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Hauptsache wegge­sperrt? - Abschie­bungs­haft in Deutschland verletzt EU-Recht

Grundrechte-Report 2014, Seite 41

In Deutschland ist das Ein- und Wegsperren von Menschen nicht nur ein Mittel des Strafrechts, sondern auch der Migrationskontrolle. Ein- und Ausreisen von Flüchtlingen und Migrant/innen sollen durch Freiheitsentzug „gesteuert“ werden. Bei immer mehr Abschiebungshäftlingen handelt es sich um Asylsuchende, da aufgrund der Dublin-Verordnung ein anderer EU-Staat zuständig ist und sie zur Überstellung in diesen Staat inhaftiert werden. In grenznahen Abschiebungshaftanstalten sind bis zu 90 Prozent der Inhaftierten Asylsuchende, die von der Bundespolizei aufgegriffen wurden. Viele der betroffenen Menschen kommen aus Afghanistan, dem Irak, Iran, Somalia und Eritrea. Sie sind durch die Erlebnisse im Herkunftsland oder aber durch eine jahrelang anhaltende Flucht innerhalb Europas psychisch belastet. Für sie ist Haft deswegen als besonders problematisch anzusehen. Die bis zu 18 Monate dauernde Abschiebungshaft steht seit langem in der Kritik. Wegen eines möglichen Verstoßes der deutschen Abschiebungshaft-Praxis gegen EU-Recht hat nun der Bundesgerichtshof (BGH) den Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg angerufen.

„Normales Leben minus Freiheit“?

Anlass der EuGH-Vorlage ist, dass fast überall in Deutschland die Abschiebungshaft in Justizvollzuganstalten vollzogen wird. Dort sind in der Regel auch Straftäter oder Untersuchungshäftlinge inhaftiert. Gegen den Vollzug von Abschiebungshaft in einer Strafhaft spricht nicht nur, dass sich die Betroffenen stigmatisiert fühlen, weil sie wie vermeintlich gefährliche Kriminelle behandelt werden. Hinzu kommt, dass sie den gleichen sicherheitstechnischen Restriktionen wie Untersuchungshäftlinge oder Strafgefangene unterliegen, da es innerhalb einer Haftanstalt keine unterschiedlichen Sicherheitsstandards geben kann. Dies wirkt sich negativ beispielsweise bei den Kommunikationsmöglichkeiten, den Besuchsmöglichkeiten und der Bewegungsfreiheit innerhalb der Haftanstalt aus. Die Benutzung von Handys ist beispielsweise im Strafvollzug strikt verboten – in eigenständigen Abschiebungshaftanstalten dagegen erlaubt. Dies gilt auch für den Zugang zum Internet. Ebenso gibt es in der Abschiebungshaft keinen Grund, die Besuchszeiten von Angehörigen und Freunden zu beschränken. Insgesamt soll Abschiebungshaft keinen Gefängnis- oder Strafcharakter haben. Es soll der Grundsatz „normales Leben minus Freiheit“ gelten. Auch wenn dieser Grundsatz in sich widersprüchlich ist, weil das Eingesperrtsein niemals ein „normales Leben“ sein kann – der Vollzug in einer Strafvollzugsanstalt ist damit jedenfalls nicht vereinbar.

Verstoß gegen die EU-Rü­ck­füh­rungs­richt­linie

Seit Verabschiedung der EU-Rückführungsrichtlinie 2008 ist der Vollzug im Strafvollzug rechtlich höchst umstritten. Denn die EU-Rückführungsrichtlinie sieht ein Trennungsgebot vor, wonach Abschiebungshäftlinge nicht zusammen mit Strafgefangenen inhaftiert werden dürfen. Das heißt also, sie dürfen nicht zusammen in einer Zelle oder Abteilung untergebracht werden. Die Richtlinie geht aber noch weiter: „Die Inhaftierung [zwecks Abschiebung] erfolgt grundsätzlich in speziellen Hafteinrichtungen. Sind in einem Mitgliedstaat solche speziellen Hafteinrichtungen nicht vorhanden und muss die Unterbringung in gewöhnlichen Haftanstalten erfolgen, so werden in Haft genommene Drittstaatsangehörige gesondert von den gewöhnlichen Strafgefangenen untergebracht“ (Artikel 16 Absatz 1 Rückführungsrichtlinie). Das heißt nichts anderes, als dass Abschiebungshaft nicht in normalen Gefängnissen vollzogen werden darf, wenn spezielle Einrichtungen als Abschiebungshaft existieren. Die sind in Deutschland – z. B. in Rheinland-Pfalz – vorhanden. Dennoch weigern sich Bund und die Mehrheit der Länder, sich mit dieser offensichtlichen Diskrepanz zum europäischen Trennungsgebot auch nur auseinanderzusetzen.

