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Vorstands­be­richt zur DK 2003 (Auszüge)

Mit dem 40-jährigen Jubiläum der HU. […] Was hat sich

seither getan?

Mitteilungen 183, S. 2ff

Zunächst hat der Vorstand sich mit den Aufträgen der
letzten DK befasst. So wurde u.a. auf Anregung von
Dietrich Schade und Nils Leopold eine Arbeitsgruppe Bioethik/
Genforschung ins Leben gerufen, die erste Zwischenergebnisse
auf dem Verbandstag im letzten Jahr
präsentiert hat, seither aber wohl etwas eingeschlafen ist.
Ein weiteres Thema war die Forderung, insbesondere von
Klaus Scheunemann, die Bildung wieder zum HU Thema
zu machen. Diesmal ist es gelungen. Im Frühjahr diesen
Jahres hat die HU, vertreten insbesondere durch Ingeborg
Rürup, gemeinsam mit dem Komitee und der Gustav-
Heinemann-Initiative einen Bildungskongress in Berlin
durchgeführt. Schade, dass dabei wohl nur ein oder zwei
HU-Mitglieder gesichtet wurden, die nicht aus Berlin
stammten!
Und schließlich hatte die letzte DK auf Antrag von Gerhard
Saborowski beschlossen, als Gegengewicht zu den kirchlichen
Essener Gesprächen durch die HU die Berliner
Gespräche zur Trennung von Kirche und Staat ins Leben
zu rufen. Dies ist dank des Engagements und der Fähigkeiten
– und es sei nicht verschwiegen: Dank seines
Namens und seines Titels – mit Jürgen Kühling gelungen.
Am 1./2. November 2002 haben die Berliner Gespräche zur
Religion, Weltanschauung, Staat und Gesellschaft in der
Wissenschaftsakademie in Berlin stattgefunden – wer daran
teilgenommen hat, war begeistert. Zum Thema Kirche und
Arbeitsrecht waren unter den Teilnehmern vier amtierende
Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts, viele ehemalige
Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts und des
Bundesarbeitsgerichts, Arbeitsrechtprofessoren, der DGB,
ein katholischer Prälat, Beirats- und Vorstandsmitglieder
der HU vertreten. Gegenwärtig ist Jürgen Kühling mit der
Publizierung dieser Tagung befasst. Und da es ihm
gelungen ist, verschiedene Töpfe anzuzapfen – was wohl
kein Schatzmeister geschafft hätte – entstand und entsteht
hierdurch keine nennenswerte finanzielle Belastung der
HU. Die nächsten Berliner Gespräche im Herbst kommenden
Jahres werden sich möglicherweise mit der staatlichen
Finanzierung und den kirchlichen Privilegien befassen oder
mit der Frage, wie sehen eigentlich Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften
selbst ihre Position zum Staat.
Herzlichen Dank an Jürgen Kühling, der auch hierfür wieder
die Verantwortung übernommen hat.
Die weiteren Aktivitäten der vergangenen zwei Jahre seien
in lockerer Folge und unsystematisch aufgezählt:
– Die vor einigen Jahren begonnenen jährlichen Bürgerrechtstreffen
mit dem Komitee für Grundrechte und
Demokratie, der Gustav-Heinemann-Initiative und der
Internationalen Liga für Menschenrechte wurden und
werden fortgeführt; möglicherweise entwickelt sich hieraus
auch eine engere Zusammenarbeit von HU und GHI mit
Synergieeffekten.
– Im Forum Menschenrechte waren wir insbesondere durch
Ingeborg Rürup und mich vertreten und prägten dessen
Arbeit und Verlautbarungen im Bereich „Innere Sicherheit“
und „Freiheitsrechte“.
– Mit Fredrik Roggan sind wir inzwischen Mitveranstalter
des Big Brother Award.
– Auf einer Veranstaltung der Bertelsmann-Stiftung am 08.
April dieses Jahres zum Akteinsichtsrecht habe ich für die
HU auf dem Podium teilgenommen.
– Mit einem von unserem Mitglied Dr. Helmut Kramer entworfenen
Schreiben haben wir uns im Rahmen einer
Anhörung an das Bundesjustizministerium gewandt, um
eine Änderung des Rechtsberatungsgesetzes zu erreichen,
damit uneigennützige Rechtsberatung etwa von Kriegsdienstverweigerern,
Demonstranten, Gefangenen, NSOpfern
 u.s.w. künftig straffrei wird.
