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Anträge zur 20. Delegier­ten­kon­fe­renz

Mitteilungen19809/2007Seite 12-19

Mitteilungen Nr. 198, S. 12-19

Bis zum Redaktionsschluss der Mitteilungen lagen folgende Anträge an die Delegiertenkonferenz vor:

1. (Satzungsänderung): Internationale Bezeichnung der Humanistischen Union
2. (Satzungsänderung): Ersetzung der Delegiertenkonferenzen durch Mitgliederversammlungen
3. Arbeitsschwerpunkt „Interne Vernetzung“
4. Ausrichtung der IV. Berliner Gespräche
5. Kein besonderer Schutz religiöser Gefühle
6. Stellungnahme zur Bildungspolitik
7. Gesetzentwurf zum selbstbestimmten Sterben
8. Gesetzentwurf zum selbstbestimmten Sterben (Änderungsantrag zu Antrag 7)
9. Kampagne „Aktive Sterbehilfe und Patientenverfügung“
10. Verfassungswidrige Observierung einer demokratischen Partei durch den Verfassungsschutz
11. Konferenz zu Sozialen Grundrechten
12. Für ein bedingungsloses Grundeinkommen statt Hartz IV
13. Sozialabbau und Überwachung
14. Engagement beim „Sozialforum in Deutschland“
15. Bundes-Steuerdatei und Personenkennzeichen

Antrag 1 (Satzungs­än­de­rung): Inter­na­ti­o­nale Bezeichnung der Humanis­ti­schen Union

Die Delegiertenkonferenz möge folgende Ergänzung von § 1 (1) der Satzung beschließen: In englischen Beschreibungen trägt der Verein den Namen „German Civil Liberties Union“.

Begründung:

Die Namensänderung ist als ein Beitrag zu einer einfacheren Internationalisierung der HU gedacht. Im englisch-amerikanischen Sprachraum führt „Humanistic Union“ zu einer Einordnung unseres Verbandes, die weder dem Arbeitsfeld noch dem Selbstverständnis der Humanistischen Union gerecht wird. Mit der vorgeschlagenen Bezeichnung soll englischsprachigen Kooperationspartnern die Einordnung der Humanistischen Union als Bürgerrechtsorganisation nach dem Vorbild der American Civil Liberties Union (ACLU) erleichtert werden.

Antragsteller: Christoph Bruch und die Mitglieder des Bundesvorstandes

Antrag 2 (Satzungs­än­de­rung):
Ersetzung der Delegier­ten­kon­fe­renzen durch Mitglie­der­ver­samm­lungen

Die Delegiertenkonferenz der Humanistischen Union beschließt, die bisher aller zwei Jahre stattfindenden Delegiertenversammlungen künftig durch Mitgliederversammlungen des Vereins zu ersetzen, an denen alle Mitglieder gleichermaßen stimmberechtigt teilnehmen können. Dafür werden folgende Änderungen der Satzung der Humanistischen Union beschlossen:

§ 6 (3) wird ersetzt durch: „Juristische Personen können bei der Mitgliederversammlung durch Vertreter/innen mit beratender Stimme teilnehmen.“

§ 6 (5) Satz 2 wird ersetzt durch: „Das Nähere regelt eine Datenschutzordnung, die vom Vorstand ausgearbeitet und von der Mitgliederversammlung beschlossen wird.“

§ 7 b wird ersetzt durch: „die Mitgliederversammlung“

§ 8 (1) Satz 1 wird ersetzt durch: „Die Mitgliederversammlung, der Vorstand, der Verbandstag und die Mitgliedschaft können Anträge und Beschlüsse zur Urabstimmung stellen.“

Die § § 9 und 10 werden durch folgende Neufassungen ersetzt:

“ § 9 Die Mitgliederversammlung
1. Die Mitgliederversammlung besteht aus allen bei einer fristgerecht einberufenen Versammlung anwesenden Vereinsmitgliedern, die auch zum Zeitpunkt der Ankündigung Mitglied des Vereins waren. Jedes Mitglied des Vereins hat das Recht, an der Mitgliederversammlung teilzunehmen. Das Rederecht von Gästen, die nicht Mitglied des Vereins sind, kann von der Mitgliederversammlung beschränkt werden.
2. Die Mitgliederversammlung berät und beschließt über die ihr vorgelegten oder aus ihrer Mitte kommenden Anträge, insbesondere über die vergangene und zukünftige Tätigkeit des Vorstandes, die Entlastung des Vorstandes, die Grundsätze der Haushaltsplanung, die Mitgliedsbeiträge sowie über Satzungsänderungen. Bei Abstimmungen und Wahlen werden Stimmenthaltungen nicht mitgezählt, sofern in der Satzung nichts anderes bestimmt ist.
3. Sie wählt auf die Dauer von zwei Jahren in getrennten Wahlgängen die Vorsitzende oder den Vorsitzenden, den übrigen Vorstand, das Schiedsgericht, die Diskussionsredaktion, die Wahlkommission und zwei Revisorinnen oder Revisoren. Wählbar ist jedes Mitglied des Vereins.
4. Die Beschlüsse der Mitgliederversammlung werden privatschriftlich beurkundet und von der Versammlungsleitung sowie der Protokollführung unterzeichnet.

§ 10 Einberufung der Mitgliederversammlung
1. Eine ordentliche Mitgliederversammlung ist alle zwei Jahre vom Vorstand einzuberufen.
2. Eine außerordentliche Mitgliederversammlung ist vom Vorstand einzuberufen, wenn er selbst oder ein Zehntel der Mitglieder oder ein Drittel der Ortsverbandsvorstände es verlangen. Der Antrag muss einen Tagesordnungsvorschlag enthalten und schriftlich begründet sein.
3. Die Ankündigung einer ordentlichen Mitgliederversammlung muss spätestens drei Monate, die Ankündigung einer außerordentlichen Mitgliederversammlung zwei Monate vor ihrem Zusammentritt erfolgen. Dabei sind Ort und Zeitpunkt der Mitgliederversammlung mitzuteilen.
4. Anträge der Mitglieder und der Vereinsgliederungen an die Mitgliederversammlung müssen einen Monat vor dem Zusammentritt beim Vorstand eingegangen sein.
5. Zur Mitgliederversammlung sind die Mitglieder vom Vorstand mit einer Frist von zwei Wochen einzuladen.. Die Einladung soll einen Vorschlag für die Tagesordnung sowie alle vorliegenden Anträge an die Mitgliederversammlung enthalten.“

§ 11 der Satzung (Wahl der Delegierten) wird ersatzlos gestrichen, die Nummerierung der folgenden § § wird entsprechend angepasst.

