Keine Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr!
Zur Beratung der Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr im Deutschen Bundestag am 5. März 2021 erklärt der Vorsitzende der Humanistischen Union, Werner Koep-Kerstin: Der Abzug militärischer ausländischer Kräfte kann durchaus als Deeskalationsschritt das Ergebnis von Verhandlungen positiv beeinflussen; es muss nicht zwangsläufig die militärische Drohung im Hintergrund sein, die Verhandlungen erfolgreich macht.
Bereits vor zehn Jahren hatte sich die Humanistische Union gegen eine Verlängerung des Afghanistan-Mandats der Bundeswehr und stattdessen für massive zivile Unterstützung ausgesprochen. „Es gibt keinen Anlass, von dieser ablehnenden Haltung jetzt abzuweichen. Die Gründe haben sich nicht verändert, deshalb lehnen wir die erneute Verlängerung ab“, erklärt der Vorsitzende der Humanistischen Union, Werner Koep-Kerstin. Es war vor allem die grundsätzliche Skepsis gegenüber militärischer Gewalt als Mittel zur Erreichung der mit dem
Afghanistan-Mandat verbundenen Ziele wie demokratischer Staatsaufbau, Durchsetzung von Menschenrechten und wirtschaftlichem Wiederaufbau, die selbst führende Militärs frühzeitig geäußert hatten.
Seit dem Jahreswechsel 2014/15 hat die NATO ihren Kampfeinsatz in Afghanistan beendet; im Rahmen der Nachfolgemission „Resolute Support“ sind seit 1.1.2015 vor allem Ausbildungskräfte für die Afghanische Nationalarmee zurückgeblieben. „Die geplante Verlängerung der Präsenz der Bundeswehr in Afghanistan um weitere zehn Monate (bis Januar 2022), hat für die Sicherheitslage in Afghanistan nur marginale Bedeutung“, erklärt Koep-Kerstin. Nach Thomas Ruttig vom Afghanistan Analysts Network erschöpft sich die Ausbildungs- und Beratertätigkeit der derzeit rund 1.100 Bundeswehrkräfte auf den Umgang mit Demonstrationen und Aufständen, verbessert aber nicht die Fähigkeiten der afghanischen Armee, die trotz Vielfachem an Personalstärke den Taliban-Kämpfern nach wie vor nicht gewachsen ist.
Nachdem noch die erste Petersberger Afghanistan-Konferenz 2001 ohne Vertreter der Taliban stattgefunden hat, ist mit dem sog. Doha-Abkommen vom Februar 2020 und dem Einstieg in weitere Verhandlungen mit den Taliban seit September 2020 der einzig mögliche Weg zu politischen Lösungen in und für Afghanistan eingeschlagen worden.In diesem Sinne sollte die Bundesregierung ihren Einfluss sowohl bei der neuen US-Regierung geltend machen als auch anstelle der hohen Ausgaben für den Bundeswehreinsatz umfassende deutsche Hilfsprogramme unter Einbeziehung der lokalen Bevölkerung für den Wiederaufbau Afghanistans für die laufenden innerafghanischen Friedensgespräche in Aussicht stellen.
Die USA haben durch die Vereinbarung vom Februar 2020 einen Abzug der US-Truppen mit Hilfspersonal bis April 2021 aus Afghanistan erklärt; im Gegenzug gab es Antiterror-Garantien der Taliban, diekeine Angriffe mehr auf ausländische Truppen vornehmen und den inzwischen eher marginalisierten Al Qaida- und IS-Organisationen keine Aktionsräume mehr bieten sollen. Inzwischen ist die US-Regierung um eine Zustimmung der Taliban zur Verlängerung des vorgesehenen Abzugsdatums bemüht.
In den derzeit laufenden Friedensgesprächen sind die entscheidenden Fragen u.a.:
* Welchen Preis sind die Afghanen bereit für eine Beendigung des Krieges und einen Wiederaufbau des Landes durch Machtbeteiligung der Taliban in der afghanischen Regierung zu zahlen, wenn weiter der Weg in eine islamische Republik eingeschlagen wird?
* Kann verhindert werden, dass nach dem Vorbild Irans einer vordergründigdemokratischen Struktur des politischen Systems am Ende islamistische Autoritäten übergeordnet sind, die die Verhältnisse in Afghanistan auf die Taliban-Regierungszeit vor 2001 zurückdrehen? Und damit Erfolge bei der Beteiligung von Frauen in Politik und Gesellschaft, in der Medienöffentlichkeit und u.a. bei Friedensinitiativen in Afghanistan zunichte gemacht würden?
Die mit großen Phrasen versuchte Überzeugung der deutschen Öffentlichkeit von der Sinnhaftigkeit militärischen Engagements der Bundeswehr – „Deutschlands Freiheit wird auch am Hindukusch verteidigt“ (ehemaliger Verteidigungsminister Peter Struck) – hat bei der auch aus historischen Gründen kriegsskeptischen Bevölkerung nicht verfangen, wie Umfragen immer wieder gezeigt haben.
Die gegenüber der Haltung der deutschen Öffentlichkeit an den Tag gelegte Ignoranz einer Parlamentsmehrheit, die Mandatsverlängerungen ohne Vorliegen belastbarer und von Experten immer wieder vergeblich geforderter Evaluierungen praktisch jedes Mal durchwinkte, hatte bedenkliche Konsequenzen. Sie hat vor allem zu einer Erosion des Begriffs Landesverteidigung beigetragen, den das Grundgesetz unmissverständlich den deutschen Streitkräften zuweist. Der inflationäre Gebrauch des Begriffs „Verteidigung“ im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen der Bundeswehr hat nicht zu mehr Vertrauen in der Öffentlichkeit geführt. „Dass der Rückhalt der im Einsatz befindlichen Afghanistan-Soldaten der Bundeswehr in deren Bewusstsein gesellschaftlich minimal ist und die posttraumatische Situation von zahlreichen Rückkehrern kaum mehr Medienthema ist, sind Kollateralschäden der gescheiterten Afghanistan-Politik der deutschen Regierungen seit 2001 – jenseits der über 3.000 Toten westlicher Streitkräfte und vielfach höheren Opferzahlen auf afghanischer Seite“, erklärte der Vorsitzende der HU Koep-Kerstin.
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