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Polizei­liche Fälscher­werk­statt? - Stadt­ju­gend­pfarrer vor Gericht

Grundrechte-Report 2014, Seite 92

Zwischen April und Juli 2013 fand vor dem Amtsgericht Dresden das Strafverfahren gegen Lothar König statt, das im Juli 2013 ausgesetzt werden musste. Die Staatsanwaltschaft Dresden wirft dem Stadtjugendpfarrer der Jungen Gemeinde Jena und engagiertem Antifaschisten u. a. aufwieglerischen Landfriedensbruch am 19. Februar 2011 in Dresden vor. Das war das erste Mal seit 1989, dass ein Pfarrer auf dem Gebiet der ehemaligen DDR einer politischen Strafverfolgung ausgesetzt wurde. Der Anklage vorausgegangen war eine Durchsuchung, von der nicht nur seine Privaträume, sondern auch die Amtsstube des Seelsorgers betroffen waren. Beschlagnahmt wurde neben einigen anderen Gegenständen auch der Lautsprecherwagen der Jungen Gemeinde Jena.

Dresden im Februar 2011

Lothar König war zusammen mit vielen tausend anderen Antifaschistinnen und Antifaschisten am 19. Februar 2011 in Dresden, um dort gegen den alljährlich stattfindenden Großaufmarsch der rechtsradikalen Szene zu protestieren. Das Konzept von Polizei und Versammlungsbehörde sah die Schaffung einer extralegalen, weiträumigen und im Vorfeld nicht bekannt gemachten „Aufenthaltsverbotszone“ auf der Altstädter Elbseite vor – dem Aufmarschgebiet der Nazis. – Alle potentiellen Gegendemonstrierenden sollten auf die andere Elbseite verband werden. Schon die schiere Anwesenheit von Antifaschisten auf der Altstädter Elbseite wurde als rechtswidrig eingestuft und zum Anlass für den Einsatz polizeilicher Zwangsmaßnahmen genommen.

Auch Lothar König war mit dem Lautsprecherwagen seit den Morgenstunden auf der Altstädter Seite von Dresden unterwegs. Sein Bemühen an diesem Tag zielte – für den unbefangenen Beobachter erkennbar – darauf ab, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit der Gegendemonstranten friedlich, zum Teil auch im Zusammenwirken mit der Polizei, durchzusetzen. Auf Videos ist dokumentiert, dass über den Lautsprecherwagen Aufrufe, Hinweise und Forderungen in diese Richtung artikuliert worden sind. Auch Abgeordnete haben über den Lautsprecherwagen der Polizei angeboten, eine Versammlung anzumelden bzw. verlangt, sich anderen Versammlungen anzuschließen. All diese Versuche, das Versammlungsrecht der Antifaschisten zu gewährleisten, wurden permanent und konsequent von der Polizei vereitelt.

Von der Dresdner Staatsanwaltschaft wird das Engagement des Pfarrers als aufwieglerischer Landfriedensbruch, (versuchter) Nötigung und Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bewertet und mit einer umfangreichen Anklage vor dem Dresdner Schöffengericht bedacht. Die Staatsanwaltschaft hat damit zu erkennen gegeben, dass sie von einer zu verhängenden Freiheitsstrafe von zwei bis vier Jahren ausgeht. Durch sein Verhalten soll Lothar König andere Demonstranten zu Gewalttätigkeiten aufgefordert bzw. animiert haben. So wird ihm unter anderem vorgeworfen, durch Abspielen von „rhythmischer Musik“ Demonstranten zu Gewalttätigkeiten gegen Polizeibeamte aufgestachelt zu haben. Er soll Polizeifahrzeuge zum Ausweichen genötigt, eine Festnahme eines Demonstranten durch Weiterfahren zu verhindern versucht und mehrfach über seinen Lautsprecherwagen zu Gewalttätigkeiten gegen Polizeibeamte aufgefordert haben. In der gesamten Anklage findet sich – für die Dresdner Strafverfolgungsbehörden typisch – kein Wort zu dem auch Lothar König zustehenden Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.

Eine manipu­lierte Beweislage

In der Hauptverhandlung stellte sich heraus, dass die Anklage der Staatsanwaltschaft im Wesentlichen auf Unwahrheiten, Manipulationen und Lügen aufbaut. Die von der Verteidigung von Lothar König als „Fälscherwerkstatt“ bezeichnete Arbeit der Polizei wurde offensichtlich ungeprüft von der Dresdner Staatsanwaltschaft übernommen und als ausreichende Tatsachengrundlage angesehen, um die mit einer Verurteilung verbundene Vernichtung der beruflichen Existenz des Stadtjugendpfarrers zu erzielen. In mühevoller Kleinarbeit konnte durch die Verteidigung in der Hauptverhandlung nachgewiesen werden, dass nicht nur ein Großteil der Vorwürfe jeglicher Grundlage entbehrt, sondern dass auch Beweise durch die Polizei unterdrückt bzw. gefälscht worden sind.