§ 12 (1) Satz 2 wird ersetzt durch: „Die Gesamtzahl der Vorstandsmitglieder bestimmt die Mitgliederversammlung.“

§ 13 (1) Satz 2 wird ersetzt durch: „Der Verbandstag wird in den Jahren ohne ordentliche Mitgliederversammlung, darüber hinaus jederzeit auf Verlangen des Vorstandes oder eines Drittels der Ortsverbandsvorstände vom Vorstand einberufen.“

§ 15 (2) Sätze 1 und 2 werden ersetzt durch: „Die Mitglieder des Schiedsgerichts werden von der ordentlichen Mitgliederversammlung gewählt. Zu ihrer Wahl hat jedes an der Mitgliederversammlung teilnehmende Mitglied zwei Stimmen.“

§ 15 (4) wird ersetzt durch: „Alles weitere regelt eine Schiedsordnung, die von der Mitgliederversammlung zu beschließen ist.“

§ 16 (1) Satz 2 wird ersetzt durch: „Sie überwacht die Wahlen der Mitgliederversammlung und die Urabstimmungen.“

§ 16 (4) wird ersetzt durch: „Alles weitere regelt eine Wahlordnung, die von der Mitgliederversammlung zu beschließen ist.“

§ 17 (1) Satz 1 wird ersetzt durch: „Das Schiedsgericht kann ein Mitglied auf Antrag des Vorstands oder der Mitgliederversammlung aus dem Verein ausschließen, wenn es die Bestrebungen des Vereins in der Öffentlichkeit gröblich geschädigt hat.“

§ 17 (2) Satz 1 wird ersetzt durch: „Ebenso kann das Schiedsgericht auf Antrag des Vorstands oder der Mitgliederversammlung ein Mitglied eines Amtes im Verein entheben, wenn es die Bestrebungen des Vereins verletzt oder das Ansehen oder den Bestand des Vereins gefährdet.“

§ 20 (1) Satz 1 wird ersetzt durch: „Die Mitglieder zahlen den von der Mitgliederversammlung als Jahresbeitrag festgesetzten Mitgliedsbeitrag an den Verein.“

§ 20 (3) Satz 1 wird ersetzt durch: „Das Finanzgebaren des Vorstandes wird von zwei Revisorinnen oder Revisoren kontrolliert, die von jeder ordentlichen Mitgliederversammlung zu wählen sind und der folgenden Mitgliederversammlung zu berichten haben.“

§ 22 (1) und (2) werden ersetzt durch: „1. Eine Änderung der Satzung oder die Auflösung des Vereins kann nur von drei Viertel der anwesenden Mitglieder beschlossen werden. Diesbezügliche Anträge müssen einen Monat vor Zusammentritt der Mitgliederversammlung beim Vorstand eingegangen sein. Sie sind allen Mitgliedern mit der Einladung zur Mitgliederversammlung schriftlich mitzuteilen. Das Recht der an der Mitgliederversammlung teilnehmenden Mitglieder, diese Anträge abzuändern, bleibt davon unberührt.
2. Kann ein Antrag auf Auflösung des Vereins wegen mangelnder Beschlussfähigkeit nicht erledigt werden, so kann der Vorstand eine außerordentliche Mitgliederversammlung innerhalb der nächsten drei Monate einberufen, die den Auflösungsantrag mit drei Vierteln der Stimmen der anwesenden Mitglieder annehmen kann.“
Sollte die Delegiertenkonferenz (DK) dieser Satzungsänderung zustimmen, muss zugleich die bisherige Geschäftsordnung der DK für kommende Mitgliederversammlungen angepasst werden. Ergänzend wird dabei eine Änderung über die Beschlussfähigkeit einer Mitgliederversammlung vorgeschlagen. Dafür soll § 1 (3) der bisherigen Geschäftsordnung wie folgt geändert werden:
„Die Versammlungsleitung prüft zu Beginn die ordnungsgemäße Einberufung der Mitgliederversammlung und stellt die Anzahl der stimmberechtigten Mitglieder fest. Zum Zwecke der laufenden Prüfung der Beschlussfähigkeit haben Mitglieder sich bei zeitweiliger Abwesenheit bei der Versammlungsleitung ab- und zurückzumelden. Später kommende Mitglieder können ihr Stimmrecht erst nach Anmeldung bei der Versammlungsleitung ausüben. Die Mitgliedersammlung ist beschlussfähig, solange mindestens die Hälfte der zu Beginn der Versammlung festgestellten Anzahl an Stimmberechtigten im Raum anwesend ist.“

Begründung:

Die Delegiertenkonferenz und die damit verbundenen Delegiertenwahlen sollen für die grundsätzlichen Entscheidungen der Humanistischen Union eine angemessene regionale Repräsentation der Mitgliedschaft sicherstellen. Ihre Einführung geht auf die lang zurückliegende Erfahrung mit einer professionell organisierten Anreise von Mitgliedern zu einer Versammlung der Humanistischen Union in den 1960er Jahren zurück. Damals sollte eine umstrittene Abstimmung beeinflusst werden. Vergleichbare Situationen einer gezielten massenhaften Einflussnahme auf Entscheidungen unseres Verbandes sehen wir heute nicht.
Dagegen ist die Vorbereitung und Durchführung der Delegiertenwahlen mit einem unverhältnismäßig hohem zeitlichen Aufwand und einer entsprechenden Belastung der Geschäftsstelle verbunden: Kandidatinnen und Kandidaten müssen gefunden werden, für jedes Bundesland sind getrennte Wahlunterlagen vorzubereiten und zu versenden, schließlich die Stimmzettel auszuzählen. Diesem Aufwand steht in den meisten Landesverbänden ein geringes Interesse an der aktiven Teilnahme bei den Delegiertenwahlen gegenüber. Bei den letzten beiden Wahlgängen war lediglich in zwei bzw. fünf Bundesländern eine Auswahl von Kandidaten möglich – in allen anderen Landesverbänden reichte eine abgegebene Stimme, um die Kandidatinnen und Kandidaten zu bestätigen.
Ein Grund für das mangelnde Interesse an den Delegiertenwahlen besteht wohl darin, dass aktive und interessierte Mitglieder unabhängig von ihrer Wahl als Delegierte zu dem Treffen kommen und mitdiskutieren. Von neu eingetretenen und jüngeren Mitgliedern wissen wir, dass sie das Wahlverfahren angesichts der überschaubaren Menge an HU-Aktiven überzogen und formalistisch finden. Sie wollen sich lieber inhaltlich engagieren.
Schließlich hat auch die regionale Aufschlüsselung der Mandate nicht dagegen geholfen, dass die Zusammensetzung der tatsächlich zur Konferenz anreisenden Delegierten immer vom Veranstaltungsort abhing. Auf lange Sicht hat die in der HU übliche Praxis der wechselnden Orte für Delegiertenkonferenzen und Verbandstage zu einem Ausgleich regionaler Übervorteilung beigetragen, einen gewissen Vorteil des aktuell „gastgebenden“ Landesverbandes konnte auch der Wahlmodus nicht verhindern. Er trug umgekehrt aber dazu bei, dass die Delegiertenkonferenzen der Humanistischen Union seit Jahren keine satzungsändernden Mehrheiten mehr erreichten. Durch die in der Satzung festgelegte Delegiertenzahl (51) und die feststehenden Grundmandate für jeden Landesverband ist die Delegiertenkonferenz in Bezug auf Satzungsänderungen handlungsunfähig, sobald weniger als 34 Delegierte anwesend sind – selbst dann, wenn alle anwesenden Delegierten einem satzungsändernden Antrag einstimmig zustimmen, und selbst dann, wenn noch viele andere HU-Mitglieder anwesend wären, die dem auch zustimmen.
Aus diesen Gründen schlagen wir die Ersetzung der Delegiertenkonferenzen durch eine Mitgliederversammlungen vor. Diese sollen beschlussfähig sein, sofern sie mit einer Frist von mindestens drei Monaten angekündigt und die Einladungen mit den Tagesordnungsvorschlägen und den vorliegenden Anträgen mindestens 14 Tage vorher an die Mitglieder verschickt wurden. Unter diesen Bedingungen wäre dann jede Mitgliederversammlung – unabhängig von der Anzahl der teilnehmenden Mitglieder – beschlussfähig. Mit der vorgeschlagenen Änderung der Geschäftsordnung soll die unbegrenzte Verlängerung einer Mitgliederversammlung verhindert werden.

Antragsteller: Bundesvorstand

Antrag 3: Arbeits­schwer­punkt „Interne Vernetzung“

Der nächste HU-Bundesvorstand sollte die interne Vernetzung und neue Formen der Zusammenarbeit zu einem seiner Arbeitsschwerpunkte machen.

Begründung:

Immer weniger Ortsverbände und Landesverbände der HU sind arbeitsfähig; außerdem ist die Bereitschaft zur Mitarbeit in anderen, weniger „vereinsförmigen“ Bahnen (z.B. E-Mail-Gruppen, Jour Fixes, produktorientierte Projektgruppen, Informationsstände …) vermutlich größer. Da es immer noch vielfältigen, aber oft räumlich „zerstreuten“ Sachverstand innerhalb der Mitgliedschaft zu mobilisieren gäbe, bedarf dieses Thema neben den politischen Akzenten des Verbands einer größeren Aufmerksamkeit als bisher. Eine Hoffnung auf eine umfassende Satzungsreform kann angesichts der Erfahrungen der letzten Jahre nicht gehegt werden – also müssen informelle Ergänzungen der bisherigen Strukturen erprobt werden.

Antragsteller: Landesverband NRW

Antrag 4: Ausrichtung der IV. Berliner Gespräche

Der Arbeitskreis Staat und Kirche der Humanistischen Union fordert die Delegiertenkonferenz vom 21. – 23. September in Hannover auf, sich für die IV. Berliner Gespräche wieder stärker auf die Thematik „Trennung von Staat und Kirche“ zu besinnen und insbesondere die starke Privilegierung der beiden deutschen Amtskirchen durch das Konkordat und die folgenden Staatskirchenverträge mit den evangelischen Kirchen auf- und anzugreifen.

Begründung:

Die Forderung nach Trennung von Staat und Kirche ist satzungsgemäß eines der Hauptziele der Humanistischen Union. In der internen Diskussion gerade in den letzten Monaten begegnet man immer wieder zwei Hauptargumentationslinien: Zum einen sei dieses Ziel nicht mehr zeitgemäß, weil die „Bedrohung“ durch die Kirchen nicht mehr so groß sei wie zum Gründungszeitpunkt der HU 1961. Zum zweiten, dieses Ziel sei zwar nach wie vor wichtig, müsse aber gegenüber den bürgerrechtlichen Zielen zurückstehen, weil „das Haus in  Flammen stehe und zunächst der Brand gelöscht werden müsse“. Es sprechen aber sowohl strukturell als auch praktisch-politisch gesehen gewichtige Gründe dafür, das Ziel „Trennung von Staat und Kirche“ nach wie vor intensiv zu verfolgen:
Strukturell spricht erstens die verfassungsmäßige Ausgangslage dafür. Als 1949 bei der Beratung des Grundgesetzes wegen der Blockade der großen Kirchen und der CDU/CSU unter Führung von Konrad Adenauer kein Konsens über eine Neuregelung des Kirchenrechts erzielt werden konnte, wurden die Artikel 136 bis 139 und 141 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1919 (Weimarer Verfassung) als Bestandteil des Grundgesetzes in dessen Artikel 140 übernommen. Nach Art. 137 (1) (Weimar) besteht zwar keine Staatskirche, aber die Kirchen werden privilegiert, u.a. durch das Kirchensteuerrecht. Der Verfassungsauftrag des Artikels 137 (1) (Weimar) und somit auch des Artikels 140 GG, nach dem die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften abgelöst werden, wurde bis heute nicht verwirklicht, sondern einfach negiert. Zu diesen Staatsleistungen gehören nach wie vor die aus dem Reichsdeputationshauptschluss von 1803 resultierenden Zahlungen an die Kirchen, für die man jedem Steuerzahler gleichviel ob Christ, Muslim, Atheist bzw. Agnostiker oder Freidenker in die Tasche greift.
Zweitens sind die strukturelle Bevorzugung der Kirchen und dadurch eine indirekte Benachteiligung aller anderen Staatsbürger durch das Konkordat und die verschiedenen Kirchenstaatsverträge zu nennen. Diese schreiben erhebliche Geldtransfers an die Kirchen fest, und zwar nicht nur für die Leistungen im sozialen Bereich, die die Kirchen nach ihrer Selbstdarstellung für die Allgemeinheit erbringen. Es geht aus kirchlicher Perspektive immer um die Sicherung des Einflusses auf Kindergärten, Religionsunterricht an den Schulen und die theologischen Fakultäten einschließlich personeller Interventionsmöglichkeiten. Dieser Einfluss wird bei uns immer noch primär durch das 1933 von Adolf Hitler mit dem Vatikan – oder wie er sich selbst nennt: „Heiligen Stuhl“ – abgeschlossene Konkordat garantiert. Es enthält keine Kündigungsklausel wie andere „normale“ bzw. politische Staatsverträge. Das – politische – Münchener Abkommen von 1938 wurde nachträglich für „völkerrechtswidrig, ungültig von Anfang an und für null und nichtig“ erklärt mit der Begründung, es sei mit einem Verbrecher abgeschlossen worden. Und sogar die katholischen Staaten Spanien und Italien haben später die von den faschistischen Diktatoren Franco und Mussolini mit dem „Heiligen Stuhl“ abgeschlossenen Konkordate revidiert! In Deutschland hat man sich bemüht, den evangelischen Kirchen – nach 1989 auch in den neuen Bundesländern durch Kirchenstaatsverträge die gleichen Privilegien zu sichern, was unsere Politiker, nicht nur die der CDU/CSU, euphemistisch „eine Frage der Gerechtigkeit“ nennen!
Praktisch-politisch gesehen gibt es eine Vielzahl von Einflussmöglichkeiten und Bevorzugungen der Kirchen neuerdings sogar der Muslime, soweit sie sich organisieren auf allen politischen Ebenen: Da gibt es die verschiedensten Gremien, wie z. B. „Ethikräte“, in denen teilweise am Parlament vorbei massiv Einfluss auf die Gesetzgebung genommen wird; die angemaßte  Meinungsführerschaft der Kirchen in moralischen Fragen von der Stammzellforschung bis zur Abtreibung und die zensurähnlichen Strukturen in den Rundfunkräten und den überproportional großen Anteil religiöser oder kirchenkonformer Sendungen auch  für Gebildete in den öffentlich-rechtlichen Medien.
Diese zentrale Thematik sollte daher vor allem bei Gesprächen mit Vertretern der Kirchen wieder stärker ins Bewusstsein gerückt werden. Bezogen auf die nächsten, die IV. Berliner Gespräche mit den Kirchen fordern wir, bei dieser Veranstaltung kritische Themen und den kritischen Dialog anstelle der bisherigen Form stärker in den Vordergrund zu stellen, damit wir nicht Gefahr laufen, dass die Gespräche im Unverbindlichen versanden. (Vgl. hierzu auch den Artikel Nach den  „III. Berliner Gesprächen wie geht es weiter ?“ von Johann-Albrecht Haupt in den HU-Mitteilungen Nr. 197 vom Juli 2007)

Antragsteller/innen: Irmgard Koll und Hans Rink

Antrag 5: Kein besonderer Schutz religiöser Gefühle

Der Arbeitskreis Staat-Kirche fordert die Delegiertenkonferenz der HU am 21.-23. 9. 2007 in Hannover auf, gegen jeglichen Versuch einer Uminterpretation von Artikel 4 Grundgesetz in dem Sinne, dass die religiösen Gefühle bestimmter Gruppenzugehörigen besonders schützenswert seien, Stellung zu beziehen und von den führenden Politikern – unabhängig von deren Parteizugehörigkeit – ein klares Bekenntnis zu den Vorgaben unseres Grundgesetzes zu fordern.

Begründung:

Jedem Gebildeten ist klar, dass die Postulate der verschiedensten Religionen auf der Welt weder im Sinne von für alle verbindlichen Wahrheiten noch einer prinzipiellen Überlegenheit religiöser gegenüber diesseitig begründeter Ethik akzeptabel und daher kritisch zu hinterfragen sind. Wir sind jedoch zur Toleranz verpflichtet, sowohl nach unserem humanistischen Selbstverständnis als auch nach der Vorgabe unserer Verfassung. Nach Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz sind die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses unverletzlich. Leider gibt es Anlass zu betonen, dass das religiöse und das weltanschauliche Bekenntnis nach dieser rechtlichen Ausgangslage gleichberechtigt nebeneinander stehen. Oder andersherum ausgedrückt: Daraus geht nicht hervor, dass  religiöse Gefühle besonders schützenswert seien, wie es in der öffentlichen Diskussion neuerdings immer wieder ins Feld geführt wird, hauptsächlich aber – wenn auch nicht nur – von muslimischer und römisch-katholischer Seite.

Antragsteller/innen: Irmgard Koll und Hans Rink

Antrag 6: Stellung­nahme zur Bildungs­po­litik

Die Humanistische Union möge eine Stellungnahme zur Studie des UN-Berichtserstatters Vernor Munoz über das deutsche Bildungssystem erarbeiten und dabei bürgerrechtspolitische Ansatzpunkte herausarbeiten.

Begründung:

Der frühe HU-Arbeitsschwerpunkt „Bildung“ lässt sich nicht voluntaristisch wiederbeleben – aber die scharfe (und von Dutzenden andere Studien untermauerte) Kritik an der extremen Selektivität des deutschen Schulwesens muss uns interessieren. Unabhängig von alten bildungspolitischen Lagerdebatten müssen die dort angesprochenen Fragen des Bürgerrechts auf Bildung – „sozialer Einschluss durch Schule“, Chancengleichheit für Migrantenkinder, für Kinder mit Behinderungen und aus bildungsarmen Familien sowie Schulpflicht für Flüchtlingskinder – auf der politischen Tagesordnung bleiben und in unsere Arbeit einbezogen werden.

