlicher Haft ist ein grundlegendes Menschenrecht, und die Verhängung von Haft steht in vielen Fällen im Widerspruch zu den völkerrechtlichen Normen und Grundsätzen.
Rechtstaatliche Grundsätze werden zusätzlich dadurch unterlaufen, dass Asylsuchende, die in einen anderen EU-Staat aufgrund der Dublin II-Verordnung abgeschoben werden sollen, grundsätzlich keinen einstweiligen Rechtsschutz mehr erhalten sollen. Ebenso problematisch ist, dass künftig Zurückweisungen an den Grenzen schon auf Verdacht möglich sein sollen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, die Anwendungsdauer des Asylbewerberleistungsgesetzes auf ein Jahr zu verlängern. Die Einschnitte des Asylbewerberleistungsgesetzes sind für die Betroffenen gravierend und verhindern eine soziale Integration. Unterkunft, Lebensmittel und Kleidung werden als Sachleistung gestellt, bis auf ein Taschengeld wird kein Bargeld ausgezahlt, die Betroffenen müssen in Sammelunterkünften leben und im Krankheitsfall wird lediglich eine medizinische Notversorgung übernommen. Eine Ausdehnung dieser Versorgung unterhalb des Existenzminimums ist mit der Menschenwürde nicht vereinbar.
War im Gesetzentwurf vom Januar 2006 noch ein Anspruch für Opfer von Menschenhandel auf die in Hinblick auf ihre speziellen Bedürfnisse erforderliche medizinische Hilfe, einschließlich angemessener psychologischer und psychotherapeutischer Behandlung, vorgesehen, ist im aktuellen Gesetzentwurf ein solcher Anspruch nicht mehr enthalten. Die Forderung von Fachverbänden, einen solchen Anspruch auf Gewalt-Opfer insgesamt auszudehnen, blieb nicht nur ungehört, sondern  die geplanten Verbesserungen für Opfer von Menschenhandel wurden sogar gestrichen.
Das rot-grüne Zuwanderungsgesetz hatte erstmals einen Anspruch auf Integrationskurse für Migrant/innen – nachdem sie nach Deutschland eingewandert waren – festgeschrieben und damit anerkannt, dass Integration durch eine Verbesserung der Rechtsposition von Migrant/innen erfolgen muss. Statt Partizipationsrechte auszubauen, sieht der Gesetzentwurf nun vor, bei der Integrationspolitik vermehrt auf Zwang und Strafandrohung zu setzen. Bereits das Zuwanderungsgesetz sieht Sanktionen – wie die Kürzung von Sozialleistungen – vor. Künftig soll bei Verletzung der Teilnahmepflicht an Integrationskursen sogar ein Bußgeld verhängt werden. Diesen Vorstoß lehnt das Forum Menschenrechte entschieden ab. Mangelnde Integration hat weniger mit dem Unwillen der Migrant/innen als vielmehr mit einem unzureichenden Bildungssystem und fehlender Chancengleichheit zu tun. Die eindrücklichen Ergebnisse der PISA-Studie belegen dies.
Der Gesetzentwurf sieht keine nachhaltige Abschaffung der Kettenduldungen vor. Die geplante Bleiberechtsregelung wird nur einer Minderheit der langjährig Geduldeten ein Aufenthaltsrecht in Deutschland verschaffen. Geduldeten werden zahlreiche Menschenrechte vorenthalten – das Recht auf Familienzusammenführung, Bildung, diskriminierungsfreien Zugang zum Arbeitsmarkt und Privatsphäre. Der Gesetzentwurf sieht insbesondere keine Regelung vor, die das Entstehen von Kettenduldungen für die Zukunft verhindert.

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