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Verfas­sungs­schutz beobachtet Rechts­an­wäl­tinnen und Rechts­an­wälte

Grundrechte-Report 2014, Seite 152

Die Beobachtung und Bespitzelung von RechtsanwältInnen begegnet besonderer Aufmerksamkeit, weil diese Berufsgeheimnisträger sind und sich deren Stellung von der anderer Berufsgeheimnisträger wie etwa ÄrztInnen unterscheidet. AnwältInnen stehen per se im interessenbedingten Gegensatz zu staatlichen Institutionen wie Staatsanwaltschaften, Gerichten sowie Polizei- und Verfassungsschutzbehörden. Dies wird deutlich, wenn jemand einen Verteidiger benötigt und nicht an der Beantwortung der Frage vorbeikommt, ob man gut mit der Wahl einer Anwältin beraten ist, die selbst im Visier von Polizei oder Verfassungsschutz steht.

Die Informationslage ist spärlich. Aber das, was bisher über die Bespitzelung von AnwältInnen bekannt geworden ist, rechtfertigt die größten Befürchtungen, wie das Berliner Beispiel zeigt. Dort war 1990 bekannt geworden, dass der Berliner Verfassungsschutz über 226 Rechtsanwälte und Referendare Akten führte, weil sie für Angehörige des terroristischen Umfeldes gehalten wurden. Es genügte allein die Äußerung unbotmäßiger Meinungen. Oder in den 70er Jahren die Überwachung des ”Terroristen-Anwalts” und später Bundesinnenministers Otto Schily und die Plazierung von Spitzeln in Rechtsanwaltsbüros. Oder in den 60er Jahren die Überwachung des Rechtsanwaltes und Verteidigers in KPD-Prozessen, des SPD-Politikers und späteren Bundespräsidenten Gustav Heinemann. Oder die 38 Jahre währende Überwachung des Rechtsanwalts Gössner aus Bremen (vgl. dazu Till Müller-Heidelberg in Grundrechte-Report 2012, S. 156 ff.).

Drei Fälle skizzieren die heutige wohl Alltagspraxis, einer aus Niedersachsen und zwei aus Baden-Württemberg.

Speiche­rungs­grund Vertei­di­gung von Atomkraft­geg­nern und einer Journa­listin

Der Göttinger Anwalt Sven Adam geriet in doppelter Weise in die Datenfänge des niedersächsischen Verfassungsschutzes. Er ist der Rechtsvertreter der Rechtsextremismus-Expertin und Autorin Andrea Röpke, der aufgedeckt hat, dass der Verfassungsschutz die Auskunftsanfrage von Röpke unrichtig beantwortet hat, nämlich dass keine Daten über Frau Röpke gespeichert seien. Tatsächlich waren die Daten über Frau Röpke gelegentlich ihrer Anfrage gelöscht worden. Dieser Sachverhalt kam erst nach dem Regierungswechsel zu Rot-Grün in Niedersachsen 2013 an das Tageslicht. SPD-Innenminister Pistorius wertete den Fall zutreffender Weise als eine bewusste Vertuschung und ging insoweit konform mit der Einschätzung von Adam, dass mit dem falschen Antwortschreiben die 6-jährige rechtswidrige Überwachung von Frau Röpke hat vertuscht werden sollen. Dann erfuhr der NDR, dass nicht nur Frau Röpke, sondern auch ihr Anwalt Adam bespitzelt worden ist. Der Innenminister hat zugesagt, dass nun die Datensätze aller rund 9.000 in Niedersachsen vom Verfassungsschutz erfassten Personen überprüft werden sollen.

Das Ergebnis bei Anwalt Adam: Erfassung der Teilnahme an einer Demonstration gegen Abschiebung ausländischer Flüchtlinge (2005) und die Teilnahme an Demonstrationen gegen Rechts und an Anti-AKW-Protesten (2006-2011), bei denen Adam als Anwalt vor Ort anwaltlichen Beistand geleistet hat; selbst die anwaltliche Vertretung in Auskunftsverfahren gegenüber Polizei und Verfassungsschutz wurde erfasst. Dies alles wird jetzt gelöscht. Was alles nicht gelöscht wird, darüber verweigert der Verfassungsschutz die Auskunft. Jetzt werden die Gerichte nachhelfen müssen.

