Meinungsfreiheit in Gefahr: Der Münchner Stadtratsbeschluss vom 13.12.2017 und seine Folgen
Berichte aus den Regionalgruppen: Bayern
In: Mitteilungen 239, S.14 -17
Veranstaltung am 26. Juni 2019 in München
Wir greifen auf einen Bericht zurück, der auf „Medienrealität“, dem Blog der Mitarbeiter/innen am Institut für Kommunikationswissenschaft und Medienforschung der LMU (Forschungs- und Lehrbereich von Prof. Michael Meyen) veröffentlicht wurde: Leerer Stuhl, volles Haus: Meinungsfreiheit und das Kartell des Schweigens von Mandy Tröger
Ein Streitgespräch lebt vom Streit. Was aber, wenn niemand streiten will? Auch zur dritten Runde der Münchner Debatte um Meinungsfreiheit wollte kein Stadtratsmitglied den Ratsbeschluss vom Dezember 2017 verteidigen. Heraus kam eine Podiumsdiskussion, bei der sich die Anwesenden bestärkten. Warum trotzdem darüber schreiben? Weil allein die Tatsache, dass diese Veranstaltung stattfinden konnte, einen Artikel verdient. Und der Kampf um die Meinungsfreiheit tobt nicht nur in München.
Der Hintergrund des Münchner Stadtratsbeschlusses vom Dezember 2017 muss hier nicht wieder aufgerollt werden. Auch Runde eins (Die Grenzen des Sagbaren bei uns an der Uni), Runde zwei (Streitgespräch zwischen Oren Osterer und Moshe Zimmermann) und Folgen können in früheren Beiträgen nachgelesen werden. Die dritte Runde, eine Podiumsdiskussion mit dem Titel Meinungsfreiheit in Gefahr, war dagegen ruhig: keine Fahnen, keine Transparente, keine Zwischenrufe.
Der Andrang des Publikums war ungebrochen hoch. 300 Menschen kamen an einem tropisch heißen Mittwochabend in die Münchner Freiheizhalle, um zuzuhören und mitzudiskutieren. Geladene Gäste: Journalist Andreas Zumach, Künstlerin und Autorin Nirit Sommerfeld (Bündnis für Gerechtigkeit zwischen Israelis und Palästinensern) und Jurist Peter Vonnahme (Richter am Bayerischen Verwaltungsgerichtshof i.R.). Ein Stuhl blieb leer, reserviert für den Münchener Stadtrat. Laut Zumach keine Überraschung. In den letzten Jahren seien deutschlandweit in 120 Fällen bei ähnlichen Veranstaltungen Angebote gemacht worden, ins Gespräch zu treten. In allen Fällen abgelehnt. Die Lösung diesmal: ein Schauspieler las Zitate eines Interviews mit dem Münchener Stadtratsmitglied Marian Offman (CSU). Hier wurde aus der Not eine Tugend, die für Erheiterung sorgte. So erklärt Offman persönlich, warum er durch Abwesenheit glänzte:
Ich meine, warum werden wir als Stadt immer in diese Diskussion hineingezogen? Warum muss ich mich immer damit auseinandersetzen? Man versucht, mich dann auch einzuladen, zu solchen Veranstaltungen auf das Podium, um das irgendwie zu legitimieren. Ich mach das natürlich nicht.
Warum sollte ein Stadtratsmitglied auch den Bürger_innen seiner Stadt Frage und Antwort stehen? Wenn man sich ernsthaft solche Fragen stellen muss, läuft etwas falsch im demokratischen Staat.
