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Nothelfer Bundeswehr? - Bemerkungen zur "Sicher­heits­s­tra­tegie für Deutschland" der CDU/C­SU-­Bun­des­tags­frak­tion

Grundrechte-Report 2009, Seite 169

„Nacht muss es sein, wo Friedlands Sterne strahlen!“ Wer sich als Retter profilieren und unentbehrlich machen will, der muss sein Opfer davon überzeugen, dass es in einer Welt dräuender apokalyptischer Schrecken und Gefahren lebt. Da hat man nur noch die Wahl, entweder überwältigt zu werden, oder sich rechtzeitig den tatkräftigen Kriegsherren in Gestalt des Bundesinnen- und des Verteidigungsministers anzuvertrauen, vor allem, wenn es Konservative sind: Retter im „war on terror, on drugs, on organized crime“, überall in einem Krieg, der nicht erklärt wurde und ohne Frieden sein wird.

Der Mechanismus ist seit Jahrzehnten unverändert. Ein Staat, der aufgerüstet werden soll, braucht Gegner. Es sind immer welche da, Mafia, Geldwäscher und kriminelle Schlepperbanden, Kinderschänder, Rauschgifthändler, Organisierte Kriminalität, Wirtschaftsflüchtlinge – jedenfalls wenn es zu viele sind – und vor allem Terroristen, Rote Zellen und RAF, terroristische Vereinigungen nationaler, internationaler und transnationaler Art und ihre Sympathisanten, Islamisten, „Gefährder“, Hassprediger und „Schläfer“, die noch nichts getan haben. Terroristen sind die apokalyptischen Reiter der Reaktion.

Wo die Gefahr wächst, da wächst das Rettende auch. So haben wir eine innenpolitische Aufrüstung bis an die Grenze des Erträglichen und darüber hinaus erlebt. Sie führte von der ständig wachsenden Ausdehnung heimlicher und präventiver Überwachungsmaßnahmen durch Polizei und „Dienste“ bis zur Datensammlung aller Telekommunikationskontakte aller Bürger Europas nur mal eben so, auf Vorrat, und zu ernst gemeinten, beschämenden Diskussionen darüber, ob man wenigstens im Notfall ein bißchen foltern dürfe und ob man unser gutes Recht überhaupt auf Feinde des Rechtsstaats anwenden müsse. Es ist eine dünne Decke, die uns vom Rückfall in brutale Barbarei trennt. Kann es da bei dem Verbot bleiben, die Bundeswehr mit militärischen Mitteln nach Kriegsrecht im Inland einzusetzen?

Histo­ri­scher Rückblick

Deutsche Verfassungen waren nicht immer so zurückhaltend wie das Grundgesetz. Die Reichsverfassung von 1871 erlaubte dem Kaiser, jeden Teil des Reiches – natürlich nur außerhalb Bayerns! – „als in Kriegszustand“ zu erklären. Immerhin hatte sich der spätere Kaiser Wilhelm schon im März 1848 den Namen „Kartätschenprinz“ verdient und ließ das Militär wiederholt bei Arbeitskämpfen einsetzen. Der Weimarer Reichspräsident konnte „erforderlichenfalls mit Hilfe der bewaffneten Macht einschreiten“ und bestimmte Bürgerrechte „außer Kraft setzen“. Dazu bestand mehr Anlass als Bereitschaft. Geholfen hat es nichts. Der dritte Reichspräsident hatte ohnehin andere Vorstellungen über die Anwendung der bewaffneten Macht.

