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Feuertod im Polizei­ge­wahrsam - Bundes­ge­richtshof verhindert endgültige Kapitu­la­tion des Rechts­s­taates

Grundrechte-Report 2010, Seite 56

Der Prozess um den Feuertod des Asylsuchenden Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle muss nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes neu aufgerollt werden (Urteil vom 7.01.2010 – 4 StR 413/09). Damit ergibt sich die Chance, dass dem vorangegangenen Polizei- und Justizskandal (vgl. Rolf Gössner, Grundrechte-Report 2008, S. 67 ff.) nicht die endgültige Kapitulation des Rechtsstaates auf dem Fuße folgt.

Anfang 2005 hatten Dessauer Polizisten den Sierra-Leoner Oury Jalloh aufgegriffen, weil er Reinigungskräfte auf der Straße belästigt haben soll. Jalloh war betrunken und wurde in Gewahrsam genommen. Die Polizisten fesselten ihn an Händen und Füssen, weil er angeblich Widerstand leistete, fixierten ihn auf einer Matratze in der Arrestzelle und ließen ihn stundenlang allein – unterbrochen nur durch gelegentliche Kontrollgänge. Dieser „Verhinderungsgewahrsam“ sollte seiner „Eigensicherung“ dienen. Am 7. Januar 2005 verbrannte Jalloh in der rundherum gekachelten Sicherheitszelle bei lebendigem Leib. Todesursache: Hitzeschock.

Verschlepptes Verfahren und drängende Fragen

Die Aufklärung wurde mehr als zwei Jahre lang verschleppt. Die Staatsanwaltschaft hatte sich frühzeitig auf die Hypothese einer Selbstanzündung festgelegt: Das Opfer habe die schwer entflammbare Matratze, trotz vorheriger Durchsuchung und Fesselung selbst angezündet – mit einem Feuerzeug, das erst bei einer nachträglichen Zellendurchsuchung nach dem Brand gefunden worden sein soll. Erst auf Veranlassung von Jallohs Freunden wurde eine zweite Obduktion durchgeführt, wobei ein Nasenbeinbruch und eine Mittelohrverletzung festgestellt wurden, Verletzungen, die  er vor seinem Feuertod erlitten haben muss.

Das Strafverfahren vor dem Landgericht Dessau brachte nach mehr als zweijähriger Verhandlungsdauer und 59 Verhandlungstagen keine Klärung der Todesumstände. Von den sich aufdrängenden Fragen blieben viele ohne Antwort:

  • Ist Oury Jalloh vor seinem Tod misshandelt worden?
  • Darf ein Betrunkener mit fast drei Promille in einer Zelle an allen Gliedmaßen fixiert werden, ohne dass er kontinuierlich beaufsichtigt wird?
  • Wie gelangte ein Feuerzeug, trotz intensiver Durchsuchung, in die Zelle? Warum wurde es so spät gefunden?
  • Wie kann ein alkoholisierter und fixierter Mensch ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche fingern und eine feuerfeste Matratze anzünden
  • Weshalb hat einer der angeklagten Polizisten nicht rechtzeitig auf den Brandmelder reagiert?
  • War es Selbsttötung, die durch rechtzeitiges Reagieren hätte verhindert werden können, war es unterlassene Hilfeleistung, fahrlässige Tötung oder gar Mord aus rassistischer Motivation, wie manche mutmaßen?

Wider­sprüche und Erinne­rungs­lü­cken

Den beiden vor dem Landgericht Dessau angeklagten Polizisten warf die Staatsanwaltschaft Körperverletzung mit Todesfolge im Amt beziehungsweise fahrlässige Tötung durch Unterlassen vor: dem einen, weil er bei der Durchsuchung ein Feuerzeug übersehen habe, dem Hauptangeklagten, der als Dienstgruppenleiter die Verantwortung für den Gewahrsamsbereich getragen hatte, weil er die Gegensprechanlage wegen der starken Geräusche aus der Gewahrsamszelle leise gestellt, den Brandalarm zweimal weggedrückt und erst auf Drängen einer Kollegin die Zelle aufgesucht haben soll. Vor Gericht relativierte diese Belastungszeugin  allerdings ihre ursprüngliche Aussage. Sie stand offenbar unter enormem Druck, nachdem sie gegen ihren Willen versetzt worden war und dies als Bestrafung empfand.

Den Prozess durchzogen eklatante Widersprüche und auffällige Erinnerungslücken der auftretenden Polizeizeugen. Während des laufenden Prozesses hatte im Polizeirevier ein ominöses Zeugeninformationstreffen stattgefunden, in dem es um Verhaltensregeln und Aussagen einzelner Polizeizeugen ging. Nicht nur die Nebenklage sprach vom Versuch einer „Manipulation“. Auch der Vorsitzende Richter wurde deutlich: „Dieses Verfahren strotzt nur so vor Schlamperei und Versäumnissen“.

