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Tag der Willkür - alle Jahre wieder? - Demon­s­tra­tion ohne Demon­s­tranten, Rechtsstaat ohne Rechts­an­wälte

Grundrechte-Report 2014, Seite 87

Auch im Jahre 2013 gab es in Frankfurt/M wieder Blockupy-Proteste gegen die europäische Finanzpolitik. Nachdem die Stadt 2012 die meisten Demonstrationen untersagt hatte (vgl. Steven, GRR 2013, S. 105 ff.) und zusätzlich mehr als 400 angeblich besonders `störgeneigten´ Menschen für fast eine Woche ein Aufenthaltsverbot für die Innenstadt erteilt hatte (vgl. Martin Heiming, GRR 2013, S. 109 ff.), womit sie vor Gericht teilweise kläglich gescheitert war, griff die Polizei 2013 lieber wieder zur Macht des Faktischen: Ein stundenlanger sogenannter Polizeikessel suspendierte für fast tausend Menschen nicht nur die Freiheit, sich zu versammeln, sondern ihre Freiheit überhaupt; dabei wurden auch Anwältinnen und Anwälte festgesetzt und verhindert, dass sie ihre Arbeit tun konnten, nämlich als anwaltlicher Notdienst Demonstrierende direkt vor Ort auf der Straße gegen – auch genau solche – polizeilichen Übergriffe rechtlich zu schützen.

Die Polizei hatte viel Zeit gehabt, sich darauf vorzubereiten, denn schon im Februar 2013 war der Protestzug für den 1. Juni angemeldet worden, unter dem Motto „Europäische Solidarität gegen das Krisenregime von EZB und Troika“. Die Versammlungsbehörde rechnete mit „sachschadensträchtigen Aktionen gegen das Gebäude der Europäischen Zentralbank“ und verbot die entsprechende Zugroute. Dies hielt aber richterlicher Überprüfung nicht stand.

Regen­schirme gegen Rettungs­schirm

Die Polizei schuf dann Tatsachen vor Ort auf der Straße. Gegen 12:50 Uhr an jenem Samstag wurde ohne vernehmbare oder ersichtliche Vorwarnung plötzlich ein Teil des Demonstrationszuges – bevor die EZB erreicht war – von Polizeikräften unter Kampfgeschrei und üppigem Einsatz von Reizgas eingeschlossen, insgesamt fast tausend Personen. Ein freier Fotojournalist, unterwegs für die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), kam bei dieser Attacke zu sehr ins Gas und kollabierte schwer verletzt. Der weitaus größere Teil der Protestierenden befand sich hinter den Eingekesselten, so dass mit dieser Aktion zugleich praktisch die gesamte Demonstration gestoppt war. Die Polizei bezeichnete dies später als Anhaltephase, die sich allerdings tatsächlich über mehr als zwei Stunden hinzog. Es wurde vordergründig mit den Demonstrierenden verhandelt über die Frage von angeblicher Vermummung und passiver Bewaffnung wie Sonnenbrillen und Regenschirme (dazu näher Steven in diesem Band, S. …..). Es reichte der Polizei nicht, dass die „Waffen“ sichtbar abgelegt werden sollten. Sie wollte den `Druck im Kessel´ augenscheinlich hochhalten und bestand darauf, dass alle Tausend einzeln durchsucht werden sollten. Dabei mochten die Demonstrierenden nicht freiwillig mittun, so dass im nächsten Schritt gegen 15:00 Uhr der eingekesselte Teil von der Demonstration versammlungsrechtlich förmlich ausgeschlossen wurde. Ab 17:00 Uhr wurden die Menschen – im Polizeijargon: – „abgearbeitet“; sie wurden durch eine aus Polizeifahrzeugen aufgebaute sogenannte Bearbeitungsstraße einzeln unter Feststellung der Personalien durchgeschleust. Nach 22:00 Uhr waren die letzten wieder frei.

Amtsgericht lässt Anwälte im Regen stehen

Die betroffenen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte im Kessel versuchten vergeblich, unter Vorlage von Personalausweis und Anwaltsausweis, aus dem Kessel herauszugelangen. Sie wollten ihrer beruflichen Tätigkeit weiter nachgehen, was nicht zugelassen wurde. Unter ihnen war auch der Kollege, der im Auftrag der Verlobten dem verletzten Bildjournalisten beistehen sollte und wollte; er wurde nicht zu seinem Mandanten vorgelassen. Eine Rechtsanwältin erreichte telefonisch die zuständige Haftrichterin beim Amtsgericht und beantragte, den gegen sie praktizierten Freiheitsentzug richterlich zu überprüfen und ihre Freilassung zu verfügen. Die Richterin erklärte, aufgrund ihr vorliegender Informationen sei sie nicht zuständig. Später stellte sich heraus, dass die Polizei die Justiz laufend über ihre Version der Geschehnisse informiert hatte: Bis 15:00 Uhr habe es gar keinen polizeilichen Gewahrsam – der richterlich hätte bestätigt werden müssen – gegeben, weil dies noch die „Anhaltephase“ gewesen sei; nach 15:00 Uhr seien rein strafprozessuale Maßnahmen erfolgt, die aber gerade nicht zu Verhaftungen hätten führen sollen, so dass auch dann eine richterliche Mitwirkung überflüssig gewesen sei. Im Laufe des Nachmittags schien ein richterlicher Einsatz dann auch gar nicht mehr möglich, weil die Richterin sich in den Feierabend verabschiedete und die dann zuständige Kollegin gar nicht im Gericht war, sondern in ihrer Wohnung außerhalb Frankfurts lediglich telefonisch erreicht werden konnte.

