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Toleranz auf Hessisch - Keine staatliche Neutralität in Glaubens­fragen

Grundrechte-Report 2010, Seite 77

Der hessische Kulturpreis 2009, verliehen für Toleranz, sollte Vertreter der protestantischen und katholischen Kirche, der Synagoge und der Moschee gemeinsam auszeichnen. Es war ein schönes Bild geplant. Nebeneinander würden bei der Preisverleihung stehen: Der Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann, der ehemalige hessen-nassauische Kirchenpräsident Professor Dr. Peter Steinacker, der Vizepräsident des Zentralrates der Juden Dr. Salomon Korn und der islamische Schriftsteller Dr. Navid Kermani. Doch daraus wurde nichts. Das Kuratorium unter Vorsitz des hessischen Ministerpräsidenten Koch änderte den Beschluss und entzog dem vorgesehenen muslimischen Preisträger den Preis. Warum? Kardinal Lehmann und Professor Steinacker hatten sich geweigert, den Preis gemeinsam mit Dr. Kermani anzunehmen, weil dieser ihren christlichen Glauben missachte.

Anlass war eine Bildbetrachtung Kermanis in der Neuen Züricher Zeitung. Es ging um ein Kreuzigungsbild von Guido Reni in der römischen Kirche San Lorenzo in Lucina. Kermani beginnt mit der überlieferten Ablehnung der Kreuzigung Jesu im Islam und seinen entsprechenden Emotionen „Gotteslästerung“, „Idolatrie“. Er erläutert seine Ablehnung auch mit der Ablehnung der Bewunderung des Schmerzes in seiner eigenen Tradition, der Schia, die er „fast pornografisch“ findet. Andererseits weist er darauf hin, wie viel er an christlichen Traditionen mitmachen und auch seiner Tochter in der Schule zugestehen konnte. Aber beim Kreuz Jesu sieht er eine Grenze, weil die Kreuzigung des Gesandten Gottes aus Achtung vor der Ehre und Würde Gottes nicht sein kann. Trotzdem rührt das Bild Renis ihn an. Er stellt zur eigenen Verwunderung fest, dass dieses Bild ihn zunehmend anspricht, da es nach seinem Eindruck nicht den Schmerz sondern den menschlichen Tod ins Zentrum rückt.
 

Christ­li­cher Protest …

Diese Bildbetrachtung haben die vorgesehenen christlichen Preisträger zum Anlass genommen, hart zu protestieren. Sie könnten nicht zusammen mit jemand einen Preis annehmen, der das Zentrum ihres Glaubens, das Kreuz Jesu, als gotteslästerlich beschreibe. Sie lehnen aber nicht nur die gemeinsame Verleihung des Preises ab, verzichten nicht persönlich, was sie natürlich jederzeit könnten, sondern erwarten, dass Ministerpräsident Koch und das Kuratorium nun handeln. Und das geschieht. Das Kuratorium entzieht Dr. Kermani den Preis, wie es die Oberhirten offensichtlich erwarten. Haben die Theologen nie gelesen, wie Paulus schon schreibt, dass das Kreuz den Juden ein Ärgernis und den Griechen eine Torheit ist? Haben sie nie zur Kenntnis genommen, wie die frühe Christenheit sich bemüht hat, ihren Glauben trotzdem den Menschen, die ihn zunächst ablehnten, verständlich zu machen? Haben sie nie über den Paulustext gepredigt und wissen sie nicht, wie viele Menschen bis heute mit dem Kreuz ihre Schwierigkeiten haben? Und haben sie sich auch nicht bemüht, andere Texte von Dr. Kermani zur Kenntnis zu nehmen, die sein Bemühen um das Gespräch unter den abrahamitischen Religionen zeigen?