Das Grundgesetz schwieg bis zur Notstandsverfassung von 1969. Bei der Einführung der Wehrpflicht bestand die damalige Opposition darauf, den Einsatz der Bundeswehr im Inland auf wenige Fälle zu beschränken, auf die logistische und polizeiliche Katastrophenhilfe, auf bürgerkriegsartige Vorgänge und den Objektschutz im Spannungsfall. Aufgabe der Wehrpflichtarmee sollte die in Artikel 115a GG definierte Verteidigung sein und sonst nur das, was in der Verfassung ausdrücklich zugelassen wird – eine nach dem „Gebot der strikten Texttreue“ auszulegende Einschränkung. Die Bundeswehr soll bei innenpolitischen Auseinandersetzungen nicht als ungelernte Hilfspolizei der Bundesregierung und auch sonst nicht nach irgendwelchen kunstvollen Auslegungen des Verfassungstextes eingesetzt werden, sondern nur mit dem ausdrücklichen, in der Verfassung niedergelegten Willen der Rechtsgemeinschaft. Man war sich der Möglichkeiten des Missbrauchs bewusst. Und tatsächlich würde es weder die Sicherheit, noch das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung fördern, wenn man bewaffnete Militärposten nach südamerikanischem Vorbild vor U-Bahnen, Hotels, Banken und Supermärkte stellen würde.

Diese Selbstbeschränkung scheint nicht mehr allen zu passen. Am Ende des kalten Krieges war die Republik zu ihrer Überraschung nur noch von Freunden umgeben. Sie hatte – und hat! – im Bundesgrenzschutz eine anscheinend fast vergessene militärähnliche Bundespolizei und musste die Rolle der Bundeswehr und der Wehrpflicht neu definieren.

Da gab es mehr Motive und Beteiligte als nur jenen Feldwebel, der bei dem ersten internationalen Einsatz der Bundeswehr in Somalia aus dem eben gelandeten Flugzeug mit den Worten kletterte: „Zurück in der Familie“! Es ging ihm wohl darum, endlich als vollwertiger Soldat diesen ganzen elenden historischen Ballast, die lästige Erinnerungskeule an Krieg und Verbrechen abzuwerfen und wieder frisch anfangen zu können. Wo die Fahne weht, ist der Verstand eben in der Trompete.

Andere begriffen, dass Umfang und Kosten der Armee ebenso wie die allgemeine Wehrpflicht ausschließlich männlicher Berufsanfänger immer stärkere öffentliche Zweifel ausgelöst haben. Womit erwerben wir mehr Sicherheit, mit immer teureren Waffen oder besser mit größeren Aufwendungen für die politische, soziale und kulturelle Stabilität der Problemländer unserer Region? Dient die seit 1999 veränderte Aufgabenstellung der NATO und ihre ständige Ausdehnung nach Osten dem Frieden oder führt sie zu neuem Wettrüsten? Zwingt die Übertragung von Hoheitsrechten nach Artikel 24 GG auf ein kollektive Sicherheitssystem zum weltweiten Einsatz der Bundeswehr auch ohne ausdrücklichen Auftrag des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen? Muss die Bundesrepublik jahrzehntelang, ob gerufen oder nicht, auf dem Balkan, in Somalia, am Horn von Afrika, im Sudan, im Kongo, am Libanon, im Indischen Ozean, am Hindukusch und vielleicht demnächst am Elbrus verteidigt werden?

