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Richterin Gnadenlos - Amtsgericht Eisen­hüt­ten­stadt krimi­na­li­siert Flüchtlinge

Grundrechte-Report 2014, Seite 169

Flüchtlinge, die über Polen nach Deutschland einreisen, werden in Eisenhüttenstadt systematisch kriminalisiert. Denn am dortigen Amtsgericht gibt es eine Richterin, die es sich zur Aufgabe gemacht, Flüchtlinge reihenweise zu verurteilen (Aktenzeichen 22 Ds 278 Js 18154/12, 183112; 22 Ds 270 Js 18152112, 184/12; 22 Ds 273 Js 15273/13, 138/13). Der Tatvorwurf: „Illegale Einreise in das Gebiet der Bundesrepublik“ (§ 95 Aufenthaltsgesetz). Den Flüchtlingen wird der schnelle Prozess gemacht – nur 15 Minuten dauert eine Verhandlung. Dabei kommen saftige Strafen heraus: Viele Flüchtlinge wurden zu Freiheitsstrafen (sic!) von einem Monat verurteilt. Dass hier statt einer Geldstrafe überhaupt eine Freiheitsstrafe ausgesprochen wird, ist nach üblichen Maßstäben völlig überzogen und hängt wohl mit der Mission der Richterin zusammen: Sie sieht sich als Bollwerk gegen unerwünschte Migration. Dabei schreckt sie nicht zurück, ihre Urteile immer wieder mit demselben stereotypen Textbaustein zu begründen. Es wird den Angeklagten unterstellt, sie seien offensichtlich „Asyltouristen, deren Zahl in den letzten Monaten sprunghaft angestiegen“ sei. Die Richterin kommt sodann zu dem Schluss: „Dies führt dazu, dass das Heer der Illegalen in den jeweiligen europäischen Ländern, wie Deutschland, Frankreich usw. mehr und mehr zunimmt, da diese insbesondere in Ballungsgebieten in die Illegalität abtauchen, ihren Unterhalt sichern sie dann durch Straftaten, in der Regel durch Schwarzarbeit. Dem muss begegnet werden.“ Diese Passage findet sich in zahlreichen Urteilen, ohne Berücksichtigung des Einzelfalls. Von einem Individualstrafrecht, das die Schuld jedes einzelnen zur Grundlage einer Bestrafung macht, kann hier längst nicht mehr die Rede sein. Die irregeleitete Strafrichterin sieht ihre Aufgabe darin, Migrationspolitik mit eindeutiger politischer Ausrichtung zu betreiben. Mit einem rechtstaatlichen Verfahren hat dies längst nichts mehr zu tun.

Skanda­l­ver­fahren werden öffentlich

Das unglaubliche Vorgehen der Richterin wird im Juli 2013 durch eine Reportage der Fernsehsendung „Report Mainz“ öffentlich. Als die Urteilsserie gegen Flüchtlinge nicht abreißt, stellt einer der Rechtsanwälte, Volker Gerloff, der betroffenen Flüchtlinge eine Strafanzeige wegen Rechtsbeugung. Die Richterin habe durch die Verhängung von Freiheitsstrafen im sog. Schnellverfahren das Recht gebeugt: „Kurze Freiheitsstrafen sind nur in krassen Ausnahmefällen zulässig, wenn unter keinen Umständen mehr darauf verzichtet werden kann. Im Schnellverfahren und bei Ersttätern ist dies rechtsstaatlich unmöglich“, so der Berliner Rechtsanwalt. Außerdem  sei der Text der Urteilsgründe so weit von juristischen Darlegungen entfernt, dass auch darin eine Beugung des Rechts erkannt werden müsse. Die von der Richterin erkannten Spannungen, die „weitere Straftaten“ provozieren würden, seien als Volksverhetzung einzustufen.

Ebenso kann in den Strafurteilen eine Verletzung des internationalen Rechts gesehen werden. Denn die Genfer Flüchtlingskonvention schreibt vor, dass die Unterzeichnerstaaten keine Strafen gegen Flüchtlinge verhängen, die ohne Erlaubnis in das Gebiet des Vertragsstaaten einreisen (Artikel 31 Absatz 1 GFK). Eine entsprechende Regelung sieht das EU-Asylrecht vor. Doch in den Urteilen wird noch nicht einmal ein Bezug zu den völker- und europarrechtlichen Garantien vorgenommen. Der von Report Mainz befragte Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano hält das Verhalten der Richterin für schwerwiegend „Die Unhaltbarkeit dieser Urteile und die Dimension des Unrechtsgehaltes dieser Urteil würde hier ein Ermittlungsverfahren mindestens rechtfertigen.“

Unter dem Druck der öffentlichen Kritik rudert die verantwortliche Richterin ein Stück weit zurück. Aus den Freiheitsstrafen werden nun Geldstrafen. Manche Formulierungen nimmt sie aus ihren Urteilsbegründungen. Allerdings hält sie grundsätzlich an der Kriminalisierung der Asylsuchenden fest. Die Staatsanwaltschaft teilt noch im Verlauf des Jahres 2013 mit, dass ein Ermittlungsverfahren wegen Rechtbeugung eingestellt sei. Die Serie an Unrechts-Urteilen scheint für die Richterin folgenlos zu bleiben. Ob die Urteile jedoch Bestand haben werden, wird die Berufungsinstanz zeigen.

Abwehr­hal­tung gegen Flüchtlinge

Das Amtsgericht Eisenhüttenstadt hat die Abwehrhaltung gegen schutzsuchende Flüchtlinge auf die Spitze getrieben. Allerdings ist es auch Ziel des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, die über die Ostgrenze kommenden Flüchtlinge möglichst schnell wieder abzuschieben oder erst gar nicht einreisen zu lassen. Dabei geht es vor allem um tschetschenische Flüchtlinge. Im Jahr 2013 gehörten die tschetschenischen Flüchtlinge mit mehr als 14.800 Asylanträgen zur größten Gruppe der Asylsuchenden in Deutschland. Fast alle kommen über Polen hierher. Wenn sie hinter der Grenze aufgegriffen werden, droht ihnen nicht nur ein Strafverfahren. Viele landen auch in Abschiebungshaft. Denn Deutschland schiebt die Betroffenen systematisch zurück nach Polen. Grundlage ist das europäische Recht, das die Zuständigkeit für Asylverfahren vor allem den EU-Außenstaaten aufbürdet (Dublin-Verordnung).  In Polen sind die Umstände, gerade für Folteropfer, jedoch denkbar schlecht:  Therapien für traumatisierte Flüchtlinge gibt es kaum. Viele Tschetschenen haben in ihrem Heimatland Schlimmes erlebt. Gegenüber „Report Mainz“ schildert ein Flüchtling seine Situation: „Der Geheimdienst hat mich nachts abgeholt und beschuldigt für die Islamisten zu arbeiten. Sie wollten Geld von mir und haben mir gedroht, das nächste Mal verschwinde ich ohne jede Nachricht. Ich hatte Angst.“ In Polen fühlen sich viele nicht sicher. Sie haben auch Angst vor den russischen Geheimdiensten, von dessen Anwesenheit in Polen viele tschetschenischen Flüchtlinge ausgehen.

Die Hoffnungen, mit denen viele der Flüchtlinge nach Deutschland kommen, werden so auf ganzer Linie zerstört: Statt Schutz zu erhalten werden sie mit Strafverfahren überzogen und nach kurzer Zeit abgeschoben. Dabei treiben die Urteile der Richterin am Amtsgericht Eisenhüttenstadt den Skandal auf die Spitze.

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