Speiche­rungs­grund Vortrag­s­tä­tig­keit

Auf Ihre Anfrage wurde Rechtsanwältin Furmaniak 2009 vom Landesamt für Verfassungsschutz mitgeteilt, dass sie ”im Zusammenhang mit linksextremistischen Bestrebungen aufgefallen” sei als ”Teilnehmerin bei einer Veranstaltung der linksextremistischen ”Rote Hilfe e.V.” zum Thema ”Biometrie in Ausweisdokumenten am 24.05.2005 in Freiburg”. Weiterhin hätte sie am 13.10.2004 an ”einer Veranstaltung der linksextremistischen Roten Hilfe e.V. in Freiburg zum sog. Berufsverbotsverfahren betreffs eines Aktivisten aus dem linken politischen Spektrum aus Heidelberg teilgenommen”. Wir erinnern uns: Hierbei handelt es sich um den Prozess des Michael Csaszkóczy, in dem das gegen ihn verhängte Berufsverbot als Lehrer durch den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg 2007 als klar rechtswidrig aufgehoben worden ist. Auf erneute Anfrage vier Jahre später, im Juni 2013, wusste der Verfassungsschutz schon den PKW-Typ der Rechtsanwältin und dessen Kennzeichen mitzuteilen. Und sie sei in einer ”von ca. 80 Personen des linksextremistischen Spektrums besuchten Gerichtsverhandlung gegen Vorstände des (integrativen und nicht beobachteten, der Autor) Vereins ”Schattenparker” am 10.03.2010 als Verteidigerin” aufgetreten. Und sie sei im Januar 2011 als Referentin des ”linksextremistischen Netzwerks ”Out of Control” sowie im Juli 2012 als Referentin der Veranstaltung ”Wer Weiß Was? Datensammelwut entgegentreten” in Freiburg angekündigt worden. Weitere Auskünfte wurden verweigert. Der zwischenzeitlich eingeschaltete Landesdatenschutzbeauftragte konnte lediglich erreichen, dass der Hinweis auf die Tätigkeit als Verteidigerin aus der Speicherung vom 10.03.2010 gelöscht wurde. Auch hier werden nun die Gerichte weiterhelfen müssen.

Speiche­rungs­grund Vertei­di­ger­be­suche u.a.

