Beitragsbild Gemeinnützigkeit: Gemeinsamer Brief an Scholz
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Gemein­nüt­zig­keit: Gemeinsamer Brief an Scholz

Wir wollen kein Glück mehr haben, sondern rechtsstaatliche Sicherheit

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Olaf Scholz,

wir wenden uns wegen der im Koalitionsvertrag vereinbarten Modernisierung des Gemeinnützigkeitsrechts an Sie. Wir haben uns über die von Ihnen maßgeblich beeinflussten Vereinbarungen dazu sehr gefreut, aber warten angespannt auf die Umsetzung. Wir bitten Sie als Regierungschef, dafür zu sorgen, dass das Versprechen von der Koalition erfüllt wird.

Viele von uns haben bisher Glück gehabt: Die meisten der Vereine und Stiftungen, die Ihnen hier schreiben, sind weiterhin als gemeinnützig anerkannt. Sie fragen sich jährlich und mit jeder Steuererklärung, ob das so bleiben wird. Andere Unterzeichner*innen hatten Pech: Ihnen wurde die Gemeinnützigkeit bereits aberkannt.

Doch zu unserer aller Mission gehört es, selbstlos für Gemeinwohlinteressen an der politischen Willensbildung mitzuwirken. Wir bringen Vorschläge ein, die wir bezogen auf unsere Satzungszwecke für nötig halten. Wir beobachten politische und gesellschaftliche Prozesse und kommentieren diese.

Was davon gilt als politisches Mittel? Wann überwiegen diese die anderen Aktivitäten, die nicht so gewertet werden? Oder ist es für uns schon gefährlich, wenn die Beteiligung am demokratischen Diskurs nicht nur im Hintergrund stattfindet?

Ein anderer Ausgangspunkt des Bangens: Deckt unser gesetzlicher gemeinnütziger Zweck tatsächlich unsere Arbeit, unsere Anliegen, unsere Mission ab? Bisher sind die meisten von uns mit ihren verschiedenen Zwecken durchgekommen, aber sicher fühlt sich keiner von uns. Nicht nur das Attac-Urteil mit der Beschränkung des Zwecks der politischen Bildung hat die Unsicherheit verstärkt. Weiterhin ist nicht klar, was tatsächlich der Zweck der allgemeinen (!) Förderung des demokratischen Staatswesens abdeckt. Der Verlust der Gemeinnützigkeit der Volksverpetzer guG, die den Zweck Völkerverständigung und Toleranz auf allen Gebieten der Kultur verfolgt, hat erneut aufgeschreckt.

Und schließlich wollen wir alle uns in demokratischer Verantwortung bei Gelegenheit immer wieder auch über den Kern unserer Mission hinaus engagieren. Gelegenheiten geben rassistische oder antisemitische Vorfälle, Wahlergebnisse oder andere gesellschaftliche Ereignisse. Auch hier können sich auch diejenigen unter uns, deren Gemeinnützigkeit bisher nicht in Frage gestellt wurde, nie sicher sein, , ob irgendwann im nächsten Jahr ein Finanzamt meint, dieser Teil unserer Arbeit sei zu groß gewesen.

Wir hören oft, das Problem mit der Gemeinnützigkeit sei doch gar nicht so groß, wenn es „nur“ Attac, Campact, DemoZ, innn.it, Mastodon, Volksverpetzer und noch ein paar andere getroffen habe. Am Ende würden viele Probleme doch spätestens vor Gericht ausgeräumt. Doch ein solch Jahre langer Rechtsstreit kostet viel angesichts unserer knappen Ressourcen. Wir wollen das Geld unserer Spender:innen sinnvoller ausgeben. Wir wollen unsere gemeinnützigen Ziele verfolgen.

Attac, DemoZ und Volksverpetzer haben nicht das Glück gehabt, dass jemand im Finanzamt wohlwollend und freundlich prüft. Wir wollen, dass weder unser Gemeinnützigkeitsstatus noch der anderer Organisationen von Glück abhängt, sondern von klaren rechtsstaatlichen Kriterien.

Da wir ganz verschiedene Vereine, mit verschiedenen Satzungen, Satzungszwecken und tatsächlichen Tätigkeiten sind, mit verschiedenen Zielen und Anliegen und Themenfeldern, könnte jede weitere Aberkennung als Spezialfall abgetan werden. Für jeden von uns wäre die Aberkennung der Gemeinnützigkeit anders begründet. Ein Einzelfall wäre sie dennoch nie.

Wir wollen für unsere Arbeit jetzt Rechtssicherheit und Klarheit – denn auch das Bangen mit der Steuererklärung und Begründungen gegenüber dem Finanzamt sind bürokratische Belastungen. Auf beiden Seiten. Wir wollen nicht vom Wohlwollen einzelner Finanzbeamt:innen abhängen, sondern brauchen eine verlässliche Rechtsgrundlage, mit der Finanzämter auch Anzeigen gegen unsere Arbeit leicht entkräften können.

Wir wollen das nicht nur für uns, sondern für die ganze Vereins- und Stiftungslandschaft in Deutschland. Wir hören immer wieder von kleinen, ehrenamtlich geführten Initiativen, die gar nicht die Kraft und Ausdauer haben, sich auf Glück bei Gemeinnützigkeits-Entscheidungen zu verlassen. Die schon bei der Anerkennung der Gemeinnützigkeit scheitern. Wir hören auch von Freund:innen aus anderen Ländern, wie angespannt dort die Lage für zivilgesellschaftliche Organisationen ist, wie kontrollierend und einengend der Staat andernorts agiert. Und wenn wir ihnen erzählen, dass auch hier der Umgang mit der Gemeinnützigkeit unsicher ist und oft von Glück abhängt, bekommen auch sie Sorgen. Denn sie brauchen ein Land, das beweist, dass große Freiräume für zivilgesellschaftliches Handeln die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit stärken.

Bitte sorgen Sie für klare, gute Regeln und Verlässlichkeit! Tragen Sie dazu bei, dass wir und tausende anderer Vereine unserer Arbeit ungestört nachgehen können und dass Deutschland ein Vorbild für einen liberalen Umgang mit zivilgesellschaftlichen Organisationen bleibt. Ein weiterer Abstieg im globalen Civicus-Monitor für Deutschland wäre ein fatales Zeichen.

Ihre Regierung berät bald ein Jahressteuergesetz II. Wir erwarten, dass die uns versprochene Modernisierung damit endlich angepackt wird, um das außerparteiliche Engagement tausender Vereine in Deutschland für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit abzusichern. Dieses Jahressteuergesetz II ist die letzte Chance, vor der nächsten Bundestagswahl die nötigen gesetzlichen Änderungen vorzunehmen. Und nicht nur das, wir sehen es als die letzte Chance für Jahre, Änderungen wie die Einführung neuer gemeinnütziger Zwecke vorzunehmen, da kommende Koalitionen argumentieren werden, das Thema sei in der jetzigen Ampelkoalition bereits bearbeitet worden. Sie haben jetzt die Möglichkeit, das Recht der Zivilgesellschaft sturmsicher zu machen. Nur eine tatsächliche Modernisierung jetzt kann verhindern, dass in den nächsten Monaten und Jahren weiterhin immer mehr Vereine sich aus demokratischen Debatten zurückziehen werden.

 

Mit freundlichen Grüßen

der Bundesvorstand der Humanistischen Union

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