– Für die Aufhebung des von Otto Schily verhängten PKKVerbots
haben wir uns schriftlich und durch Teilnahme in
der Person von Jürgen Kühling an einer Veranstaltung
stark gemacht.
– Nils Leopold führt für die HU einen Musterprozess gegen
die private Videoüberwachung der Firma Dussmann in
Berlin auf öffentlichen Gehwegen.
– Im Juli 2003 hat die HU Verfassungsbeschwerde in Karlsruhe
eingelegt gegen das Gesetz über die Zulässigkeit des
IMSI-Catchers im Strafprozess; Rosi Will hat die Verfassungsbeschwerde
ausgearbeitet und fungiert als Prozessbevollmächtigte.
– Im März 2003 haben Reinhard Mokros und ich an einem
von der Friedrich-Ebert-Stiftung organisierten deutschfranzösischen
Treffen von Bürger- und Menschenrechtsorganisationen
teilgenommen (übrigens auf private
Kosten), um Kontakt mit entsprechenden französischen
Partnerorganisationen zu finden; leider mit nur sehr
eingeschränktem Erfolg.
– Rosi Will erarbeitet eine Neufassung unserer seit 1978
auf dem Markt befindlichen Patientenverfügung. Ein großer
Schritt vorwärts ist hier in der Juristerei und auch in der
öffentlichen Diskussion erreicht worden durch ein Urteil des
BGH vom 19. März diesen Jahres. Hierin hat der BGH
ausdrücklich ausgeführt – wie schon unser früherer
Bundesvorsitzender Prof. Dr. Ulrich Klug in einer Anhörung
vor dem Bundestag im Jahre 1985 – dass es zur durch
Artikel 1 Grundgesetz geschützten Menschenwürde gehört,
dass jeder Patient auch selbstbestimmt über seinen
gegebenenfalls menschenwürdigen Tod entscheiden kann
und dass der in einer Patientenverfügung geäußerte Wille
für den Arzt und alle anderen Beteiligten verbindlich ist. […]
– Unter Federführung der IALANA hat sich die HU
gemeinsam mit der IPPNW an einer Aktion beteiligt, die
Friedensstaatlichkeit der EU in der neuen EU-Verfassung
zum Ausdruck zu bringen. […] Es ist gelungen, in der
Präambel und in Artikel 3 als Ziel der Union den Frieden
aufzunehmen und in der gemeinsamen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik in Artikel III-205 nicht nur auf
militärische Mittel abzustellen, sondern davor zivile Mittel,
humanitäre Aufgaben, Aufgaben der Konfliktverhütung und
Erhaltung des Friedens zu nennen.
Auch ist in Artikel III-188 über die allgem. Bestimmungen
des auswärtigen Handelns der Union „Die Achtung des
Völkerrechts gemäß den Grundsätzen der Charta der
Vereinten Nationen“ festgeschrieben, und die humanitäre
Hilfe hat einen eigenen umfangreichen Artikel III-218
erhalten, der in seinem Absatz 2 wiederum auf die
Grundsätze des humanitären Völkerrechts verweist.
– Last but not least sei der Grundrechtereport wieder einmal
erwähnt, dessen 7. Band im Mai dieses Jahres erschienen
ist und der federführend von mir verantwortet wird und
inzwischen von insgesamt 7 Bürgerrechtsorganisationen
gemeinsam herausgegeben wird.
Daneben haben wir eine Reihe von Tagungen und Veranstaltungen
 durchgeführt oder daran mitgewirkt.
– Am 06. Mai 2002 fand gemeinsam mit dem Institut für
Recht und Politik in Berlin eine Völkerrechtstagung statt
unter Mitwirkung von Nils Leopold und Katharina Ahrendts.
– Im Juni letzten Jahres haben wir den Verbandstag in
Düsseldorf durchgeführt mit Sabine Leutheusser-
Schnarrenberger als Hauptrednerin sowie einem Polizeidirektor
des Landeskriminalamts zum Thema „Abschied
vom Grundgesetz“.
– Im November 2002 hat der Bundesvorsitzende der HU auf
dem internationalen IALANA-Kongress in Marburg ein
Referat über die deutschen Terrorismusgesetze gehalten.
– Im März 2003 hat die HU gemeinsam mit der Friedrich-
Ebert-Stiftung in Berlin unter Federführung von Frederik
Roggan eine Tagung „Sicherheit vor Freiheit – sind wir auf
dem Weg in einen Polizeistaat?“ veranstaltet.
– Am 16. Juli 2003, dem 100. Geburtstag von Fritz Bauer,
