Vergegenwärtigung des Vergangenen
Bericht über eine Lesung mit Text, Bild und Musik. Mitteilungen 215/216 (Heft 1/2012), S. 38f.
Die Entdeckung einer neofaschistischen Terrorzelle, die jahrelang unerkannt mordend und raubend durch die Bundesrepublik zog, hat in schockierender Weise wieder deutlich gemacht, wie groß das Protest- und Gewaltpotenzial auf der rechten Seite des politischen Spektrums geworden ist. Zugleich sind rechtspopulistische Denkmuster bis weit in die „Mitte“ der Gesellschaft vorgedrungen, wie der Erfolg des Bestsellers von Thilo Sarrazin über das „Türken-Gen“ und die Verbreitung islamophober Internetseiten wie „Politically Incorrect“ beweisen. In dieser Situation erscheint es geboten, sich immer wieder auch mit dem historischen Faschismus auseinander zu setzen, um zu verstehen und darüber aufzuklären, wie er an die Macht kommen und sie bis zum bitteren Ende aufrecht erhalten konnte.
Bei der Veranstaltung, über die hier berichtet wird, ging es um ein spezifisches, eingegrenztes Thema, an dem aber viel über den Ungeist und die Herrschaftsmethoden des Nationalsozialismus deutlich wurde: Die Besetzung Polens durch deutsche Truppen im Zweiten Weltkrieg und das verbrecherische Hausen des von Hitler eingesetzten Generalgouverneurs Hans Frank, der mit Recht als „Schlächter von Krakau“ bezeichnet wurde.
Es handelte sich um eine Lesung aus dem 2010 erschienenen Buch von Dieter Schenk: „Krakauer Burg. Die Machtzentrale des Generalgouverneurs Hans Frank 1939-1945„. Musikalisch begleitet wurde sie von dem Kontrabassisten Vitold Rek mit eigenen Kompositionen. Sie fand am 9. Dezember 2011 im Frankfurter Club Voltaire statt. Veranstalter waren die Humanistische Union Frankfurt a.M. und die KunstGesellschaft – ein gemeinnütziger Verein, der sich seit 30 Jahren mit dem Verhältnis von Kunst und Gesellschaft befasst. Sachkundig und einfühlsam moderiert wurde die Veranstaltung von Peter Menne.
Dieter Schenk ist als Autor kein Unbekannter. Seit er Ende der 1980er Jahre seine Stelle als Kriminaldirektor im Bundeskriminalamt aufgab, schreibt er Bücher zu brisanten Themen. So als erster über die „braunen Wurzeln des BKA“, dessen Gründer und leitende Mitarbeiter in der Nachkriegszeit ehemalige Nazis waren, die sich zum Teil selbst an Kriegsverbrechen beteiligt hatten. Über die Naziherrschaft in Polen veröffentlichte Schenk mehrere Bücher, darunter 2006 im Fischer-Verlag: „Hans Frank. Hitlers Kronjurist und Generalgouverneur„. Dieter Schenk ist Honorarprofessor an der Universität Lodz. 2003 erhielt er den Fritz-Bauer-Preis der Humanistischen Union für sein publizistisches Wirken.
Die als „Konzertlesung“ angekündigte Veranstaltung hielt, was die Bezeichnung versprach. Keinesfalls war die Musik nur eine Beigabe zur Vorstellung des Buches. Dieter Schenk und Vitold Rek haben für die Lesung eine Form gefunden, die selbst an ein klassisches dreisätziges Musikstück erinnert.
Im ersten Teil wurden unkommentierte Bilder der Krakauer Burg, des Wawel, gezeigt, Zeichnungen seiner Architektur, Stadtpläne von Krakau und ihre Veränderung durch die Eindeutschung von Straßennamen, die historischen Kunstschätze und prunkvollen Säle des Sitzes der polnischen Könige. Vitold Rek begleitete die Bilderschau mit dunkel-melancholischen Akkorden.
Im Mittelteil las Dieter Schenk Passagen aus seinem Buch und erläuterte die einzelnen Bilder. Hier sah man die martialischen Appelle und hohlen Feiern der deutschen Okkupanten im Burghof, die Posen des Statthalters Frank, seine Vorliebe für kulturelle Zerstreuung, für die große Oper, um die Besatzer und ihre Frauen bei Laune zu halten.
Schenks Verdienst ist es, in der Figur von Hans Frank exemplarisch die normale Schizophrenie eines deutschen Kulturbürgers aufzuzeigen, der in seiner Freizeit Klavier und Schach spielt, Nietzsche liest, mit Künstlern wie Gerhart Hauptmann und Richard Strauß Umgang pflegt, und in seiner Dienstzeit Befehle gibt, die Hunderttausenden von Polen das Leben kosten und die Vernichtung der Juden vorantreiben. Frank sorgte dafür, dass ein großer Teil der polnischen Intelligenz liquidiert und für die übrige Bevölkerung das faschistische Motto verwirklicht wurde: „Slawen sind Sklaven“. Eine Million Zwangsarbeiter wurde ins „Reich“ deportiert.
Während Hans Frank in der Herrscherloge der Krakauer Oper zusammen mit festlich gekleideten deutschen Volksgenossen einem klassischen Ballett zuschaute, wurde nur eine Eisenbahnstunde entfernt in einem KZ das Morden fortgesetzt. Aber nicht nur als Schreibtischmörder war der „furchtbare Jurist“ Frank rastlos tätig, sondern auch als durch und durch korrupter und raffgieriger Sammler von Kunstwerken. Er und seine Frau bereicherten sich schamlos, nicht nur am Vermögen der verfolgten Juden. Das ging so weit, dass Franks Frau in den Ghettos erschien und mit dem falschen Versprechen von Schutz und Rettung Pelze und Schmuck für ein paar Zloty an sich raffte.
Wenn im mittleren Teil der Konzertlesung Reks Musik eher eine unterstützende, den Text ergänzende Funktion hatte, so änderte sich das im dritten Teil, in dem wieder nur eine rasche Abfolge von Bildern gezeigt wurde. Rek brachte dem Publikum den polnischen Widerstand nahe, indem er Volksmelodien aus seiner Heimat, Elemente jüdischer musikalischer Tradition und harte Rhythmen aus dem Jazz aufgriff und transformierte. Auch wenn die Teilnehmer die von ihm gesungenen polnischen Worte und Sätze nicht verstanden, verstanden sie doch deren Bedeutung.
Für alle TeilnehmerInnen war es ein bewegender Abend, an dem in einer überraschenden Weise Text, Bild und Musik kombiniert wurden. Der Applaus war entsprechend lang und herzlich. In der anschließenden Diskussion wurde das Bedürfnis nach solch plastischen und emotional wirksamen Darstellungen deutlich – sie fehlen in den Schulbüchern und im Unterricht. Es ist zu wünschen, dass Dieter Schenks und Vitold Reks Konzertlesung, die zuerst im Dezember 2010 in Krakau stattfand, dort mitveranstaltet vom Deutschen Generalkonsulat, auch in anderen Städten ihr Publikum findet.
Reiner Diederich
Dieter Schenk: Krakauer Burg : die Machtzentrale des Generalgouverneurs Hans Frank ; 1939 – 1945 / Berlin : Christoph-Links-Verlag, 1. Aufl., 2010, 206 S., 29,90 Euro ISBN 978-3-86153-575-1