Antragsteller: Landesverband NRW

Antrag 7: Gesetz­ent­wurf zum selbst­be­stimmten Sterben

Die Delegiertenkonferenz der Humanistischen Union möge beschließen: Die Humanistische Union spricht sich für die Straffreiheit von Sterbehilfe und eine uneingeschränkte Verbindlichkeit von Patientenverfügungen aus. Deshalb schlägt die Humanistische Union folgende gesetzliche Regelungen vor:

Die Humanistische Union fordert folgende Neufassung des § 216 Strafgesetzbuch („Tötung auf Verlangen“):
„Nicht rechtswidrig sind Handlungen in Fällen
1.  des Unterlassens oder Beendens einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht,
2.  der Anwendung einer medizinisch angezeigten leidmindernden Maßnahme, die das Leben als nicht beabsichtigte Nebenwirkung verkürzt,
3.  einer Tötung auf Grund des ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens des Getöteten.“

Die Humanistische Union fordert einen neuen § 1901b für das Bürgerliche Gesetzbuch:

§ 1901b Patientenverfügungen
„(1) Der Betreuer hat den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betreuten zu beachten. Liegt eine Patientenverfügung über die Einwilligung oder die Verweigerung der Einwilligung in bestimmte ärztliche oder pflegerische Maßnahmen vor, die auf die konkrete Entscheidungssituation zutrifft, so gilt die Entscheidung des Betreuten nach Eintritt der Äußerungsunfähigkeit fort. Dem Betreuer obliegt es, diese Entscheidung durchzusetzen. Das gilt auch dann, wenn die Erkrankung noch keinen tödlichen Verlauf genommen hat.
(2) Der Absatz 1 gilt auch für Bevollmächtigte, soweit der Vollmachtgeber nichts anderes bestimmt hat.“

Schließlich fordert die Humanistische Union folgende Neufassung des § 1904 des Bürgerlichen Gesetzbuches:

§ 1904 Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen
„(1) Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.
(2) Die Verweigerung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 Satz 1 bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt und anzunehmen ist, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt. Bis zur Entscheidung über die Genehmigung hat das Vormundschaftsgericht die im Interesse des Betreuten erforderlichen Maßregeln zu treffen.
(3) Eine Genehmigung nach Absatz 1 und 2 ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Verweigerung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Patienten entspricht.
(4) Die Genehmigung nach Absatz 1 und 2 ist zu erteilen, wenn die Erteilung, die Verweigerung oder der Widerruf der Einwilligung dem mutmaßlichen Willen des Betreuten entspricht. Hierfür bedarf es individueller konkreter Anhaltspunkte. Fehlen diese, ist das Wohl des Betreuten maßgebend. Dabei ist im Zweifelsfall dem Lebensschutz des Betreuten Vorrang einzuräumen. Liegt eine ausdrückliche, auf die Entscheidung bezogene Erklärung des Patienten vor, so hat das Vormundschaftsgericht festzustellen, dass es seiner Genehmigung nicht bedarf.
(5) Ein Bevollmächtigter kann in eine der in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 Satz 1 genannten Maßnahmen nur einwilligen, sie verweigern oder die Einwilligung widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist. Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ist nicht erforderlich.“
Begründung:
Die Erläuterungen und Begründungen für diesen Antrag wurden bereits in der vorherigen Ausgabe der Mitteilungen (Nummer 197, Seite 7-9) wiedergegeben, auf einen Neuabdruck wird daher verzichtet.

Antragsteller/in: Rosemarie Will und die Mitglieder des Bundesvorstandes

Antrag 8: Gesetz­ent­wurf zum selbst­be­stimmten Sterben (Änderungs­an­trag zu Antrag 7)

Die Humanistische Union setzt sich für eine unumschränkte Anerkennung von Patientenverfügungen ein und fordert deshalb folgende Ergänzung des § 130 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB): § 130 Abs. 2 BGB sollte durch folgenden Satz 2 ergänzt werden:

„Dies gilt auch für eine Patientenverfügung, in der der Patient die Einwilligung oder Verweigerung der Einwilligung in bestimmte ärztliche oder pflegerische Maßnahmen für den Fall seiner Äußerungsunfähigkeit erklärt hat.“

Begründung:

Der Bundesvorstand hat in den Mitteilungen 197 S. 7ff. seinen Antrag für die DK vorgestellt zum Thema Patientenverfügung und Sterbehilfe. Dieser besteht aus einem strafrechtlichen und einem zivilrechtlichen Teil.
Dem strafrechtlichen Vorschlag des Bundesvorstandes, der in einer Neufassung des § 216 StGB (Tötung auf Verlangen) besteht, schließe ich mich an, wenn auch nicht ganz richtig ist die Behauptung (Mitteilungen 197, S. 7 links unten), er sei bereits in den Mitteilungen 192 auf Seite 17/18 vorgestellt worden. Ein feiner Unterschied fällt auf: In den Mitteilungen 192 wird der Vorschlag von Arthur Kaufmann aufgegriffen, eine Tötung auf Verlangen unter bestimmten Bedingungen (u.a. beim Vorliegen einer Patientenverfügung) für „nicht strafbar“ zu erklären, während der jetzige Vorschlag des Bundesvorstandes in den Mitteilungen 197 sie (nur) für „nicht rechtswidrig“ erklären will, das ist etwas weniger. Aber den Unterschied verstehen eh nur Strafrechtsdogmatiker, im realen Leben ist der Unterschied weitgehend irrelevant, so dass ich mich dem Vorstandsvorschlag anschließen kann, der wohl für mehr Akzeptanz sorgen soll.
Den zivilrechtlichen Vorschlag einer Neuregelung im Betreuungsrecht des BGB finde ich weniger gelungen. Er schließt sich der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH) an – eine Gesetzesregelung aber darf und sollte weiter gehen. Nach dem Vorstandsvorschlag sollen bei Vorliegen einer entsprechenden Patientenverfügung lebensverlängernde Maßnahmen eingestellt werden, wenn Betreuer und Arzt einig sind. Sind sie sich nicht einig, soll das Vormundschaftsgericht entscheiden, welches den in der Patientenverfügung zum Ausdruck gekommenen Willen des Patienten zu respektieren hat. Dies bedeutet, dass die nahen Angehörigen, die die Patientenverfügung durchsetzen wollen, auf den beschwerlichen, kostenintensiven und langwierigen Gerichtsweg verwiesen werden – „nur“ weil ein Arzt den Willen des Patienten nicht respektieren will.
Die Angehörigen befinden sich ohnehin in einer belastenden, schwierigen Situation und sollen nun zum Gericht gehen müssen, obwohl bei ärztlichen Maßnahmen ohnehin immer (!) nur die Einwilligung des Patienten maßgebend ist, nicht die Meinung des Arztes. Jede ärztliche Maßnahme ist ohne Einwilligung des Patienten eine strafbare Körperverletzung! Dieses Risiko darf vom Arzt nicht weggenommen werden, es ist der Schutz der Patienten vor den Halbgöttern in Weiß.
Rosemarie Will schreibt: „Das Recht jedes Menschen auf Selbstbestimmung gebietet es, den in einer Patientenverfügung im Voraus geäußerten Willen in gleicher Weise zu achten wie den Willen eines äußerungsfähigen Patienten.“ Richtig. Das steht schon seit 1896 so im BGB es muss lediglich, weil es von Ärzten und Richtern immer wieder negiert wird, nachdrücklich verdeutlicht werden. Die Verbindlichkeit einer Patientenverfügung ohne Wenn und Aber ist keine Frage des Betreuungsrechts, sondern der Verbindlichkeit von Willenserklärungen allgemein. Zu Recht weist darauf auch der meistbenutzte BGB-Kommentar, der Palandt, hin (Einführung vor § 1896 Anm. 7-10). Die Patientenverfügung ist kein Indiz für den mutmaßlichen Willen des Patienten, wie Ärzte gern argumentieren, sie ist der Wille und damit umzusetzen ohne Vormundschaftsgericht (a.a.O.). Denn im Recht der Willenserklärungen lautet bereits seit über 100 Jahren der § 130 Abs. 2 BGB: „Auf die Wirksamkeit der Willenserklärung ist es ohne Einfluss, wenn der Erklärende nach der Abgabe stirbt oder geschäftsunfähig wird.“ Zur nachdrücklichen Verdeutlichung schlage ich vor, diese Vorschrift durch einen Satz 2 zu ergänzen:

„Dies gilt auch für eine Patientenverfügung, in der der Patient die Einwilligung oder Verweigerung der Einwilligung in bestimmte ärztliche oder pflegerische Maßnahmen für den Fall seiner Äußerungsunfähigkeit erklärt hat.“

Hiermit hat der Patient seine weiter verbindliche Willenserklärung abgegeben. Der Vorsorgebevollmächtigte oder der Betreuer hat daher nicht selbst seine Einwilligung in ärztliche Maßnahmen zu erteilen, wofür ggf. die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung einzuholen wäre, sondern der rechtsverbindliche Wille des Patienten ist zu beachten, wozu keine vormundschaftsgerichtliche Genehmigung erforderlich ist. Der Arzt, der sich daran nicht hält, begeht eine strafbare Körperverletzung – dieses Risiko darf ihm nicht abgenommen werden, im Gegenteil: Hiermit muss man ihm drohen können.

Antragsteller: Till Müller-Heidelberg

Antrag 9: Kampagne zu „Aktiver Sterbehilfe und Patien­ten­ver­fü­gung“

Auf der Grundlage des bei der Delegiertenkonferenz diskutierten und beschlossenen Gesetzesvorschlages zum Thema „Aktive Sterbehilfe und Patientenverfügung“ führt die HU mit Unterstützung der Landes-, Regional- und Ortsverbände eine bundesweite Kampagne durch.

Begründung:

Immer wieder beschäftigen wir uns mit den Rechten von sterbenden Menschen. Wir waren unter den ersten, die sich um die Formulierung von Patientenverfügungen bemühten. Längst haben diese Aufgabe auch andere Organisationen übernommen und es gibt sogar Formulierungen von offiziellen staatlichen Stellen. Auch die „Aktive Sterbehilfe“ ist für die HU kein neues Thema.
Wie die Aussagen der Vertreter der Parteien bei der Veranstaltung im Februar gezeigt haben, besteht die Gefahr, dass sogar die bestehenden Patientenrechte wieder eingeschränkt werden. Es gilt also Erreichtes zu verteidigen, aber auch vorwärtsgerichtet das Recht auf einen konsequent selbstbestimmten Tod einzufordern.
Bei einer bundesweit vernetzten Struktur von Veranstaltungen und Aktionen könnten Kräfte gebündelt, ReferentInnen ausgetauscht, geeignete Mitveranstalter empfohlen und z.B. Texte für Flugblätter und Einladungen vorgeschlagen werden. Wir sind sicher, dass mit dieser Kampagne eine große Öffentlichkeit für die HU hergestellt werden könnte und halten es nicht für ausgeschlossen, dass bei einiger Bemühung auch Sponsoren gefunden werden könnten, denn die Betroffenheit in der Bevölkerung ist groß.

Antragsteller/innen: Theodor Ebert und Sophie Rieger

Antrag 10: Verfas­sungs­wid­rige Obser­vie­rung einer demokra­ti­schen Partei durch den Verfas­sungs­schutz

Die Delegiertenkonferenz der HU vom 21. – 23. 9. 2007 in Hannover wird aufgefordert, nach ihrem Selbstverständnis als Bürgerrechtsorganisation gegen die Observierung der Partei „Die Linke“ durch den Verfassungsschutz zu protestieren und ggf. auch juristischen Sachverstand unserer HU-Freunde dazu einzubringen.

Begründung:

Seit der Neugründung der Partei „Die Linke“ durch frühere Mitglieder der WASG und der PDS am 17.6.2007 und der Gründung des linken Studentenverbandes SDS-Die Linke werden diese Organisationen und ihre Mitglieder zunehmend observiert, indem sie in den entsprechenden Dateien als „Linksextremisten“ erfasst und dadurch gleichzeitig diskriminiert und in ihren Bürgerrechten beschädigt werden. Nach unserer Kenntnis und auch nach Aussagen neutraler Beobachter im In- und Ausland ist die neue Partei keineswegs linksextremistisch; vielmehr steht sie auf dem Boden der so oft verbal beschriebenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung und sie strebt keineswegs eine Diktatur an.

