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Couragierte Frauen - derangierte Dienste - Erneuter Angriff auf Gemein­nüt­zig­keit

Grundrechte-Report 2014, Seite 97

Schon im Grundrechte-Report 2013 berichteten wir darüber, dass Vereine, die der Inlandsgeheimdienst für “extremistisch” hält, ihre Gemeinnützigkeit und damit unmittelbar ihre steuerlichen Begünstigungen verlieren können. Der Versuch der Bundesregierung, dem Verfassungsschutz über eine Änderung des Jahressteuergesetzes 2013 eine direkte und nicht “widerlegbare” Entscheidungsbefugnis über die Gemeinnützigkeit von Vereinen zu geben, scheiterte. Eine breite Kampagne von rund 180 Organisationen veranlasste die Bundesregierung zurückzurudern. Der Verfassungsschutz hat aber sein seit 2009 bestehendes Mitspracherecht über die Zuerkennung der Gemeinnützigkeit behalten. Das spüren immer wieder gemeinnützige Organisationen, die damit dem geheim arbeitenden und keiner öffentlichen Kontrolle unterliegenden Verfassungsschutz ausgeliefert sind.

Sogenannte Erkennt­nisse des Verfas­sungs­schutzes

So auch im Jahr 2010, als im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen der Frauenverband Courage e.V. dem Linksextremismus zugeordnet wird. Für den NRW-Verfassungsschutz ist Courage e.V. mal eine “Vorfeldorganisation” der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD), mal “ihr Frauenverband”, mal deren “struktureller Unterbau”, wie man etwa in den Verfassungsschutzberichten der Jahre 2010, 2011 und 2012 nachlesen kann. Belege finden sich für diese Behauptungen nicht. Courage selbst beschreibt sich auf ihrer Website als “überparteilich, demokratisch, finanziell unabhängig.” Die Organisation stehe für den “breiten Zusammenschluss der Frauenbewegung ohne antikommunistische Ausgrenzung”.

Zu den wegweisenden Erkenntnissen des Verfassungsschutzes in NRW gehört es, dass der Verband im Jahr 2010 den „9. Frauenpolitischen Ratschlag“ in Düsseldorf mit ausgerichtet hat, an dem sich „1.500 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus über 30 Nationen” beteiligten. Für den „10. Frauenpolitischen Ratschlag” 2012 in Ludwigsburg lautet die Erkenntnis des Inlandsgeheimdienstes, Courage habe sich daran „beteiligt”. Sie hätten sich gar an der „Formulierung und Bündelung frauenpolitischer Interessen auf internationaler Ebene” in Vorbereitung der „Weltfrauenkonferenz der Basisfrauen” zum 100. Internationalen Frauentag beteiligt. Dort seien durch Spendengelder auch „streikende Stahlarbeiterinnen und Stahlarbeiter in Griechenland unterstützt” worden. Der vor 22 Jahren gegründete Courage e.V. habe auf genannter Weltfrauenkonferenz gemeinsam mit 120 Delegierten anderer Frauenorganisationen zudem beschlossen, dass „drei gemeinsame Kampftage auf der Welt von der kämpferischen Frauenbewegung” begangen werden, nämlich der 8. März als „kämpferischer Frauentag”, der 1. Mai als „Kampftag der internationalen Arbeiterbewegung” und der 25. November als gemeinsam begangener Tag gegen die Gewalt an Frauen.

Beweislastumkehr

Auf Grundlage solcher geheimdienstlicher „Erkenntnisse” erhält Courage am 14. Dezember 2012 den Steuerbescheid des Finanzamts Wuppertal, der dem Frauenverband lapidar mitteilt, die Gemeinnützigkeit sei rückwirkend ab 2010 entzogen. Damit wird die Arbeit des Vereins erheblich eingeschränkt, seine finanzielle Stabilität gefährdet und das Ansehen beschädigt. Denn sie sind jetzt diejenigen, die dem Finanzamt nachweisen und es davon überzeugen müssen, dass ihre „Gesinnung” den Bestand der BRD nicht gefährdet. Courage erbringt mit einem Rechtsbeistand diesen Nachweis und widerspricht der Entscheidung des Wuppertaler Finanzamts, das zunächst gar nicht reagiert. Dann, nach fast einem Jahr, fordert das Finanzamt das Zurückziehen des Widerspruchs und teilt mit Schreiben vom 25. September 2013 der Rechtsvertretung des Vereins mit, dessen Ausführungen seien „nicht geeignet, die Feststellungen des Verfassungsschutzes zu widerlegen, dass es sich bei ihrem Mandanten um eine Vorfeldorganisation der MLPD handelt; das Bestehen einer personellen und ideologischen Verflechtung wird nicht widerlegt”, um dann die geforderte Beweislastumkehrung auf den Punkt zu bringen, wenn „eine Organisation im Verfassungsschutzbericht erwähnt [wird], muss sie die Feststellungen des Verfassungsschutzberichts widerlegen”. Der Verein hat angekündigt, den Widerspruch aufrechtzuerhalten und sich die Gemeinnützigkeit gerichtlich zurückzuholen.

Dass sich auch gemeinnützige Organisationen kritisch mit den vorgefundenen gesellschaftlichen Verhältnissen auseinandersetzen und darum streiten dürfen, diese zu verändern, das mag dem Inlandsgeheimdienst missfallen. Aber eine ernstzunehmende und sich selbst ernst nehmende Demokratie lebt vom Widerspruch. Dazu gehört das Grundrecht der Meinungsfreiheit.

Eben jenes Grundrecht zu verteidigen, ist schon hartes Brot. Es bleibt eine bedenkliche Volte im Demokratieverständnis der Bundes- und Landesregierungen Deutschlands, dass seit 2009 – das Jahr, seit dem der Verfassungsschutz bei Gemeinnützigkeit mitreden darf – dazu auch der Kampf gegen die Meinungen von Geheimorganisationen gehören muss. Diese Organisationen, die unkontrolliert und sehr konkret den Bestand eines Vereins gefährden können (und wollen), gehören abgeschafft. Bis es soweit ist, ist ihnen das Mitspracherecht zu Fragen der Gemeinnützigkeit zu entziehen. Das gebietet bereits der Nachweis ihrer Inkompetenz auch in diesem Bereich, der für die vergangenen fünf Jahre vielfach dokumentiert worden ist.

Literatur

Eick, Volker (2012): Hier steuert der Staatsschutz. Das Bundesfinanzministerium möchte den Verfassungsschutz über die Gemeinnützigkeit von Vereinen entscheiden lassen. In: RLS-Standpunkte, 9 (10). Berlin: Rosa Luxemburg Stiftung.

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