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Der öffent­lich-recht­liche Rundfunk – ein demokra­ti­scher Schatz

Mitteilungen23501/2018Seite 3-6

Erfahrungen und Erkenntnisse aus eineinhalb Jahren im Rundfunkrat von Radio Bremen. Aus: HU-Mitteilungen Nr. 235 (Heft 1/2018), S. 3-6

Themen, die in fast jeder Rundfunkratsitzung zur Sprache kommen: der öffentlich-rechtliche Rundfunk (ÖRR) und seine Berechtigung / Rundfunkbeitrag versus Zwangsbeitrag / Staatsfunk versus Meinungsvielfalt / analoges Fernsehen versus digitale Verbreitung des Programms.

Seit meiner Mitgliedschaft im Runfunkrat ab Juni 2016 wurde die Diskussion dort bestimmt durch die Themen: Welche Berechtigung hat der ÖRR heute noch? Ist die Höhe des Rundfunkbeitrages gerechtfertigt? Wird bei der Berichterstattung über die maßgeblichen innen- und außenpolitischen Themen nicht zu sehr die Meinung der regierenden Parteien verbreitet (Staatsfunk)? Reicht eine Verbreitung der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Hörfunkprogramme über den terrestrischen Weg (analoges Fernsehen) aus? Verursacht die digitale Verbreitung der Programme über das Internet (Mediatheken, Live-Streams, zeitversetztes Sehen) nicht zusätzliche Kosten und ist zudem ein „unzulässiges“ Angebot, das den privaten Medien-Unternehmen, die nicht über Gebühren finanziert werden, unzulässige Konkurrenz macht?

Für mich stellt sich die Frage: Warum wird diese Diskussion im Augenblick so vehement geführt, und warum wird diese Diskussion in einer Weise geführt, die den ÖRR abwertet und beschädigt, garniert mit den Begriffen „Staatsfunk und Zwangsgebühren“, um nur zwei Beispiele zu nennen.

Ein Blick auf die Geschichte des ÖRR kann hierbei vielleicht einen Erklärungsansatz liefern, vor allem aber aufschlussreiche Erkenntnisse bringen über die leider in Vergessenheit geratenen Versuche und Versuchungen deutscher Nachkriegspolitiker, schon in der Gründungsphase der Bundesrepublik politischen Einfluss über den Rundfunk zu bekommen. Diese Versuche und Versuchungen haben nie aufgehört, nur werden sie heute nicht mehr so direkt in Szene gesetzt, sondern verschleiert  über Nebenschauplätze wie Rundfunkgebühren, Internetauftritt etc. geführt.

Kurso­ri­scher Überblick zur Geschichte und Entwicklung des ÖRR in der Bundes­re­pu­blik [1]

Über die Rundfunkstruktur nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes wurde schon vor der Gründung der Rundfunkanstalten im Deutschland der Nachkriegszeit heftig gestritten. Wem sollte dieser Rundfunk gehören? Wer sollte ihn kontrollieren, wer soll ihn überwachen? Was sollte er zu tun und zu lassen haben? Wer sollte seine grundsätzliche Ausrichtung bestimmen?

Ziel der Alliierten war ein freies, demokratisches und friedliebendes Deutschland. Der Rundfunk sollte zur „Förderung der menschlichen Ideale von Wahrheit, Toleranz, Gerechtigkeit, Freiheit und Achtung vor den Rechten der individuellen Persönlichkeit“ [2] beitragen. Dazu sollte er unabhängig sein von den Wünschen oder dem Verlangen irgendeiner Partei, eines Glaubens, eines Bekenntnisses oder bestimmter Weltanschauungen, er sollte kein Werkzeug der Regierung, einer besonderen Gruppe oder Persönlichkeit sein.

Diese Vorgaben wurden dem neuen Rundfunk von den Alliierten ins Stammbuch geschrieben, nicht ohne erhebliche Gegenwehr der deutschen Politiker. Selbst liberale Abgeordnete waren der Auffassung, dass die gewählten Vertreter des Volkes auch die Kontrolle über den Rundfunk ausüben und seine grundsätzliche Ausrichtung zu bestimmen haben.

Dezentral und staatsfern, das waren die beiden Diktate der westlichen Besatzungsmächte. Die gesellschaftlichen Gruppen und Kräfte (Rundfunkräte) sollten den Rundfunk, der allen gemeinsam oder aber niemandem gehöre, kontrollieren. Diese Vorgaben prägen bis heute den ÖRR.

Nach dem Wegfall der alliierten Vorbehaltsrechte 1955 wurde immer wieder versucht, auch mit Erfolg, entsprechend dem ursprünglichen deutschen Interesse die Alliierten-Vorgaben zurück zu schrauben. Die heftigen Auseinandersetzungen über Organisation, Finanzierung und Kontrolle des Rundfunks  zeigen sich auch in bislang vierzehn großen Urteilen des Bundesverfassungsgerichtes.

Ein grundlegendes Urteil zum Rundfunk und über die Zuständigkeit für den Rundfunk fällte das BVerfG bereits 1961. Konrad Adenauer war die von den Alliierten verordnete Rundfunkordnung zuwider. Für ihn war Rundfunk ein „politisches Führungsmittel“. Er wollte ein 2. Fernsehprogramm mit gesetzlichen Vorgaben des Bundes und mit Hilfe interessierter Zeitungsverlegerkreise und der privaten Wirtschaft aufbauen. Einen entsprechenden Gesetzentwurf verabschiedete 1959 das Bundeskabinett.

