Beitragsbild Nein zum Abschiebezentrum am Flughafen Berlin Brandenburg (BER) Flughafen BER
Pressemeldungen / Asylpolitik

Nein zum Abschie­be­zen­trum am Flughafen Berlin Brandenburg (BER)

Mehr als 60 Organisationen fordern das Land Brandenburg sowie die Bundesregierung auf, auf die geplante Errichtung und Inbetriebnahme eines sog. Ein- und Ausreisezentrums am Flughafen Berlin Brandenburg (BER) in Schönefeld zu verzichten. Sie lehnen das Projekt „aus menschenrechtlichen und humanitären Gründen“ ab, so die Unterzeichnenden in einer heute veröffentlichten Stellungnahme. Sie fordern die Abschaffung von Flughafenasylverfahren, die Schließung der bestehenden Haftanstalt am BER und ein Ende der Inhaftierung von Geflüchteten.

31. Oktober 2022

Gemeinsame Stellung­nahme gegen die Inhaf­tie­rung von Geflüch­teten am Flughafen Berlin Brandenburg (BER) und gegen Asylschnell­ver­fahren (Flugha­fen­ver­fahren)


Die Unterzeichnenden lehnen
die aktuellen Pläne zum Bau eines sogenannten Ein und Ausreisezentrums am Flughafen BER in Schönefeld aus menschenrechtlichen und humanitären Gründen ab. Den geplanten Ausbau von Haftplätzen für Geflüchtete sowie die geplante Ausweitung von Asylschnellverfahren am Flughafen lehnen die Unterzeichnenden ab. Sie fordern das Land Brandenburg sowie die Bundesregierung auf, auf die Errichtung und Inbetriebnahme eines solchen „Behördenzentrums“ zu verzichten. Anstelle eines hunderte Millionen schweren Prestigeprojektes mit dem Fokus auf Abschottung und Abschiebungen braucht es dringend mehr Investitionen im Bereich Teilhabe sowie faire und rechtsstaatliche Asylverfahren. Flughafenasylverfahren müssen abgeschafft, die bestehende Haftanstalt am BER geschlossen und die Inhaftierung von Geflüchteten beendet werden.

Begründung:

1. Flugha­fe­n­asyl­ver­fahren sind rechtsstaat­lich fragwürdig und müssen abgeschafft werden

Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Zentrale Ausländerbehörde des Landes Brandenburg (ZABH) rechnen ab 2025 mit jährlich 300400 Flughafenasylverfahren am Flughafen BER (Landtag Brandenburg, Drs. 7/4377, S. 2). Dies würde eine extreme Steigerung bedeuten, denn die Anzahl der dort bisher durchgeführten Flughafenasylverfahren lag 2021 bei 41 Verfahren (2020: 5, 2019: 19, 2018: 33, 2017: 15, 2016: 5, 2015: 3). Träfen die Schätzungen zu, wäre der Flughafen Berlin-Brandenburg als Standort für Flughafenasylverfahren gleichauf mit Frankfurt a.M. (BTDrucks. 20/1673, S.3). Wir halten das Flughafenasylverfahren nach § 18a Asylgesetz für rechtsstaatlich höchst fragwürdig. In Asylschnellverfahren haben Schutzsuchende gegenüber dem regulären Asylverfahren gravierende Nachteile. Dazu zählen die enorm kurzen (Klage)Fristen sowie die durch die Inhaftierung bedingten großen Hürden beim Zugang zu unabhängiger Beratung und anwaltlicher Vertretung. Darüber hinaus ist der Rechtsschutz im Flughafenverfahren stark eingeschränkt. Personen, die als „offensichtlich unbegründet“ abgelehnt werden, sitzen häufig wochen bis monatelang in der an das Flughafenasylverfahren anschließenden Zurückweisungshaft fest. Im Flughafenverfahren werden regelmäßig auch Familien mit Kindern inhaftiert. Darüber hinaus bestehen EUrechtlich grundsätzliche Zweifel an der Zulässigkeit der Inhaftierung von Schutzsuchenden im Flughafenverfahren (siehe EuGHUrteil vom 30. Juni 2022, Rechtssache C72/22 PPU, Verfahren M. A.).[1]

Die Ablehnungsquote im Flughafenverfahren ist in den letzten Jahren kontinuierlich
gestiegen
, von 5,1 Prozent in 2013 auf 52,7 Prozent in 2019. Die extrem kurzen Fristen und die regelmäßig fehlende rechtliche Beratung im Vorfeld der Asylanhörung führen zudem zu überproportional hohen Ablehnungsquoten als „offensichtlich unbegründet“ im Vergleich zum regulären Asylverfahren (siehe hier, S.9).

2) Freiheits­entzug ist ein massiver Grund­recht­s­ein­griff

Neben der geplanten Ausweitung des Flughafenasylverfahrens sehen wir auch den geplanten Ausbau des „Ausreisegewahrsams“ als einer Form der Abschiebungshaft in Schönefeld höchst kritisch. Nach aktuellem Planungsstand sind im geplanten „Transit und Gewahrsamsgebäude“ zukünftig etwa 120 Haftplätze vorgesehen. Das entspricht fast einer Versechsfachung der aktuell zur Verfügung stehenden Plätze, denn der Asyl und Ausreisegewahrsam am BER verfügt aktuell über 20 belegbare Plätze (Landtag Brandenburg Drs. 7/4370, S. 6). Das Innenministerium Brandenburg geht in einer Schätzung von künftig 600700 Inhaftierungen im Ausreisegewahrsam pro Jahr aus. Auch dies wäre eine drastische Steigerung.