Die erwähnte Anwältin kam, als eine der ersten überhaupt, gegen 17:10 Uhr frei. Zum Abschied sagte man nicht leise Servus, sondern stellte ihre Personalien fest, behandelte sie erkennungsdienstlich und belehrte sie als Beschuldigte, obwohl sie die letzten vier Stunden nichts anderes gemacht hatte, als sich, gezwungenermaßen, nicht vom Fleck zu bewegen; der Tatvorwurf: unklar. Dieses Rundum-Sorglos-Paket sollte noch mit einem Platzverweis für Frankfurt/M abgerundet werden, der nur unterblieb, weil man feststellte, dass sie ihr Büro in der Innenstadt hat – das schien wohl selbst der Polizei nicht kompatibel.

Die Anwältinnen und Anwälte mussten sich ihrerseits anwaltlich vertreten lassen, von Kolleginnen und Kollegen außerhalb des Kessels. Freilassungsanträge wurden vorsorglich schriftlich gestellt, wobei ein Kollege die Erfahrung machen musste, dass die öffentlichen Faxnummern bei der Justiz abgeschaltet waren. Ein anderer musste sich telefonisch vom Vizepolizeipräsidenten anhören, dass es gar keinen Kessel gebe. Später wurde beantragt, die Rechtswidrigkeit des Festhaltens über Stunden möge nachträglich richterlich festgestellt werden. Der Polizeipräsident und der Einsatzleiter wurden wegen Freiheitsberaubung und Nötigung angezeigt. In allen Verfahren wurde bisher (Stand: Dezember 2013) vergeblich Akteneinsicht beantragt, um nachvollziehen zu können, was Polizei und Justiz an jenem Tag überhaupt aktenkundig gemacht hatten. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein, dem einige der Betroffenen angehören, wandte sich besorgt an den Präsidenten des Amtsgerichts. Es wurde moniert, dass rechtswidrige Freiheitsentziehungen mit Behinderung der Berufsausübung stattgefunden hätten und das Amtsgericht erbetenen Rechtsschutz verweigert habe. Es wurde auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts hingewiesen, nach der ein Richter über die Frage einer Freiheitsentziehung selbst dann entscheiden muss, wenn ihm (von der Polizei) noch keine Akten vorgelegt wurden oder die Polizei selbst keinen Antrag auf eine richterliche Entscheidung stellt. Der Präsident antwortete lapidar, es gebe seit Jahren die organisatorischen Voraussetzungen für einen täglichen richterlichen Bereitschaftsdienst; auf einzelne konkrete Verfahren könne er wegen der richterlichen Unabhängigkeit nicht eingehen; im Übrigen hätten die Anwältinnen und Anwälte offenbar Probleme mit der Polizei gehabt – dann sollte man sich doch auch bitte an die Polizei wenden.

Demon­s­tranten und ihre Anwälte – alles Straftäter

Die bis zu zehnstündigen Freiheitsberaubungen versucht die Polizei im Nachhinein tatsächlich als strafprozessuale Maßnahmen zu etikettieren und damit auch zu legitimieren. So hat sie nachfolgend gegen alle ca. 940 Menschen aus dem Kessel Strafverfahren eingeleitet; auch in diesen Verfahren gab es bisher keinerlei Akteneinsicht.

Gegen alle? Nein, denn wo Willkür herrscht, herrscht sie bis zum bitteren Ende. Ein Rechtsanwalt, der für etwaige Vorfälle bis zum Schluss zur Verfügung stehen wollte, war dann auch der letzte Eingeschlossene. Er blieb ‚unbehelligt‘: kein Ermittlungsverfahren, also offenbar doch kein Tatverdacht!?

Die Ereignisse sprechen für sich und müssen nicht weiter kommentiert werden. Erinnert man sich zudem daran, dass 2013 auch (wieder) mehrere Fälle bekannt wurden, in denen Anwälte und Anwältinnen in ihrer beruflichen Tätigkeit vom Verfassungsschutz registriert (vgl. den Beitrag von Udo Kauß in diesem Band, S. 152 ff.) oder von der Polizei abgehört wurden, bleibt nur die Hoffnung, dass in jenen Fällen der richterliche Rechtsschutz besser funktioniert als in Frankfurt/M – anderenfalls sich der Rechtsstaat bald einen anderen Namen suchen muss.

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