Asyl unter „Terrorismusvorbehalt“ - Vermehrter Entzug des Flüchtlingsschutzes
Grundrechte-Report 2010, Seite 152
„Politisch Verfolgte genießen Asylrecht“ (Artikel 16a Absatz 1 des Grundgesetzes). Ein einfacher Satz, über den im Grundrechte- Report schon viel geschrieben werden musste. Schon vor dem 11. September 2001 ist es für Menschen, die in der Bundesrepublik um Asyl nachsuchen, nicht einfach gewesen, den erhofften Schutz vor politischer Verfolgung zu finden, wenn sie einer bewaffneten Widerstandsorganisationen nahe stehen oder gestanden haben. Eine Anzahl von Änderungen im deutschen Asylrecht und die so genannte Qualifikationsrichtlinie (2004/83/EG) vom 29.04.2004 über gemeinsame Mindeststandards für Asylanerkennungen in der Europäischen Union haben mit der programmatischen Ansage, dass Europa kein sicherer Hafen für „Terroristen“ sein soll, die Hürden für Flüchtlinge höher schrauben wollen.
Asylgrundrecht unter „Terrorismusvorbehalt“
Dabei war alles rechtlich so einfach gewesen: Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichte darf sich auf das Asylgrundrecht nur berufen, wer in Deutschland Schutz und Frieden sucht. Wer von der Bundesrepublik aus terroristische Aktionen im Ausland leitet, plant oder durchführt, erweist sich als „asylunwürdig“. Von diesem so genannten Terrorismusvorbehalt des Asylgrundrechts nicht erfasst sind Menschen, die sich von Deutschland aus nicht an terroristischen Aktionen beteiligen. So sieht es, folgt man dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR), auch bis heute die Genfer Flüchtlingskonvention (GFK). Nach dem 11. September 2001 kam freilich Bewegung in die Sache: Mit der Resolution Nr. 1373 (2001) des UN-Sicherheitsrats und der Erstellung von sog. Terrorismuslisten der Vereinten Nationen und der Europäischen Union und schließlich mit der Qualifikationsrichtlinie sind neue Argumente gegen den Flüchtlingsschutz für mutmaßliche Militante auf den Markt der Meinungen gekommen. Auch längst beantwortete Fragen werden neu gestellt: Sind Mitglieder und Sympathisanten militanter Organisationen ohne Ansehung des Einzelfalls vom Flüchtlingsschutz ausgeschlossen? Gilt dies auch für ehemalige Mitglieder? Was ist eigentlich Terrorismus und welche Bedeutung haben die Terrorismuslisten? Wirkt sich die Qualifikationsrichtlinie auch auf den Schutz politisch Verfolgter nach dem Asylgrundrecht aus? Auf alle diese Fragen finden Jurist/innen viele, sich widersprechende Antworten. Im Dickicht der Argumente will dieser Beitrag seine Leser/innen nicht verstricken. Hilfreich ist aber ein Blick auf die Akteure: Es steht auf der einen Seite vor allem das dem Bundesinnenministerium unterstellte Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) als zentrale Asylbehörde in Deutschland. Dieses vertritt vehement die Auffassung, dass selbst ehemalige Angehörige terroristischer Organisationen von dem Asylrecht und dem Flüchtlingsschutz ausgeschlossen sind, weil die Qualifikationsrichtlinie alle – auch ehemalige – Mitglieder dauerhaft vom Flüchtlingsschutz ausschließen wolle. Was terroristisch ist, wird dabei anhand der Terrorismuslisten der EU bestimmt. Dagegen stehen viele Verwaltungsgerichte, angeführt von dem Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen. Dieses folgt dem Hohen Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und sieht nur diejenigen Flüchtlinge als asylunwürdig an, die sich erhebliche Verbrechen zu Schulde kommen ließen und von denen auch für die Zukunft Gefahren ausgehen. Das zum Schiedsrichter bestimmte Bundesverwaltungsgericht hält es in der Sache mit dem BAMF, sieht sich aber in einem Beschluss vom 14.10.2008 dazu veranlasst, den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg zur Auslegung der Qualifikationsrichtlinie zu befragen. Die Antwort steht noch aus.