So ist beispielsweise auf Videomaterial zu erkennen, wie ein Polizeibeamter in die Fahrerkabine des Lautsprecherwagens hineingreift und versucht, Lothar König das Mikrofon, über das er gerade eine Durchsage machen wollte, zu entreißen. Lothar König, der sich gegen diesen rechtswidrigen Übergriff zur Wehr setzt, sagte zu dem Polizeibeamten „Das ist mein Eigentum. Das ist unsere Demonstration“. Für die Staatsanwaltschaft stellt diese juristisch korrekte Feststellung ein Animieren Dritter zur Begehung eines Landfriedensbruchs dar. Für Auseinandersetzungen, die zwischen Demonstranten und der Polizei in der Nähe des Lautsprecherwagens stattgefunden haben, wird Lothar König verantwortlich gemacht. Allein dies stellt schon eine abenteuerliche Konstruktion dar. Wenn man weiterhin bedenkt, dass auf dem Video deutlich zu erkennen ist, dass diese Aussage von König gar nicht über Mikrofon erfolgte und somit für Außenstehende auch nicht hörbar war, wird der manipulative Gehalt der Anklage besonders deutlich.

König wird weiter vorgeworfen, er hätte den Lautsprecherwagen als Fluchtmittel für gewalttätige Demonstranten genutzt. Seitens der Anklage wird schlicht unterstellt, dass Lothar König überhaupt mitbekommen hat, dass ein Demonstrant auf den hinteren Teil des Transporters aufgesprungen ist und dieser auf der Flucht vor der Polizei gewesen ist. Nicht erwähnt wird, dass die Beamten ohne Probleme den Wagen zu Fuß einholen konnten. Auf Videomaterial, das von einem Mitfahrer des Lautsprecherwagens gefertigt worden ist, sind deutlich zwei Polizeibeamte zu erkennen, die u. a. auf den Kopf des Demonstranten, der sich am Rahmen des Lautsprecherwagens festhält, mehrmals mit einem Tonfa-Schlagstock einschlagen, bis diese Person vom Wagen fällt. Auch dies wird von den Ermittlungsbehörden verschwiegen. Es versteht sich von selbst, dass das auf die Anzeige der Verteidigung von Lothar König eingeleitete Strafverfahren gegen die Polizeibeamten folgenlos eingestellt worden ist.

Bezüglich eines anderen Anklagevorwurfs hat die Hauptverhandlung ergeben, dass von der Polizei Videomaterial so manipuliert worden ist, dass das Verhalten von Demonstranten mit Ansagen von Lothar König über den Lautsprecher in Verbindung gebracht worden ist, obwohl diese zwei Sachverhalte – die Durchsage von Lothar König und die Handlungen der Demonstranten – in gar keinem kausalen Zusammenhang standen. Auf mehrfache Nachfrage der Verteidigung wurde von den Beamten wahrheitswidrig behauptet, es gäbe kein weiteres Videomaterial. Diese Manipulationen wurden erst durch die auf Antrag der Verteidigung erfolgte Beiziehung des gesamten polizeilichen Videomaterials offenkundig. Das Gericht sah sich aufgrund dieser veränderten Beweislage dazu gezwungen, das gesamte Verfahren auszusetzen. Wann und wenn ja, in welcher Form das Verfahren fortgesetzt wird, ist derzeit noch nicht absehbar (Stand 11/2013).

Leider kein Einzelfall

Diese Unwahrheiten und Manipulationen hätte die Dresdner Staatsanwaltschaft erkennen können. Trotzdem hat sie Anklage erhoben. Der Versuch der Dresdner Staatsanwaltschaft, einen antifaschistischen Pfarrer mundtot zu machen, der sich schon im Kampf gegen die Neonaziszene von Jena, aus deren Reihen sich die Mitglieder des NSU rekrutiert haben, verdient gemacht hat, ist zwar zunächst gescheitert. Dies ist aber nicht den Sicherungsprinzipien des Rechtsstaates zu verdanken – diese hätten bei derartigen Manipulationen versagt -, sondern dem Zusammenspiel zwischen einem engagierten Verteidigerteam, einer kritischen Medienöffentlichkeit und einer unermüdlichen Soligruppe. Nicht alle, deren Engagement gegen Rechtsextremismus und für Versammlungsfreiheit seitens der Strafverfolgungsbehörden kriminalisiert wird, haben dieses Privileg. Auf Unwahrheiten aufbauende und durch Manipulation konstruierte Anklagen sind nicht so selten, wie es ein rechtstaatlich denkender Mensch vermuten würde. Diese Konstrukte aufzudecken, gelingt nicht immer. Das Beispiel Lothar König sollte daher dafür genutzt werden, bei Gericht und der Öffentlichkeit eine Sensibilität für den (Un-)Wahrheitsgehalt von Anklagen zu schaffen.

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