Mit rhetorische Kunst­griffen zum Vertei­di­gungs­fall

Den Verfassern der Schrift zur „Sicherheitsstrategie“ der Unionsfraktion sind solche Fragen fremd. Sie glauben, die Bedrohungslücke mit einem rhetorischen Kunstgriff schließen zu können. Das Papier erklärt jede denkbare Beeinträchtigung der ökonomischen oder ökologischen Interessen der Bundesrepublik, die Störung von Verkehrs-, Energie- und Finanzinteressen, die Offenhalten des globalen Zugangs zu Kapital-, Absatz- oder Beschaffungsmärkten, zu Kommunikationsnetzen und die Nutzung der Pipelines, die Energie- und Rohstoffversorgung, den Klimawandel, die Stabilität oder Schwäche anderer Staaten in gleicher Weise zu einer Sicherheitsfrage, wie Terrorismus oder militärische Bedrohung. Zu all dem könne der Einsatz militärischer Mittel weltweit notwendig werden, auch vorbeugend. „Um Konflikten und Krisen vorzubeugen“, schreiben die Verfasser, „müssen wir gemeinsam mit unseren Partnern unsere Fähigkeiten zur Prävention gezielt stärken, um kulturell und religiös angepasste Stabilisierungslösungen anbieten zu können.“ Neben der militärischen Terrorismusbekämpfung rangieren gleichrangig die Beschränkung der Rüstungsexporte und die Verhinderung der Proliferation – natürlich nicht für die Bundesrepublik selbst, deren „seit langem bestehende nukleare Teilhabe“ und deren Einfluss auf Raketenabwehrsysteme bestehen bleiben müsse. Auch mit militärischen Mitteln müssen die Energie- und Rohstoffversorgung gesichert und die Folgen des Klimawandels bewältigt werden, auf dem Balkan, rund um das Mittelmeer und bei den Ländern „des kaukasischen, kaspischen und des zentralasiatischen Raums“ und im „Nahen und Mittleren Osten“. Auch Asien und Lateinamerika werden nicht ausgelassen. Die europäische Politik sei „in ihrer spezifischen zivil – militärischen Reaktionsfähigkeit weiter zu stärken und komplementär und interoperabel zur NATO“ aufzubauen. Eine „Europäische Gendarmerie oder schnelle zivile Krisenreaktionsteams“ seien einzurichten und „das Völkerrecht den zentralen Herausforderungen anzupassen.“ – nicht umgekehrt! Das Papier betont zwar die nötige Stärkung der internationalen Bündnisse und der Vereinten Nationen. Aber militärische Einsätze müssten auch ohne Mandat der Vereinten Nationen möglich sein. Das Papier fordert ohne Umschweife den Einsatz der Bundeswehr im Inland, die Transformation der Bundeswehr zu „flexiblen, und auf Distanz verlegbaren, durchhaltefähigen Streitkräften“, eine eigene und europäische Rüstungspolitik, die Änderung des Parlamentsbeteiligungsgesetzes und dementsprechend einen „Nationalen Sicherheitsrat“ mit Entscheidungskompetenzen.

Da fehlt nichts zur durchgängigen Militarisierung der Außen- und Innenpolitik mit dem Ziel, wenn nicht als Deutschland, dann doch als transatlantischer Bündnispartner die Welt an unseren Interessen ausrichten zu können. Die Verfasser spielen mit dem Feuer: Wenn die Gefährdung oder Beeinträchtigung von Interessen zum Verteidigungsfall wird, der militärische Mittel rechtfertigen könnte, dann bedeutet das eine klare Absage an das bisherige Völkerrecht, an den in der UN-Satzung vereinbarten Gewaltverzicht und den offenkundigen Missbrauch des Rechtes auf Selbstverteidigung.

Bundes­mi­nister reden Milita­ri­sie­rung das Wort

Das Papier beruht auf Überlegungen, die seit Jahrzehnten in der CDU und nun auch im Verteidigungsministerium entwickelt wurden. Schon vor der Veröffentlichung des Weißbuchs 2006 hatte der Minister gefordert, den Begriff der Verteidigung um wirtschaftliche Interessen, zum Beispiel die Sicherung von Energielieferungen, zu erweitern und eine zivil-militärische Zusammenarbeit aufzubauen. Er hat inzwischen ohne gesetzliche Grundlage ein mit Reservisten bestücktes, bis in jeden Regierungsbezirk der Bundesländer organisiertes „SKUKdo“ (Streitkräfteunterstützungskommando) als „ZMZ“ (zivil-militärische Zusammenarbeit) eingerichtet, deren Aufgaben auch beim Katastrophenschutz unklar bleiben. Natürlich fordert auch er den Einsatz der Bundeswehr im Inland. Trotz des ausdrücklichen Verbots des Bundesverfassungsgerichts berühmte er sich ungerührt, bei einer mutmaßlichen Bedrohung den Abschuss eines Passagierflugzeugs zu „befehlen“, also einen Kampfpiloten zum massenhaften Rettungstotschlag anzustiften.

