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Verbot der Straßen­pro­sti­tu­tion zur Migra­ti­ons­ab­wehr

Grundrechte-Report 2013, Seite 79

Die 25-jährige Bulgarin A. ist Roma und stammt aus Plovdiv, Bulgarien. Sie arbeitete in Dortmund als Prostituierte. Am 17. August 2011 wurde sie von einem Freier in dessen Wohnung mit einem Messer angegriffen und kopfüber aus dem Fenster geworfen. Ihr Leben wird nie mehr dasselbe sein wie vor diesem Tag: Weil 95 Prozent des Dünndarms entfernt werden mussten, wird sie Zeit ihres Lebens auf künstliche Ernährung angewiesen sein.

Früher musste A. nicht in den Wohnungen ihrer Freier arbeiten. Sie arbeitete als Straßenprostituierte in der Ravensberger Straße in Dortmund. Hier hatte die Stadt Arbeitsbedingungen geschaffen, die bundesweit als beispielhaft galten, als „Dortmunder Modell“. Die Stadt hatte „Verrichtungsboxen“ aufgebaut mit Alarmknöpfen. Und es gab Betreuungsangebote. Heinrich Minzel, 1. Kriminalhauptkommissar beim Polizeipräsidium Dortmund stellte fest, mit dem „Dortmunder Modell“ sei ein „gewisses Vertrauensverhältnis“ zwischen Ordnungsbehörden und Prostituierten entstanden. Diese hätten „keine Scheu mehr, Straftaten zu ihrem Nachteil anzuzeigen“. Jährlich kam es so zu ca. 400 Strafanzeigen durch Prostituierte. Sein Fazit: Durch die jahrelange bewährte und gute Zusammenarbeit mit den Beratungsstellen und deren positives Einwirken auf Prostituierte sei es gelungen, schwere Straftaten wie „Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung“ zu verfolgen und aufzuklären.

„Dortmunder Modell“ am Ende

Doch seit dem 15. Mai 2011 war Schluss mit diesem „Dortmunder Modell“. Die Verrichtungsboxen wurden abgerissen und die Bezirksregierung Arnsberg verhing auf Drängen des Rates über das gesamte Stadtgebiet Dortmunds ein Verbot der Straßenprostitution. Ein solches Verbot gibt es in keiner anderen deutschen Großstadt. Die Bezirksregierung stellte sich auf den Standpunkt, überall in Dortmund sei zum Schutze der Jugend und des öffentlichen Anstands ein Verbot der Straßenprostitution erforderlich. Grundlage ist Artikel 297 Absatz 1 Nummer 3 EGStGB. Danach kann die Ausübung der Straßenprostitution aus Gründen des Jugendschutzes verboten werden. Daran hat auch das seit dem 1. Januar 2002 geltende Prostitutionsgesetz nichts geändert.

Doch beim Verbot der Straßenprostitution ging es vor allem um Migrationspolitik. Das Verbot sollte die Zuwanderung von Frauen aus Bulgarien und Rumänien verhindern. In einer Vorlage der Stadtverwaltung heißt es: „Es ist offenkundig, dass der große Zustrom aus Plovdiv in Dortmund auch deshalb erfolgt, weil es einen Wirkungszusammenhang zwischen den vorgefundenen Wohnmöglichkeiten in der Nordstadt und dem nahegelegenen Straßenstrich gibt. Die Prostitution ist für die zugewanderte Bevölkerungsgruppe eine der wenigen legalen Einnahmemöglichkeiten. Um die weitere Migration zu unterbinden, soll der wirtschaftliche Anreiz für die Straßenprostitution in Dortmund durch die Schließung des Straßenstrichs entfallen.“ Bereits jetzt seien 797 Bürgerinnen und Bürger aus Bulgarien und Rumänien im nördlichen Stadtbezirk der Westfalenmetropole gemeldet, die insgesamt über 580 000 Einwohner zählt. Da in Plovdiv „zur Zeit ca. 45.000 bis 50.000 Roma leben“, werde „der Zustrom nach Dortmund“ steigen „falls keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden.“ Ordnungsamtsleiter Ingo Moldenhauer: „Es sollte ein Signal bis nach Bulgarien gehen, dass man hier mit dem Straßenstrich kein Geld mehr verdienen kann.“ Andere rechtliche Möglichkeiten habe es nicht gegeben, den Zuzug zu stoppen, zitiert ihn die „Welt“.

Arbeiten wie Andere dürfen diese EU-Bürgerinnen nicht, denn Deutschland verwehrt ihnen bis 2014 das Recht auf Freizügigkeit als Arbeitnehmerinnen. Als einziger EU Staat neben Österreich.