Antragsteller/innen: Irmgard Koll und Hans Rink

Antrag 11: Konferenz zu Sozialen Grund­rechten

Der Arbeitskreis Soziale Grundrechte (AKSG) beantragt, dass die HU ihn mit der Durchführung einer Tagung zum Thema „Soziale Grundrechte im Zeitalter des ALG II“ beauftragen möge.

Antragsteller: Mitglieder des AK Soziale Grundrechte

Antrag 12: Für ein bedin­gungs­loses Grund­ein­kommen statt Hartz IV

Wegen der damit verbundenen Einschränkungen von Freiheits- und Bürgerrechten wie dem Zwang zur Annahme nahezu jeder auch noch so inakzeptablen Arbeit, der Pflicht zur „Mitwirkung“ und wegen der seit März 2003 nur um 80 Cent erhöhten Beträge muss das Arbeitslosengeld II (ALG II) durch ein existenzsicherndes Grundeinkommen ersetzt werden. Zunächst müssen dafür wieder die bis 2004 gültigen Bezugsbedingungen des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) gelten. Langfristig ist ein bedingungsloses Grundeinkommen aber die menschwürdigste und bürgerrechtlich gebotene Form sozialer Sicherung.

Antragsteller: Mitglieder des AK Soziale Grundrechte

Antrag 13: Sozialabbau und Überwachung

Die Bürgerrechte Erwerbsloser werden durch die Regelungen des Sozialgesetzbuchs II (SGB II) in nie gekannter Weise eingeschränkt. Vor allem das Recht der Bezieher des Arbeitslosengeldes II (ALG II) auf informationelle Selbstbestimmung, ihre Freizügigkeit, ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und ihre freie Berufswahl sind in der Praxis stark eingeschränkt. Gleichzeitig enthält des SGB II strafende Elemente bei Verstößen gegen Auflagen wie eine Kürzung des Regelsatzes bis auf Null.
Fast gleichzeitig mit der Einführung des ALG II  hat Deutschland auch nie gekannte Angriffe auf die Freiheitsrechte der Bürgerinnen und Bürger erlebt. Von der Einführung der „Anti-Terror-Datei“ über die Ausstattung von Reisepässen mit Chips zur Speicherung biometrischer Daten, die geplante Vorratsdatenspeicherung aller Telefon- und Internetverbindungen über die wiederholte Forderung nach einem Einsatz der Bundeswehr im Innern bis hin zu Debatten über eine gezielte Tötung Verdächtiger reicht der Maßnahmen-Katalog, der unter dem Vorwand der Terrorismusbekämpfung angedroht wird.
Die Humanistische Union befürchtet allerdings, dass die Einschränkung sozialer Rechte mit der Einschränkung von Freiheitsrechten einher geht. Die HU fordert die Politik deswegen auf, die ständigen Einschränkungen der Rechte von Bürgerinnen und Bürgern und damit den Abbau der Demokratie in Deutschland zu beenden. Die HU weist auf die alte Erkenntnis des Kriminologen Franz-Eduard von Liszt hin, der schon 1882 erklärt hat: „Die beste Kriminalpolitik ist eine gute Sozialpolitik.“

Antragsteller: Mitglieder des AK Soziale Grundrechte

Antrag 14: Engagement beim „Sozi­a­l­forum in Deutschland“

Der Bundesvorstand der Humanistischen Union möge sich am zweiten „Sozialforum in Deutschland“, das vom 18. bis 21. Oktober 2007 in Cottbus stattfindet, aktiv beteiligen. Eine aktive Beteiligung könnte durch einen Informationsstand, die Einrichtung einer Arbeitsgruppe oder ähnliches gewährleistet sein.

Begründung:

Das „Sozialforum in Deutschland“ ist Teil des Weltsozialforums und arbeitet auf der Grundlage der im Jahr 2001 verabschiedeten Charta von Porto Alegre / Brasilien unter der Losung „Eine andere Welt ist möglich“. Der Protest gegen die neoliberale Globalisierung ist von der grundlegenden Frage begleitet, welche politischen und sozialen Veränderungen erforderlich sind, um die Würde des Menschen zu wahren, die Menschenrechte zu sichern und die demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten zu erweitern.
Das zweite „Sozialforum in Deutschland“ bietet der Humanistischen Union die Gelegenheit, ihre Ziele als Bürgerrechtsvereinigung offensiv zu vertreten und neue Interessenten für ihre Arbeit zu gewinnen.

Antragsteller: Regionalverband München-Südbayern
(Informationen zum Sozialforum unter:
www.sfid.info)

Antrag 15: Bundes­-­Steu­er­datei und Perso­nen­kenn­zei­chen

Die Delegiertenkonferenz möge beschließen: Die HU ist besorgt über das Überwachungspotential der Steuernummer in Form eines allgemeinen Personenkennzeichens (PKZ) und der geplanten zentralen Steuerdatei. Zwar ist gegen Steuergerechtigkeit und gegen den internen Abgleich von Steuerdaten überhaupt nichts einzuwenden. Aber den hier eingeschlagenen Weg hält die HU mit den Datenschützern aus bürgerrechtlicher Sicht für nicht beherrschbar. Eine Bundes-PKZ und ein Bundes-Melderegister darf es nicht geben, beide sind verfassungswidrig.
Daher fordert die HU die Bundesregierung und den Gesetzgeber auf, diese Arbeiten auszusetzen und in einem transparenten Verfahren ohne Hast nach Lösungen zu suchen, die weder die informationelle Selbstbestimmung der BürgerInnen noch die informationelle Gewaltenteilung der Behörden beschädigen.

Ohne die Problematik schon abschließen behandelt zu haben, erhebt die HU dabei folgende Forderungen:
– Ablösung der Steuernummer durch ein modernes Identitätsmanagement
– kein Konfessionsstatus in der Steuerdatei
– Entlastung der Arbeitgeber, Banken und des Staates von Abzug/Abführung der Kirchensteuer.

Die HU wird die weitere Entwicklung aufmerksam verfolgen und sich bei Bedarf zu Wort melden.

