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Die natio­nal­so­zi­a­lis­ti­sche Vergan­gen­heit des Bundes­kri­mi­nal­amtes und die Folgen bis in die Gegenwart

21. März 2002

Mitteilungen Nr. 177, S.16-17

Führende Beamte des Bundeskriminalamtes (BKA) haben in zwei Jahrzehnten nach dem Krieg das Amt aufgebaut und die Verbrechensbekämpfung der Bundesrepublik wesentlich beeinflusst, obwohl sie selbst in der NS-Zeit schwerste Verbrechen begangen hatten. Diese schockierende Behauptung stellt Dieter Schenk in seinem jüngsten Buch auf und belegt dies mit umfangreichen Materialien aus einem Dutzend Archiven in Deutschland, Polen und in der Schweiz. Da das BKA Schenk eine zeitgerechte Akteneinsicht, trotz einer Genehmigung durch den Bundesinnenminister verweigerte, bisher zu keiner Stellungnahme bereit war und nicht erkennen ließ, sich von den ehemaligen Nazi-Kollegen offiziell zu distanzieren, richtete MdB Ulla Jelpke und die Fraktion der PDS im Deutschen Bundestag eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung (Bundestags-Drucksache 14/7520).

Aus den Untersuchungen des Autors ergibt sich, dass das Bundeskriminalamt von Nazi-Tätern aufgebaut wurde – eine Tatsache, die bis heute schwer zu begreifen ist. 1959 bestand der Leitende Dienst des BKA aus 47 Beamten (und nur er ist Gegenstand der Forschungen) – bis auf zwei hatten alle eine braune Weste. Für das rechtsstaatliche Selbstverständnis des BKA ist es rückblickend als moralische Katastrophe zu bewerten, dass fast die Hälfte der 47 BKA-Chefs als NS-Verbrecher im kriminologischen Sinne bezeichnet werden müssen.

Fünf von ihnen waren Schreibtischtäter des Reichskriminalpolizeiamtes (RKPA), die mitwirkten, unzählige Homosexuelle, „Zigeuner“, „Asoziale“ und sogenannte „Berufs- und Gewohnheitsverbrecher“ im Rahmen des Programms der Vorbeugenden Verbrechensbekämpfung in ein Konzentrationslager einzuweisen und damit einem fast sicheren Tod auszuliefern.

16 BKA-Führer waren Mitglieder der Einsatzgruppen in Polen und als Vorgesetzte in die Vernichtung der polnischen Intelligenz verstrickt. Oder sie beteiligten sich als Angehörige der SS-Einsatzkommandos oder der Polizeibataillone in der besetzten UdSSR am Völkermord. Sie befehligten die Geheime Feldpolizei in Weißrussland, die an der Ausrottung der jüdischen Bevölkerung beteiligt war und massenweise Menschen als Partisanen oder politische Kommissare tötete, wenn nur ein fragwürdiger Verdacht vorlag.

Einige BKA-Vorgesetzte hatten bei Exekutionen selbst „Hand angelegt“ oder waren Einsatzführer an der „Grube“, unter den erbarmungswürdigen Opfern waren auch Frauen und Kinder. Zwei BKA-Führer waren Angehörige von Standgerichten oder SS- und Polizeigerichten. Annähernd jeder Dritte gehörte der Gestapo an, womit die in der Fachliteratur überwiegend vertretene Meinung widerlegt ist, dass wenigstens den Angehörigen der Geheimen Staatspolizei – von Einzelfällen abgesehen – der Zugang in Führungspositionen der Nachkriegspolizei versperrt blieb. Zwei dieser späteren BKA-Führer wurden (im Ausland) verurteilt, alle anderen blieben straflos, überstanden schadlos disziplinare Überprüfungen und gingen als Räte oder Direktoren in allen Ehren in Pension. Sie haben sich nie distanziert oder Reue gezeigt, schon gar
nicht Trauer.

Zieht man eine Bilanz, dann gelten die „alten Nazis“ in der Polizei – bis heute – als rehabilitiert. Sie schwuren nie ihrer Gesinnung ab, vielmehr schlüpften sie gleich zu Anfang durch die nicht ernsthaft betriebene „Entnazifizierung“ und wurden als „entlastet“ eingestuft.
Paul Dickopf, der Architekt des BKA und spätere BKA-Chef (1965 bis 1971) und Interpol-Präsident (1968 bis 1972),wurde 1943 von Abwehrchef Canaris als Doppelspion in der Schweiz eingesetzt. Nach dem Krieg gab sich der ehemalige Kriminalkommissar und SS-Untersturmführer als Widerstandskämpfer aus und agierte als CIA-Agent, der das Vertrauen der amerikanischen Besatzungsmacht genoss. Einer seiner Vertreter im BKA war der ehemalige Kriminalrat und SS-Sturmbannführer Dr. Bernhard Niggemeyer. Er hatte während der Kriegsjahre die Funktion eines Leitenden Feldpolizeidirektors in Russland inne, und seine von ihm verfassten Tätigkeitsberichte beweisen, dass unter seiner Dienst- und Fachaufsicht massenhafte Exekutionen begangen wurden.