Moderiert wurde die Debatte von Lothar Zechlin, Professor für öffentliches Recht an der Uni Duisburg-Essen i.R.. Zechlin machte gleich zu Beginn klar, das Thema sei nicht nur in München hochaktuell, auch in anderen Städten gebe es ähnliche Beschlüsse. In Essen beispielsweise. Dort werde, anders als in München, zwar zwischen Israelkritik und Antisemitismus unterschieden. Letztlich solle aber beides aus städtischen Räumen herausgehalten werden. Deutschlandweit würde Antisemitismus zunehmend als Totschlagargument genutzt, um Kritik an israelischer Politik zu untergraben. Die Folgen seien abstrus, unterstrich Nirit Sommerfeld und verwies auf den Rücktritt des Direktors des Jüdischen Museums in Berlin, Peter Schäfer, nach einer Kampagne, die einer Hexenjagd gleichkäme.
Die Situation in München ist für Peter Vonnahme aber nochmal eine besondere: Erstens würde hier jegliche Diskussion über den Beschluss selbst durch diesen fast unmöglich. Dabei sei die Annahme der Stadt ganz einfach: Sie habe ein weites Ermessen bei der Regelung der Vergabe ihrer Räume. Außer acht bliebe dabei, dass kommunalrechtlich alle Gemeindemitglieder öffentliche Einrichtungen nutzen dürften, da sie diese ja auch finanzierten. Die Räume seien also nicht die der Stadt, sondern die ihrer Bürger. Einziger Versagungsgrund: Strafbare Handlungen. Und so etwas liege nicht vor. Diesen Rechtsanspruch zu beschneiden, hieße in voller Konsequenz, wenn der Stadt ein gewisses Thema nicht passe, bekommt der Bürger keinen Raum, so Vonnahme, und das dürfe nicht sein.
Zweitens werde in München derzeit gegen den Beschluss vor dem bayrischen Verwaltungsgerichtshof geklagt genau an jenem Gericht, an dem Vonnahme jahrelang als Richter tätig war. Ein Interessenskonflikt? Nein. Vonnahme sei als ganz normaler Bürger mit dem Erfahrungshorizont eines langen Richterlebens anwesend und heute tief besorgt. Denn die Meinungsfreiheit sei eines der vornehmsten Freiheitsrechte überhaupt, alle anderen Rechte leiten sich von diesem ab. Es durch die Muss-Bestimmung eines Stadtratsbeschlusses zu beschneiden, sei nicht haltbar, unterstrich der ehemalige Richter. Gefragt werden muss hier auch nach parteipolitischen Interessen im Stadtrat. Denn egal wer mit wem aus welchen Gründen paktierte, Vonnahmes Ausführungen machten klar: Die Beschneidung dieses Urgrundrechts der Bürger wiegt schwerer als parteipolitisches Machtkalkül im Stadtrat.
Denn letztlich baden die Bürger die Folgen aus, wie Nirit Sommerfeld erlebt. Die deutsch-israelisch-jüdische Sängerin und Autorin berichtete von Absagen und Ausladungen, über Kontaktschuld und Antisemitismus-Vorwürfe. Warum, fragte Sommerfeld, plötzlich Antisemitismus, 70 Jahre nach den Gräueltaten? Warum jetzt? Ihre Antwort: der Versuch des Freimachens von Schuldgefühlen. Diese historische Reinwaschung stünde höher als die aktuelle Situation in Palästina, die so grauenvoll sei, dass man das hier eigentlich gar nicht beschreiben kann. Israel sollte an den Standards der sogenannten westlichen Wertegemeinschaft gemessen werden, Menschenrechte der Palästinenser würden im Schatten der Schuld nicht gelten.
Der Stadtratsbeschluss also ein Pflaster für eine eiternde Wunde, die nie ausgeheilt ist? Ja. Ziel sei laut Sommerfeld, Antisemitismus im Keim zu ersticken, indem über BDS nicht gesprochen werden darf. Warum das Festmachen an BDS? Weil es greifbar sei. Wenn es aber in München wirklich um die Verhinderung des Antisemitismus ginge, so ein Redebeitrag, warum wehrt sich die Stadt dann so rigoros gegen die Stolpersteine? In ganz Deutschland gebe es sie, eine Erinnungskultur, nicht durch Verbot des Dialogs, sondern durch visuelles Mahnen im alltäglichen Leben. Warum werde diese Initiative untergraben? Eine gute Frage und lange Kontroverse im Stadtrat, auf die das fehlende Stadtratsmitglied hätte eingehen können. Aber man muss mit seinen Bürgern ja nicht reden.