Und die Betroffenen?
Die ausgedehnte Handhabung des Terrorismusvorbehalts durch das BAMF fällt zeitlich zusammen mit massenhaften Widerrufen der Asylanerkennungen von Flüchtlingen aus bestimmten Herkunftsstaaten, etwa dem Irak und der Türkei. Daher sehen sich insbesondere politisch Verfolgte aus der Türkei dem Vorwurf ausgesetzt, als Anhänger militanter Organisationen wie der PKK oder der DHKP-C „Terroristen“ und des Flüchtlingsschutzes unwürdig zu sein. Widerrufe und Asylantragsablehnungen treffen nunmehr verstärkt Flüchtlinge, die bislang Schutz und ein Aufenthaltsrecht erhielten. Das BAMF vertritt dabei die These, dass auch schwerbehinderte Folteropfer eine Bedrohung für die Sicherheit der Bundesrepublik sein sollen, wenn sie in der Vergangenheit am bewaffneten Kampf in ihrer Heimat beteiligt haben. Die Folgen für die Betroffenen sind hart: Es steht ihnen allenfalls noch ein Abschiebungsverbot zu, das in der Praxis regelmäßig in Kettenduldungen, reduzierte Gesundheitsfürsorge, Reiseverbote, Aufenthaltsbeschränkungen und Arbeitsverbote mündet. Der Weg in ein bürgerliches Leben, der bislang immer auch als Indikator für die Abwendung von bewaffnetem Kampf und die Integration in die Bundesrepublik gewertet wurde, ist ihnen unter diesen Umständen dauerhaft verschlossen. Mit der Formel „Einmal Terrorist – immer Terrorist“ ist zugleich die Entscheidung für den Rest des Lebens gefallen: Aus anerkannten Flüchtlingen werden De-facto-Internierte, die Zombies des Aufenthaltsrechts.
Ein Terrorist bleibt ein Terrorist
Die Botschaft, die das BAMF mit einer gewissen Billigung des Bundesverwaltungsgerichts aussendet, ist klar: Ein Terrorist bleibt ein Terrorist, und wer Terrorist ist, bestimmt die Exekutive. Das BAMF entfernt sich damit, gedeckt vom Bundesverwaltungsgericht, in einem sicherheits- und außenpolitisch sensiblen Bereich gründlich von der Bindung an das Asylgrundrecht und seinen humanitären Kern. Den Hebel hat ihm die Qualifikationsrichtlinie der Europäischen Union geliefert, und am Hebel ist nunmehr der Europäische Gerichtshof.
Dabei wird niemand allen Aktionen militanter Organisationen im Ausland Beifall zollen wollen, weder politisch noch vom menschenrechtlichen Standpunkt aus. Die Antwort auf die Frage, welcher Kampf im Ausland als Befreiungskampf legitim geführt wird und wer „Terrorist“ ist, haben sich die Mitgliedstaaten der Europäischen Union allerdings mit ihren Terrorismuslisten schon selbst gegeben. Die sich nunmehr stellenden menschenrechtlichen Grundsatzfragen werden, wie die von den Obergerichten entschiedenen Fälle zeigen, vor allem auf dem Rücken derjenigen ausgetragen, die in Deutschland den militanten Kurs ihrer Gesinnungsgenoss/innen weder weiter betreiben noch überhaupt weiter betreiben können: Traumatisierte, Folteropfer, geflohene Strafgefangene, Aussteiger und Deserteure militanter Organisationen. Ginge es nach dem Schema des BAMF, wäre sogar diesen der Flüchtlingsschutz für immer versagt. Das Bundesverwaltungsgericht lässt freilich eine kleine Luke offen: Auch frühere Unterstützer terroristischer Aktivitäten könnten einen Flüchtlingsstatus erhalten, wenn sie sich von ihren früheren Taten nicht nur distanzieren, sondern aktiv an der Verhinderung weiterer Terrorakte mitwirken. In der Tat: Wie viele Menschen Flüchtlingsschutz erhalten oder bewahren konnten, weil sie Polizei und Geheimdiensten Informationen über ihre früheren Gesinnungsgenoss/innen geliefert haben, ist unbekannt.