Standpaukendes Richters , dem ob des Aussagenverhaltens der Polizeizeugen des Öfteren der Kragen platzte, zeigten nur begrenzte Wirkung. Immerhin: Eine erneute Vernehmung eines Polizeizeugen ließ aufhorchen. Er sagte aus, dass er nach Öffnen der Gewahrsamstür durch den Angeklagten – trotz des dichten Qualms – zwei Schritte in die Zelle gemacht und Jallohs festgeschnallten Körper gesehen habe. Es sei ihm aber nicht gelungen, die Matratze zu löschen. „Das einzige, was geholfen hätte, wäre gewesen, ihn sofort loszumachen.“ Er habe allerdings keine Schlüssel gehabt, um die Fesseln lösen zu können. Die hatte der Hauptangeklagte, der zuvor bestritten hatte, dass es möglich gewesen sei, die verqualmte Zelle zu betreten.

Organi­sierte Verant­wor­tungs­lo­sig­keit

Die Aussage der Polizeizeugen erlaubten einen erschreckenden Einblick in die Organisation, das Verhalten und die Mentalität im Dessauer Polizeirevier. Man könnte von organisierter Verantwortungslosigkeit sprechen. Ein stark alkoholisierter Mensch wird für gewahrsamstauglich erklärt, an allen vier Gliedmaßen über Stunden fixiert. Trotz gesteigerter Garantenpflicht der Polizei gegenüber dem Fixierten wurden Kontrollgänge nachlässig absolviert und beunruhigende Auffälligkeiten ignoriert. Schon aufgrund mangelnder Brandschutzmaßnahmen und ignoranter Beamter war die Zelle ein gefährlicher Ort. Erst nach Jallohs Tod wurde die Gewahrsamsordnung geändert: Heute würde er in ein Krankenhaus gebracht und medizinisch betreut.

Der Freispruch für die beiden Polizeibeamten führte zu einem der größten Tumulte, die deutsche Gerichtssäle in den letzten Jahren gesehen haben. Der Vorsitzende Richter erklärte in der mündlichen Urteilsbegründung, ein rechtsstaatliches Verfahren sei aufgrund des polizeilichen Aussageverhaltens nicht möglich gewesen. Opportunismus angesichts der wütenden Menge im Gerichtssaal und vor den Toren des Gerichts? In der schriftlichen Urteilsausfertigung jedenfalls fand sich von alledem nichts. Widersprüche in zentralen Aussagen, wie sie im Gerichtssaal  deutlich geworden waren, fanden sich im Urteil nur noch in erheblich geglätteter Form (Urteil LG Dessau-Roßlau v. 8.12.08 – 6 Ks 4/05).

Späte Aufklärung?

Nicht nur auf die Diskrepanz zwischen mündlicher und schriftlicher Urteilsbegründung wies der Bundesgerichtshof dankenswerterweise hin. Die Vorsitzende des 4. Strafsenats, Ingeborg Tepperwien, betonte, die Angehörigen hätten ein Recht auf ein rechtsstaatliches Verfahren. Die Lücken, die das Dessauer Urteil aufweise, müssten so gut wie möglich geschlossen werden. Die Abläufe in der Todeszelle könnten so nicht gewesen sein, wie das Urteil aus Dessau sie beschreibe. Der Dienstgruppenleiter habe jedoch – ungeachtet aller notwendigen Aufklärung durch das jetzt zuständige Landgericht Magdeburg – gegen seine Pflicht verstoßen. Er hätte beim ersten Signal des Rauchmelders in der Zelle, sofort einen Kontrollgang machen müssen. Damit deutet sich an, dass Oury Jallohs Tod in der Polizeizelle nicht völlig ungesühnt bleiben wird. Ob jedoch die nachholende Aufklärung fünf Jahre nach der Tat wirklich das leisten kann, was sich Verwandte und Unterstützer von Oury Jalloh erhoffen, bleibt ungewiss. Voraussetzung hierfür wäre wohl ein Ausbrechen einzelner Polizeibeamter aus der Kultur der falsch verstandenen Kameraderie.

Auch über den Fall Oury Jallohs hinaus muss ein besonderes Interesse an der weiteren Aufklärung bestehen. Es kommt immer wieder vor, dass insbesondere Angehörige von Minderheitengruppen, darunter Migranten, Obdachlose, Drogenabhängige und Nicht-Weiße im Polizeigewahrsam schwer verletzt werden oder ums Leben kommen, ohne dass die Fälle aufgeklärt und strafrechtlich geahndet werden. Nach einer Studie der Universität Halle starben zwischen 1993 und 2003 128 Menschen in deutschen Polizeigewahrsamen. Jeder zweite Tod hätte verhindert werden können.

Literatur

LG Dessau-Roßlau – Urteil vom 8. Dezember 2008 – 6 Ks 4/05

BGH-Urteil vom 7. Januar 2010 – 4 StR 413/09

Rolf Gössner, Abschließender Bericht eines Prozessbeobachters vor dem Landgericht Dessau unter:  www.proasyl.de/de/presse/presseuebersicht/

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