haben wir im Eisenhowersaal des IG Farben-Hauses in
Frankfurt in einer gutbesuchten Veranstaltung mit mehr als
100 Teilnehmern den Fritz-Bauer-Preis an Dieter Schenk
verliehen, einen ehemaligen BKA-Direktor, für seine polizeikritischen
Stellungnahmen und seine Aufarbeitung der NSGeschichte
im BKA sowie der NS-Verbrechen in Polen. Die
Preisrede hielt Ingeborg Rürup, die Laudatio der stellvertretende
 polnische Generalstaatsanwalt Witold Kulesza.
– Anfang November diesen Jahres beginnt die HU
gemeinsam mit der Raschplatz-Pavillon-Initiative in
Hannover eine Reihe über Sicherheit und Freiheit u.a. auch
mit einem bundesweiten Karikaturenwettbewerb zu diesem
Thema. […]
– Und am 29./30. November wird in Berlin gemeinsam von
HU / Friedrich-Ebert-Stiftung / Humanistischer Verband
eine Tagung zum menschenwürdigen Sterben und zur
Patientenverfügung mit Rosi Will und mir durchgeführt
werden.
Neben all diesen Aktivitäten jedoch waren die beiden
Schwerpunkte der vergangenen zwei Jahre die
traditionellen Themen Kirche und Staat sowie innere
Sicherheit.
-,“  
Zum einen erwähne ich hier zum wiederholten Male die von
Jürgen Kühling geleiteten Berliner Gespräche zur Religion,
Weltanschauung, Staat und Gesellschaft.
Ebenfalls hat die HU sich beteiligt mit Friedrich-Ebert-
Stiftung und Humanistischer Verband Deutschland am 1.
Dezember letzten Jahres an einer Tagung in Berlin zum
Thema “200 Jahre Reichsdeputationshauptschluss von
1803“.
Weiter haben wir uns beteiligt an der Kopftuchdebatte mit
einer im wesentlichen von Jürgen Kühling ausgearbeiteten
Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde der Lehrerin
Fereshta Ludin. […] Bei Beginn der Debatte schien eine
große Kontroverse im Bundesvorstand zu erwarten –
schlussendlich haben wir aber mit großem Konsens eine
einhellige Position gefunden: Zwar fordert das Grundgesetz
die staatliche Neutralität in religiösen Angelegenheiten,
weshalb das Kruzifix im Klassenzimmer nichts zu suchen
hat; wir haben bekanntlich mit Engagement die Kruzifixentscheidung
des Verfassungsgerichts verteidigt. Die Kleidung
einer Lehrerin ist aber keine staatliche Veranstaltung,
sondern Ausdruck ihrer persönlichen religiösen Entscheidung.
Solange die Lehrerin ihre Schüler und Schülerinnen
nicht missioniert, muss es ihr daher genauso erlaubt sein,
ein Kopftuch zu tragen, wie zahllose Lehrerinnen ein
Kettchen mit Kreuz tragen. Dies ist Ausfluss ihres Grundrechts
auf Religionsfreiheit und dokumentiert auch in der
Schule, dass es in diesem Staate nicht nur Christen gibt,
sondern auch andere Religionen; es fördert die Toleranz.
Schließlich haben wir uns auch in die Diskussion eingemischt,
ob Gott in die EU-Verfassung gehört. Irmgard Koll
hat für den Vorstand dazu einen Brief an die Bundesregierung
und an die deutschen Mitglieder im Verfassungskonvent
 geschrieben.
Entgegen der Präambel des Grundgesetzes („Im Bewusstsein
seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…“)
findet sich in der Präambel der EU-Verfassung jetzt lediglich
der Satz: „Schöpfend aus den kulturellen, religiösen
und humanistischen Überlieferungen Europas…“ damit
können wir gut leben. Und wenn es in Artikel 51 der
Verfassung heißt: „Die Union achtet den Status, den
Kirchen und religiöse Vereinigungen oder Gemeinschaften
in den Mitgliedstaaten nach deren Rechtsvorschriften
genießen, und beeinträchtigt ihn nicht,“ (und dasselbe gilt
nach Abs. 2 für weltanschauliche Gemeinschaften), so gibt
die EU damit den Kirchen keine Sonderrechte, sondern legt
lediglich fest, dass sie sich nicht in die einzelstaatlichen
Regelungen einmischt. Für die Trennung von Staat und
Kirche in Deutschland müssen wir schon selbst sorgen und
können nicht die EU verantwortlich machen.

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