Der Bundesinnenminister ahnt immerhin, dass er mit der Verfassung kollidiert, wenn er terroristische, also politisch motivierte Verbrechen als „asymmetrischen Krieg“ bezeichnet oder die „Auflösung des Gegensatzes von innerer und äußerer Sicherheit“ behauptet, um den Einsatz der Bundeswehr im Inland als „Verteidigung“ darstellen und dabei den Einsatz militärischer Waffen nach ungeschriebenem Kriegsrecht rechtfertigen zu können. „Die Verfassung“, klagt Schäuble schon 1996, „ist immer weniger das Gehege, in dem sich demokratisch legitimierte Politik entfalten kann, sondern immer stärker die Kette, die den Bewegungsspielraum der Politik lahmlegt.“ Das ist ein bedauernswerter Offenbarungseid eines bis dahin verdienten Ministers, der für die Verfassung zuständig sein will.

Es ist äußerste Aufmerksamkeit geboten, wenn versucht wird, die Grenzen zwischen Krieg und Frieden zu verwischen und den Einsatz der Bundeswehr mit militärischen Mitteln im Inland zu erlauben. Wer erklärt da wem den Krieg? Sind Terroristen Soldaten oder Verbrecher, bei deren Bekämpfung nicht Polizei- und Strafrecht, sondern zu Lasten der Bevölkerung allgemeines, nicht kodifiziertes Kriegsrecht gelten soll? Die inflationäre Übernahme des amerikanischen Sprachgebrauchs vom „Krieg“ gegen Drogen, organisierte Kriminalität und gegen Terror verführt dazu, fundamentale Grundsätze unseres Rechts niederzureißen. Es geht nicht um juristischen Formalismus. Es geht völkerrechtlich um die Vorstellung, eigene Interessen mit militärischer Gewalt durchsetzen zu können. Und es geht innerstaatlich um die Loslösung von mühsam erkämpften rechtsstaatlichen Begrenzungen staatlichen Handelns bis hin zu dem Anspruch der Regierung, selbst über das Leben der Bürger verfügen zu können, wenn sie es für sinnvoll hält.

Militär im Innern durch Vertrag von Lissabon?

Es hat den Anschein, dass der Innenminister mit dem Vertrag von Lissabon, den der Deutsche Bundestag nahezu im Blindflug verabschiedet hat, seinem Ziel einen Schritt näher kommen wird. In der „Solidaritätsklausel“ des Artikel 222 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) versprechen sich die Mitgliedstaaten auch den Einsatz militärischer Mittel im Inland zur Abwehr und zum Schutz vor terroristischen Bedrohungen, also vorbeugend, und natürlich ohne jede parlamentarische Beteiligung. Schon wird gefordert, die Bundesrepublik habe sich durch den Vertrag verpflichtet, ihre Verfassung dieser europäischen Regelung anzupassen. Denn mit dem Vertrag sei statuiert, dass es sich um ein transnationales Problem handele. Der massive Einsatz der Bundeswehr mit militärischen Mitteln zum Schutz des G 8-Gipfels in Heiligendamm war ein unrühmlicher Anfang. Die von der Koalition vorgeschlagene Änderung des Artikel 35 Absatz 4 Grundgesetz geht erheblich weiter. Sie ist eine Ermächtigung zum Einsatz der Bundeswehr im Inland mit militärischen Mitteln, die das „ob“ kaum begrenzt und das „wie“ vorsätzlich offenlässt.

Wer Notstand predigt, wird Krieg ernten. Innere Sicherheit ist kein Selbstzweck. Sie muss dem inneren Frieden einer Gesellschaft dienen und nicht dazu, sie in einen Ausnahmezustand zu versetzen. Terrorismus ist nicht nur politisch motivierte Kriminalität, sondern auch die Einladung zur Selbstzerstörung. Wir wissen, dass es Terrorismus gibt. Aber wir verlieren deswegen nicht die Fassung. Und wir sollten auch nicht bereit sein, seinetwegen unsere Verfassung zu verlieren.

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