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Böse Jugend – Ein Weihnachts­ge­schenk für Eltern und Innen­po­li­ti­ker.

Mitteilungen16812/1999Seite 107

Vorgestellt: Kinder- und Jugendliteratur:

Mitteilungen Nr. 168, S. 107

Aus der Süddeutschen Zeitung vom 10. November 1999, Seite V2/7 (SZ-Beilage Literatur 1999 / Beilage), Abdruck mit freundlicher Genehmigung der Süddeutschen Zeitung.

Kinder- und Jugendbücher heißen so, weil sie für Kinder und Jugendliche geschrieben sind. Dieses Buch ist ein Buch über Kinder und Jugendliche, es ist ein Buch über die, die in den Schlagzeilen „Horror-Kids“, „kleine Monster“ und „Tyrannen in Turnschuhen“ heißen, ein Buch über junge Skins, Neonazis, Rambos und Hooligans, über die Cliquen der russlanddeutschen Aussiedler und der Türken. Es ist ein Buch gegen Hysterie, ein Buch, das öffentliche Aufgeregtheit nicht beruhigen, aber zur Besinnung bringen will. Es ist, obwohl es 250 Seiten lang von Gewalt handelt, ein tröstliches Buch – weil es zum Ergebnis kommt, dass nicht, wie man so schön sagt, Hopfen und Malz verloren sind. Das Buch geht auf Distanz sowohl zu den Hardlinern als auch zu den soften Theoretikern, es wirbt für Differenzierung – und, vor allem, es läßt den Leser nicht hilflos.
Die Autoren, Kriminologe mit internationaler Erfahrung der eine, Kultur- und Wissenschaftsjournalist der andere, werfen so ziemlich alles über den Haufen, was in der Öffentlichkeit an Legenden über Jugendgewalt existiert und was es an wissenschaftlichen Erklärungsmustern für Gewalt so gibt. Nach der gängigen Lesart gebiert Armut/Desintegration/Arbeitslosigkeit Gewalt. Sind die Täter (Täterinnen gibt es kaum, 98 Prozent aller jugendlichen Gewalttäter sind männlich!) fast stets „loser“, die am Rande der Gesellschaft ganz weit außen stehen. Indes: Vor allem die im Rechtsextremismus, bei Übergriffen gegen Ausländer oder Homosexuelle in Erscheinung tretenden Jugendlichen sind eher der Mitte der Gesellschaft zuzurechnen. Sinnlose Gewalt? Gewalt kann für jugendliche Täter sinnstiftend wirken, so irritierend diese Vorstellung auch sein mag – sie schafft „eine riskante Form von Selbstwert“. Es geht um die aggressive Selbstverwirklichung, um den Freizeitwert des Kämpfertums und um Männlichkeitswahn. Werteverfall? In den Cliquen und Gangs der Jugendlichen herrschen nicht Protest und Anarchie, sondern Werte und Normen, die denen des gesellschaftlichen Mainstreams gar nicht unähnlich sind. Der „Kick“ kann auch für nicht-randständige Jugendliche ein Grund sein, sich kriminell zu beweisen. Und das ist auch nicht ganz neu. Bei der Kriminalität der Halbstarken war das so ähnlich, sie wird heute weniger aufgeregt gesehen als damals. Das Buch ist spannend, ja ermutigend – weil es Auswege zeigt. Wer nach einem Weihnachtsgeschenk für sich oder für die Mitglieder des Rechts- und Innenausschusses des Bundestags sucht: hier ist es!

Heribert Prantl

Hans-Volkmar Findeisen, Joachim Kerten: Der Kick und die Ehre.
Vom Sinn jugendlicher Gewalt. Kunstmann Verlag 1999. 256 S., DM 29,80.

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