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Menschen­rechte in Zeiten des Terrors

Mitteilungen19809/2007Seite 30-31

Mitteilungen Nr. 198, S. 30-31

Menschenrechte in Zeiten des Terrors

Eine kritische Zwischenbilanz der staatlichen Maßnahmen gegen den Terror in Deutschland und Europa seit dem 11. September 2001 legt Rolf Gössner, Präsident der Internationalen Liga für Menschenrechte in Deutschland, in seinem neuen Buch vor. Im Vordergrund steht dabei die Untersuchung des Schadens, der durch staatlich angeordneten Maßnahmen zur Erhöhung der Sicherheit entstanden ist.

Inhaltlich geht das Buch von folgender Diagnose aus: Wie die polizeilichen Kriminalstatistiken belegen und die Innenminister immer wieder betonen, ist Deutschland eines der sichersten Länder der Welt. Trotzdem haben viele Menschen Angst, was einerseits auf Terrorismus und Kriminalität, andererseits auf ökonomischen Problemen wie Massenarbeitslosigkeit beruht und durch übertriebene Mediendarstellungen noch zusätzlich angeheizt wird. Diese Angst werde von Sicherheitspolitkern genutzt, um die Zustimmung der Bevölkerung zu Maßnahmen zu erhalten, die teilweise untauglich oder gefährlich sind.
Die symbolische Politik mit Sicherheitsängsten wird nach Gössners Einschätzung seit Jahrzehnten praktiziert, nur die als Begründung angegebenen Bedrohungsszenarien wandeln sich. Während es heute der islamistische Terrorismus ist, waren es früher die organisierte Kriminalität, die RAF oder kommunistische Spione, die uns in Angst und Schrecken versetzen.

In der Kriminalitätsbekämpfung macht Gössner einen Wandel zu einer Kultur der Prävention aus: Die Polizei solle möglichst vor dem Täter am Tatort sein und ihn an seiner Tat hindern. Dazu braucht die Polizei jedoch Daten über Täter, Tat und Tatort, was zu einem Ende der Unschuldsvermutung und des Datenschutzes führt. Das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie weitere Grundrechte werden zugunsten eines vermeintlichen „Supergrundrechts“ auf Sicherheit eingeschränkt.

Die gegenwärtige Bekämpfung des Terrorismus bringt, so Gössner, drei Tabubrüche mit sich, die es zuvor nicht gegeben habe. Erstens werde der Bürger generell zum Verdächtigen erklärt und vom Staate als Sicherheitsrisiko betrachtet. Um diesem Risiko zu begegnen, werden Methoden wie die Schleierfahndung, die Rasterfahndung, Videoüberwachung oder „vorsorgliche“ Telefonüberwachung eingesetzt. Zweitens werde die Trennung von Polizei und Geheimdiensten zunehmend aufgehoben, was zu der Gefahr führt, dass eine „Geheimpolizei“ Zeugen oder Beweismittel vor dem Angeklagten und der Justiz geheim hält, was faire Prozesse erschwert. Drittens wird der (bewaffnete) Einsatz der Streitkräfte im Inland forciert. Zugleich würde durch „robuste“ Einsätze der Bundeswehr im Ausland die Terrorgefahr in Deutschland erhöht, welche dann wieder durch die Bundeswehr bekämpft werden soll.
Zu den fragwürdigen „Antiterrorspezialitäten“ der letzten Jahre zählt Gössner etwa die Einführung biometrischer Ausweispapiere, die der damalige Bundesinnenminister Otto Schily über den Umweg der EU durchsetzte. Obwohl die Technologie kaum einen Sicherheitsgewinn verspreche, nicht zuverlässig funktioniere, viel Geld koste und aus Sicht des Datenschutzes äußerst heikel sei, wurde sie dennoch eingeführt. Das Versprechen, Passinhaber künftig biometrisch identifizieren zu können, hat unser Land nicht sicherer gemacht. Der Missbrauch deutscher Reisepässe beschränkte sich schon vorher auf wenige Fälle, bei der Terrorismusbekämpfung spielten Passfälschungen praktisch keine Rolle. Vielmehr war die Einführung der biometrischen Merkmale in den Pässen von Beginn an mit einem „Technologievorsprung“ für die produzierende Bundesdruckerei verbunden – dass Otto Schily seit dem Regierungswechsel u.a. als Berater für zwei Biometrie-Unternehmen auftritt, ist reiner Zufall.
Den Irrglauben einer durch staatliche Überwachung zu steigernden Sicherheit schildert Gössner anhand der geheimdienstlichen Überprüfung, denen zahlreiche Beschäftigte in „sicherheitsrelevanten“ Behörden und Unternehmen ausgesetzt waren. Unter den Überprüften fanden sich auch führende Beschäftigte der Bundesagentur für Arbeit, von denen die vermeintliche Gefahr ausging, dass sie durch ein gezieltes Verzögern bei der Einführung von Hartz IV „Aufstände“ hätten auslösen können.