… und der Staat weicht zurück

Das eigentliche Ärgernis ist aber die staatliche Reaktion. Statt den ganzen Artikel von Kermani zur Kenntnis zu nehmen, sein Bemühen um Verständnis trotz der entgegenstehenden eigenen Tradition zu würdigen, wird einfach der christliche Wink befolgt und der Moslem ausgeschlossen. Was hat ein solches Verhalten mit Kultur, mit Toleranz zu tun? Es ist das genaue Gegenteil. Im Grundgesetz heißt es in Artikel 3, dass niemand wegen  „…seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden darf.“ Reicht ein bischöflicher Brief  an den Ministerpräsidenten, die christliche Seite zu bevorzugen und die muslimische zu benachteiligen? Ist das die viel gerühmte hessische Toleranz? Oder ist es die Fortsetzung der ausländerfeindlichen Politik des Ministerpräsidenten gegen doppelte Staatsbürgerschaft und die Zustimmung zu einer christlichen Vorherrschaft, die in Hessen manche Blüten trieb (Ernstnehmen der Kreationisten  durch die frühere Kultusministerin und Stellvertreterin des Ministerpräsidenten, bischöfliche Ablehnung von Sexualaufklärung im Bistum Fulda) und alles andere als preiswürdige Kultur und Toleranz? Noch haben wir keinen christlichen Wächterrat nach persischem Muster, aber ein wenig erinnert der Vorgang daran.

Glaubens­kriege gehören der Vergan­gen­heit an

Dabei hat es in unserem Land solche Schrecken der Glaubenskriege, der Inquisition und der Verfolgung Andersdenkender gegeben, dass wir allen Grund haben, die schließlich erreichte staatliche Neutralität und Toleranz sorgsam zu hüten. Es gibt nicht mehr den Landesherrn, der von seinen Landeskindern verlangen kann, dass sie seiner Konfession folgen. Und es gibt auch nicht mehr die Übereinkunft des Westfälischen Friedens, dass selbst für die Landesherren nur drei Konfessionen zulässig sind: Katholisch, lutherisch und reformiert. Dass daneben in einzelnen deutschen Ländern Juden im Ghetto geduldet, in anderen wie in Bremen ganz ausgeschlossen waren, Mennoniten selbst im angeblich so toleranten Preußen nur gegen zusätzliche Steuern von militärischen Aushebungen befreit waren, gehört glücklicher Weise vergangenen Zeiten an. Der Rückfall der NS-Zeit in mörderische Unduldsamkeit mahnt zu sehr sorgsamem Umgang mit den Unterschieden zwischen Religionen und Weltanschauungen. Davon konnte beim hessischen Kulturpreis 2009 keine Rede sein.

Nach den ersten empörten öffentlichen Reaktionen wurde die Verleihung des hessischen Kulturpreises verschoben. Den drei vorgesehenen und dem einen nicht mehr vorgesehenen Preisträger sollte Gelegenheit zum klärenden Gespräch gegeben werden. Es war etwas spät, dass man anfing nachzudenken. Das Kind ist in den Brunnen gefallen. Der Toleranz und dem Gespräch zwischen den Konfessionen hat man einen Bärendienst erwiesen. Dass das Grundgesetz von staatlicher Neutralität ausgeht und staatliche Preise das zur Grundlage haben müssen, ist eine Sache. Dass man Leuten, die zum Gespräch und wohlwollenden Verstehen Andersdenkender unfähig sind, keinen Kulturpreis verleihen kann, müsste allerdings auch klar sein. Da reicht Verschieben nicht, da muss darauf bestanden werden, dass unser Staat weltanschaulicher Neutralität verpflichtet ist.

Inzwischen wurden Lösungen gesucht. Zunächst wurde ein muslimischer Ersatzpreisträger gefragt, Fuat Sezgin. Aber der lehnte wegen Aussagen des jüdischen Preisträgers Korn zu Israel ab. Wieder nichts mit der Toleranz! Dann kam es zu einem privaten Gespräch der ursprünglich vorgesehenen Preisträger, bei dem die Bedenken ausgeräumt wurden, und zu einem Kontakt des Vorsitzenden des Kuratoriums Ministerpräsident Koch mit Navid Kermani. Nun kann der Preis, wenn auch verspätet, verliehen werden, wie ursprünglich vorgesehen. Aber blamabel bleibt diese Spielart hessischer Toleranz doch.

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