Die Frage, warum Antisemitismus an BDS festgemacht wird, beantwortete Andreas Zumach mit rechtlichen Lücken und politischer Kampagnenarbeit. Problem eins: Antisemitismus sei weder im Grundgesetz noch im Strafgesetzbuch definiert. Es gebe weder eine Strafnorm, noch könne man gegen den Vorwurf des Antisemitismus rechtlich vorgehen. Er selbst werde als der gefährlichste Antisemit Deutschlands beschimpft, dem läge der Israel-bezogene Antisemitismus zugrunde. Problem zwei: Die deutsche Regierung stütze sich auf diese Antisemitismus-Definition. Sie wurde im Mai 2016 auf einer Konferenz in Bukarest von der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) ausgearbeitet, breitflächig vertrieben und so zur politisch-gültigen Sprachregelung. Versuche, beides (Antisemitismus und Israelkritik) voneinander zu trennen, enden in abstrus wirkenden Diagrammen, die das eine dann doch zum anderen machen. Also besser auf der sicheren Seite bleiben und nichts sagen? Irgendwie ja.
Mit dieser Schere im Kopf erfordere es Mut, Räume für die Meinungsfreiheit zu öffnen, so Zumach. Er bedankte sich hier unter anderem beim Präsidenten der LMU, Bernd Huber. Dieser habe die Veranstaltung Die Grenzen des Sagbaren im November 2018 trotz massiven Drucks hinter den Kulissen gestattet. Dafür gebühre ihm Respekt. Herausgekommen sei ein erster Versuch einer systematischen Analyse der Informationskampagne, auch gegen Zumach selbst. Sie bestehe vor allem aus pauschaler Schmähkritik und Diffamierung, nie aber aus inhaltlicher Auseinandersetzung. Das spreche für sich. Wenn man schon nicht sprechen darf, dann wenigstens das.
Wir sollten nicht schweigend zusehen, mahnte Vonnahme, wenn sich heute in Städten, Universitäten und kirchlichen Einrichtungen ein Kartell des Schweigens bildet das darf in unserem Land nicht passieren. Antisemitismus müsse bekämpft werden, darin waren sich Redner und Publikum einig. Allerdings seien die Beschränkung der Meinungsfreiheit und das Festmachen des Antisemitismus an BDS verfehlt die falsche Strategie, mit der deutschen Schuld umzugehen. Nicht Meinungsäußerung, sondern Denkverbote sollten das einzige Tabu sein, schloss Sommerfeld.
So waren sich alle einig. Die Veranstaltung ein Austausch eigener Überzeugungen, die sich in der Forderung nach allgemeingültigen Menschenrechten trafen. Die eigentliche Leistung der Organisatoren: die Räume, die Gäste und die Finanzierung. Mehrere Podiumsteilnehmer hatten mit sich gerungen, kamen letztlich aber doch. Die Freiheizhalle, ein privater Träger, machte keinen Rückzieher, Spenden sollten die Mietkosten tragen. Das allein muss als mittelgroßer Erfolg gefeiert werden, in einem Klima, in dem ein Verbot zivilgesellschaftliches Engagement erschwert. Auch Meinungsfreiheit braucht politische, rechtliche und institutionelle Strukturen, nicht parteipolitische Machtinteressen. Sollte sich ein Stadtratsmitglied eines Tages doch auf solch eine Veranstaltung wagen, würde er oder sie erleben, wie bürgerliche Demokratie auch aussehen kann. Kein Kreuz alle paar Jahre, sondern Dialog und eine Nähe zum kritisch mündigen Bürger, die keine Plage sein muss.