Zahlen sind gering

Doch ein Blick in die Kassen der Stadt Dortmund offenbart, dass das Gerede vom „Zustrom“ von Prostituierten nicht viel mit der Realität zu tun hat. Denn über die Einnahmequelle „Prostitution“ lässt sich zeigen, wie viele Prostituierte auf dem Straßenstrich arbeiteten. Seit dem 03.Dezember 2010 kassierte die Stadt Dortmund bei den Straßenprostituierten eine Vergnügungssteuer in Höhe einer Kopfpauschale von 6 Euro je Tag. Die Frauen müssen Coupons in einem nahegelegenen Stundenhotel erwerben. Ordnungsamt und Polizei kontrollieren auf dem Straßenstrich die Steuerehrlichkeit der Frauen. Immerhin fließen so ca. 50.000 Euro in den städtischen Haushalt. Pro Tag werden knapp 50 Coupons verkauft. Also 50 Frauen die auf dem Straßenstrich der Prostitution nachgehen – eine überschaubare Gruppe.

So war es eher Erfolg einer groß angelegten Kampagne, die mit Übertreibungen arbeitete, dass es zur Schließung des Straßenstrichs kam. Sie richtete sich primär gegen die Zuwanderung von Roma. Dortmunds damaliger Polizeipräsident Schulze erklärte den Straßenstrich zur „Keimzelle“ der organisierten Kriminalität, warnte vor einer „lawinenartigen“ Entwicklung und forderte: „Wir müssen den Zuzug aus Osteuropa stoppen“. Auch die SPD im Ortsverein Dortmund Nord machte sich für die Schließung des Straßenstrichs stark: Unter dem Motto „Wir blasen ohne Gummi“ zogen Sozialdemokraten mit einer Blaskappelle über den Straßenstrich, um den Prostituierten zu signalisieren, dass sie verschwinden sollten. Die Lokalpresse übermittelte den Ratschlag des Bürgermeisters über die Roma Ghettos in Plovdiv an seine Amtskollegen in Dortmund: „Kompromisslos gegen Roma vorgehen“. Aber es gab auch Gegenwehr: Erstmals demonstrieren etwa 300 Dortmunder Prostituierte am 24. März 2011 gegen die beabsichtigte Schließung. Auch Dortmunds Nachbargemeinden protestieren, die Lokalpresse titelte: „Dortmunds Nachbarstädte fürchten Hurenansturm“.

Straßen­strich­verbot kein Instrument der Zuwan­de­rungs­po­litik, aber…

Trotz der öffentlichen Angriffe zog eine der Prostituierten vor Gericht: Sie klagte gegen die Sperrbezirksverordnung als Beschränkung ihrer Berufsfreiheit. Eine derartige Klage hat es in Deutschland zuvor nicht gegeben. Stadt und Bezirksregierung hielten die Klage für unzulässig, was vor dem Oberverwaltungsgericht Land Nordrhein-Westfalen nicht bestätigt wurde. In der Sache blieben die Eilverfahren jedoch in beiden Instanzen erfolglos. Überwiegendes spreche für die Rechtmäßigkeit der Verordnung. Sie könne zwar kein Instrument der Zuwanderungspolitik sein, denn ein Verbot der Straßenprostitution könne es nur zum Schutz der Jugend oder des öffentlichen Anstandes geben. Genau diese Voraussetzungen lägen jedoch vor. Dabei komme es nicht darauf an, dass im früher nicht gesperrten Bereich der Ravensburgerstraße Kinder allenfalls dann anzutreffen gewesen seien, wenn sie von den Freiern im Auto auf dem Kindersitz mitgebracht wurden. Denn die  Prostitution „franse“ angesichts einer „lawinenartigen Elendsmigration“ inzwischen auch dorthin aus, wo sie sowieso verboten sei. Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene müssten mit ansehen, wie Prostituierte sich „in Arbeitskleidung“ auf den Weg zum Straßenstrich machen und Anbahnungsgespräche führten. (OVG NW, Beschluss vom 25.03.2012, Az.: 5 B 892/11).

Sozialarbeiterin Elke Rehpöhler hielt dagegen: „Mit dem Verbot des Straßenstrichs sind die einzigen Bulgarinnen, die hier legal Geld verdient haben, bestraft worden“. Sie hatte die Frauen am Straßenstrich betreut, auch die 25 jährige Bulgarin A.
Doch an einer solchen aufgeklärten Sicht auf Prostitution mangelt es. In dem Gerichtsbeschluss zeigt sich, wie schwierig es nach wie vor ist, die Grundrechte von Prostituierten gegen eine scheinheilige – ins Gesetz gegossene – Moralvorstellung durchzusetzen. Verbunden mit einer ordentlichen Portion Rassismus von Seiten der Politik werden so progressive Ansätze mutwillig zerstört.

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