Der Konflikt entstand, weil einige Ministerpräsidenten die von den Alliierten verordnete föderale Struktur des Rundfunks lieb gewonnen hatten und auf ihre Zuständigkeit für die Rundfunkorganisation nicht mehr verzichten wollten. Sie zogen vor das BVerfG. Dieses verkündete am 28.02.1961 das erste Fernsehurteil. Darin wurde die alleinige Kompetenz der Länder und damit die föderale Organisation für den Rundfunk festgeschrieben. Adenauer unterlag mit seinem Vorhaben, ein von der Bundesregierung gelenktes Fernsehen zu schaffen.

Der Staatsvertrag über die Errichtung des Zweiten Deutschen Fernsehens (ZDF) folgte dann auch dem Prinzip für die Landesrundfunkanstalten mit einem Fernsehrat, der sich aus Vertretern der Allgemeinheit zusammensetzte. Damit wurde nur zum Teil das Ziel erreicht, neben dem „linken“ ersten Deutschen Fernsehen ein „rechts-konservatives“ staatlich kontrolliertes Fernsehprogramm zu etablieren.

Ein weiteres wichtiges Urteil vom 25. März 2014 (ZDF-Urteil) betraf insbesondere die „Staatsnähe“ in den Aufsichtsgremien. Vorausgegangen war die Entlassung des ZDF-Intendanten durch politische Einflussnahme (Causa Brender). Die zentrale Aussage des Gerichts war: „Der Einfluss der staatlichen und staatsnahen Mitglieder in den Aufsichtsgremien der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist konsequent zu begrenzen. Ihr Anteil darf ein Drittel der gesetzlichen Mitglieder des jeweiligen Gremiums nicht übersteigen.“[3]

Nach diesem Urteil mussten die Rundfunkgesetze der einzelnen Länder entsprechend geändert werden, so auch das Radio-Bremen-Gesetz. Dies führte dazu, dass die Humanistische Union als entsendeberechtigte zivilgesellschaftliche Organisation ins Gesetz aufgenommen wurde und seitdem einen Vertreter im Rundfunkrat stellt.

Fazit

Für mich ist eine Schlussfolgerung aus der hier kursorisch beschriebenen Entwicklungsgeschichte des ÖRR, dass die oben beschriebenen Diskussionen über den ÖRR eigentlich nur vorgeschobene Themen sind, hinter denen sich wie früher  eine Unzufriedenheit mit der eingeschränkten politische Einflussnahmen auf die Struktur und Sendungsinhalte des ÖRR verbirgt.

In diesem Zusammenhang kann man auch die Äußerungen von Rainer Robra im Oktober 2017 im Vorfeld einer Tagung der Ministerpräsidenten zur Strukturdebatte beim ÖRR sehen. Er ist Sachsen-Anhalts Minister für Kultur und Medien, Chef der Magdeburger Staatskanzlei (CDU), auch Mitglied im Fernsehrat des ZDF und dem Programmbeirat von Arte. Er schlug vor, die ARD solle sich künftig auf die regionale Berichterstattung in seinen Dritten Programmen beschränken; die nationale Berichterstattung solle weitgehend in die Hände des ZDF gelegt werden. [4]

Eine Rolle spielt auch die „Eigentumsstruktur“ des ÖRR, die nicht in das neoliberal geprägte Weltbild vieler Politiker/innen passt. Ein Rundfunk, der niemanden gehört, oder auch allen Rundfunkbeitragszahlern, das passt nicht ins kapitalistische System und dessen Denkstrukturen.

#Für meine Mitwirkung im Rundfunkrat heißt dies, dass die Wahrung der Unabhängigkeit  des Rundfunks ein oberstes Ziel sein muss und dies auch von den Rundfunkräten gegen die Begehrlichkeit von Politikern offensiver verteidigt werden müsste. Mit dem ÖRR besitzen wir eine Perle, die gepflegt und bewacht werden muss, die wichtiger Bestandteil unserer Demokratie ist und dessen Beschädigung auch unsere Demokratie beschädigen würde.

Ein weiterer wichtiger Punkt, der bei der derzeit geführten Diskussion über neue Strukturen zur Kosteneinsparung zu wenig Beachtung findet, sind die Macher des ÖRR, die Journalisten. Wer gutes Programm haben will, braucht eine ausreichende Zahl von gut ausgebildeten und gut bezahlten Journalist/innen. Diesen muss man aber auch die notwendige Zeit zubilligen, die sie für ihre wichtigste Arbeit, die Recherchen, benötigen. In einer Zeit der grassierenden Fake-News ist diese Arbeit besonders wichtig.

Journalisten kosten Geld – und damit sind wir wieder bei den Rundfunkbeiträgen. Um den Programmauftrag des ÖRR zu erfüllen, was letztendlich nur durch die Arbeit der  Journalisten geschehen kann, müssen auch ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt werden. Ob die derzeitige Personalausstattung mit festen Mitarbeitern im journalistischen Bereich bei Radio Bremen ausreichend ist, müsste genauer betrachtet werden.

Dass der ÖRR nicht perfekt ist, und dass es an einzelnen Programmen und Sendungen  auch berechtigte Kritik gibt, soll hier nicht klein geredet werden – im Gegenteil. Aber gerade die Struktur des ÖRR mit Rundfunkräten, Publikumsbeauftragten etc. bietet vielfältige Möglichkeiten, sachliche Kritik zu üben, die auch gehört wird, auf die die jeweiligen Redaktionen auch eingehen und entsprechende Schreiben beantworten müssen. Letztlich kann sich jeder mit einer Beschwerde auch direkt an den Rundfunkrat wenden.

Wie die Arbeit im Rundfunkrat und seinen Ausschüssen konkret vonstatten geht, wie der Austausch mit den Redaktionen und den Mitarbeitern der verschiedenen Organisationsebenen aussieht, darüber berichte ich in einer der nächsten Ausgaben der vorgänge.

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