In einem düsteren Kapitel schildert Gössner das Ende der Vertraulichkeit im Überwachungskosmos der modernen Telekommunikation“: Deutschland sei nach wie vor Weltspitze beim Abhören von Telefonen, die Bundesregierung halte unbeirrt am Großen Lauschangriff fest und auch die Versuche, das Fernmeldegeheimnis auf gerichtlichem Wege wenigstens ansatzweise wieder herzustellen (etwa durch die Verfassungsbeschwerde der Humanistischen Union gegen den Einsatz von IMSI-Catchern) scheiterten. Für die Zukunft sei keine Besserung in Sicht, wenn die Telekommunikationsanbieter demnächst die Verbindungsdaten von Telefonen, E-Mails und Internetverbindungen sechs Monate lang speichern müssen.
Noch stärker ist die präventive Überwachung von Migranten, welcher der Autor einen größeren Abschnitt widmet. Migranten stünden generell unter einem stärkeren Terrorverdacht als Deutsche: Ihre Visa für Deutschland enthalten biometrische Merkmale, im Ausländerzentralregister werden umfangreiche Daten über sie gesammelt, Abschiebungen und das Verbot ausländischer Vereine wurden erleichtert und Migranten verhaftet bzw. ihre Wohnungen durchsucht, da Rasterfahndungen sie verdächtig erscheinen ließen. Kritisch setzt sich Gössner auch mit den in einigen Bundesländern verbreiteten Fragebögen auseinander, mit deren Hilfe die Tauglichkeit von Migranten für die deutsche Staatsbürgerschaft geprüft werden sollte. Neben dem zweifelhaften Wert solcher Fragen nach der staatsbürgerlichen Allgemeinbildung verweist Gössner darauf, dass bei einigen Fragen auch ein Großteil der deutschstämmigen Bevölkerung durchfallen würde.

Das Fazit des Buches lautet: Die Terrorbekämpfung in Deutschland und Europa ist dadurch geprägt, dass Symptome mit fragwürdigen Methoden bekämpft werden sollen, während nichts gegen die Ursachen unternommen wird bzw. diese noch verstärkt werden. Das Buch zeichnet sich durch einen flüssigen und verständlichen Sprachstil aus und hat ein umfangreiches Quellenverzeichnis als Beleg für die dargelegten Fakten. Die Anti-Terror-Maßnahmen in Deutschland werden umfassend dargestellt, die in der EU eher am Rand erwähnt. Ebenfalls nur peripher kommt Russland vor, ein Land in dem man wirklich von „Gegenterror“ sprechen kann, sei es in Tschetschenien oder bei den „Befreiungen“ von Geiseln in Moskau und Beslan.

Thorben Olszewski
ist in der Humanistischen Union Berlin-Brandenburg aktiv

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