Freiheitsentzug stellt einen massiven Eingriff in die Grundrechte dar, weshalb er gemäßArtikel 104 Grundgesetz richterlich angeordnet bzw. unverzüglich, möglichst am selben Tag, überprüft werden muss. Das Asylgesetz sieht abweichend hiervon eine erstmalige richterliche Überprüfung der Inhaftierung Asylsuchender erst nach 30 Tagen vor. Die Inhaftierung kann sich stark negativ auf die psychische und physische Gesundheit der Betroffenen auswirken. In der Praxis kommt es mit großer Regelmäßigkeit zu schweren Verfahrensfehlern: So hat sich nach Statistiken des Rechtsanwalts Peter Fahlbusch aus Hannover jede zweite richterlich verfügte Abschiebungshaft bei der anwaltlich veranlassten Überprüfung als rechtswidrig erwiesen. Auch vor dem Hintergrund dieser Fehlerquote ist jegliche Form der Abschiebungshaft kritisch zu sehen und der Bau einer neuen Haftanstalt
am Flughafen abzulehnen. Die Größenordnung aktueller Prognosen der Landesregierung zu
zukünftigen Gewahrsamsfällen am BER lässt befürchten, dass Brandenburg künftig systematisch davon Gebrauch machen will. Abschiebehaft darf laut Europarecht immer nur ultima ratio sein, wenn der Zweck der Haft nicht durch ein milderes Mittel erreicht werden kann. Mehr Haftkapazitäten führen erwiesenermaßen nicht zu mehr Abschiebungen.

3) Teilhabe statt Inhaf­tie­rung und Abschie­bungen

Die aktuellen Pläne zum Bau des sogenannten Ein und Ausreisezentrums sind ein
Vermächtnis des ehemaligen Bundesinnenministers Horst Seehofer
und stehen in einer Kontinuität der Abschreckung und Abschottung. Anstatt der massiven Ausweitung des Freiheitsentzugs und der Zunahme von Asylschnellverfahren unter Haftbedingungen sowie einem geplanten Anstieg von Abschiebungen sollte das Flughafenasylverfahren abgeschafft, die bestehende Haftanstalt am Flughafen BER geschlossen und die Inhaftierung von Geflüchteten beendet werden.

In Brandenburg und bundesweit müssen stattdessen die Förderung von Teilhabe von
Geflüc
hteten sowie das Ausschöpfen von Bleiberechtsmöglichkeiten im Zentrum stehen. Das Flughafenasylverfahren geht zulasten der Fairness und Rechtsstaatlichkeit. Der Ruf nach ‚konsequenteren‘ und ‚effizienteren‘ Abschiebungen führt regelmäßig dazu, dass Geflüchtete abgeschoben werden, obwohl sie seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, hier leben und arbeiten oder schwer krank sind.

Anmerkungen:

1) Der Gerichtshof bekräftigt darin seine Auffassung, dass eine „Haft“ im Kontext der Aufnahme von Asylsuchenden bereits dann vorliegt, wenn Personen von der Bevölkerung isoliert und ihrer Bewegungsfreiheit beraubt werden, indem ihnen
auferlegt wird, permanent in einem begrenzten und geschlossenen Bereich zu bleiben, der nicht ohne Genehmigung und Begleitung verlassen werden darf. In einer solchen Haft muss eigentlich Art. 8 der Aufnahmerichtlinie 2013/33/EU gelten (Inhaftierung nur nach Einzelfallprüfung, wenn „weniger einschneidende Maßnahmen“ nicht wirksam angewandt werden können).

Die Stellungnahme wurde initiiert von PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge, Flüchtlingsrat Brandenburg und Flüchtlingsrat Berlin.

Erstunterzeichnende:

  • Bundesfachverband unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (BumF)
  • Bundesfachverband zur Unterstützung von Menschen in Abschiebehaft (Bumah)
  • Equal Rights Beyond Borders
  • Humanistische Union
  • Jugendliche ohne Grenzen (JoG)
  • JUMEN
  • Komitee für Grundrechte und Demokratie
  • Lesben und Schwulenverband inDeutschland (LSVD)
  • Ökumenische Bundesarbeitsgemeinschaft „Asyl in der Kirche“
  • PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge
  • Republikanischer Anwältinnen und Anwälteverein
  • Seebrücke
    Sea
    Watch
  • Abschiebehaftberatung Nord
  • Aktionsbündnis Neuruppin bleibt bunt
  • Aktionsbündnis Bad Freienwalde ist bunt
  • Alarm Phone Berlin
  • Arbeitsgruppe Flucht und Migration desEvangelischen Kirchenkreis OberesHavelland
  • Asyl in der Kirche BerlinBrandenburg
  • AWO Kreisverband BerlinMitte
  • Bayerischer Flüchtlingsrat
  • Be an Angel
  • Berliner Netzwerk für besondersschutzbedürftige geflüchtete Menschen (BNS)
  • BIPoC Ukraine & friends in germany
  • borderline europe
  • Bündnis Glückstadt gegen Abschiebehaft
  • Bürger*innenasyl Barnim
  • ESTA Ruppin
  • Evangelischer Kirchenkreis Potsdam
  • Flüchtlingsrat BadenWürttemberg
  • Flüchtlingsrat Berlin

Anmerkungen

  1. 1
nach oben