Nachdem sich also an der deutschen Praxis trotz vielfacher Kritik nichts änderte und die meisten Bundesländer am Vollzug in der Strafhaft festhielten, legte der BGH am 11. Juli 2013 zwei Fälle dem EuGH vor: der Fall einer syrischen Staatsangehörigen, die im Asylverfahren abgelehnt worden war und 2011 abgeschoben werden sollte sowie der Fall eines vietnamesischen Staatsangehörigen ohne Aufenthaltsrecht, der 2012 abgeschoben werden sollte (Az. V ZB 40/11 und V ZB 144/12). In beiden Fällen soll der EuGH klären, ob eine Inhaftierung in speziellen Hafteinrichtungen hätte erfolgen müssen, um dem Trennungsgebot genüge zu tun. Dabei macht der BGH durchaus deutlich, dass er die deutsche Praxis, Abschiebungshäftlinge in Strafgefängnissen zu inhaftieren, obwohl spezielle Hafteinrichtungen vorhanden sind, nicht für EU-rechtskonform hält. Ebenso hatte sich die EU-Kommission bereits im Mai 2011 zur deutschen Situation eingelassen: „Das Nichtvorhandensein spezieller Hafteinrichtungen in einem regionalen Teilbereich eines Mitgliedstaats – während in einem anderen regionalen Teilbereich solche vorhanden sind – kann daher eine Unterbringung in einer gewöhnlichen Haftanstalt nicht rechtfertigen.“ Damit trat die Kommission der Auffassung entgegen, dass eine Unterbringung in der Strafrecht schon dann zulässig sein soll, so die Auffassung der damaligen Bundesregierung, wenn in einem Bundesland (anstatt in ganz Deutschland) eine spezielle Abschiebungshaft nicht vorhanden sei.

Auch wenn der EuGH noch nicht entschieden hat, so konnten z. B. in Bayern bereits eine (vorläufige) Änderung der Praxis erreicht werden. Der bayerische Justizminister Winfried Bausback (CSU) kündigte im November 2013 an, den Vollzug zusammen mit Strafgefangenen vorläufig – bis der EuGH entschieden habe – zu beenden. Zuvor hatte es etliche Urteile der bayerischen Gerichte gegen das Land gehagelt, die eine Verletzung des EU-Rechts klar für gegeben hielten. Nun ist der EuGH am Zug.

Wird die Abschie­bungs­haft abgeschafft?

Es wäre eine migrationspolitische Wohltat, wenn aufgrund der EU-Rückführungsrichtlinie, die einst als „Richtlinie der Schande“ gebrandmarkt wurde (da sie der inhumanen Abschiebungspolitik ansonsten nur wenig entgegen zu setzen vermag), das Instrument der Abschiebungshaft für Deutschland weitgehend zurückgedrängt würde. Aber Vorsicht: Selbst wenn der EuGH den Vollzug mit Strafgefangenen verbietet bedeutet dies nicht automatisch eine Erosion des Haft-Systems. Wie das Beispiel Bayern zeigt, ist damit zu rechnen, dass die Landesregierungen auf bislang ungenutzte Haftanstalten ausweichen. Denkbar wären auch länderübergreifende Kooperationen, was in Regional-Abschiebungshaftanstalten münden könnte. Für die Betroffenen könnte dies neue Fallstricke aufweisen. Deswegen reicht der alleinige Verweis auf das Trennungsgebot nicht aus. Es muss deutlich gemacht werden, dass eine liberale Migrationspolitik ohne dieses Instrument der monatelangen Freiheitsentziehungen auskommen kann.

Literatur

Heiko Habbe, Bundesrepublik verfehlt europäische Vorgaben zur Abschiebungshaft, in ZAR 9/2011, 286 ff.

Marei Pelzer, Zur Umsetzung der EU-Rückführungsrichtlinie in Deutschland, in: Klaus Barwig, Stephan Beichel-Benedetti, Gisbert Brinkmann (Hrsg.), Gleichheit: Hohenheimer Tage zum Ausländerrecht 2011.

PRO ASYL, Diakonie Hessen und Nassau (Hrg.), Schutzlos hinter Gittern – Abschiebungshaft in Deutschland, 2013.

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