Bundesregierung will den gläsernen Autofahrer
Humanistische Union weist geplanten Zugriff auf die Mautdaten zurück
Der Bundesinnenminister hat heute gegenüber dpa mitgeteilt, sein Haus arbeite an einem Gesetzesentwurf zur Aufhebung der Zweckbindung für die von dem privaten Betreiber TollCollect erhobenen LKW-Mautdaten. Nach dem derzeit geltenden Autobahnmautgesetz (AMG) gilt eine strenges Verbot der Zweckentfremdung für die flächendeckende Infrastruktur von TollCollect. Die Rechtsgrundlage für den Betrieb von TollCollect war nur unter dieser Bedingung überhaupt vom Bundestag verabschiedet worden.
Die Humanistische Union weist den Vorstoß zu einer Zweckentfremdung der Mautdaten zurück. Die Verwendung der Daten für andere Zwecke als die Abrechnung der Autobahnmaut sei nicht hinnehmbar. Nils Leopold, Mitglied des Bundesvorstandes und Datenschutzexperte der Bürgerrechtsorganisation:
„Die an den Mautstellen anfallenden Fotos und Verkehrsdaten unterliegen dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Ein genereller Zugriff der Strafverfolgungsbehörden auf diese Daten ist völlig unverhältnismäßig. Schon bei Abfragen für kürzeste Zeiträume und einem mittlerem Verkehrsaufkommen würden Daten über zehntausende Unbeteiligte erzeugt. Diese Personen geraten ins Visier der Ermittler und werden sich dann zu rechtfertigen haben, warum Sie sich an welchem Ort aufgehalten haben. Weitere schwere Grundrechtseingriffe gegen Unbeteiligte wie die sog. freiwilligen DNA-Massentests könnten sich anschließen.“ Diese Szenarien zeichnen eine Ermittlungsrealität, die niemanden von uns unberührt lassen wird. Die Unschuldsvermutung kehrt sich um.“ Leopold wies ferner darauf hin, dass die Debatte ihre volle Brisanz vor dem Hintergrund einer möglichen Einführung der PKW-Maut entfalte. „Damit würde sich das Gesicht der bundesweiten Maut-Infrastruktur zum ‚Big Brother auf der Autobahn‘ entwickeln.“
Die Pläne des Innenministers sind auch angesichts der in Deutschland hohen Aufklärungsquoten bei Kapitaldelikten von über 90% völlig unverhältnismäßig. Für rasterfahndungsähnliche Vorgehensweisen, wie sie im jüngst diskutierten Mordfall erforderlich wären, gilt schon wegen der großen Streubreite der Maßnahmen das Verdikt der Verfassungswidrigkeit. Erst kürzlich hatte das Bundesverfassungsgericht den Einsatz der Rasterfahndung an das Vorliegen einer konkreten Gefahr geknüpft. (1 BvR 518/02) Ein rasterähnlicher Zugriff auf die Mautdaten sei deshalb aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht möglich, der vor wenigen Tagen bekannt gewordenen Fall einer ermordeten Schülerin auch mit Hilfe der jetzt geplanten Zugriffsmöglichkeiten nicht aufzuklären.
„Die Entscheidung des Gesetzgebers für eine strenge Zweckbindung von Mautdaten war richtig und muss beibehalten werden,“ betont Leopold. „Es ist atemberaubend, mit welcher Geschwindigkeit die große Koalition derzeit den Abbau von Bürgerrechten vorantreibt und welch geringe Halbwertszeit das Wort der Handelnden hat. Jetzt will man offenbar den gläsernen Autofahrer. Noch vor zwei Jahren waren sich alle Parteien einig, dass die Mautinfrastruktur keinesfalls für weitere Zwecke genutzt werden darf. Die heutige Ankündigung des Innenministers stellt insofern einen schweren Vertrauensbruch gegenüber den Bürgern dar.“