
Religionszugehörigkeit und christliche Loyalität bekommen wieder mehr Gewicht in der Einstellungspraxis der Kirchen: BVerfG schwächt Rechte von Arbeitnehmenden
Die Humanistische Union kritisiert den gestern veröffentlichten Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 29. September 2025 im Fall Egenberger.
Die konfessionslose Sozialpädagogin Vera Egenberger hatte sich 2013 bei der Diakonie als Referentin für ein Projekt zu Antirassismus beworben. Trotz passender fachlicher Qualifikationen wurde sie nicht zum Bewerbungsgespräch eingeladen. Sie machte deshalb Schadensersatz wegen Diskriminierung aufgrund ihrer fehlenden Religionszugehörigkeit nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) geltend, weil die Diakonie als evangelischer Verein in der Stellenausschreibung eine Zugehörigkeit zur evangelischen Kirche verlangt hatte. 2018 obsiegte Egenberger mit ihrer Schadensersatzforderung vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG). Zunächst hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH), den das BAG angerufen hatte, entschieden, dass Religionsgemeinschaften eine Religionszugehörigkeit nur zum Einstellungskriterium machen dürften, wenn sie „nach der Art der Tätigkeiten oder den Umständen ihrer Ausübung eine wesentliche, rechtmäßige und gerechtfertigte berufliche Anforderung“ darstelle.
Eine solche Anforderung konnte das BAG für die Referentin-Stelle in dem Projekt „Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention“ nicht erkennen und sprach Vera Egenberger deshalb Schadensersatz nach dem AGG in Höhe von 3.915,46 Euro zu.
Das BVerfG hob nun diese Entscheidung des BAG aufgrund der Verfassungsbeschwerde des Diakonischen Werkes auf. Das BAG wird deshalb abermals im Fall Egenberger entscheiden müssen.
Das Diakonische Werk hatte Verfassungsbeschwerde erhoben, weil es sich in seinem „Selbstbestimmungsrecht“ nach Art. 140 Grundgesetz in Verbindung mit Art. 137 Abs. 3 Weimarer Rechtsverfassung verletzt sah. Danach dürfen Religionsgemeinschaften ihre Angelegenheiten „selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ ordnen und verwalten.
Das BVerfG entschied, dass das BAG dieses kirchliche Selbstbestimmungsrecht nicht ausreichend berücksichtigt habe. Der Religionsgemeinschaft obliege es, die Notwendigkeit der Kirchenzugehörigkeit für die konkret betroffene Tätigkeit plausibel darzulegen. Die Gerichte müssten diese Darlegung kontrollieren, dürften aber nicht ihre Wertung anstelle der kirchlichen Wertung setzen. Das habe aber das BAG getan.
Die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union begrüßt zwar, dass das BVerfG europarechtsfreundlich entscheidet, indem es das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen nicht mehr wie zuvor nahezu schrankenlos gelten lässt. „Unverständlich ist aber, warum das BVerfG es für möglich hält, dass für die Erstellung eines Antirassismus-Berichts die Kirchenzugehörigkeit eine plausible Anforderung ist“, sagt Dr. Kirsten Wiese, Beirätin der Humanistischen Union. „Das eröffnet den Kirchen die Möglichkeit, auch für augenscheinlich verkündungsferne Stellen Religionszugehörigkeit zu verlangen.“
Seit dem Urteil des BAG von 2018 verzichteten zwar viele kirchliche Träger auf die Anforderung der Kirchenzugehörigkeit in ihren Stellenausschreibungen. Allerdings sind die circa 1,8 Millionen Beschäftigten bei kirchlichen Trägern sowie die Bewerber*innen auf dem kirchlich dominierten sozialen Arbeitsmarkt weiterhin nicht frei von den Anforderungen „Kirchenmitgliedschaft und Loyalität zum christlichen Dienstherrn“.
Die Humanistische Union kritisiert schon lange dieses kirchliche Sonderarbeitsrecht und betont stetig, dass das vermeintliche Selbstbestimmungsrecht der Kirchen laut Wortlaut des Grundgesetzes nur ein Selbstverwaltungsrecht im Rahmen der für alle geltenden Gesetze sei.
Kirsten Wiese
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