Der andere Vertreter des BKA Präsidenten, Rolf Holle, gehörte bereits vor der Machtübernahme dem NS-Schülerbund und danach der SA Standarte Leipzig an. Als er sich 1939 zum polizeilichen Kolonialdienst bewarb, bat der SS-Hauptsturmführer, der offenbar die Weltmachtansprüche des Regimes verinnerlicht hatte, nach seiner Ausbildung in Deutsch-Südwestafrika oder in der Südsee eingesetzt zu werden.

Die Alliierten ermächtigten Dickopf, ab 1951 ausschließlich ehemalige Angehörige der NS-Sicherheitspolizei für das BKA zu rekrutieren, denen er dort Unterschlupf verschaffte. Auf etwas mehr als 300 Planstellen bewarben sich bis Mai 1951 etwa 8000 ehemalige Mitglieder der Gestapo, des Sicherheitsdienstes (SD) oder der NS-Kriminalpolizei. Das waren fast ein Drittel des gesamten Berufsstandes. So gut wie alle waren Angehörige der NSDAP und der SS gewesen und hatten ihr Handwerk unter Himmler und Heydrich gelernt. Auf diese Weise wurde der Cheffahnder des Reichskriminalpolizeiamtes Cheffahnder des BKA, wie u.a. auch der oberste Biologe, der Leiter der Personenfeststellungszentrale oder der führende Kriminaltechniker in ungebrochener Kontinuität ihre Chefsessel tauschten. Ausdrücklich verzichtete damals das Bundesinnenministerium auf eine Ausschreibung aller BKA-Stellen, da man ja über genügend qualifizierten Nachwuchs verfüge, wobei
anzumerken ist, dass auch die Ministerialbürokratie von ehemaligen
Nationalsozialisten durchseucht war.

Das Reichskriminalpolizeiamt war identisch mit dem Amt V des Reichssicherheitshauptamtes, der Terrorzentrale in der Berliner Prinz-Albrecht-Straße. In Organisation und Arbeitsweisen, fachlichen Richtlinien und dem fast identischen Formularwesen machte Dickopf das BKA zum Abklatsch des Reichskriminalpolizeiamtes unter Ausklammerung der Positionen, die in einem Rechtsstaat unmöglich hätten übernommen werden können. Die neu geschaffene „Sicherungsgruppe“ des BKA versuchte schon in den fünfziger Jahren, ihre Kompetenzen auf dem Gebiet der politischen Kriminalität ständig zu erweitern und die Abgrenzung zwischen Polizei, Verfassungsschutz und Bundesnachrichtendienst zu verwischen.

Der Geist der alten Nazi-Seilschaften weht in manchen Bereichen noch immer im BKA. Die Führungsstrukturen sind heute oft so autoritär ausgeprägt wie damals: Vorgesetzte behalten Herrschafts-wissen für sich, behandeln Untergebene arrogant und schirmen sich nach außen ab. Die mangelnde Distanz zu Unrechtsstaaten hatte Dickopf aufgebaut, seinem Beispiel folgend werden weltweit begangene Menschenrechtsverletzungen immerfort ignoriert, denn das tabuisierte Wort Folter fällt auf keiner Interpol-Konferenz – stattdessen werden Diktaturen durch BKA-Entwicklungshilfe noch effizienter gemacht.

Der BKA-Nachwuchs lernt von Generation zu Generation, dass der Feind links von der eigen definierten Mitte liegt. So ist es stringent, dass das BKA jahrelang rechtsextreme Gewalt verharmloste, eigenen Personaleinsatz auf ein Minimum beschränkte und Opferzahlen klein redete. Obwohl zwischen 1990 und 2000 durch Rechtsterrorismus 93 Menschen ihr Leben verloren, hatte das BKA aufgrund eingestandener „Erfassungsdefizite“ weder diese Straftaten alle registriert, noch rechtzeitig Bekämpfungsstrategien entwickelt – ein Beweis, wie halbherzig man dieser Kriminalität entgegenarbeitet.

Bereits im April 2000 genehmigte Bundesinnenminister Schily für das Buchprojekt Akteneinsicht im BKA. Autor Dieter Schenk hat jedoch bis zum Abschluss des Buchmanuskriptes kein Blatt eines Schriftstückes aus dem BKA zur Kenntnis nehmen dürfen. Dies verhindert ein Korpsgeist, der innere Demokratie und Transparenz nicht will. Man scheint eine Mauer des Schweigens errichten und sich trotz entgegengesetzter Ankündigungen in falsch verstandener Loyalität schützend vor die ehemaligen Nazi-Kollegen stellen zu wollen.

Das BKA nahm bisher gegenüber Medien zum Buch keine Stellung mit dem Hinweis, es enthalte „im wesentlichen bekannte Tatsachen“. Die Amtsleitung zeigt bisher keine Neigung, sich offiziell von den ehemaligen Nazi-Kollegen zu distanzieren. Und die Beantwortung der Kleinen Bundestags-Anfrage gipfelt in der Behauptung der Bundesregierung: „Das BKA hat keine nationalsozialistische Vergangenheit, weil es 1951 gegründet wurde.“

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