Im Jahre 2009 wurde bekannt, dass in Freiburg die LIST (Linke Liste Solidarische Stadt, für die der Rechtsanwalt Moos im Freiburger Gemeinderat sitzt) vom Verfassungsschutz beobachtet würde, weil es sich um einen ”linksextremistisch beeinflussten lokalen Zusammenschluss” handele. Ein Listenmitglied sei maßgeblicher Funktionär der vom Verfassungsschutz beobachteten DKP, wie Moos damals in der Badischen Zeitung über seine Liste lesen konnte. Moos wünschte nun vom Verfassungsschutz Mitteilung der zu seiner Person gespeicherten Daten. In einem inzwischen 5-jährigen Tauziehen wurden die Konturen der Beobachtung des Rechtsanwalts durch den Verfassungsschutz des Landes offenbar: Moos war seit Beginn der 70er Jahre, damals noch Student, bis Februar 2013, und damit ganze 40 Jahre Gegenstand der Beobachtung durch den Verfassungsschutz mit über 55 bisher überwiegend geheim gehaltenen Notierungen. Im darob angestrengten verwaltungsgerichtlichen Prozess wurden einige weitere Auskünfte erteilt, darunter erstaunlichste 11 Notierungen von Verteidigerbesuchen bei einem der terroristischen Szene zugerechneten Gefangenen. Erklärung des Amtes: ”Bei Strafgefangenen mit Kontakt zur RAF” würden Verteidigerbesuche ”routinemäßig dokumentiert”. Das im dritten Jahr befindliche Gerichtsverfahren auf Erteilung vollständiger Auskunft nimmt dabei recht burleske Formen an, das Amt zeigt beispielsweise eine sehr eigene Auffassung von Aktenführung. Bei der Kontrolle hatte man dem Datenschutzbeauftragten erklärt, dass ihn interessierende Akten bereits an das Landesarchiv gegeben seien. Nun, im August 2013, stellte sich heraus, dass diese Vorgänge keineswegs beim Landesarchiv, sondern zum Zeitpunkt der Kontrolle im ”Geschäftsverlauf” innerhalb des Hauses gewesen waren. Als das Gericht die vollständige Verwaltungsakte über den Rechtsanwalt sehen wollte, wurde eine 33-seitige Sperrerklärung des Innenministeriums vorgelegt. In der mündlichen Verhandlung am 09.07.2013 räumte der Vertreter des Verfassungsschutzes auf gerichtliche Nachfrage ein, dass dem Innenministerium dazu nur eine kurze Zusammenfassung der über Moos gespeicherten Daten vorgelegt worden wäre, keineswegs die zu Grunde liegende und umfängliche Informationssammlung selbst. Der erneuten Anordnung des Verwaltungsgerichtes, die Sperrerklärung deshalb zu überprüfen, sind das Amt und das nun SPD-geführte Innenministerium bisher noch nicht nachgekommen, man arbeite aber nun (Dezember 2013) im sechsten Monat (!) an nichts anderem. Erkennbar schon jetzt: Das Amt führt vier verschiedene Akten über Moos, von denen im Wechselschritt Gebrauch gemacht wird. Eine Kurzfassung für das Innenministerium, eine Akte für das Gericht und eine Aktenfassung für Rechtsanwalt Moos und seinen Bevollmächtigten – die vollständige Akte kennt allein das Amt. Weitere Absonderlichkeit: Gegenüber dem Gericht räumte der Verfassungsschutz ein, dass die gesamte Akte über Moos im Jahre 2002 gelöscht worden wäre, weil sie nicht mehr gebraucht würde. 1 ½ Jahre später habe man dieses ”Versehen” bemerkt und die Daten rekonstruiert. Offenbar ohne Probleme und nichts Neues im Ländle: Die frühere Datenschutzbeauftragte Ruth Leuze hatte sich in ihrer Amtszeit bereits kritisch dazu geäußert, dass ”Löschung” bei den Sicherheitsbehörden des Landes offenbar nur bedeute, die Daten an gut wieder findbarer Stelle abzulegen.

”Extremismus” und ”freiheit­lich demokra­ti­sche Grund­ord­nung”

Die Verfassungsschutzbehörden werden nicht müde zu betonen, dass sie RechtsanwältInnen keineswegs deshalb beobachten, weil diese RechtsanwältInnen seien, nur müssten auch RechtsanwältInnen beobachtetet werden, wenn deren Tätigkeiten im Zusammenhang sog. extremistischer Bestrebungen erfolge. Damit ist das grundsätzliche Dilemma bezeichnet. So lange es Verfassungsschutzbehörden gibt, die sich zur Meinungs- und Politpolizei im Staate erheben und Meinungen im Sinne der von ihnen so interpretierten ”freiheitlich demokratischen Grundordnung” in fdGO-konform und fdG0-widrig aufteilen, die ”extremistische Bestrebungen” beobachten – einen Begriff, den man vergeblich in den Verfassungsschutzgesetzen sucht -, solange werden auch Angehörige der Rechtsanwaltschaft, immerhin ”Organe der Rechtspflege”, wie § 4 BRAO bestimmt, die Dateien der Nachrichtendienste füllen, Berufsgeheimnisträger hin oder her. Zum Übel des Berufsstandes der Rechtsanwälte, zum Nachteil von Mandanten und zum Schaden der Demokratie.

Literatur

Zum Fall RA Adam: Weichert, Verfassungsschutz speichert Daten von Journalistin, Datenschutznachrichten Heft 4/2013,S, 157-159; Tageszeitung vom 04.10.2013

Zum Fall RA Gössner: Müller-Heidelberg, Grundrechts-Report 2012, S.156; von Gössner selbst erzählte Prozessgeschichte ”Verfassungsschutz in Aktion”, in Ossietzski, Heft 22/2010; Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 03.02.2012, AZ: 20 K 2331/08; Pressemitteillungen von Internationaler Liga für Menschenrechte und Humanistischer Union.

Memorandum von Bürgerrechtsgruppen: ”Brauchen wir den Verfassungsschutz? Nein!” Berlin 2013; zu beziehen über Humanistische Union oder download.

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