Begründung:

Im Zuge der bereits laufenden Einführung einer einheitlichen Steuer-Identifikationsnummer soll damit zugleich eine umfangreiche zentrale Bundes-Steuerdatei über alle BürgerInnen – vom Säugling bis zum Greis – entstehen. In die beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) geführten Datensammlungen werden in Verbindung mit der eindeutigen, vom BZSt jeder BundesbürgerIn vergebenen Identifikationsnummer u.a. Name und Künstlername, akademischer Grad, Geburtstag und -ort, das Geschlecht, die aktuelle Adresse, die zuständige Finanzbehörde und bei Verstorbenen auch der Sterbetag gespeichert (bis zu weiteren 20 Jahren). Diese Daten werden elektronisch von den lokalen Meldebehörden gesendet und bilden die Basis für die Erzeugung der Identifikationsnummern, die dann auch in den lokalen Melderegistern gespeichert werden.
Diese Informationen gehen der Bundesregierung aber noch nicht weit genug. Von Friedrich Halfmann, 2. Vors. des Vereins zur Umwidmung von Kirchensteuern e.V., erhielten wir folgenden Hinweis: Nach dem vom Bundeskabinett im August verabschiedeten Entwurf eines Jahressteuergesetzes 2008 soll die elektronische Lohnsteuerkarte von 2011 an eingeführt werden, wozu so sensible Angaben wie Religionszugehörigkeit sowie Steuerklassen, EhepartnerInnen und Freibeträge etwa für Kinder oder außergewöhnliche Belastungen in der Bundes-Steuerdatei gespeichert werden sollen. Die Arbeitgeber sollen auf diese Daten automatisch zugreifen, um die Lohnsteuer und die daran gekoppelte Kirchensteuer zu berechnen und abzuführen.

Schon die jüngst verabschiedete Unternehmensteuerreform skizziert als Fernziel, dass ab 2011 in die Bundes-Steuerdatei auch Angaben zum Konfessionsstatus, zu dem (für den Kirchensteuerpflichtigen geltenden) Kirchensteuerhebesatz und zu der entsprechenden Religionsgesellschaft aufgenommen werden. Die Kreditinstitute sollen auf diese Daten automatisch zugreifen, um die Abgeltungsteuer und die daran gekoppelte Kirchensteuer zu berechnen und automatisch abzuführen.

Bis jetzt müssen Steuerpflichtige nur hinnehmen, dass außer der Finanzbehörde (nur) dem Arbeitgeber der Konfessionsstatus mitgeteilt werden muss. Die damit gegebene Beeinträchtigung des Grundrechtes der Religionsfreiheit Art. 4 Abs. 1 wird höchstgerichtlich für zumutbar gehalten, weil anders ein Einzug der Kirchensteuer durch den Staat nicht möglich sei. Für die jetzt beabsichtigte erneute Außerkraftsetzung des Art. 4 Abs. 1 GG gibt es nur technizistische Begründungen. Die Kirchen haben sich mit Macht strikt geweigert, eine pauschalierte Kirchensteuerzuweisung zu akzeptieren, was aus der Sicht des Finanzministeriums die wirklich eleganteste Lösung wäre. Allgemein begründet wird die Einführung dieser Verfahren mit zwei Argumenten:
– Erhöhung der Steuerehrlichkeit und Kontrolle der Besteuerung,
– elektronische Machbarkeit, geringer Verwaltungsaufwand z.B. für die Banken, die Einfachheit des Verfahrens insgesamt und seine Effizienz.

Die Datensammelleidenschaft des Staates geht damit munter weiter. Nach dem gläsernen Bürger, dem gläsernen Patienten und dem gläsernen Bankkunden kommt jetzt auch noch der gläserne Steuerzahler. Aber es kann noch schlimmer kommen, denn wie die Erfahrung zeigt, erzeugen solche Systeme neue Begehrlichkeiten. Darauf haben besonders zwei Datenschutzbeauftragte hingewiesen, die ich hier zitieren möchte:

Peter Schaar, Bundesbeauftragter für den Datenschutz, am 8. 8. 2007: „Außerdem befürchte ich, dass hier neue Begehrlichkeiten entstehen. So wären die Daten etwa für Sozialleistungsträger und Strafverfolgungsbehörden interessant. Leider gibt es zahlreiche Beispiele, dass Daten, die zunächst für einen bestimmten Zweck gespeichert worden waren, letztlich auch für viele andere Zwecke verwendet werden: So werden die für steuerliche Zwecke erhobenen Daten über Freistellungsaufträge mit den ebenfalls beim BZSt gespeicherten Daten der Empfänger von BaföG- und anderen Sozialleistungen abgeglichen. Die Mautdaten, die zunächst nur zur Mautberechnung erhoben wurden, sollen zukünftig auch zur Strafverfolgung verwendet werden. Der zur Terrorismusbekämpfung eingeführte Kontendatenabruf steht heute auch Finanzämtern offen…“

Dr. Thilo Weichert, Landesbeauftragter für den Datenschutz in Schleswig-Holstein, am 29. 6. 2007: „Mit der nun geschaffenen Infrastruktur droht eine weitgehende faktische Beseitigung der verfassungsrechtlich geforderten „informationellen Gewaltenteilung“ der Behörden: Gegen Steuergerechtigkeit und gegen den internen Abgleich von Steuerdaten ist aus Datenschutzsicht überhaupt nichts einzuwenden. Der hierzu eingeschlagene Weg ist jedoch fatal: Wegen der steuerrechtlichen Relevanz vieler Alltagsvorgänge, von geschäftlichen Transaktionen bis zum einfachen Bezahlen einer Rechnung, wird die neue Steuer-ID allgegenwärtig sein. Hierüber können dann nicht nur Finanzämter, sondern Banken, Auskunfteien, Adressenhändler, Versandhändler und sonstige Unternehmen ihre Datenbestände zusammenführen. Auch wenn dies vom Gesetz nicht erlaubt ist, wird es den Datenschutzaufsichtsbehörden praktisch nicht möglich sein, eine solche Nutzung zu unterbinden. Die Folge ist, dass dank der Steuer-ID umfassende Persönlichkeitsprofile erstellt werden können.“

Antragsteller/innen: Helga und Wolfgang Killinger

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