Pressemeldungen

Berliner Staats­kir­chen­ver­trag gefährdet Ethik-Un­ter­richt

09. März 2006

Die im Berliner Staatskirchenvertrag vorgesehenen „gemeinsamen Unterrichtsphasen“ des allgemeinen Ethik-Faches mit dem bekenntnisgebundenen Religionsunterricht unterwandern die Neutralität des neuen Faches.

Zur heute im Berliner Abgeordnetenhaus beratenen Gesetzesvorlage zum Staatskirchenvertrag mit der Evangelischen Kirche erklärt die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union:

Der Vertrag des Landes Berlin mit der Evangelischen Kirche stellt das Konzept des geplanten Ethik-Faches in Frage, das derzeit im Schulausschuss des Berliner Abgeordnetenhauses beraten wird.

Das Schlussprotokoll zum Staatskirchenvertrag, das Teil der heutigen Gesetzesvorlage ist, sieht u.a. „gemeinsame Unterrichtsphasen“ des allgemeinen Ethik-Faches mit dem bekenntnisgebundenen Religionsunterricht vor (Drucksache 15/4764, S. 19). Eine Vermengung eines zur Neutralität verpflichteten Ethik-Faches mit einem bekenntnisgebundenen Unterricht würde aber die Religionsfreiheit anders- oder nichtgläubiger Schülerinnen und Schüler verletzen. Niemand darf zu Religionsunterricht gezwungen werden – auch nicht von hinten durch die Brust ins Auge.

Es ist nichts dagegen einzuwenden, wenn in den staatlichen Ethik-Unterricht auch einmal authentische Vertreter verschiedener Glaubensgemeinschaften eingeladen werden oder wenn Kirchen bei der Lehrerausbildung konsultiert werden, um Verzerrungen bei der Darstellung ihrer Religion zu vermeiden. Eine Verpflichtung zu gemeinsamen Unterrichtseinheiten geht aber entschieden zu weit – zumal nach dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot auch alle anderen Bekenntnisgemeinschaften den Anspruch erheben können, den die Evangelische Kirche jetzt offenbar für alle Zeiten absichern will.

Glaubensvermittlung sollte uneingeschränkt freiwillig und Angelegenheit der Religionsgemeinschaften bleiben. Das gilt gerade in Berlin, wo es über 100 verschiedene Bekenntnisgemeinschaften gibt und die Mehrheit konfessionslos ist. Ein gemeinsames Fach, in dem alle Schülerinnen und Schüler etwas über die unterschiedlichen Religionen und Weltanschauungen erfahren, ohne Missionierung befürchten zu müssen, bietet große Chancen für wechselseitiges Verständnis, Integration und ein friedliches Zusammenleben in Vielfalt. Diese Chance sollte nicht wegen der Partikularinteressen einzelner Religionsgemeinschaften verspielt werden.

Die Humanistische Union appelliert an die Abgeordneten, den Kirchenvertrag sorgfältig und auch auf langfristige Risiken und Nebenwirkungen hin zu überprüfen. Diese bestehen nach Auffassung der Humanistischen Union nicht nur im schulischen Bereich. Auch hinsichtlich der Meinungsfreiheit im Öffentlichen Rundfunk, beim Datenschutz (Übermittlung der Meldedaten auch von Nicht-Kirchenmitgliedern) und in Bezug auf die öffentlichen Finanzen wirft der Vertrag Fragen auf, die vor einer Ratifizierung durch das Parlament unbedingt in den entsprechenden Fachausschüssen geklärt werden müssen.

Das Abgeordnetenhaus ist nicht verpflichtet, dem Vertrag zuzustimmen. Was zwischen dem Land und den Kirchen rechtlich zu regeln ist, lässt sich auch gut auf andere Weise regeln. Gerade in Berlin lässt sich bezweifeln, ob Staatskirchenverträge die geeignete Form sind. Dieses in Berlin eigentlich überwundene Überbleibsel aus dem vorigen Jahrhundert ist weniger denn je geeignet, den Anforderungen einer pluralistischen Gesellschaft gerecht zu werden. Der Staat begibt sich damit in ein Dilemma: Entweder privilegiert er einzelne, ihm genehme Glaubensgemeinschaften und diskriminiert damit alle anderen. Oder er nimmt in Kauf, dass künftig immer mehr Gemeinschaften aus Steuermitteln gefördert werden, auch solche, die mit dem Grundgesetz in einem Spannungsverhältnis stehen.

Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union setzt sich seit 1961 für eine konsequente Trennung von Staat und Kirche sowie für die Gleichberechtigung aller Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften ein. Beide Bedingungen kann ein gemeinsames Fach für alle Schülerinnen und Schüler erfüllen, wenn es auch tatsächlich religiös-weltanschaulich neutral unterrichtet wird.

nach oben